Teil 1: Verworfen und verachtet – Die Leiden Josephs (1. Mose 37–40)
Der erste Abschnitt der Geschichte Josephs beschäftigt sich mit dem Leidensweg, den dieser junge Mann ging. Er wird uns in drei großen Teilen vorgestellt:
- Joseph im Haus seines Vaters: Dort war er einerseits der Geliebte und Ausgezeichnete seines Vaters, andererseits der von seinen Brüdern Gehasste.
- Joseph in der Hand seiner Brüder: Von seinem Vater gesandt, um nach dem Wohlergehen der Brüder zu sehen, wird er von diesen abgelehnt, in die Grube geworfen und nach Ägypten verkauft.
- Joseph in Ägypten: In Ägypten war Joseph zuerst im Hause Potiphars und dann im Gefängnis. Dort wurde er versucht (erprobt) und schließlich vergessen.
Wir erkennen darin unschwer den Weg unseres Herrn und Heilands. Er war der Geliebte des Vaters, der von den Menschen gehasst wurde. Er kam zu seinem irdischen Volk Israel und wurde von ihnen abgelehnt. Sie ruhten nicht eher, bis sie ihn zum Tod verurteilt hatten. Der Herr kam aber auch in diese Welt und die Welt hat ihn nicht erkannt. Die Nationen (Heiden) wurden genauso schuldig an seinem Tod wie die Juden.
1. Geliebt und gehasst – Joseph im Haus seines Vaters (1. Mose 37,1–11)
In Kapitel 37 findet die Geschichte Jakobs ihre Fortsetzung in seinem Sohn Joseph. Die einleitenden Verse 1–11 zeigen uns einerseits die Person Josephs, andererseits sehen wir den Hass der Brüder.
1.1. Die Person Josephs
Der Hirte
Gleich zu Beginn wird uns Joseph als Hirte vorgestellt (V. 2). Er weidete die Herde mit seinen Brüdern. Es liegt nahe, dabei an den Herrn Jesus zu denken, der sich im Neuen Testament selbst als der „gute Hirte“ vorstellt und der in den Briefen der „große Hirte“ und „der Erzhirte“ genannt wird.
Joseph ist nicht der einzige Gottesmann im Alten Testament, der seine Laufbahn als Hirte begann. Unter den verschiedenen Hirten, die uns gezeigt werden, erinnern wir uns an zwei Männer, deren Weg deutliche Parallelen zu dem Weg Josephs aufweist. Es sind Mose und David. Auch sie wurden zuerst von ihren Brüdern abgelehnt und abgewiesen, bevor Gott sie dann in verantwortlicher Position gebrauchen konnte. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den dreien:
- Joseph rettete seine Brüder vor der Hungersnot und wurde der Retter der Welt.
- Mose rettete seine Brüder aus der Knechtschaft des Pharao und wurde ihr Anführer.
- David rettete sein Volk vor der Gewalt der Feinde und wurde ihr König.
Alle drei zeigen uns etwas von der Herrlichkeit unseres Herrn. Er wurde abgelehnt, ist aber nach vollbrachtem Werk am Kreuz sowohl der Retter der Welt, der Führer seines Volkes und der König der Könige und Herr der Herren.
Der Beruf des Hirten steht in der Bibel in einem bemerkenswerten Gegensatz zu dem Beruf des Jägers. Der erste Jäger in der Bibel war Nimrod, „ein Gewaltiger auf der Erde“ (1. Mo 10,8). Der Jäger tötet, während der Hirte das Gegenteil tut. Er bemüht und kümmert sich um die Schafe. Er hat ein Herz für die ihm anvertrauten Tiere. Deshalb sind große Führer in der Bibel in ihrer Jugend oft Hirten gewesen. Bevor sie Menschen führen konnten, haben sie Schafe geführt. Der Hirte sucht, er führt zurück, er verbindet, er stärkt, er sorgt für Nahrung, er schützt. Er wird von Hingabe, Treue, Sanftmut und Mitempfinden gekennzeichnet. Wir brauchen nur ein Kapitel wie Hesekiel 34 zu lesen, um ein Bild davon zu bekommen, was ein guter Hirte tut.
Das alles finden wir vollkommen im Leben des Herrn Jesus. Er war gekommen, um zu suchen und zu erretten, was verloren ist. Prophetisch lesen wir von unserem Herrn: „Er erwählte David, seinen Knecht, und nahm ihn von den Schafhürden; hinter den Säugenden weg ließ er ihn kommen, um Jakob, sein Volk, zu weiden, und Israel, sein Erbteil. Und er weidete sie nach der Lauterkeit seines Herzens, und mit der Geschicklichkeit seiner Hände leitete er sie“ (Ps 78,70–72). Als er hier auf der Erde war, sagte er selbst: „Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ (Joh 10,11). Er war gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (Mt 10,6), aber er hatte auch andere Schafe, die nicht aus dem Schafhof Israels waren (Joh 10,16). Es ist für uns ein unbeschreibliches Glück, ihn als den Hirten zu kennen!
Der Diener
In Ägypten sollte Joseph einmal zum Herrscher über das ganze Land werden. Doch sein Weg begann nicht als Regent, sondern als Diener. So war es in dem Plan Gottes vorgesehen. Joseph war als Knabe (als Knecht) bei seinen Brüdern.
