Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die ausgewählten Spots die Tatsache eint, daß in ihren Claims eine Liebes- bzw. Sympathiebekundung enthalten ist. Eine Klassifikation steht jedoch vor der Problematik, daß von einer Ähnlichkeit der Slogans nicht auch automatisch auf eine inhaltliche Gemeinsamkeit der Spots geschlossen werden kann. Der Slogan wird zwar häufig als "Abbinder" bezeichnet und hat somit die Funktion, die Werbeaussage kurz und prägnant zusammenzufassen, doch diese Überlegung ist nicht immer richtig. Ein solches Verständnis von der Funktion eines Claims läßt den Umstand, daß ebendiese in der Regel eine langjährige Kampagne in den unterschiedlichsten Werbeträgern begleiten, unberücksichtigt. [57] Der Claim formuliert folglich meist einen recht allgemeinen Bezug zu dem jeweiligen Spot und ist eben nicht auf genau diesen abgestimmt. Vielmehr muß er für mehrere Spots funktionieren und darüber hinaus in verschiedenen Werbeträgern, jenseits des Fernsehspots, einsetzbar sein. Dennoch ist der Slogan in aller Regel Teil der dargestellten Markenwelt, so daß zumindest von einem Minimum an inhaltlichem Bezug auszugehen ist. Dieser Umstand weist aber auf die strukturelle Herausforderung, die eine Spotauswahl anhand der Claims mit sich bringt, hin. Eine Auswahl nach rein inhaltlichen Kriterien hätte die Strukturierung der Arbeit sicherlich erleichtert, aber es ist schließlich Hauptaugenmerk der in Teil II folgenden Analysen, die inhaltliche Ausrichtung der Spots hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten und auch Divergenzen zu untersuchen.
Die folgenden Analysen berücksichtigen deshalb den Einzelspot sowie den innerkategorischen Vergleich. Darüber hinaus werden die Spots auch im Kontext der anderen ausgewählten Werbefilme betrachtet, um dann in einem letzten Schritt überkategorische Ergebnisse zu erarbeiten. Wenn man den Werbeclaim, der hier immer auch Teil der Interpretation ist, zum Gegenstand der Analyse macht, so muß dies mit Rücksicht auf die besondere Rezeptionssituation geschehen. Das heißt, daß die Aussage eines Claims nur innerhalb des Kontextes von Werbung zu rekonstruieren ist. Eine Analyse des Slogans sollte deshalb immer die perlokutive Kommunikationsebene berücksichtigen. Ein Werbetext hat schließlich stets in irgendeiner Form auch persuasive Absichten, derer sich die Rezipienten in der Regel bewußt sind. Deshalb sollen im folgenden auch immer die „pragmatischen Rezeptionsbedingungen“[58] des Werbespots in die Analyse einfließen.
Da die inhaltliche Ausrichtung der Einzelspots teilweise stark divergiert, wird zunächst nur eine grobe Unterteilung dieser Vielfalt gerecht. Sie dient dabei sowohl einer formalen als auch einer inhaltlichen Orientierung. Da die ausgewählten Spots in ihren Claims eine Verbindung zur Liebe konstatieren, erwies sich eine ebensolche Einteilung - in die vorherrschende Liebesart - als sinnvoll. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, daß hier keine Phänomenologie der Liebe entworfen werden kann. Ebenso sind die folgenden Einteilungen in verschiedene Arten von Liebe keineswegs als allein gültig zu werten. Sie beschreiben lediglich die Prädominanz eines bestimmten Liebesmotivs und treten häufig auch als Mischformen auf. Die jeweilige Art der Liebe ist eine zeichen- vermittelte und deshalb per definitionem, da es sich um ein Abstraktum handelt, stets konnotativer Natur.
Als maßgebend erwiesen sich für den vorliegenden Korpus die Unterscheidungen von:
erotischer Liebe
Nächstenliebe und Selbstliebe
abstrakter Liebe
Diese strukturellen Einheiten sollen im folgenden jeweils mittels der Analyse eines entsprechenden Spots veranschaulicht werden. Dem wird eine kurze Beschreibung darüber, was in unserem Kontext unter der klassifizierten Liebesart zu verstehen ist, vorangestellt.
Unter erotischer Liebe ist hier ganz allgemein die Beziehung zu einem erotischen oder aber potentiell erotischen Partner zu verstehen. In diesen Spots spielt die Darstellung zweier Handlungsträger innerhalb eines romantischen Erlebniszusammenhangs eine dezidierte Rolle.
1.1.1 Spotinterpretation: Niederegger „Antrag“
Spotbeschreibung
Ein Mann und eine Frau sitzen sich an einem Tisch gegenüber. Er schenkt ihr in einem feierlichen Akt ein Niederegger-Marzipanherz.
Interpretation
Die Bedeutungsvermittlung innerhalb des Spots geht weit über die Simplizität des einen Handlungsakts hinaus. Dies wird vor allem auf der verbalen sowie der gesamtinszenatorischen Ebene deutlich.
