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Lesereise Apulien

Die Magie des Mezzogiorno

AutorStefanie Bisping
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2016
ReihePicus Lesereisen 
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711753113
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Apulien, das schöne Land im Südosten Italiens, ist eine uralte europäische Kulturlandschaft. Städte und Sprengel erzählen hier von Jahrtausenden gelebten Lebens, knorrige, bis zu tausend Jahre alte Olivenbäume sind seine Zeugen. Doch Apulien ist reich nicht nur an Geschichte. Man versteht hier auch zu leben. Die Fähigkeit der Menschen zum Genuss des Augenblicks wirkt auf gehetzte Mitteleuropäer unwiderstehlich. Stefanie Bisping erkundet Küsten und Hinterland, lebhafte Städte und verträumte Dörfer. Sie begegnet Fischern, Olivenbauern und dem Retter des Granatapfels, spürt alten Mythen und neuen Visionen am Stiefelabsatz nach. Ihre Reportagen zeichnen das Bild eines Landes, das von Traditionen geprägt, jedoch von Ideen beflügelt wird.

Stefanie Bisping schreibt als Reisejournalistin fu?r Tageszeitungen und Magazine und hat dabei die Welt von Spitzbergen bis nach Tasmanien vermessen. Ihr besonderes Interesse gilt Ku?sten und Inseln. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Obere Adria, Apulien, Australien, Bretagne, Emilia Romagna, England, Estland, Malediven, Nordirland und die Normandie. Stefanie Bisping ist seit 2018 unter den Top Ten »Reisejournalisten des Jahres« und schaffte es mehrmals, zuletzt 2023, auf Platz eins des Rankings. www.stefanie-bisping.de

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Leseprobe

Das Paradies im Olivenhain


Über Jahrhunderte kaum veränderte Landschaft und uralte Städtchen machen Apulien zu einer der schönsten Regionen Italiens

Jeden Tag knetet Giovanni sechshundert Kugeln mozzarella. Wie im Schlaf vollführt der junge Mann jeden Handgriff: Er greift die Masse aus der Molke, taucht sie in heißes Wasser, zieht sie in Form und knetet sie zu Kugeln. Vorn im Laden bedient seine Mutter Tonia die Kunden. Mit leichter Hand verknotet Giovanni die Käsekugeln, Signora Tonia schneidet unterdessen eine burrata zum Probieren auf. Im Inneren dieses Frischkäses verbirgt sich eine unwiderstehliche Creme aus Sahne und mozzarella.

Früher verkauften Tonia und ihr Mann die Milch ihrer Kühe an Fabriken. Doch die Preise sanken, bis das Geschäft nicht mehr rentabel war. Also beschlossen sie, die Milch selbst zu mozzarella und burrata zu verarbeiten. Seit fünfzehn Jahren betreiben sie bei Fasano, etwa auf halber Strecke zwischen Bari und Brindisi, eine der wenigen traditionellen Käsereien, die es in der Gegend noch gibt.

Die Landschaft der Umgebung ist so außerordentlich schön, dass man sie so langsam genießen muss wie die kulinarischen Höhepunkte, die die Region im Südosten Italiens hervorbringt: den köstlichen Käse, wuchtige Rot- und spritzige Weißweine, aromatisches Olivenöl, das man löffelweise zu sich nehmen möchte. Bis zu tausend Jahre alt sind die Olivenbäume mit den gewaltigen verknoteten Stämmen, die Hügel bewachen und die Ebene bewalden. Aus den Früchten dieser Bäume wird die Hälfte allen italienischen Olivenöls gewonnen. Auf den Feldern zwischen den Olivenhainen wachsen aber auch Weizen, Sellerie, Spinat, Fenchel und Kohl – dank ausgeklügelter Bewässerungssysteme blüht die Landwirtschaft in der Gegend, die schon im Mittelalter die Kornkammer des Südens bildete.

