1. Was heißt Verkaufen?
1.1 Der Verkäufer von heute
Verkaufen? Heute? Wo Geschäfte über Ländergrenzen und Ozeane hinweg stinknormal geworden sind? Wo alles übers Internet läuft? Digital, prozessoptimiert, supereffizient: Braucht es da noch »Verkaufen«? Und: Geht das überhaupt noch?
Es ist schon richtig: Nichts hat sich in den letzten 50 Jahren so dramatisch verändert wie das Verkaufen und der Verkäufer als solche (vgl. Kap. 12.3). Es gibt inzwischen eine Menge von Dingen, die kaufen die Leute nur noch im Internet. Da denkt keiner mehr auch nur darüber nach, ob er dafür in einen Laden gehen soll. Da braucht kein Mensch mehr einen Verkäufer. Erklärungen? Dafür gibt es Youtube-Videos. Vorzüge zum Konkurrenzprodukt? Dafür gibt es Vergleichsseiten. Erfahrungswerte? Dafür gibt es die Bewertungen der Nutzer.
Der Trend hält auch noch an: Heute kaufen Sie Ihre Wurst vielleicht noch im Supermarkt an der Theke bei der Aushilfsverkäuferin. Die Metzgereien mit der Fachverkäuferin sind eh schon verdrängt. Und morgen wird es so sein, dass Sie Ihre 100 Gramm Mortadella online bestellen und eine Stunde später vom Delivery-Service in Empfang nehmen.
Für andere Dinge jedoch werden die Menschen auch morgen noch in den Laden gehen. Gerade bei den komplexen Geschichten sind Verkäufer wichtiger denn je: Wenn Sie Produktionsmaschinen ausstatten oder Spezialtreppen anbieten, dann braucht der Kunde den Verkäufer noch viel mehr als früher. Auch wenn es dafür eine ganz andere Art von Verkaufen als früher braucht mit einer neuen Art von Verkäufern. Und die werden gerade händeringend gesucht von den Unternehmen. Solche Verkäufer können ihr Dasein neben dem Internet absolut erfolgreich gestalten.
Ich bin deshalb zutiefst davon überzeugt, dass Verkäufer auch in Zukunft gebraucht werden. Sogar dringend. Allerdings – und das ist die Einschränkung – nur die guten. Die mit der richtigen Einstellung, die mit den richtigen Fähigkeiten, die mit der richtigen Strategie, die mit den richtigen Methoden. Die mittelmäßigen oder schlechten Verkäufer, also die, die im Herzen nur Verteiler oder Berater sind, die braucht tatsächlich bald keiner mehr.
Der gute Verkäufer aber wird für sein Unternehmen noch wertvoller als früher: Er ist dessen Überlebensversicherung. Gerade und erst recht im Zeitalter der Digitalisierung. Unternehmen werden sich nur halten können, wenn sie ihren Vertrieb ordentlich aufstellen. Wenn sie richtig gute Leute rausschicken. Sonst gehen sie im gnadenlosen Preiskampf eines immer globalisierteren Marktes unter. Was macht den Unterschied zwischen dem gefühlten Einheitsangebot, bei dem der Kunde nur nach dem Preis entscheidet, und dem Premiumangebot, das den Kunden emotional überzeugt? Der Verkäufer!
| Limbeck-Tipp Ein guter Verkäufer ist in Zeiten des Internets nicht weniger, sondern mehr wert als früher. Umso wichtiger ist es, dass Sie ein guter Verkäufer werden und bleiben: Ihre Kunden sind heute aufgeklärter und mündiger. Deshalb müssen Sie sie noch besser durch den Verkaufsprozess führen, damit Ihre Kunden sich für Sie, Ihre Angebote, Ihre Dienstleistungen entscheiden können. |
Um ein guter Verkäufer zu werden und zu bleiben, wird der gute Verkäufer manches anders, besser oder zusätzlich machen müssen als bisher.
Die Vorbereitung
Wenn ich früher als Verkäufer mit dem frisch geschlüpften silbernen Klapp-Motorola RAZR im Gepäck zum Kunden gegangen bin, dann war das, als würde ich ihm ein Geheimnis überbringen. Da gab es noch kein Internet, er wusste nicht, wie dieses neue Ding aussah und wie es zu bedienen war. Wenn ich ihm heute ein neues Handy vorlegen wollte, hätte der Kunde sich lange vor meinem Besuch das Produktvideo angeschaut, 128 Bewertungen dazu gelesen und sich schon die technischen Daten heruntergeladen. Wenn er dann noch Fragen hätte, würde er punktuell und viel tiefer als früher bohren – und eine kompetente Antwort erwarten.
Und selbst wenn es ein Geheimnis gäbe, das ich ihm zuflüstern könnte: Kaum wäre ich zur Tür hinaus, würde er googeln, ob das auch stimmt. Das heißt, der Kunde ist wesentlich aufgeklärter und mündiger als vor zehn Jahren.
