TE DEUM LAUDAMUS! – GLAUBE UND WISSENSCHAFT
In Nowaks Tagebuch aus dem Jahr 1929 steht am 4. November zu lesen:
Heute habe ich mit der Durchsicht des Lexikons von Wurzbach26 begonnen und damit auch tatsächlich mit der Musikgeschichte meiner Heimatstadt Wien. In der Schottenkirche habe ich diese Arbeit der Mutter Gottes geweiht und sie unter ihren Schutz gestellt. Möge der Herr seinen Segen und sein Gedeihen geben.
In te domine speravi, non confundar in aeternum!
Nowak war 25 Jahre alt, als er diese Zeilen schrieb und am musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Wien als Assistent tätig. Aus drei Gründen ist diese Aufzeichnung besonders bemerkenswert: Zunächst spricht daraus eine starke Bindung an seine Heimatstadt Wien und deren Musikgeschichte; er hatte diese Arbeit seit dem Sommer 1927 geplant, so daß der tatsächliche Beginn für ihn von großer Bedeutung gewesen sein dürfte.27 Seine Worte sind auch Hinweis auf eine ausgeprägte Marienverehrung. Die Hinwendung zur Gottesmutter war ein Teil seiner Frömmigkeit, die sich durch sein ganzes Leben zog und möglicherweise auf den frühen Tod seiner Mutter zurückzuführen war. Für diese Annahme gibt es keinen stichhaltigen Beweis, es fehlen entsprechende Hinweise in den Tagebüchern und in seinen Schriften. Maria dürfte zu einer Art Ersatzmutter geworden sein. Der dritte Grund für die Besonderheit dieser Aufzeichnung liegt im abschließenden Zitat der letzten Verse aus dem TE DEUM: „Auf dich, o Herr, habe ich gehofft, nie werde ich zuschanden in Ewigkeit!“28 Diese Worte begleiteten Nowak durch sein ganzes Leben und waren Ausdruck seines tiefen Glaubens, seines unerschütterlichen Gottvertrauens. In Erfüllung seines ausdrücklichen Wunsches wurden diese Verse in seine Todesnachricht aufgenommen.
Eines seiner bedeutendsten Werke zu diesem Thema ist das schmale Buch, das im Jahr 1947 erschienen ist: TE DEUM – GEDANKEN ZUR MUSIK ANTON BRUCKNERS. Das Werk ist heute fast vergessen, jedoch für die Erkenntnis der Persönlichkeit von unschätzbarem Wert:
Oft sind es die weniger bedeutenden Werke eines Wissenschaftlers, Komponisten oder Dichters, die erst in Zusammenhang mit der Biographie des Urhebers ihre wahre Bedeutung erkennen lassen.29
Das „Te Deum“, der berühmte ambrosianische Lob- und Dankgesang der katholischen Kirche, wurde vielfach vertont. Die Komposition von Anton Bruckner verfügt über eine besondere Wirkung wegen ihrer außerordentlichen Pracht und Innigkeit. Sie ist deswegen schon zu vielfältigen Anlässen, auch außerhalb der liturgischen Gepflogenheiten zur Aufführung gelangt.
Te Deum laudamus – Gedanken zur Musik Anton Bruckners
Die Entstehung des Buches
In keinem anderen Werk hat Nowak so ausgeprägt persönliche Gedanken festgehalten. Warum Nowak für den Spiegel seiner Persönlichkeit gerade dieses Werk von Anton Bruckner wählte, erklärt sich einerseits aus seiner Liebe zu Bruckners Musik und der Affinität zur Persönlichkeit des Meisters – darüber wird an anderer Stelle noch ausführlich zu berichten sein,30 – andererseits aus dem Zeitpunkt der Niederschrift des Buches. Erschienen ist das Werk im Jahr 1947, das Manuskript ist mit 6. Jänner 1946 datiert.31 Im Vorwort nimmt Nowak selbst Bezug auf den Moment der Entstehung, wenn er mit bewegenden Worten den verzweifelten Zustand der Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges skizziert.32
Wenige Monate vor der Arbeit über Bruckners Te Deum entstand ein Vortrag für die Wiener Urania mit dem Titel ÖSTERREICH, DIE MUSIK UND WELT. Das Manuskript dafür ist mit 4. September 1945 datiert. Nach den Wirren der letzten Kriegsjahre ist dieses Referat ein flammendes Bekenntnis zu Österreich und zur „Weltgeltung“ österreichischer Musik; persönliche Gedanken fehlen darin jedoch völlig.33 Wenige Monate später begann er mit der Arbeit über die Musik des TE DEUM. Am Ende des Buches, im Nachwort, erläutert der Autor, wie es zu diesem Werk kam:
Ursprünglich als Vortrag34 für einen kleinen Freundeskreis gehalten und nur für ihn bestimmt gewesen, bedurfte es einiger Überlegung, ob diese Gedanken Anspruch erheben dürfen, auch anderen Menschen nützlich zu sein. Dabei ging es nicht so sehr um restlose theoretisch-musikalische Darstellung und Begründung des ganzen Werkes, als vielmehr um jene Werte, für die Bruckner durch seine Musik den Ausdruck gefunden hat.35
In Nowaks Gedanken zur Musik Anton Bruckners stand nicht in erster Linie die exakte, wissenschaftliche Analyse des TE DEUM im Vordergrund, wenngleich diese in keiner Weise vernachlässigt wurde. Vielmehr ging es ihm um die Darstellung des geistigen Gehaltes der Komposition und die Verherrlichung Gottes, die darin zum Ausdruck kommt, verbunden mit eigenen, sehr persönlichen Gedanken. Wegen seiner speziellen Rolle als Dokument persönlicher Anschauungen wird dieser Text im Folgenden besonders ausführlich besprochen.