Der Herr Jesus belehrte seine Jünger einmal so: „Wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein; und wer irgend unter euch der Erste sein will, soll euer Knecht sein“ (Mt 20,26.27). Darin ist der Herr Jesus selbst das vollkommene Vorbild. Er sagt: „Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (Lk 22,27). Obwohl er der Sohn Gottes war, kam er nicht auf diese Erde, um bedient zu werden, „sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Er war es, der es nicht für einen Raub achtete Gott gleich zu sein, und der doch Knechtsgestalt annahm und sich selbst erniedrigte (Phil 2,7–9). Das Wort „Knechtsgestalt“ bedeutet wörtlich „Sklavengestalt“. Das zeigt uns, wie tief die Erniedrigung unseres Herrn war. Im Alten Testament war es schon angekündigt worden, dass er „der Knecht“ sein würde (z.B. Jes 52,13). Beim Lesen des Markus-Evangeliums wird uns diese Herrlichkeit des Herrn Jesus als Knecht besonders groß.
Dann wird uns in Vers 2 der Wirkungskreis von Josephs Dienst gezeigt. Er war bei den Söhnen Bilhas und Silpas. Bei diesen Brüdern wird er es nicht einfach gehabt haben. Es ist bemerkenswert, dass die Namen der Mütter hier genannt werden. Bilha und Silpa waren Nebenfrauen von Jakob. Sie waren Mägde der eigentlichen Frauen Rahel und Lea. In Galater 4 wird Hagar, die Magd Saras, vorgestellt. Dort wird mehrfach ein Gegensatz aufgezeigt zwischen „der Magd“ und „der Freien“. Die Magd war nicht frei. So war das Volk Israel, zu dem der Herr Jesus kam, nicht frei. Sie befanden sich nicht nur in der Macht Satans, sondern sie waren ein von den Römern beherrschtes Volk. Und doch galt gerade ihnen der Dienst des Herrn Jesus – so wie Joseph den Söhnen der Mägde diente.
Der Abgesonderte unter seinen Brüdern
Joseph war der Abgesonderte unter seinen Brüdern. Er diente zwar mit seinen Brüdern. Er lebte in ihrer Mitte. Dennoch hatte er ganz offensichtlich mit ihrem bösen Tun keinerlei Gemeinschaft. Er war davon völlig getrennt. Gleichzeitig zog es ihn hin zu seinem Vater. Mit ihm konnte er über das schlechte Verhalten der Brüder reden. „Er brachte ihre üble Nachrede (ihren üblen Ruf) vor ihren Vater“ (V. 2). Was die Brüder taten, muss Joseph geschmerzt haben. Er war ganz anders.
Was muss der Herr Jesus empfunden haben, als er hier auf der Erde war. Die Erde war voll Gewalttat und Sünde. Dort erschien er als der Reine und Heilige. Er war vollkommen von der Sünde getrennt. Er kannte keine Sünde. Er tat keine Sünde. Sünde war und ist nicht ihn ihm. So hat er unter Sündern gelebt, mit ihnen gesprochen und mit ihnen gegessen. Aber niemals hat das böse Tun dieser Menschen einen negativen Einfluss auf ihn gehabt. Er war und blieb das Speisopfer, „Feinmehl, gemengt mit Öl“. Ein geschätzter Ausleger schreibt: „Seine Gnade brachte Ihn uns sehr nahe in all unserer Not, aber Seine Heiligkeit hielt Ihn völlig getrennt von allen unseren Sünden. Er war der himmlische Fremdling auf dieser Erde.“
Und doch hat der Herr Jesus darunter gelitten, die Folgen der Sünde zu sehen. Noch mehr als Joseph hat er es empfunden, was es bedeutete, dass seine Mitmenschen so große Sünder waren. Und wie Joseph hat der Herr Jesus Zeugnis davon gegeben. Er sagte von der Welt: „Mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind“ (Joh 7,7). Und wie Joseph mit seinem Vater darüber Austausch hatte, so auch unser Herr in viel tiefer gehender Weise. In Johannes 17 sehen wir z. B., wie der Herr Jesus mit seinem Vater über die Welt und ihren Hass redete.
Der Geliebte des Vaters
Joseph hatte in den Zuneigungen seines Vaters Jakob einen besonderen Platz. „Israel liebte Joseph mehr als alle seine Söhne“ (V. 3). Diese Liebe hatte einen zweifachen Grund. Zum einen war Joseph der „Sohn seines Alters“, zum anderen aber gab er durch sein Verhalten auch Anlass dazu, dass sein Vater ihn besonders lieb hatte.
Wenn wir an unseren Herrn denken, dann besitzt er tatsächlich einen ganz besonderen Platz in den Zuneigungen des Vaters. Er ist „der Sohn seiner Liebe“ (Kol 1,13). Dieser Platz ist durch Einzigartigkeit und Vorrangstellung gekennzeichnet.
- Die Einzigartigkeit der Beziehung zwischen Vater und Sohn wird in dem Titel „der Eingeborene“ ausgedrückt. Er ist der „eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist“ (Joh 1,18). Wo es einen Eingeborenen gibt, gibt es keinen zweiten Sohn. Abraham hatte nur einen Sohn. Deshalb sagt Gott zu ihm: „Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak ...“ (1. Mo 22,2). Vor den Uranfängen der Erde war der Herr Jesus „Werkmeister“ (O. Liebling) beim Vater. Er war Tag für Tag seine Wonne (Spr 8,30).
- Die Vorrangstellung des Herrn Jesus hingegen wird in dem Titel „Erstgeborener“ ausgedrückt. Als Erstgeborener ist der Herr mit anderen verbunden, nimmt aber immer den ersten...