Noch in den sechziger und siebziger Jahren verließen die Einwohner der desolaten wirtschaftlichen Lage wegen in Scharen ihre Heimat. Und noch heute sehen vor allem Hochschulabsolventen ihre Perspektiven eher im Norden des Landes oder im Ausland. Doch obwohl die Arbeitslosigkeit jenseits der größeren Küstenstädte noch immer hoch ist – im Mittel liegt sie bei gut zwanzig Prozent, unter jungen Leuten bis Anfang dreißig ist sie sogar doppelt so hoch –, kehren heute auch wieder Menschen zurück.

Alessandro zum Beispiel, der in seinen Zwanzigern im italienischen Café eines Vergnügungsparks in Florida mit Trinkgeldern ein kleines Vermögen machte. Seine Kollegen lebten wie die Könige im Sunshine State, erinnert er sich. Sie kauften Schmuck für die Freundin und Kleidung für sich, sie gingen aus, wenn die Dienstpläne es zuließen, sie reisten kreuz und quer durch Amerika.

Alessandro aber hielt sein Geld zusammen. Nach zwei Jahren kam er zurück. Er steckte seine Ersparnisse in einen Bauernhof und gründete eine kleine Reiseagentur. »Ich bin so zufrieden hier«, erklärt er und beschreibt die universelle Anziehungskraft seiner Heimat mit bescheidener Zurückhaltung: »Das Klima ist angenehm, die Menschen sind es auch, und das Essen ist gut.«

Das ist stark untertrieben. Apulien, die Region, die sich über eine Länge von vierhundert Kilometern bis zum Stiefelabsatz erstreckt, ist so anziehend, ihre Bewohner von solcher Herzlichkeit, ihre Landschaften so wenig berührt von allem, was den Menschen im Norden das Leben anstrengend erscheinen lässt, dass nicht wenige Besucher auf der Stelle beschließen, für immer zu bleiben. Oder, da das meist nicht ganz so leicht ist, wie es ab der Hälfte des zweiten Glases tiefroten primitivos erscheint, doch wenigstens ganz oft wiederzukommen.

Sechzig Millionen Olivenbäume tauchen die urwüchsige Landschaft in silbriges Grün und zeugen von der langen Kultivierung Apuliens. Viele der Bäume standen immer schon hier – oder doch wenigstens so lange, dass man sie bestaunen möchte wie sakrale Bauten aus längst vergangenen Jahrhunderten. Tatsächlich werden die ältesten von ihnen, die von Generationen von Bauern zurückgeschnitten, geschält und gestopft wurden, wie Denkmäler geschützt. Sie zu verpflanzen oder gar zu fällen ist per Gesetz verboten.

Die Stunde der Dämmerung scheint sie zum Leben zu erwecken, wenn das schwächer werdende Licht aus ihren Silhouetten in der Bewegung erstarrte Riesen macht und ihre zerfurchten Stämme in Gesichter verwandelt. Fast könnte man dann glauben, dass die Bäume ihr eigenes Leben führen, von dem kein Mensch etwas ahnt.

Das köstliche, kräftige Öl, das aus ihren Früchten hergestellt wird, ist Eckpfeiler einer Küche, die die Reichtümer der Natur nutzt, ohne sie zur Unkenntlichkeit zu verfeinern. Das wäre bei Produkten von solcher Güte auch kontraproduktiv. Denn die unverfälschte, vom Alltag der Bauern und Fischer geprägte Küche bietet ein erstaunliches Spektrum an Aromen und Genüssen.

Neben den Ölbäumen, die so fest in der Erde des Südens verwurzelt sind wie die Menschen, die hier leben, besitzt die Region auch Sehenswertes aus Stein. Am südlichen Ende Italiens beschritten die Menschen beim Hausbau bisweilen unorthodoxe Wege. Eindrücklichstes Beispiel sind die trulli – weiße, runde Häuser, die ihre grauen Dächer wie Zipfelmützen aus lose aufgeschichteten Steinplatten tragen. Die Altstadt Alberobellos, die fast vollständig aus solchen trulli besteht, zählt die UNESCO zum Weltkulturerbe.