Deshalb kommt Ihrer Vorbereitung eine noch größere Bedeutung als früher zu (vgl. Kap. 13.1). Ein Fachidiot, der seinen Kunden totquatscht, sollten Sie immer noch nicht werden. Doch die Basis, die Sie als Verkäufer heute haben müssen, ist viel größer. Denn was haben ein Verkäufer und ein Baumeister gemeinsam? Sie fangen beim Bauen nicht beim Dach, sondern beim Fundament an. Der Ingenieur braucht dafür Ziegel oder Beton, der Verkäufer solides Fachwissen. Diese Basis sieht der Kunde nicht auf den ersten Blick. Doch wehe, sie ist nicht da, wenn Sie ihm das fertige Haus zeigen!
Die Optik
Was der Kunde dagegen sofort sieht – sowohl beim Haus als auch bei Ihnen –, ist die Optik. Das ist beim Haus etwa der Schnitt der Zimmer, der ordentliche Putz und die neue Heizungsanlage. Bei Ihnen ist es Ihre persönliche Art und Weise. Das war gestern so und das wird auch morgen so sein. Deshalb finden Sie in diesem Buch viele Empfehlungen rund um die Einstellung (vgl. Kap. 1.3), die Persönlichkeit (vgl. Kap. 2) und die Positionierung als guter Verkäufer (vgl. Kap. 7).
Diese Optik bekommt der Kunde allerdings nur dann zu sehen, wenn Sie direkt mit ihm zusammenkommen. Das passiert bei ganz vielen Produkten und Dienstleistungen heute aber nicht mehr. Oder zumindest nicht ganz am Anfang. Den ersten Eindruck muss also die Internetseite hergeben (vgl. Kap. 9.7). Die Website ist Ihre vorgelagerte Visitenkarte und mindestens so wichtig wie Ihre reale Visitenkarte – die Sie übrigens immer noch brauchen (vgl. Kap. 9.3).
Die Prioritäten
Neben dem Anspruch der Kunden hat sich auch die Geschwindigkeit geändert. Wie war es früher? Sie sind erst mal zum Kunden hingefahren, haben eine Bedarfsanalyse gemacht, sind wieder zurückgefahren, haben die Sache an die Fachabteilung gegeben und dann mit der Schneckenpost Ihr Angebot rausgeschickt. Das konnte Tage oder sogar Wochen dauern. Und es war völlig okay (vgl. Kap. 12.3).
Wenn heute ein Kunde eine Anfrage schickt, will er das Angebot gestern haben. Die Taktung hat rasant zugelegt, selbst unter Kollegen: Kürzlich mailte mir ein Bekannter, auch Trainer, montags eine Kooperationsidee zu und schickte am Donnerstag eine Schimpfmail hinterher: Ich sei ein arroganter Sack! Warum ich ihm nach zwei Tagen immer noch nicht geantwortet hätte?
Die Beschleunigung macht es heute Verkäufern schwerer denn je, Prioritäten zu setzen und nicht unterzugehen. Es ist schlicht nicht mehr möglich, auf jedes Pferd zu setzen: Es sind einfach zu viele. Das heißt, Sie müssen heute viel mehr kanalisieren, welche Anfragen sinnvoll sind und welche nicht (vgl. Kap. 4.1).
Die Strategie
Das heißt auch, dass Sie nicht mehr weitermachen sollten wie bisher. Machen Sie sich einen Kopf darüber, mit welchen Strategien Sie langfristig erfolgreich sein können. Mit »Team Selling« zum Beispiel. Das ist ja schon oft versucht worden und hat nicht funktioniert, weil Neid, Streit um Provisionsanteile und so weiter auftreten. Das wird sich ändern! Wir werden in vielen Branchen nicht darum herumkommen, weil die Produkte immer komplexer werden. Und manche werden Sie nur noch im Verbund mit anderen vernünftig verkaufen können – weil mehr Spezialisierung notwendig ist, als einer alleine bewältigen könnte.
Mein Geschäft mit Verkaufstrainings hat sich zum Beispiel komplett verändert: Die Buchungszyklen sind wesentlich kürzer geworden, dafür werden die Projekte immer größer. Unser Blended-Learning-Angebot mit Zusatzangeboten hat das klassische Zweitagesprogramm abgelöst. Wir machen auch viel mehr Consulting und Interimsmanagement.
Zwar zählt am Ende aller Tage immer noch, dass Sie als Verkäufer mit dem Kunden eine Vereinbarung treffen. Und ich bin sicher, dass Sie auch morgen noch am Auftragswert und an der Marge gemessen werden. Nur: Für den Weg dahin brauchen Sie heute mehr Flexibilität in Ihrem Verkaufsstil. »Consultative Selling« und »Key Account Management« spielen eine immer größere Rolle (vgl. Kap. 15.3). Das ist ein ganz anderes Verkaufen als bei Onkel Erwin in den seligen Siebzigern. Sie brauchen einen Atem wie Lance Armstrong – mit oder ohne Doping.
Das merke ich auch an mir: Ich hatte zum Beispiel neulich einen Kunden, bei dem ich so oft wie nie zuvor in meiner ganzen Verkäuferkarriere für einen Auftrag angetanzt bin. Das ist ein Großkonzern...