Gänse werden oft mit Landidylle und Bauernhofromantik in Verbindung gebracht. (Foto: Michael von Lüttwitz)
Sie sind geliebt und gefürchtet. Sie tauchen in Märchen auf, werden in Liedern besungen und schrieben schon im alten Rom als heilige Tiere Geschichte. Denn es waren die wachsamen Gänse des römischen Kapitols, die herannahende gallische Feinde sofort bemerkten und lautstark ankündigten. So wurde Schlimmeres verhindert, und der Angriff konnte erfolgreich zurückgeschlagen werden. Seither genossen die „Gänse des Kapitols“ hohes Ansehen. Noch heute werden Gänse vom Militär als Wachtiere für Munitionsdepots gehalten.
Konträr zu ihrem Ruf als schlauer Vogel steht das Schimpfwort „dumme Gans“. Ob es der manchmal schon außerordentlichen „Sturheit“ dieser Vögel zu verdanken ist oder aus anderen Gründen entstand, das weiß so recht keiner. Doch obwohl die Menschen dieses Schimpfwort schon sehr lange verwenden, mag man die „Langhälse“ doch irgendwie. Nicht umsonst schmückt ihr Bildnis seit je zahlreiche Gemälde, und die weißen Gänse mit dem blauen Halsschleifchen finden sich bis heute auf Tischdecken, Küchenschürzen, Tellern und Kaffeetassen. Sie stehen für Landidylle und Bauernhofromantik.
Gänse sind nun mal GANS besondere Tiere, die niemals in Vergessenheit geraten.
von zwickenden Vögeln und starren Klischees
Bis heute sorgen Gänse bei vielen älteren Menschen, die in ländlichen Gegenden aufgewachsen sind, für lebhaften Gesprächsstoff. Denn sie kennen Gänse häufig nur als zischende und angriffslustige Zeitgenossen, die mit ihrem orangegelben, gezahnten Schnabel kraftvoll zuzwicken können. Wer als Kind einmal von einem solchen langhalsigen Angreifer verfolgt oder gar gestellt wurde, der lässt oft bis ins Alter keine gute Feder an ihm.
Früher bewegten sich Gänse frei – auf Dorfteichen, Flüssen und Bachläufen. (Foto: Michael von Lüttwitz)
Dass es früher vermehrt zu Gänseattacken kam, lag sicherlich nicht daran, dass diese Vögel von Natur aus aggressiv und beißfreudig sind. Zwar ist in Einzelfällen, wie bei allen anderen Lebewesen, eine genetische Veranlagung zum „Bösen“ durchaus möglich, doch größtenteils lag ihre Ablehnung und Angriffsbereitschaft den Menschen gegenüber eher daran, dass die Gänse keinen Bezug zu ihnen hatten und „verwildert“ waren. Sie wurden ausschließlich als Nutztiere zur Fleisch- und Federgewinnung gehalten und auch so behandelt. Da wurde nicht viel Aufhebens gemacht. Frühmorgens ließ man die Gänse auf die Weide, wo sie sich selbstständig versorgten. Vor Einbruch der Dunkelheit trotteten die „Langhälse“ im typischen Gänsemarsch wieder in den heimischen Stall, in dem sie etwas lockenden Hafer vorfanden. Ihren Halter sahen sie lediglich beim Öffnen und Schließen der Stalltür. Dieser kurze Kontakt reicht bei Weitem nicht aus, um das Vertrauen der äußerst skeptischen Gänse zu gewinnen. Auch wenn sie eine Person täglich sehen, bleibt diese, wenn sie sich nicht näher mit ihnen beschäftigt, immer ein Fremder. Kommt dieser „Fremde“ ihnen in ihrem gänsischen Revier zu nahe, wird er als vermeintlicher Eindringling sofort mit Drohgebärden auf Abstand gehalten. Ignoriert er diese zischende Vorwarnung, was ein Gänsehalter aus Gründen der Versorgung ab und an tun muss, kommt es schnell zu einer hand- und schnabelfesten Auseinandersetzung. Insbesondere selbstbewusste Ganter verstehen absolut keinen Spaß, wenn sie sich provoziert fühlen. Zum Selbstschutz bewaffneten sich die Gänsebesitzer oft mit Stöcken und schlugen damit auch schon einmal zu. Andere packten die Gans am Hals und drehten sich mit ihr schnell im Kreis herum. Danach warfen sie ihren gefiederten Kontrahenten weit von sich. Der schwindelige Vogel brauchte danach einige Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen, und die nutzte der Mensch zur Flucht. So gerieten die beiden Parteien schnell in eine Aggressionsspirale. Der Gänsebesitzer verfluchte des Öfteren seine Federtiere, und diese sahen in ihm und in jedem, der so aussah, ihren Erzfeind. Gänse vergessen niemals. Negative Erlebnisse und die damit verbundenen Personen prägen sie sich ein Gänseleben lang ein. Bei anderen Haustieren wie Hund oder Pferd ist ein Neuanfang in der Mensch-Tier-Beziehung möglich, bei Gänsen nicht. Aus den Studien von Konrad Lorenz geht hervor, wie einfach Gänse strukturiert sind. Für sie gibt es nur gut oder böse, ein „Dazwischen“ existiert nicht. Wer einmal ihr Feind war, der wird es immer bleiben. Für die Wildgänse ist dieses Muster überlebensnotwendig.