Die beiden Protagonisten sitzen sich an einem Eßtisch gegenüber. Sie befinden sich in einem privaten Raum, ein Wohnzimmer, was der Handlung eine gewisse Intimität verleiht. Beide tragen Abendgarderobe, und der Tisch ist mit einem Kerzenleuchter feierlich geschmückt. Dies sind Hinweise dafür, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen Abend, sondern einen besonderen Anlaß handelt. Die Rede, die direkt mit der ersten Einstellung beginnt, läßt auch keinen Zweifel an der Feierlichkeit der Situation. Das Marzipanherz wird dabei nicht direkt übergeben, sondern der Spot baut vorerst Spannung auf. Dies passiert, indem der Mann das Herz zunächst in seiner Handinnenfläche verbirgt, während sie gespannt erwartet, was er ihr wohl schenken möge. Auch auf sprachlicher Ebene zögert der Protagonist diese Auflösung hinaus, indem er auf den Inhalt seiner Hände mit „es“ referiert: „Mein Großvater hat es meiner Großmutter geschenkt, meine Mutter bekam es von meinem Vater und ich schenke es dir“ (E. 1-7). Erst danach öffnet er die Hände und offenbart das Marzipanherz. Hätte die Frau, so wie es die Gesamtinszenierung dieser Schenkung suggeriert, z.B. ein wertvolles Familienerbstück, wie einen Fingerring, erwartet, wäre sie erwartungsgemäß über den Erhalt einer einzelnen Praline enttäuscht gewesen. Da sie aber im Gegenteil freudig reagiert, läßt sich folglich schließen, daß beide die Feierlichkeit dieser Übergabe für angemessen halten.
Das Verschenken eines Niederegger-Marzipanherzens wird zu einem feierlichen Akt hochstilisiert, wie es beispielsweise bei einem Verlobungs- oder Heiratsantrag üblich ist. Die Gewichtung ist hier die gleiche. Das Produkt ist also gewissermaßen seiner Produktrealität entrückt und in einen semantischen Kontext gestellt, der weit über die instrumentelle Funktion hinausgeht. Das Überreichen des Marzipanherzens transformiert die Beziehung der beiden Protagonisten. Durch das Verschenken und das Annehmen ihrerseits, gehen die beiden ein festeres Bündnis miteinander ein. Die Reziprozität dieses Rituals innerhalb der Familie des Mannes positioniert den Antrag als den Übergang beider Partner in ein zyklisch geschlossenes System. Die Referenz auf die Großeltern und die Eltern verweist auf ein eheliches Bündnis, so daß auch die neu entstandene Beziehungsebene als eine eheähnliche zu werten ist.
Trotz dieser semantischen Aufladung bleibt die instrumentelle Funktion des Produkts nicht unbeachtet, da die Frau das Marzipanherz schließlich ißt. Sie bewahrt es nicht, wie man es etwa bei einem Ring oder ähnlichem erwarten könnte, an einem besonderen Ort auf. Bevor sie beginnt, das Marzipanherz zu essen, küßt sie es. Dies zum einen als Zeichen der Anerkennung des Produkts in der beabsichtigten Funktion eines Beziehungsantrags, einhergehend mit dessen Bejahung und zum anderen, um die Wertschätzung des Produkts zum Ausdruck zu bringen. Dem Marzipanherzen wird also ein entscheidender symbolischer Mehrwert zugeschrieben, ohne daß der Gebrauchswert als Nahrungs- bzw. Genußmittel negiert wird.
Auch die Produktform und -verpackung sind hier in besonderem Maße funktionalisiert. Sie betonen den Symbolcharakter des Produkts und werden so ebenfalls zu einem Instrument der Markenkommunikation. Das Herz ist ein bekanntes Liebes symbol und auch der rote Farbcode der Verpackung bedient sich der gleichen Semantik.
Darüber hinaus wird die Bedeutung der Übergabe des Marzipanherzens durch den intradiegetischen[59] Hinweis auf die lang bestehende Familientradition dieser Schenkung zusätzlich verstärkt. Einerseits bringt der Protagonist mit dem Marzipanherzen also die Liebe zu seinem Gegenüber zum Ausdruck, und andererseits äußert er damit, in Fortführung der Familientradition, auch seinen Wunsch nach einem festen Bündnis mit der Frau.
Die Atmosphäre ist entsprechend der Bedeutung, die dem Verschenken eines Marzipanherzens hier zugeschrieben wird, sehr intim. Der Rezipient wird zu einem Beobachter eines privaten Angebots in einem privaten Raum. Die Intimität dieser Situation wird durch eine subtile Erotik verstärkt. Sinnlichkeit wird hier vor allem durch die Körpersignale der Frau vermittelt, indem sie sich z.B. auf die Lippen beißt und ihm dabei tief in die Augen sieht oder einen verführerischen Augenaufschlag einsetzt. Auch die Einstellungsgröße, die sich vornehmlich in der Nahen oder Großaufnahme bewegt, verstärkt diesen Eindruck.[60] Durch die Intimität der dargestellten Situation entspricht die Position des Zuschauers einer...