Sie wurden im 17. Jahrhundert in großer Zahl hier und in der Umgebung erbaut, als die Anlage dörflicher Siedlungen mit der Zahlung von Steuern an den König einherging. Steuerpflichtig war der örtliche Graf und Lehnsherr, der in der Regel wenig Wert auf solche Verpflichtungen legte. Die fensterlosen Häuschen mit den spitz zulaufenden, ohne Mörtel übereinandergeschichteten Kegeldächern sperrten jedoch nicht nur die sengende Sommersonne aus. Sie erlaubten auch eine flexiblere Regulierung dieser Steuerlast.

Nahte der königliche Finanzbeamte, ließen sich ihre Dächer zum Einstürzen bringen, indem man einen einzigen Stein über dem Eingang aus der Struktur zog. War der Steuereintreiber weitergezogen, ließ sich das Dach des trullo rasch wieder aufbauen. So will es die Überlieferung. Glücklicherweise kam der Finanzbeamte nur unregelmäßig, sodass die Dächer der trulli nicht jedes Jahr in sich zusammenfielen.

Die elftausend Einwohner Alberobellos pflegen das steinerne Erbe mit Liebe und Engagement. So beschlossen sie, sämtliche Antennen und Satellitenschüsseln von den Dächern ihrer trulli zu verbannen, was im fernsehsüchtigen Italien nur dank neuer, weniger sichtbarer Technologien überhaupt durchsetzbar war. Einzig das Rathaus besitzt noch eine Antenne, ansonsten stört nichts die Silhouette dieses eigentümlichen, prachtvollen Ensembles.

Alberobello liegt im Valle d’Itria, das der Zipfelmützenhäuser wegen auch das Tal der trulli genannt wird. Ein Tal im eigentlichen Sinn ist es trotzdem nicht, sondern ein zerklüfteter Teil der Kalkhochebene Murgia. Sie dominiert die Landschaft des mittleren Apuliens und der östlichen Basilikata. Wiesen, aus denen sich hier und da ein Olivenbaum oder ein trullo erhebt, und Hügel formen sich hier zu Landschaftsbildern von geradezu magischer Schönheit. Keine Stromleitungen zerschneiden sie, mancherorts sind nicht mal Straßen zu sehen. Abschnitte der Straße mit dem bedauerlich prosaischen Namen 172 führen unmittelbar am Rand des Hochplateaus entlang, bevor diese sich in die vierhundert Meter tiefer gelegene Küstenebene absenkt. Zuvor beeinträchtigen die Ausblicke auf dichten Olivenwald, die in einem warmen Ockerton leuchtende Stadt Fasano und das Meer in bedrohlichem Maß die Verkehrssicherheit.

Bis heute ist Apulien weniger wohlhabend als die Regionen Mittel- und Norditaliens. Doch an Traditionen, die in Italien unauflöslich mit Mahlzeiten verbunden sind, und an Produkten, von denen Italiener aus Norden und Süden gleichermaßen schwören, dass von ihrer Qualität alles Gelingen in der Küche und somit auch eine gute Portion Lebensglück abhänge, ist die Region so reich wie der ferne Norden. Mindestens.

Der Lauf der Jahreszeiten ist hier seit ungezählten Generationen von beruhigender Gleichförmigkeit. Wachstum, Reifung und Ernte der Oliven weisen den Weg durchs Jahr wie ein immerwährender Kalender. Im Herbst beginnt die Olivenernte. Sie erfordert Ruhe und Zeit. Im Oktober reinigen die Bauern den Boden rund um die Bäume von Gras und Blättern und breiten die Netze aus, in denen im November die vorsichtig vom Baum geschüttelten Früchte gesammelt werden. Zunächst sind sie grün, dann lila, schließlich werden sie schwarz. Doch der ideale Erntezeitpunkt ist dann...

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