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Lesereise Israel/Palästina

Zwischen Abraham und Ibrahim

AutorGil Yaron
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783711751188
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das Begriffspaar Israel/Palästina kennt man hauptsächlich aus dem tragischen Teil der Nachrichten. Doch hinter den Namen, die Sinnbild für ewigen Konflikt geworden sind, steht ein wunderschönes, abenteuerreiches Land voller Menschen, die trotz einer schwierigen Realität ihre Herzlichkeit bewahrt haben. Der deutsch-israelische Journalist Gil Yaron zeichnet ein Tiefenrelief der arabischen Gesellschaft im Heiligen Land und ihrer Berührungspunkte mit Israel: Seine Reise führt ihn von Höhlenbewohnern bei Hebron zu einem der bekanntesten palästinensischen Komiker in Ostjerusalem, vom Muezzin der Al-Aqsa-Moschee zu einem Nachtclubbesitzer in Ramallah, von einem gescheiterten Selbstmord­attentäter in Nablus bis zu israelischen Kampfsoldatinnen. Dabei macht seine journalistische Wissbegierde vor keinem Tabu Halt. Yarons Besuch bietet einen ungewöhnlichen Blick darauf, wie Israelis und Palästinenser miteinander um ein Land ringen und dennoch leben, lachen, lieben, leiden und sich laben. Das Resultat ist ein intimes Porträt einer Region, die nach eigener Identität, nach Freiheit und Normalität sucht.

Gil Yaron wurde 1973 in Haifa geboren. In Düsseldorf aufgewachsen, kehrte er nach dem Abitur nach Israel zurück. Während seines Medizinstudiums in Jerusalem entdeckte er die Liebe zum Schreiben. Heute arbeitet der ehemalige Molekularbiologe als Nahost-Korrespondent für zahlreiche Zeitungen, Magazine und Radiosender in Deutschland und Kanada, darunter die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung' und der 'FOCUS'. Im Picus Verlag erschienen seine Lesereisen Israel, Jerusalem und Israel/Palästina.

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Leseprobe

Vom Lehen zum Lager


Palästinenser fühlen sich wie Khalil Muhammad al-Laham, der Sohn eines wohlhabenden Scheichs, der mit Israels Staatsgründung zum mittellosen Flüchtling wurde

Kaum ein Ort in Palästina dürfte bedrückender sein als ein Flüchtlingslager im Winter: Bunt zusammengewürfelte Häuser drängen sich ohne erkennbare Planung dicht an dicht, wobei bunt eigentlich das falsche Wort ist. Wenn im Winter ein dunkler Wolkenhimmel von Regen kündet und ein kalter Wind über die Berge Judäas pfeift, bietet roher Beton in Fülle dem Auge nur verschiedene Schattierungen von Grau. Für farbigen Anstrich oder Putz fehlt Flüchtlingen meist das Geld. Als Wandschmuck dient das kämpferische Graffiti verschiedener Widerstandsorganisationen. Hier lächelt die »Märtyrerin« Leila Khaled, Großmutter der modernen Flugzeugentführung, mit einer Kalaschnikow in Händen, dort flattern farbige Poster palästinensischer Häftlinge, die seit Jahren wegen Terrorverdachts in israelischen Gefängnissen einsitzen. Kein Baum sprießt zwischen den niedrigen Gebäuden, die trotz ihrer Dichte kein Gefühl der Geborgenheit aufkommen lassen. Enge, steile Gassen zwingen selbst den draufgängerischsten Autofahrer dazu, den Fuß vom Gas und die Hand von der Hupe zu nehmen. Es verlangt höchste Vorsicht, sein Fahrzeug unbeschadet durch das Labyrinth zu manövrieren.

