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E-Book

Lesereise Andalusien

Erdbeeren, Sherry und das ewige Morgen

AutorUlrike Fokken
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711751836
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen, das mussten die Andalusier schon oft. Heute heißt das autorecreado, sich selbst neu erschaffen, ein Begriff, dem Ulrike Fokken in Sevilla und Granada häufig begegnet ist. Keine andere Region Spaniens hat die Wirtschaftskrise so hart getroffen wie Andalusien. Also besinnen sich die Andalusier auf die Eigenschaften, mit denen sie seit ewigen Zeiten die Höhen und Tiefen ihrer reichen Geschichte gemeistert haben: Kreativität, Fantasie und Geschäftigkeit. Glücklicherweise hat die Krise nicht das ganze Land erfasst. Den Erdbeerimperien an der Atlantikküste und den meisten ihrer Arbeiter geht es prächtig. Auch die Menschen in Marinaleda, dem einzigen kommunistisch verwalteten Dorf Spaniens, klagen nicht. Sie arbeiten solidarisch, vertrauen seit fünfunddreißig Jahren ihrem anarchistischen Bürgermeister und leben auskömmlich.Ulrike Fokken hat auf ihren Streifzügen durch Andalusien die Buddhisten in den Bergen der Alpujarras besucht, das Geheimnis der vier Fässer bei der Sherry-Kelterei gelüftet und den Schlosser der Stiere aus Stahl getroffen. Sie ist den Spuren der muslimisch-arabischen Kultur von der Blüte der Alhambra bis in die Gegenwart Granadas gefolgt. Und sie hat erfahren, warum die siesta eine Lebenseinstellung ist und mañana eine Zukunft verspricht.

Ulrike Fokken ist Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher über Wirtschaft, Politik, Umwelt und über Spanien. Sie hat für den 'Tagesspiegel' als Parlamentskorrespondentin berichtet, war Sprecherin einer Umweltschutzorganisation und Redakteurin der Tageszeitung 'taz'. Im Picus Verlag erschien ihre Lesereisen Andalusien.

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Leseprobe

Die Seufzer der Mauren


Die Wiedereroberung von Granada


Die letzten Schwaden von Frühnebel steigen aus dem Tal des Darro auf und lassen die Alhambra in einem weichen Licht erscheinen. Burg und Palast haben zu dieser frühen Morgenstunde noch die Farbe von Ocker und Erde, die vor Kurzem aufgegangene Sonne hat noch nicht die Kraft, die Alhambra in dem glühenden Rot dastehen zu lassen, das der Burg seinen Namen gab. »Al-Hamra«, die Rote, nannten die arabisch sprechenden Bewohner von Granada die Palaststadt auf dem Hügel Sabika einst.

Von weither ist die rote Burg aus der Vega, der Ebene vor Granada, sichtbar. Als der letzte Herrscher über das Königreich Granada, der Sultan Abu Abdallah Mohammed, am 2. Januar 1492 die Schlüssel der Stadt in die Hände der Katholischen Könige gegeben hat, blickt er von einer Anhöhe noch einmal zurück über die Vega. »Der kleine König Boabdil« nannten die Spanier den Nasriden-Herrscher und verballhornten schon damals seinen Namen. Angeblich schluchzte er beim Anblick der Alhambra und seiner Stadt, von der seine Zeitgenossen sagten, dass es nichts Schlimmeres auf der Welt gebe, als blind zu sein in Granada. Suspiro del Moro, der Seufzer des Mauren, heißt der Hügel zwölf Kilometer südlich von Granada seitdem. Doch der Sultan hat nicht geseufzt, wie eine Legende erzählt, er hat geweint. Und es kam noch schlimmer. »Du hast nicht gekämpft wie ein Mann, drum heule nicht wie ein Weib«, soll seine Mutter gesagt haben.

