Einleitung des Übersetzers
Seit der deutschen Übersetzung der 3. Auflage (1907) von Eugene Beauharnais Nashs Leaders in Homoeopathic Therapeutics durch Dr. Paul Klien aus Leipzig, die von 1917–1919 unter dem Titel Leitsymptome in der homöopathischen Therapie als Beilage in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung erschien, ist dies die erste unabhängige Neuübersetzung dieser lebendigen Einführung in die Welt der Materia medica aus der Blütezeit der amerikanischen Homöopathie, die sich zudem erstmals auf die von Nash erweiterte 4. Auflage von 1913 stützt. Von allen amerikanischen Auflagen (1899, 1900, 1907, 1913) hat gerade diese letzte 4. Auflage die meisten Ergänzungen erfahren. Umso merkwürdiger erscheint es, dass die erste deutsche Buchausgabe von 1923 und selbst deren 2. Auflage von 1935 noch auf der alten Übersetzung Kliens beruhte, obwohl die amerikanische 4. Auflage bereits seit vielen Jahren auf dem Markt war. So unterscheidet sich die vorliegende Neuübersetzung zunächst rein äußerlich darin, dass sie die zusammenfassenden Symptomenübersichten, die Nash in der 4. Auflage den meisten Kapiteln vorangestellt hat, berücksichtigt, desgleichen mehrere Seiten am Ende des Buches, auf denen Nash Kurzinformationen zu etlichen ‚kleineren‘ Mitteln hinzugefügt hat.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu der alten Übersetzung besteht darin, dass alle Symptome so weit wie möglich auf ihre primären Quellen zurückgeführt und mit entsprechenden Chiffren gekennzeichnet wurden. Dass ein solches Vorgehen unerlässlich und heute glücklicherweise auch weitgehend Standard ist, bedarf sicherlich keiner näheren Erörterung mehr. Gleichwohl verwundert es immer wieder, mit welcher Unbekümmertheit deutsche Homöopathen noch weit bis ins vergangene Jahrhundert hinein die wichtigen Werke der amerikanischen Homöopathieliteratur ins Deutsche übertragen haben – so als hätte Hahnemann seine Reine Arzneimittellehre und Chronischen Krankheiten in englischer Sprache verfasst. Selbst bei ausgewiesenen Hahnemann-Zitaten hielt man es nicht der Mühe wert, einmal ins Original zu schauen.
Doch man ließ nicht nur die Quellen vollkommen unberücksichtigt, die gleiche Nonchalance herrschte auch hinsichtlich der Genauigkeit der Übersetzungen selbst, ganz abgesehen von dem eklatanten Desinteresse an einem auch nur einigermaßen ansprechenden Sprachstil.
All dies gilt auch und besonders für die Leitsymptome Nashs. Nach der ungenügenden Übersetzung durch Dr. Klien machten sich auf Veranlassung Dr. Ernst Bastaniers (ungenannt gebliebene) Mitarbeiter des Dr. Willmar Schwabe Verlages, in dem damals auch die AHZ erschien, für die 2. deutsche Auflage von 1935 daran, die gröbsten Schnitzer und sprachlichen Ungereimtheiten auszubügeln. Diese Korrekturen blieben aber sehr sporadisch, keineswegs wurde der Text durchgängig mit dem Original verglichen. So blieben die meisten Übersetzungsfehler Kliens unentdeckt. Wird beispielsweise von Nash als Wirkung von Nux moschata auf das Gehirn „sleepiness and dulness“ angeführt (S. 349), so wird daraus bei Klien „Schlaflosigkeit und Schwäche“, und die Bearbeiter hatten daran nichts auszusetzen. Andererseits fanden sie es wegen der Wortähnlichkeit plausibler, „gums“ mit „Gaumen“ zu übersetzen, als es bei Zahnfleisch zu belassen, wie es von Klien bereits richtig übersetzt worden war. Zu allem Überfluss wähnten sie den Gaumen auch noch im Plural vorhanden (im Podophyllum-Kapitel).
Solche Beispiele könnten zu Hunderten fortgeführt werden, hier nur noch drei besonders augenfällige Irrtümer: 1. Corallium rubrum hat sich nicht „bei ‚Krebs‘ dienlich erwiesen“, sondern bei Schanker (chancre). 2. Small intestines sind nicht die „kleinen Eingeweide“, sondern der Dünndarm (bei Colocynthis). 3. Gleich zweimal wurde im Arnica-Kapitel (S. 389, als Indikation für Rhus und Ruta) strain of the muscles bzw. muscular strain mit „Muskelverrenkung“ übersetzt (was es nicht gibt) statt richtig mit Überanstrengung der Muskeln.
Nash benutzte bei der Abfassung seines Textes als Hauptquelle naturgemäß Herings Guiding Symptoms und T. F. Allens Encyclopedia, daneben auch des Öfteren H. C. Allens Keynotes. Die Rückführung der daraus bezogenen Symptome auf ihre im Wesentlichen deutschsprachigen Wurzeln brachte es mit sich, dass auch in dieser Hinsicht viele Fehler behoben werden konnten. Auf sie habe ich in gravierenden Fällen jeweils in einer Fußnote hingewiesen.