Willkommen in Daheische, einem großen Flüchtlingslager bei Bethlehem und seit gut fünfzig Jahren das Zuhause von Khalil Muhammad al-Laham. »Herein!«, ruft der zweiundneunzig Jahre alte Flüchtling, wenn es an der unversperrten Haustür klopft. Ihm ist einerlei, wer um Eintritt sucht: In der eiskalten Wohnung wird jeder warm und herzlich begrüßt. Es ist ein typisch arabisches Haus mit einem besonderen Zimmer, in dem man Fremde und Gäste empfängt, getrennt vom Familienwohnzimmer, dem Refugium der Frauen und Kinder. Im öffentlichen Bereich stehen teure Möbel mit dicken Polstern, gewundenen Holzbeinen à la Louis XIV und Goldauflage, hängen Ölbilder und Familienfotos, die gesehen werden sollen. Bei Lahams sucht man solchen Prunk jedoch vergebens: Die verblasste Sitzgarnitur hat ihre besten Tage lange hinter sich. Khalil und seine zweiundachtzig Jahre alte Frau Zainab sitzen dicht beieinander vor einem kleinen Elektroofen, der einzigen Wärmequelle im dreieinhalb Meter hohen Raum mit der Temperatur einer Tiefkühltruhe. Trotz Armut wird Etikette nicht vergessen. Schon huschen Khalils Urenkel mit einem Tablett voller kleiner Kaffeetassen herbei, eine Schwiegertochter legt eine Packung Butterkekse auf den kleinen, wackligen Holztisch. Man soll sich wohlfühlen so gut es eben geht.

Khalil hat sich für sein Interview in Schale geworfen: Die Abaya, ein brauner Überhang aus Kamelhaar – sein teuerstes Kleidungsstück –, wird von der traditionellen schwarz-weißen Kafiya ergänzt, die Deutsche »Palästinensertuch« nennen. Es ist die traditionelle Tracht der Scheichs, der Dorfältesten, die einst Palästina mit hoher Hand regierten: »Früher hörten zweihundert Dorfbewohner auf die Worte ihres Scheichs und folgten genau seinen Anweisungen«, erzählt Khalil, und schwelgt in Erinnerung an die Zeit, in der sein Clan noch Land besaß: »Uns gehörten hundertzwanzig Dunam fruchtbares Land in der Nähe von Ramleh und hundert Dunam im damaligen Beit Attab, das ist heute das israelische Dorf Nes Harim, in der Nähe Jerusalems.« Insgesamt vierundzwanzig Dörfer standen auf diesen Ländereien, verwaltet von Khalils Onkel, dem lokalen Scheich, dem alle hörig waren. Dessen Posten sollte Khalil eines Tages vielleicht erben und wurde dafür sogar vier Jahre lang zur Schule geschickt. Heute kann er deswegen lesen, fürs Schreiben reichte es nicht.

Doch das Schicksal bestimmte ihm kein leichtes Herrenleben. »Die Briten machten uns alles kaputt«, sagt Khalil und meint das britische Mandat, das Palästina von 1917 bis zu Israels Staatsgründung 1948 verwaltete. »Die Briten importierten Getreide zu einem Drittel des Preises unseres Saatguts! Das machten sie, um uns zu zwingen, unser Land an die Juden zu verkaufen.« Da er von der Landwirtschaft nicht leben konnte, wurde Khalil Polizist. Dennoch betont er sofort entschieden, er habe sein Land nie verschachert: »Wir haben nie auch nur einen Zentimeter unseres Landes an Juden verkauft! Und wir werden es auch nie verkaufen. Für einen Bauern ist Land das Allerwichtigste im Leben.« Im Gegenteil: Kurz vor Ausbruch des Krieges 1948, den Israelis ihren Unabhängigkeitskrieg und die Palästinenser ihre Nakba, Katastrophe, nennen, »investierte ich mein ganzes Geld in acht Dunam Land«.

Dann verloren die Lahams im Krieg schlagartig alles, was sie besaßen. Über Nacht flohen Khalil und Zainab mit ihrem Dorf Richtung Osten: »Ich konnte nur acht Säcke Mehl mitnehmen. Damit gehörte ich schon zu den Reichen.« Es hätte anders kommen können: »Wir verstanden uns mit unseren jüdischen Nachbarn aus Hulda wie Honig!«, sagt Khalil mit einer arabischen Redewendung, die Honig als Sinnbild alles Positiven nutzt. Das solle man nicht als Freundschaft deuten: »Man grüßte sich höflich, wenn man einander sah, nicht mehr. Aber es gab keine Probleme. Die Briten schufen den Zwist zwischen uns.« Wenn Khalil über seine Gedanken zu Deutschland spricht, kommt allerdings ein anderes Verhältnis mit den Juden zutage. Während des Zweiten Weltkriegs habe man die politische Lage so zusammengefasst: »Damals sagten die Juden zu uns: Wenn die Deutschen gewinnen, werdet ihr uns reiten wie Esel. Aber wenn die Alliierten gewinnen, werden wir das tun!« Dennoch erzählt Khalil, dass die jüdischen Nachbarn seinem Dorf drei Jahre später, 1948, zu Beginn des Krieges in Palästina/Israel »uns sogar ihren Schutz anboten, damit wir in unserem Dorf bleiben konnten. Aber die meisten hatten Angst und zogen es vor, ihr Haus zu verlassen.«

