In diesem Kapitel soll zunächst der Begriff der Händigkeit kurz erläutert werden, bevor verschiedene Ursachen für dieses Phänomen folgen. Hierbei werden der Aufbau des Gehirns sowie genetische Ursachen zur Begründung dienen. Da die genauen Gründe bis heute nicht geklärt sind, kann dieser Themenbereich nur angedeutet werden. Außerdem wird gezeigt, wie hoch der Anteil an Linkshänderinnen in Deutschland schätzungsweise ist. Dabei soll vor allem auch auf die Probleme aufmerksam gemacht werden, die bei der statistischen Erfassung von Linkshändigkeit auftreten.
Händigkeit meint die Bevorzugung einer Hand für feinmotorische Anforderungen. Dabei geht es vor allem um „nicht durch Erziehung geprägte Tätigkeiten mit nur einer Hand“ (Wikimedia 2009b: 1), die gekennzeichnet sind durch Präzision, Anspruch, Geschick, Geschwindigkeit oder Kraft. in Anlehnung an die Umgangssprache wird davon ausgegangen, dass Linkshänderinnen für alle Tätigkeiten die linke Hand benutzen, zu welchen Rechtshänderinnen die rechte Hand nehmen (vgl. Zoche 2002: 133, Kramer 1970: 23). Die präferierte (linke) Hand wird durch die intensivere Nutzung zur stärkeren und übernimmt bei beidhändigen Anforderungen den schwierigeren Teil der Aufgabe. Händigkeit ist allerdings kein Kontinuum zwischen links und rechts: Die Neigung zu einer Seite ist zwar unterschiedlich stark ausgeprägt, aber ein Mensch ist entweder Links- oder eben Rechtshänderin (vgl. Sattler 1996a: 342).
ZOCHE unterstreicht allerdings, dass es sich bei Linkshändigkeit nicht nur um eine optisch erkennbare Erscheinung handelt, sondern um viel mehr (vgl. ebd. 2002: 30f.): Die Händigkeit eines Menschen als Teil der Seitigkeit (siehe unten) hat einen hohen Einfluss auf dessen Wahrnehmung, Begreifen und Persönlichkeit. Eine bloße Zuordnung nach der Schreibhand ist nicht ausreichend, da diese häufig durch Erziehung beeinflusst wird (siehe hierzu Kapitel 2.6). Die Seitenpräferenz findet sich bei Menschen auch bei anderen paarig angelegten Organen mit motorischer oder sensorischer Funktion, wie den Beinen, Augen oder Ohren (vgl. ipsits 2009: 12, Kramer 1970: 23, Laufs 1996: 82ff).
Bei der Beobachtung verschiedener Tierarten konnte bislang keine eindeutige ,Pfotigkeit’ festgestellt werden [2]. Die untersuchten Gruppen teilten sich in etwa gleich viele Rechts- und Linksbevorzuger sowie Tiere ohne besondere Präferenz. Auch bei den nächsten Verwandten des Menschen, sprich Primaten, konnte keine Vorliebe der Gliedmaßen diagnostiziert werden, obwohl eine hohe genetische Übereinstimmung bekannt ist. Demzufolge scheint der Mensch das einzige Säugetier zu sein, bei dem das Phänomen der einseitigen Bevorzugung auftritt. Welche biologischen Ursachen diese Erscheinung hat, soll im nächsten Abschnitt erklärt werden.
Als wahrscheinlichste Ursachen für die Bevorzugung der rechten oder linken Hand wird die sogenannte Lateralität der Großhirnhälften aufgeführt: Laut heutigem Stand der Hirnforschung wird davon ausgegangen, dass die Großhirnhälften jeweils auf bestimmte Funktionen spezialisiert sind. Somit kann sich der Mensch bedeutend vielseitiger an seine Umgebung und deren Anforderungen anpassen als andere Säugetiere dazu imstande sind. Die Benutzung der Hände spielt dabei eine besondere Bedeutung: Prinzipiell sind die Hände des Menschen nämlich extrem vielseitig aufgrund fehlender Spezifität. Zudem sind die Gebiete zur Wahrnehmungsverarbeitung der Hände im Gehirn unmittelbare Nachbargebiete zum Zentrum der Sprache und dem bewussten Handeln. Die schnelle Verbindung zwischen diesen Gebieten ermöglicht das Begreifen und Kontrollieren der Umwelt. Aufgrund der enormen Leistungen des menschlichen Gehirns wie beispielsweise der hochkomplexen Sprache ist die laterale Dominanz der Hemisphären entstanden. Das würde auch erklären, warum das Phänomen bei anderen Säugetieren nicht auftritt.
Dank Forschungsarbeiten von ROGER W. SPERRY und seinen Kollegen ist folgendes zum Thema funktionelle Spezialisierung der Großhirnhälften bekannt: Bei
„Rechtshändern ist [...] die linke Großhirnhälfte für gelernte, sequentielle, analytische und begriffliche Aufgaben spezialisiert [...], z.B. für die Sprache, das Lesen, Schreiben, erlernte Musikverständnis, die Ausübung von erlernten Aufgaben, das Greifen und Manipulieren. Die rechte Hemisphäre ist bei Rechtshändern für die vorbegriffliche, gestalterfassende, simultane, synthetische Wahrnehmung spezialisiert, z.B. für das Wiedererkennen von menschlichen Gesichtern, Musikakkorden und Vogelgezwitscher.“ (Olsson & Rett 1989: 21)
Außerdem wird von der sogenannten Kontralateralität ausgegangen, das heißt, die Seitigkeit (Lateralität) des Gehirns ist umgekehrt zur Händigkeit.
