| Was ist Händigkeit überhaupt,
was bedeutet sie für einen Menschen?
Definition von Händigkeit I
Als Händigkeit bezeichnet man die Überlegenheit der linken oder rechten Hand. Sie äußert sich in einer größeren Geschicklichkeit, längeren Ausdauer und dem präferierten Handgebrauch. So werden feine Tätigkeiten, wie z.B. das Zeichnen und Schreiben, Schneiden mit dem Messer und das kleinteilige Bauen, vornehmlich mit der bevorzugten oder auch als dominant bezeichneten Hand ausgeführt.
Tätigkeiten, die eher großmotorisch, aus der Schulter gesteuert durchgeführt werden, werden heutzutage inzwischen nicht mehr als sehr aussagekräftig für eine Händigkeitsbestimmung angesehen. Dazu gehören z.B. das Werfen und das Tennisspielen. Auch Tätigkeiten, die Kraft erfordern, sind nicht so stark von der dominanten Hand abhängig; das betrifft z.B. den Handdruck, gemessen mit einem Dynamometer.
Die Hände repräsentieren unser Gehirn, wie man Kant nachsagt, es formuliert zu haben1, und die dominante Hand hat den direkteren Zugang zu dem, was wir mit Begriffen wie Seele und Geist definieren. Auch für das sensitive Fühlen, das Erspüren z.B. einer Oberflächenstruktur, das Berühren eines anderen Menschen, benutzen wir bevorzugt die dominante Hand. Linkshändige Kinder benutzen auch zum Begrüßen weit lieber ihre linke Hand. Letzteres ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht nur die feinmotorisch anspruchsvollen Tätigkeiten sind, die aussagekräftig für die dominante Hand sind2.
Allerdings können Beeinträchtigungen in der Feinmotorik, in der Koordination und letztendlich auch in der Sensomotorik Einfluss auf den bevorzugten Handgebrauch haben und die eigentliche Händigkeit irritieren.
Andere störende Einflüsse bei der freien Entfaltung der Händigkeit sind Erziehung und Umweltgegebenheiten, wie die Schulung auf die rechte Hand zum Schreiben und technische Vorgaben, wie ergonomisch geformte Computermäuse, die der dominanten Hand nicht entsprechen.
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
In den Geschichtsquellen gibt es wenige Aussagen zur Händigkeit. Meist wird Rechtshändigkeit als Normalität vorausgesetzt und es werden Vorbehalte gegenüber der Linkshändigkeit formuliert. Diese sind eng mit der Bedeutung der linken und rechten Seite in der jeweiligen Kultur verbunden.
Bei den meisten Völkern finden wir eine Bevorzugung der rechten Seite. So kam schon bei den Griechen, zur Zeit von Platon und Aristoteles, der linken Seite eine Unheil bringende Bedeutung zu; die rechte hingegen war die Glück bringende. Das ging so weit, dass die Griechen damals kein Wort für links kannten, sondern die linke Seite beschönigend als die Beste bezeichneten, wohl um die Götter nicht zu reizen. Die Römer, bei denen die Bedeutung zunächst umgekehrt war und die linke Seite Glück verhieß, haben sich später den Griechen angeglichen. Auch die christliche Liturgie, die vom Alten Testament her keine solchen drastischen Vorbehalte kannte, passte sich an. Im Christentum war es der von der griechischen Weltanschauung beeinflusste sogenannte Manichäismus, der die christlichen Bevorzugungen für rechts prägte. Diese bewertende, dualistische Religion setzte ihren Einfluss auf das Christentum und den Islam unterschwellig durch. In dem geosteten christlichen Kirchengebäude wurden daher der linken Seite, dem Norden, das gegenwärtige, aktive Leben, das Böse und der Teufel zugewiesen. Auch die Frauen, als die „Irdischen“ bezeichnet, mussten auf der linken Nordseite Platz nehmen. Hingegen saßen die Männer, die „Geisterfüllten“, im Süden auf der rechten Seite mit Blick nach Jerusalem. Diese Seite wurde mit dem ewigen Leben, dem Heiligen Geist gleichgesetzt.
Diese Aufteilung ist für viele europäische Gegenden historisch verbürgt und ist auch noch im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts in manchen deutschen Kirchen zu finden. Diese Seitenaufteilung setzte sich auch in der christlichen Kunst, z.B. bei der Platzzuweisung von guten oder schlechten Personen und für Paradies und Hölle in Kreuzigungs- und Weltgerichtsdarstellungen durch. Die zugrunde liegende, oft negative und abwertende Bedeutung der linken Seite wirkte sich auch auf den Aberglauben und den Sprachgebrauch aus und diese wieder auf die Linkshändigkeit generell. So wird der Teufel manchmal linkshändig dargestellt. Linkshändige Kinder wurden und werden sogar heute noch manchmal als Teufelskinder bezeichnet oder – je nach Region in Deutschland – als Linksdotsch oder Linkspot.