Die Lahams flüchteten nach Beit Jala, einem christlichen Vorort Bethlehems. Aus dem Polizisten wurde nun ein Vorarbeiter im Steinbruch: »Ich habe achtundzwanzig Jahre lang stundenlang jeden Tag Steine aus den Bergen rund um Al Quds (Jerusalem auf Arabisch) gebrochen und mich nie beschwert!«, sagt er stolz. Dabei schrieb er sogar ein wenig Kulturgeschichte: Mit sieben anderen Männern brach er in den sechziger Jahren in einem Steinbruch, dort, wo sich heute die Siedlung Gilo befindet, acht Säulen aus dem Berg. »Ihre Größe war gewaltig!«, erinnert sich Khalil. Sie wurden später in die Grabeskirche gebracht, um die Rotunde der Anastasis, einen der heiligsten Orte des Christentums, zu renovieren, und können dort noch heute bewundert werden.

Nicht nur Khalils Arbeit, auch seine Weltanschauung wurde von Religion beeinflusst. Früher ging er zu jedem Gebet in die Moschee, heute macht Khalil mühsam über einen Stock gebeugt den kurzen Weg nur noch mittags. Dass palästinensische Jugendliche gern auch mal ein Bier trinken, stört den alten Muslim ungemein: »Es hat sich viel geändert. Wir können unsere Jugend nicht mehr kontrollieren. Nicht nur, dass manche rauchen, viele trinken sogar Alkohol. Dabei ist der doch haram, also vom Koran verboten!«, sagt er erregt. Zainab hingegen, die mit fast zahnlosem Mund gern und oft lacht, findet, dass die junge Generation es mit der Religion übertreibt: »Als ich noch eine junge Frau war, konnten wir selbst entscheiden, wann und wie wir uns verschleiern.« Frauen trugen damals ein einfaches Kopftuch: »Das konnte man sich vors Gesicht binden, wenn man nicht gesehen werden wollte. So einen Niqab (ein Gesichtsschleier, der das Antlitz ständig bedeckt und oft mit einem Tschador getragen wird), wie viele Mädchen ihn heutzutage tragen, gab es gar nicht.«

Für beide bestimmt der Islam ihre Haltung gegenüber ihren jüdischen Nachbarn: »Schon im Koran steht geschrieben, dass Juden schlechte Menschen sind, dass sie lügen und einem mit Messern in den Rücken fallen. Der Koran nennt Juden die härtesten Feinde der Muslime«, sagt Khalil. Obschon Khalils Sohn Parlamentsabgeordneter für die Fatah-Partei ist, hegt er warme Gefühle für die Islamisten der Hamas: »Hamas ist generell etwas Gutes, weil sie gegen Israel kämpfen. Das macht doch kein anderer arabischer Staat!« Dabei bedurfte es wahrscheinlich nicht der Religion, um sie Israel gegenüber feindlich zu stimmen. Nur wenige Jahre nach ihrer Flucht nach Beit Jala mussten sie ihr neues Heim verlassen, als das kleine Haus 1953 bei einem israelischen Vergeltungsangriff zerstört wurde. Jetzt blieb ihnen nur noch das Flüchtlingslager Daheische, für mehr reichte das Geld nicht. Auch hier stieß Khalil immer wieder mit den Israelis als Besatzungsmacht zusammen: »Einmal verhafteten sie mich, weil mein ältester Sohn 1967 dem bewaffneten Widerstand beigetreten war. Sie folterten mich, um herauszufinden, wo er sich versteckt, aber mich bricht man nicht so schnell«, sagt Khalil und versteckt die Erniedrigung und den Schmerz von damals hinter einem verschmitzten...

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