„Kurz: Die rechte Körperhälfte wird von dem linken Teil des Gehirns gesteuert und umgekehrt.“ (Zoche 2002: 37)
Weiterhin bedeutet es, dass jegliche Reize, die auf eine Körperseite einwirken, von der gegenüber liegenden Hemisphäre verarbeitet werden. Das Prinzip der Kontralateralität wird in der nachstehenden Abbildung 1 gezeigt:
Abbildung 1: Darstellung der Hemisphären und die Verbindung der Hände. Aus: ipsits (2009): 13 übernommen aus Scholtz, A. (1999): Links-rechts. Linkshänder in einer rechten Welt. Köln: König.
Für Rechtshänderinnen bedeutet das, sie nutzen verstärkt die linke Hirnhälfte, welche vor allem für das rationale und analytische Denken sowie strukturierte Handeln zuständig ist. Linkshänderinnen dagegen nutzen eher die rechte Hirnhälfte, welche für sinnliche Wahrnehmung und kreatives Denken verantwortlich ist. Häufig konnte auch bei Linkshänderinnen die Nutzung beider Hirnhälften festgestellt werden. Sie haben
„sehr schwach ausgeprägte Differenzen zwischen den Großhirnhälften (mit sehr schwach ausgeprägten funktionellen Spezialisierungen der lateralen Großhirnhemisphären).“ (Olsson & Rett 1989: 21)
Man kann also nicht mit Sicherheit resümieren, dass Linkshänderinnen demzufolge das sprachliche Zentrum in ihrer dominanten (rechten) Hirnhälfte haben. Bei ihnen treten wesentlich mehr Varianten auf als bei Rechtshänderinnen. LAUFS geht davon aus, dass bei etwa 80 Prozent der Menschen das Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte liegt (vgl. ebd. 1996: 111). Wobei an dieser Stelle betont werden muss, dass für die Bewältigung von jeglichen Umweltanforderungen immer die Nutzung beider Hirnhälften erforderlich ist und hier lediglich eine Spezialisierung für bestimmte Aufgaben auftritt. So nutzen beispielsweise die meisten Rechtshänderinnen die linke Hemisphäre für die Sprache, brauchen aber dennoch den Beitrag der rechten Hemisphäre in puncto Wahrnehmung. Der anatomische Aufbau der Hemisphären ist in etwa gleich und es besteht dauerhaft eine Verbindung zwischen den beiden Großhirnhälften durch den Balken, auch genannt corpus callosum. Er ist verantwortlich für den informationsaustausch zwischen den Hemisphären. SPERRY und MYERS konnten bei Tests mit dem sogenannten Split-Brain-Verfahren[3] außerdem feststellen, dass bei einer Durchtrennung des Balkens die Hirnhälften beginnen, voneinander unabhängig zu funktionieren (Pinel & Pauli 2007: 534 ff, Sattler 1996a: 28f.). Es scheint, als hätten die Patienten dann zwei funktionierende Gehirne.
Wie bereits oben erwähnt, zeigt sich die Seitigkeit eines Menschen nicht nur in der Bevorzugung der Hände, sondern auch bezüglich Füßen, Augen, Ohren und Zunge[4]. Man spricht in dem Fall von homogener Lateralität, wo Hand, Fuß und Auge der gleichen Körperseite bevorzugt werden (vgl. Kramer 1970: 23).
LANGE fasst die Thematik der Hemisphärendominanz sehr treffend zusammen:
„Die Überlegenheit einer Gehirnhemisphäre bezieht sich auf motorische Funktionen und ist Grundlage besonderer Begabungen und des Bewusstseins. Die Überlegenheit einer Gehirnhälfte bezieht sich nicht nur auf die Motorik eines Menschen, sondern ist Grundlage besonderer Begabungen, Orientierungen und des Bewusstseins eines Menschen“ (ebd. 2008: 9).
Auch ZOCHE geht davon aus, dass Links- und Rechtshänderinnen bestimmte charakteristische Eigenschaften aufgrund der Bevorzugung der kontralateralen Großhirnhälfte zugeschrieben werden können, die in der nachfolgenden Tabelle 1 gesammelt wurden:
Tabelle 1: Hemisphärenspezialisation aus: Zoche (2002): 44 in Anlehnung an Sattler (1996a): 38ff
Bei SATTLER findet sich noch eine genauere Aufzählung der typischen Merkmale von Rechts- und Linkshänderinnen, welche in der nachstehenden Tabelle 2 zusammengefasst sind:
Tabelle 2: Persönlichkeitsstruktur und typische Verhaltensweisen bei der jeweiligen motorischen Dominanz aus: Sattler (1996a): 38ff
Diese Gegenüberstellung schreibt Rechtshänderinnen eher abstraktes Verständnis für Sprache und Logik zu, während Linkshänderinnen vor allem emotionale...