Wie alles anfing ...
Wie Spielkonsolen und Smartphones in unseren Familien ihren Siegeszug antreten. Nach dem ersten elektronischen Weihnachten, einem ungewöhnlich ruhigen Fest mit friedlich beschäftigten Kindern, macht sich ein gewisses Unbehagen breit: Während andere Eltern es locker sehen, wollen wir handeln. Aber warum stellen wir Mütter uns eigentlich so an? (Und warum sind Väter da anders?) Kämpfen hier Analog-Dinos gegen Digital Natives? Wir klären, dass das Normale nicht immer auch etwas Gutes sein muss und was ein Erziehungsauftrag bedeutet. Schlussendlich: Ein antidigitaler Plan muss her. Aber welcher?
MOBILE MOBILMACHUNG
Mich, Ella, hat es sozusagen kalt erwischt. Eines Novembermittwochs vor ein paar Jahren schwappte die digitale Welt unvermittelt in unser Familienleben. Ben, damals im dritten Schuljahr, stand etwas früher als sonst vor der Tür: »Mama, weißt du …« Weiter kam er nicht, schon im Flur kullerten die ersten Tränen. Ich bleibe normalerweise cool, denn meiner Überzeugung nach müssen Eltern eher den gelassenen Gegenpol geben, wenn das Kind schon weint. Aber hier schien es wirklich etwas Ernsteres zu sein. Er schluchzte geradezu. Wer will schon sein eigenes Kind so weinen sehen?
Also ich nicht. Er schien unverletzt, was war bloß passiert?
ALLE HABEN EINS, MAMA!
Nachdem er sich bei einer Tasse Kakao etwas beruhigt hatte und die Tränen getrocknet waren, bestimmte nun ein unendlich verzweifelter Blick seine nach wie vor kummervolle Miene: »Mama, wir haben eine Umfrage gemacht, und alle haben eins, nur ich nicht!« Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass er von einer Spielkonsole sprach. Geräte wie Nintendo DS, Playstation und Gameboy gehörten in der Klasse zum Alltag (selbst wenn sie in der Schule nicht benutzt werden durften) und die aufgeschlossene Klassenlehrerin hatte das an diesem Tag mal in den Unterricht integriert.
Das Ergebnis des Klassenbrainstormings kam einem Vernichtungsschlag gegen meine pädagogischen Grundfesten gleich. Mein Kind wurde als einziges von 24 Schülern demnach mutwillig vom digitalen Paradies ferngehalten: Alle außer ihm besaßen ein elektronisches Spielgerät, wenn nicht gleich ein Smartphone. Manche hatten sogar mehrere Geräte. Und noch mal: Er war der Einzige in seiner Klasse! Tatsächlich. Normalerweise neigen Kinder in diesem Alter ja zu Übertreibungen. »Alle« sind meistens zwei, drei gute Freunde oder Freundinnen. Diesmal hieß »alle« wirklich »alle außer Ben«.
Bisher hatte ich alles elektronische Gerät aus dem Kinderzimmer ferngehalten und war auch stolz darauf, es hatte bis zu diesem Zeitpunkt in unserem Haushalt auch keine bimmelnden Plastikspielzeuge gegeben (okay, bis auf ein Geschenk, das sofort entsorgt wurde, als die Batterie nachzulassen begann). Aber jetzt geriet dieser Stolz gewaltig ins Wanken, denn ich wollte keinen Außenseiter aus meinem Kind machen. Etwas später, am Elternsprechtag, sprach mich die Klassenlehrerin sogar noch einmal darauf an, wie sehr sich Ben doch so ein Ding wünschen würde.
Jetzt gab es kein Halten mehr. War ein solches Gerät schon seit Langem sein größter Wunsch gewesen, wurde es nun dieses Weihnachten zum einzigen Wunsch! Bisher konnten wir das irgendwo am Ende aufgelistete elektronische Gerät einfach ignorieren. Aber jetzt, kurz nach der Klassenumfrage, stand da nur noch: »Plestasion«.
Es war genau das passiert, was ich als Mutter nicht leiden kann, weil ich keinerlei Einfluss darauf habe: Die peer group hatte mobilgemacht. Der soziale Druck, den schon Grundschüler ausüben können, ist immens, das hatte ich hier zu spüren bekommen. Und die Moral von der Geschicht: Das Kind bekam zu Weihnachten sein Gerät, das heißt, wir alle bekamen es, Mama, Papa, Ben und seine beiden kleineren Brüder.
Seit ungefähr eineinhalb Jahren hatte jeder Wunschzettel unseres erwartungsvollen Sohnes die Worte »Playstation« oder »Nintendo DS« enthalten. Groß geschrieben, rot umrandet und mit vielen Fehlern.
AUF DEM GIPFEL DER GLÜCKSELIGKEIT
Eine Playstation war damals der Gipfel der Glückseligkeit und meiner Ansicht nach das kleinste Übel: Das Kind konnte nicht allein in seinem Zimmer mit einem elektronischen Gerät vereinsamen, sondern würde wenigstens ganz kommunikativ mit seinen Brüdern lustige Spiele spielen. Einen großen Fürsprecher hatte Ben außerdem in seinem Papa, der genau so ein Gerät auch gerne haben wollte, um – ja wirklich – selber zu spielen. Und Filme gucken konnten wir damit auch. Eigentlich ein wunderbares Gerät, das so viel kann. Bald waren Lego-Star-Wars-Helden und die Mods Nation Racers auch in unserem Wohnzimmer Stammgast und die ganze Familie (außer mir, der Skeptikerin) raste mit kleinen Autos über virtuelle Rennbahnen zum Ziel.