Die Gliederung des Buches
Die einzelnen Kapitel entsprechen der Gliederung der Komposition.
DICH LOBEN WIR | TE DEUM, Allegro moderato |
DICH BITTEN WIR | TE ERGO, Moderato |
DICH FLEHEN WIR AN | AETERNA FAC, Allegro moderato. Feierlich, mit Kraft |
SCHENK UNS DEIN HEIL | SALVUM FAC, Moderato |
DENN WIR HOFFEN AUF DICH | IN TE DOMINE SPERAVI, Mäßig bewegt |
Dich loben wir
Bereits in den Anfangszeilen seines Textes stellt Nowak eine grundsätzliche Aussage über Gottes Herrlichkeit vor:
Seit die Welt besteht, hat noch keines Menschen Auge je Gottes Herrlichkeit erblickt – es sei denn in begnadetem Geist, entrückt allem Irdischen. Gottes Herrlichkeit ist gleichzeitig sein Lob, denn alles, was von ihm ausgeht, ist auch da, ihn zu preisen. Wer Gott lobt, nähert sich dieser Herrlichkeit.36
Der Bezug zu Anton Bruckner wird wenig später hergestellt:
Bruckner, der ungebildete – wie man so sagte – bezog s e i n e Weisheit, die Weisheit die e r brauchte, aus reinster Quelle: von Gott selbst.37
Auch in der Bruckner-Biographie von Max Auer38 kommt der Topos von der Verbindung des Komponisten mit Gott zum Ausdruck:
Wenn Bruckner komponiert, so ist dies Meditation, inneres Schauen, inneres Erschauern vor dem Urgrund alles Seins, das ihn emporführt bis zur Ekstase, zur Verzückung, zum Schauen Gottes, den er als den Urgund aller Dinge und Vorgänge erkennt.39
Aus dieser Anschauung leitet sich der Grundgedanke von Nowaks Überlegungen ab, dass nämlich Bruckners Musik direkt unter göttlichem Einfluss entstanden wäre. Dies entspricht der Sichtweise auf die Persönlichkeit Anton Bruckners und seiner Musik bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. In der Musikwissenschaft hat sich seither eine Wandlung vollzogen, die Betrachtung ist heute kritischer und realistischer geworden. Nowak war aber zeitlebens von seinem verklärten, religiös geprägten Brucknerbild überzeugt. Er konnte und wollte davon nicht abweichen, ein Umstand, der von manchen Musikwissenschaftlern mehrfach betont wird.40 Jenes verklärte Bild des Komponisten bestimmt auch noch Nowaks Bruckner-Biographien aus den Jahren 196441 und 1973,42 wenngleich dort zwar mancher Bezug zu seiner eigenen Person zu erkennen ist, persönliche Gedanken wie im TE DEUM jedoch fehlen.
Ein weiterer Ausdruck tief empfundenen Glaubens ist in Nowaks Gedanken über die Passage „Pleni sunt caeli et terra“ – „Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit und Größe“ (Takt 59)43 enthalten:
Dort, wo wir glauben, nimmer weiter zu können, dort wartet der Herr und hebt uns in seine Herrlichkeit. Haben wir nur Geduld unser ganzes Leben hindurch, ein ganzes, manchmal sehr mühselig ansteigendes Leben lang, dann werden wir seine helfende Hand im richtigen Augenblick sicher spüren; dann stehen wir auf dem festen, weil ewigen und untrügbaren Boden seiner Herrlichkeit, und keine Qual der Welt kann uns etwas anhaben.44
Hat dieser Gedanke mit Bruckners Musik zu tun? Oder mit einer Aussage des Te Deum-Verses? Wohl kaum, viel eher handelt es sich dabei um ein unmittelbares Empfinden des Autors. Die gleiche Frage stellt sich beim nächsten Zitat, wenn in der Musik bei der Passage „Te gloriosus Apostolorum chorus“ - „Dich lobpreist der Apostel glorreicher Chor“- (Takt 71) neuerlich ein Lobgesang erklingt und Nowak über die Aufgabe des Menschen, Gottes Lob zu verkünden, nachdenkt:
Mögen Dinge und Menschen auch noch so sehr auseinanderstreben, schließlich liegt ja doch alles in seiner [Gottes] Vorsehung, nichts geschieht ohne seine Zulassung, und darum muß alles, auch das Entgegengesetzte, seinem Lob dienen, muß in vollkommene Konsonanz einmünden.45
Nowak ist davon überzeugt, dass sein ganzes Leben von Gott gelenkt ist. Er nahm alles als gottgewollt hin. Er sprach selten davon, wenn er aber doch manchmal im täglichen Leben dieser Überzeugung Ausdruck...