Eine liebevolle Aufzucht, am besten im natürlichen Familienverband, ist die Grundlage für ein glückliches Gänseleben. (Foto: Marion Bohn-Förder)
Gänse sind sehr gesellige Tiere, die mit ihrem Besitzer in engen Kontakt treten, wenn sie spüren, dass dieser sie mag und es gut mit ihnen meint. Die grundlegende Voraussetzung für eine unbefangene Annäherung vonseiten der Gänse ist aber, dass sie liebevoll aufgezogen wurden, was bei Hobby-Rassegeflügelzüchtern in der Regel der Fall ist. Denn ein Herzblutzüchter verbringt einen großen Teil seiner Freizeit mit seinen Tieren, wodurch sie anhänglich und menschenbezogen werden.
Am innigsten wird die „menschlich-gänsische“ Beziehung natürlich, wenn man seine zukünftigen Gänsefreunde schon als Gössel bekommt und selbst aufzieht. Das ist wunderschön, erfordert aber viel Zeit, weil junge Gänsekinder Zuwendung und Erziehung brauchen. Da die Prägung bei ihnen eine wichtige Rolle spielt, was bedeutet, dass sie zwar über einige natürliche Instinkte, jedoch über relativ wenige angeborene Verhaltensmuster verfügen, müssen Gänse sich viele Dinge erst aneignen. Gössel, die im Familienverband natürlich aufwachsen, lernen dort alles Wichtige. Hier werden sie auch gut sozialisiert und bekommen die für sie wichtige Zuwendung und Nestwärme. In der künstlichen Aufzucht übernimmt der Mensch die Elternrolle und somit die Verantwortung für eine artgerechte Entwicklung seiner Gänse. Hier gilt es, die richtigen Weichen zu stellen, damit es bei den Tieren nicht zu einem späteren Fehlverhalten kommt.
So kann „menschlich-gänsische“ Freundschaft aussehen. (Foto: Agnes Meyer-Brandis)
Gänse haben von Natur aus einen starken Bindungstrieb, sie brauchen unbedingt Gesellschaft und müssen mit Artgenossen aufwachsen. Nur so lernen sie, dass sie Gänse sind und keine Menschen. Dieser Grundgedanke muss bei der Betreuung der Gänsekids immer im Vordergrund stehen. Auch wenn sie noch so süß sind, sollte man seine Tiere nicht zu stark auf sich prägen. Man tut ihnen und sich damit keinen Gefallen. Solche fehlgeprägten Gänsekinder wünschen sich ständig die Nähe ihrer menschlichen „Mutter“ und möchten um keinen Preis allein im Stall bleiben, denn Gänse fürchten nichts so sehr wie Einsamkeit. Zudem können sie später nichts mit ihren Artgenossen anfangen und ignorieren diese. Nicht selten sind Paarungsprobleme, Aggressionen, Federfressen oder ein übersteigertes Dominanzverhalten auf menschliche Fehler während der Aufzucht zurückzuführen.
In der Regel geben Rassegeflügelzüchter junge Gössel sowieso ungern ab, denn sie möchten ihre Gänse später auf Rassegeflügelausstellungen präsentieren. Da nicht von Anfang an zu erkennen ist, aus welchem Gänschen ein Ausstellungstier wird, bleiben zuerst einmal alle Gössel im heimischen Stall. Nur aus der Masse kommt die Klasse. Jungtiere vom Rassegeflügelzüchter bekommt man deshalb meist erst im Herbst. Das Warten lohnt sich jedoch, denn diese halbstarken Junggänse sind den Umgang mit Menschen gewohnt und schließen sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ihren späteren Besitzern problemlos an.
Dafür ist es aber zunächst wichtig, das Vertrauen der Tiere zu gewinnen. Wer seine Gänse so respektiert und akzeptiert, wie Mutter Natur sie programmiert hat, ohne Wenn und Aber, der hat dafür bereits einen wichtigen Grundstein gelegt. Ihm gegenüber werden sich diese stolzen, aber auch sensiblen Vögel öffnen und sich ihm treu anschließen. Das dauert allerdings eine Weile, weshalb man viel Zeit, jede Menge Herzblut und eine Engelsgeduld in diese neue Freundschaft investieren sollte. Wenn Mensch und Vogel in langsamen Schritten aufeinander zugehen, lernen beide unglaublich viel voneinander und werden zu einer vertrauten Einheit.
Gänse haben fest eingeprägte Verhaltensmuster, die ihr Handeln aus unserer Sicht oft als stur oder dumm erscheinen lassen. Sie sind einfach gestrickt und denken nicht in komplexen Zusammenhängen, sondern vielmehr in Bildern. Die heimische Umgebung sowie...