Es gibt in den Geschichtsquellen sehr wenige direkte Nachweise zur Linkshändigkeit. Ein besonders berühmter Linkshänder war Leonardo da Vinci, von dem Zeitgenossen berichten, dass er mit der Linken malte und zeichnete. Doch auch Leonardo übertrug seine eigene Linkshändigkeit nur vereinzelt auf seine Figuren. Generell kommen in der abendländischen Kunst sehr selten Abbildungen von links durchgeführten Tätigkeiten vor. So sind Gemälde und Zeichnungen kaum Quellen für die tatsächliche Händigkeit in der Bevölkerung. Erst Fotoaufnahmen, die z.B. Vertragsunterzeichnungen oder Ähnliches festhielten, gaben objektivere Rechenschaft über den tatsächlichen Handgebrauch der dargestellten Personen.
Gegenstände, die auch für die linke Hand gefertigt wurden, lassen sich im ersten Jahrtausend nach Christus bisher sehr selten nachweisen. Zeugnis für diese wenigen Gegenstände für Linkshänder geben Linkshändergewehre, die den Abzug auf der linken Seite hatten, oder Flöteninstrumente und Schalmeien im 15. und 16. Jahrhundert, die mit zwei Löchern sowohl für den linken als auch für den rechten kleinen Finger gefertigt wurden.
Trotz allem kann man davon ausgehen, dass Linkshänder oft ihre andere Händigkeit in ihrem privaten Bereich und in der noch nicht durch die Industrialisierung genormten Berufswelt praktiziert haben. Sehr tief hat sich die Abwertung der linken Hand in Gegenden und Kulturen durchgesetzt, in denen die linke Hand als die unreine Hand gilt und für die Körperreinigung auf der Toilette benutzt wird. In Bevölkerungen, die mit den Händen gemeinsam aus einer Schüssel essen, hat das auch erhebliche hygienische Hintergründe.
Erst die Industrialisierung mit genormten Maschinen, das Exerzieren bei Paraden, bei denen das Gesamtbild nicht durch einen anderen Handgebrauch gestört werden durfte, und die allgemeine Schulpflicht verursachten, dass Linkshändigkeit wahrgenommen wurde. So passten und passen sich viele Betroffene durch Umschulung an die Norm an. Viele drastische Schilderungen bezeugen, dass die Umschulung zum Schreiben mit der rechten Hand bis in die 80er-, 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts eine übliche pädagogische Maßnahme in Deutschland war. Schläge auf die Hand, das Festbinden auf dem Rücken oder sogar das Eingipsen der Hand waren die brutalsten Maßnahmen. Subtiler waren Überredung, Versprechungen von Belohnung und die Äußerung des bloßen Wunsches, die sensible Kinder veranlassten, den Eltern zuliebe aus eigener Entscheidung umzuschulen.
Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte eine in London gegründete „Gesellschaft für die Erziehung zur Ambidextrie“ Beidhändigkeit als etwas Erstrebenswertes darzustellen. Jedoch wurden Schulversuche mit beidhändigem Schreiben und Schreiben mit der nicht dominanten Hand für rechtshändige Kinder in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts wieder aufgegeben, als die Kinder unter verstärkten Schulproblemen litten (Sovak, 1968). Während des Nationalsozialismus wurde jegliche begonnene Liberalisierung im Umgang mit der Linkshändigkeit unterdrückt. Erst Jahre später kam es wieder zu einem langsamen Tolerieren der linken Hand; das war einerseits ein Nebeneffekt der antiautoritären Erziehung und andererseits ein langsamer Paradigmenwechsel in der Händigkeitserziehung. Als Reaktion auf ein Forschungsprojekt über die Folgen der Umschulung der Händigkeit entstand Anfang bis Mitte der 80er-Jahre ein öffentliches Interesse. Dieses führte dann zu der Entstehung der ersten deutschen „Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder“ in München, zunächst gedacht als ein Projekt der Selbsthilfe von Betroffenen und als Möglichkeit, theoretisches Wissen in den betroffenen Bevölkerungsschichten umzusetzen.
In den nordeuropäischen Ländern und in den USA verlief die Liberalisierung beim Handgebrauch früher und kontinuierlicher. Ein Meilenstein ist die „Bittschrift der linken Hand“ (Sattler, 1995) des großen amerikanischen Staatsmanns Benjamin Franklin (1706-1790). Die Tatsache, dass, außer G.W. Bush dem Jüngeren, die letzten vier Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika umgeschulte oder nicht umgeschulte Linkshänder waren und mit Barack Obama wieder ein Linkshänder an der Macht ist, spricht für die Normalität der Linkshändigkeit in der amerikanischen Bevölkerung.
Modellverhalten und...