Ob weinend, seufzend oder lachend – die Muslime sind nach Granada zurückgekehrt. Am Fuße des Albaicín, des Hügels gegenüber der Alhambra, haben muslimische Händler Läden und Teeshops eröffnet. Sie verkaufen in den Gassen Calderería Vieja und Calderería Nueva am Anstieg zum Albaicín marokkanische Djellabas und Pantoffeln, syrische Teegläser, ägyptische Parfumflakons und Kamelsitze an Touristen. Das einst von den muslimischen Bewohnern angelegte Viertel mutet auch nach Jahrhunderten noch orientalisch an und bietet eine passende Kulisse für die neuerliche Inbesitznahme. Das Basarleben hat die früheren Bewohner verdrängt. Bevor die Marokkaner kamen, lebten Handwerker, kleine Händler, Prostituierte, Künstler und Studenten in den unteren Gassen des Albaicín. Auf der Straße verkauften gitanas, die »Zigeunerinnen«, auf Pappkartons Knoblauch und Rosmarin. In den kleinen Läden hatte ein Uhrmacher seine Werkstatt, ein Händler vertrieb vergilbte Stiche, ein anderer die Lebensmittel für den täglichen Bedarf. An eisigen Wintermorgen kamen die Alten in Hausschuhen auf die Straße, stellten sich an sonnige Stellen und rieben sich die kalten Hände.

Angefangen hat die zweite Islamisierung Granadas in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Zuerst kamen zum Islam konvertierte Spanier aus ihren Landkommunen in den Alpujarras nach Granada. Sie hatten dort verschiedene Formen des alternativen Zusammenlebens geprobt, ein wenig buddhistisch, ein wenig Hippie, und hatten schließlich den Koran entdeckt. Die Frauen der Kommunarden, die einst aus allen Teilen Spaniens in die Freiheit der Alpujarras gekommen waren, trugen fortan Kopftücher und aßen in der Küche, die Männer legten sich Pluderhosen und flache Stoffhüte zu und ließen sich von den Frauen im Kaminzimmer bedienen. In den achtziger Jahren zogen sie nach Granada in den Albaicín. Sie hießen da schon lange nicht mehr José María und Montse, sondern Muhamad und Fatima.

Im Albaicín bezogen sie vom Verfall bedrohte Häuser und belebten das traditionelle Kunsthandwerk aus islamischer Zeit. Sie entdeckten die Silber-Intarsien-Arbeiten taracea wieder, das Wirken von Leder und vor allem die Töpferei. Keramikwerkstätten und Fabriken hatte es seit dem Auszug von Boabdil in Granada immer gegeben, aber die neuen Muslime töpferten die Schüsseln, Krüge und Becher nach den alten Formen der Mauren. Sie fanden in den Archiven die traditionellen Muster aus den Zeiten der Nasriden und fertigten Geschirr mit den klassischen Ornamenten und Glasuren.

Die islamische Gemeinde in Granada vergrößerte sich schnell. Die Basarhändler setzten aus Nordafrika über, Konvertierte aus ganz Europa zogen zu. Der berühmteste unter ihnen ist vermutlich Ian Dallas, ehemals Manager der Beatles, der fortan als Scheich Abd al-Qadir in Granada die islamische Gemeinschaft aufbaute. An den Hauswänden des Albaicín warben sie für Arabischkurse, für Seminare zum Verständnis des Koran und eine Einführung in die Geschichte des Islam.

Die armen Bewohner des Albaicín hatten kaum eine Chance, sich gegen die Übernahme von Geschäftemachern und Immobilienspekulanten in ihrem Viertel zu wehren. Die Bürger aus der Unterstadt von Granada haben sich hingegen fast zwanzig Jahre lang gegen die Wiedereroberung durch die Muslime gesträubt. Es gab immer einen gesellschaftlichen Unterschied zwischen Stadt und Altstadthügel, zwischen dem bürgerlichen Granada und dem armen Albaicín, auf dem die ganz reichen Familien zwar ihre cármenes, ihre Gartenpaläste, unterhielten, aber mit dem Volk dennoch nichts gemein hatten. Vor allem wollten die katholischen Bürger das in ihren Augen Schlimmste verhindern: den Bau einer Moschee.

Vergeblich. Am 10. Juli 2003 wurde die Mezquita Mayor de Granada, die erste Moschee auf spanischem Boden nach der Zerschlagung des islamischen Reichs, feierlich eingeweiht. Sie steht hoch oben auf dem Albaicín, genau gegenüber der Alhambra und direkt neben der Kirche de San Nicolás. Die Kirche war wie alle anderen Kirchen auf dem Albaicín bis zur Vertreibung der Mauren 1492 ebenfalls eine Moschee, von ihrem heutigen Glockenturm erklang einst der Ruf des Muezzin. Fünfhundert Jahre nach der Eroberung von Granada durch die Katholischen Könige schallt er dank der großzügigen Spenden aus den Arabischen Emiraten wieder über das Tal des Darro. Das Grundstück hatte Anfang der achtziger Jahre bereits eine Stiftung des damaligen libyschen Revolutionsführers Gaddafi bezahlt.