Sehr hilfreich war in unklaren Fällen auch der Vergleich des Textes mit den entsprechenden Passagen aus früheren Auflagen. (Die Übersetzung erfolgte aus dem indischen Reprint der 4. Auflage, und zum Vergleich standen mir die 1. und 3. amerikanische Auflage zur Verfügung.) Zwei Beispiele für Fehler in der 4. Auflage (vielleicht auch nur im Reprint), die in der 3. Auflage noch nicht vorhanden waren: AufS. 145, Zeile 4, muss es (im Kapitel Apis) statt „vulva“ uvula heißen, und auf derselben Seite, Zeile 18, statt „fair“ fear.
Bei der Kennzeichnung der Quellen im fortlaufenden Text habe ich mich derselben Chiffren bedient, die ich auch schon bei der Übersetzung der Kent’schen Arzneimittelbilder verwendet habe. Ihre Bedeutung ist dem Verzeichnis am Ende des Buches zu entnehmen.
Auf eine Übernahme und Übersetzung des „Therapeutischen Index“ am Ende des Werks habe ich bewusst verzichtet. Nash ordnet darin bestimmte Erkrankungen jenen mit Seitenangaben versehenen Arzneimitteln zu, die im Text als dabei hilfreich erwähnt wurden. Im Vergleich zu unseren heutigen Repertorien sind diese Angaben aber zwangsläufig so lückenhaft, dass sie keinen Nutzen mehr bringen; sie engen im Gegenteil das Blickfeld unnötig ein. So findet man beispielsweise bei Heuschnupfen lediglich zwei Mittel angegeben, Lachesis und Sticta; im Kent-Repertorium sind es 31 Mittel! Nash selber macht in einem kleinen Vorwort zu diesem Index seine Vorbehalte mehr als deutlich, und er beschließt seine Mahnung mit folgenden Worten: „Wenn Krankheitsnamen erwähnt werden, muss stets bedacht werden, dass der Name nichts zählt, solange nicht die Symptome durch die Arznei gedeckt werden. Wenn es keine Namen gäbe, gäbe es auch kein routinemäßiges Handeln, welches so oft einer guten Verschreibung vorgezogen wird.“
Auf eine Redensart Nashs möchte ich hier noch kurz eingehen, die im Text immer wieder vorkommt, aber keineswegs wörtlich genommen werden darf. Ich meine seine Neigung zu Redewendungen wie: Die Arznei X ist eines der besten (?) Mittel bei den Beschwerden Y. Zum Beispiel Siehe hier: „China is one of the best remedies in chronic liver troubles.“ Es gibt aber in der Homöopathie keine guten und weniger guten Mittel, sondern nur (das eine) passende und nicht passende. Einen Absatz zuvor gibt Nash selbst die gleiche Antwort, wenn er sagt: „Now what are the best remedies for what is called the Quinine cachexia? Here, as ever, we must answer, the indicated one.“ (Kursive Hervorhebung durch den Übers.) Ich habe mich in diesen Fällen aus der Affäre gezogen, indem ich „one of the best remedies“ mit „eines der Hauptmittel“, „eines der wichtigsten Mittel“ o. Ä. übersetzt habe, also so, wie Nash es eigentlich nur gemeint haben kann.
Dieses Buch ist – zu meinem Leidwesen, muss ich gestehen – in der neuen Rechtschreibung geschrieben, aber ich nehme an, dass die nachwachsenden Lesergenerationen dies nicht mehr als Mangel empfinden werden. Nur bei der Interpunktion habe ich weiterhin die alten Regeln befolgt, da mir diese sehr viel sinnvoller erscheinen. Symptome aus den Werken Hahnemanns und den anderen alten deutschen Quellen wurden, wenn sie in Anführungszeichen gesetzt sind, wörtlich und in der alten Orthographie wiedergegeben, ansonsten sind sie unserer heutigen Rechtschreibung angepasst. Kürzere Erläuterungen in eckigen Klammern stammen vom Übersetzer, desgleichen sämtliche Fußnoten, sodass deren Herkunft nicht extra gekennzeichnet wurde. Quellenchiffren, die am Ende eines Satzes oder Symptoms nach dem Punkt oder nach dem Anführungszeichen erscheinen, beziehen sich auf den ganzen Satz bzw. auf das ganze Zitat. Chiffren innerhalb eines Satzes gelten dagegen entweder nur für die mit ihnen versehenen Wörter oder auch für die davor gelegenen Satzteile; ihre Gültigkeit erlischt mit dem Auftauchen einer anderen Chiffre oder eines Semikolons, spätestens aber mit dem Satzanfang.
Fünf Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage der Leitsymptome E. B. Nashs in einer quellenorientierten Neuübersetzung ist jetzt eine zweite Auflage notwendig geworden. Ich habe das Werk deshalb noch einmal komplett durchgesehen und vereinzelt Korrekturen angebracht, die in erster Linie durch die inzwischen wieder moderatere neue Rechtschreibung veranlasst waren. Auch einige stilistische Unebenheiten wurden bei der Gelegenheit mit verbessert. An äußerlichen Veränderungen wäre vor allem der neu eingearbeitete Erstzeileneinzug der Absätze zu nennen, welche früher nicht immer deutlich als solche zu erkennen waren. Die einleitenden Zusammenfassungen der wichtigsten Symptome, die Nash in der 4. Auflage eingeführt hat, sind jetzt durch eine graue Markierung besser vom eigentlichen Text zu unterscheiden.
Ich danke allen Beteiligten seitens des Verlages für die gute Zusammenarbeit bei der Überarbeitung des Buches, und ich bin überzeugt, dass dieses Hauptwerk des Altmeisters, zumal in dieser Form, auch in Zukunft einen nicht unerheblichen Beitrag zur weiteren Verbreitung der Homöopathie...