Und wo ein Gerät ist, bekommt es bald Freunde. Denn die drei Jungs, Ben und seine kleinen Brüder Jonas und Elias, fanden die Playstation natürlich gut. Und zu jedem folgenden Geburtstag oder zu Weihnachten wünschten sich die Jungs weitere Devices. Smartphones kamen ins Haus und auch die PC-Kapazitäten wurden aufgestockt ...
STILLE NACHT 2.0
Bei uns kam das erste Gerät aus praktischen Erwägungen ins Haus. Es war wie bei vielen anderen auch: Irgendwo war ein Smartphone übrig, und bevor das in einer Schublade verschwindet, bekommt es ein Kind. Weil ein solches Gerät natürlich auch einen Nutzwert für die Eltern hat: Das Kind ist erreichbar und kann sich jederzeit eine Busverbindung suchen.
Anlass war die Klassenfahrt unseres damals zwölfjährigen Alex. Die Erdkunde- und Biolehrer hatten auf die Mitnehmliste neben Zahnbürste und Schlafanzug auch »Fotoapparat oder Foto-Handy« geschrieben. Man wollte Bäume und Gestein fotografieren und anschließend per PowerPoint Collagen erstellen und Referate halten. Man merkte, die Lehrer waren beide jung, technisch versiert und voller Tatendrang. Nur war Alex’ Fotoapparat kaputt und das alte Handy hatte keine Kamera. Die Lösung des Problems lag bei meinem Mann Stefan im Schrank. Der hatte nämlich vor einer Weile einen Frustkauf getätigt und sich – zwar keine Schuhe, aber ein neues Smartphone gekauft! Das alte wurde dementsprechend nicht mehr gebraucht, war aber noch komplett funktionstüchtig und internetfähig. Alex konnte es also »erst mal« auf die Klassenfahrt mitnehmen, um seine Fotos zu machen. Ich muss nicht erwähnen, dass »erst mal« zum Dauerzustand wurde.
DIE SMARTPHONE-EINSCHLEICHUNG
Weil Alex nun ein guter Schüler ist, der mehrmals pro Woche zum Training geht und auch sonst nicht laut herumtönt, was er mit dem Gerät alles anstellte, fiel die schleichende Smartphonenutzung keinem weiter auf. Keinem?
Doch. Einem. Und zwar dem jüngeren Bruder, der mit Argusaugen beobachtete, was Alex tat und wie lange. Und der dann seinerseits Ansprüche geltend machte. Natürlich kurz vor Weihnachten! Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn so fehlten uns die Argumente, ihm ein Smartphone vorzuenthalten. Er war ja inzwischen fast so alt wie Alex, als der das Leihgerät vom Papa geerbt hatte. Dann war die Sache klar: Unter unserem Tannenbaum würde ein Smartphone liegen, die klassische Einstiegsdroge für Fünftklässler. Es war Maxis sehnlichster Weihnachtswunsch! Und wer traut sich zu sagen: »Ach, dein Bruder hat so ein Ding? Na, du kriegst jedenfalls keins«? Viel lieber hätte ich natürlich viel zu viel Geld für ein paar klitzekleine Plastiksteinchen aus Dänemark ausgegeben und dann zugesehen, wie Sohn, Papa und Opa auf dem Fußboden sitzen und bis spät in die Nacht fluchend und Weingläser umstoßend Spielzeug zusammenbauen. Aber ich habe mich breitschlagen lassen – und der Kindsvater hat glücklich einen halben Samstag im Elektronikmarkt verbracht.
Was ein Handy alles können muss
Ich persönlich hatte ja ganz klare Wünsche, oder sagen wir Anforderungen: Das Smartphone für den Nachwuchs sollte ein paar grundlegende Sachen können, aber bitte nicht zu viele. Also, Maxi sollte schon Spiele spielen und Musik hören können und WhatsApp-fähig sein sollte es auch, sonst hätte man ihm ja auch Omas altes Klapphandy geben können. Aber – was mir wichtig war – er sollte nun nicht permanent bei YouTube oder sonstwo im Internet unterwegs sein können. Ach so, telefonieren musste er natürlich auch können und eine GPS-Ortung fand ich gut, dann konnte ich immer wissen, ob er bei seinem Freund am anderen Ende der Stadt gut angekommen war. War ich unbescheiden mit meinen Wünschen? High-End-Fotoqualität fand ich bei einem Elfjährigen nicht wichtig, der Papa allerdings schon. Ich wollte, dass das Gerät nicht so teuer aussah, damit es in der Schule nicht geklaut wurde, mein Mann dagegen fand, wenn schon, dann sollte das Ding auch was hermachen. Wir hatten offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen ...
Die dunkle Bedrohung
Kurz vor dem vierten Advent, als ich mit den Nerven sowieso schon zu Fuß war, wegen des nahenden Festes, der Menüfolge, den immer neuen Fragen der Großeltern und der Limited-Edition-Barbie für mein Patenkind, brachte mein Mann tatsächlich eines schönen Abends das Ding mit nach Hause. Kaum waren die Kinder an diesem Freitagabend im Bett verschwunden, zog er mich mit verschwörerischem Lächeln – »Überraschung!« – ins Schlafzimmer und schloss die Tür. Ich dachte zunächst erfreut an ein abendliches Stündchen zu zweit allein, aber mein Göttergatte zog mit vielsagendem Lächeln eine Plastiktüte hervor, deren Aufschrift...