Die Bewohner des Albaicín haben Bürgerinitiativen gegen den Bau gegründet und die Stadtverwaltung von Granada blockierte mit allen erdenklichen juristischen Mitteln die Baugenehmigung. Mal hieß es, der Albaicín sei eine Wohngegend – da könne man nicht einfach eine Moschee bauen. Dann fanden die Stadtwächter Überreste von historischen Gebäuden auf dem jahrelang brachliegenden Gelände. Die Moschee von Granada wurde zu einem Staatsakt und mehrere arabische Länder schickten Abgesandte nach Granada und Madrid, um eine Genehmigung zu erwirken, die sie 1994 endlich bekamen.

Die Bewohner des Albaicín haben sich beruhigt. Noch vor der offiziellen Eröffnung der Moschee im Sommer 2003 hat die muslimische Gemeinschaft die Nachbarn eingeladen, das Gebäude zu besichtigen. »Es gibt nichts Gefährlicheres als die Unkenntnis«, hat Malik Abder Rahman, Vorsitzender der Comunidad Islámica de España in Granada, damals der Zeitung El País gesagt. Er führt Gruppen von Hausfrauen, Rentnern und Schulklassen durch die Höfe, Säle und Lesezimmer des dreistöckigen Gebäudes. Jeder ist willkommen und nicht angemeldete Besucher können die Moschee morgens und abends besuchen. Das Gebäude der Moschee, das immerhin einen ganzen Abhang einnimmt, fällt nicht mehr auf zwischen den weißen Häusern des Albaicín. Die Mezquita Mayor de Granada ist weiß wie die anderen Gebäude, das eckige Minarett ist gemauert und gekalkt wie der Glockenturm von San Nicolás, die Mauern von grünen und weißen Kacheln eingefasst. Grün und weiß sind die Farben des Islam – und die Farben der andalusischen Flagge.

Die Muslime haben fünfhundert Jahre gebraucht, bis sie sich wieder nach Andalusien trauten. Dabei haben sie einst das ganze Land beherrscht und Al-Andalus – dem Land der Vandalen – eine Hochkultur gebracht, deren Bauwerke noch immer eine besondere Ausstrahlung besitzen. Die gurgelnden Wasser in den Gärten des Generalife vermitteln noch nach Jahrhunderten den Sinn für Ästhetik der islamischen Baumeister, die Alhambra erscheint ebenso erhaben, die Karawanserei im Corral del Carbón von Granada ebenso schlicht wie schön.

Angefangen hat die Herrschaft der Muslime im Jahr 711, nachdem rund fünfzigtausend Berber die Meerenge von Gibraltar überquert hatten. An den Ufern des Guadalete vernichteten die sogenannten Mauren das zerrüttete Heer des herrschenden Gotenkönigs Rodrigo. Sie übernahmen innerhalb von vier Jahren die gesamte iberische Halbinsel, wenn auch nicht für sehr lange das ganze Territorium. Ihr Kampfschrei »Al Ina« – Jetzt! – hat den Bewohnern des Al-Andalus lange in den Ohren geklungen und lebt noch heute als Name einer Sherry-Marke weiter.

Im Norden des heutigen Spaniens war der Widerstand gegen die anrückenden Reiterscharen groß und die Mauren zogen sich in den Süden zurück. Zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert gehören das heutige Andalusien und weite Teile Zentralspaniens bis hinauf nach Toledo und Valencia zum Kalifat von Córdoba. Da jedoch die maurische Aristokratie unter sich zerstritten ist, zerfällt das Kalifat Córdoba in dreiundzwanzig Kleinstaaten, die taifas. Die Armeen der spanischen Könige aus dem Norden haben mit den taifas ein leichtes Spiel – wenngleich die Rückeroberung fast achthundert Jahre dauerte. Die taifas sind dennoch leichter einzunehmen und selbst die aus Afrika nachrückenden Berbersekten der Almoraviden und der Almohaden können den Untergang des muslimischen Reichs nur aufhalten, aber nicht verhindern. Mit dem Fall von Granada war die Herrschaft der Muslime nach achthundert Jahren endgültig vorbei.

Unter den muslimischen Herrschern blühte in Sevilla und Córdoba das geistige, wirtschaftliche und...

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