2. Lösungsorientiertes Coaching im Überblick
2.1 Einleitung
Aufgrund welcher Merkmale eignet sich der lösungsorientierte Ansatz fürs Coaching?
- Er ist positiv und praktisch.
- Er ist zeiteffizient und kostengünstig.
- Er fokussiert klar umrissene, messbare Ergebnisse.
- Er ermuntert Cochees, sich den Prozess und die Ergebnisse selbst zuzuschreiben.
- Er ist einfach, ohne aber zu vereinfachen.
- Er bietet Hilfe zur Selbsthilfe.
- Er ist transparent und umfasst übertragbare Fähigkeiten.
Seine Beliebtheit als eine von Tausenden von Praktizierenden verwendete therapeutische Methode und seine flächendeckende Anwendung bei einem breiten Klientenspektrum in vielen verschiedenen Kontexten und Kulturen – all dies spricht als Empfehlung schon für sich.
Funktioniert der lösungsorientierte Ansatz? Dr. Alasdair MacDonald, Forschungsleiter der European Brief Therapy Association, zitiert 71 relevante Studien, die ein breites Klientenspektrum abdecken. In den meisten Fällen, jedoch nicht immer, betreffen sie eine Verwendung im therapeutischen Kontext. Einen Überblick über alle vorliegenden Studien finden Sie auf http://www.solutionsdoc.co.uk. In seiner Metaanalyse kommt McDonald (2007) zu dem Schluss, dass „lösungsorientierte Therapie im Vergleich zu anderen Psychotherapien mit Recht als gleichwertig betrachtet werden kann, die Behandlung jedoch weniger Zeit und Ressourcen benötigt“ (2007, S. 113). Green und Mitarbeiter (2006) untersuchten ein zehnwöchiges Lebenscoachingprogramm, in dem eine Kombination aus lösungsorientiertem und kognitivem Verhaltensansatz zum Tragen kam. Obwohl die Studie eindeutig ihre Grenzen hatte, deuteten die Ergebnisse an, dass das Programm die Zielstrebigkeit, das subjektive Wohlbefinden, die psychische Gesundheit und die Hoffnung der Teilnehmenden signifikant erhöhte.
Der lösungsorientierte Ansatz ist weniger theorielastig und vom Konzept und den Interventionen her eher minimalistisch, entsprechend dem Axiom des Gelehrten William of Occam, 14. Jahrhundert, dass zur Erklärung eines Phänomens so wenig Vermutungen wie möglich angestellt werden sollten. Mit anderen Worten: Man sollte zuerst immer nach der einfachsten Erklärung Ausschau halten. Im Sinne dieses Minimalismus „verbünden“ sich Coachs mit dem, was im Leben einer Person schon funktioniert, haben also nicht das Gefühl, ein leeres Blatt vor sich zu haben. Lösungsorientiertes Coaching ist daher ein von bestimmten Einstellungen und Werten geleiteter ethischer Prozess.
2.2 Grundeinstellung
Lösungsorientiertem Coaching liegt die Überzeugung zugrunde, dass sich Menschen eher verändern und ihre Ziele schneller erreichen, wenn sie sich ihre eigenen Ressourcen und Lösungen zunutze machen. So geht man davon aus, dass Coachees bereits ihre persönlichen Ressourcen zur Umsetzung von Lösungen nutzen, sich dessen jedoch vielleicht nicht bewusst sind. Die Aufgabe der Coachs besteht also darin, die Coachees dazu zu ermutigen, herauszufinden, was für sie richtig ist und was ihre Lösungen verstärkt, und danach zu fragen, wie sie ihr Lösungsrepertoire erweitern können. Außerdem geht man davon aus, dass Coachees zwar fähige Problemlöser sind, von ihrem Potenzial jedoch nur zu einem Bruchteil Gebrauch machen. So haben sie wahrscheinlich viele zuvor bereits erfolgreiche Lösungen vergessen. Oder sie verfügen über übertragbare Fähigkeiten, nutzen sie aber nicht, weil sie deren potenzielle Vorteile noch nicht erkannt haben. Im Bewusstsein von Annahmen, die leider die Tendenz haben, sich in selbsterfüllende Prophezeiungen zu verwandeln, wenden Coachs folgende Prinzipien an:
Sie arbeiten nicht mit dem Problem, sondern mit dem Menschen. Coachs arbeiten mit einzigartigen Menschen, von denen jeder seine Werte, Einstellungen, Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringt. Nicht nur lösungsorientierte, sondern auch anders ausgerichtete Coachs versuchen Wege zu finden, mit jedem und jeder Coachee zusammenzuarbeiten und deren Lernstil in die Arbeit mit einzubeziehen. Die Sitzungen werden hauptsächlich von Themen rund um die Kompetenz und die Potenziale der Coachees bestimmt. Deren Probleme, Schwächen und Defizite sind nebensächlich. (Tatsächlich ist es meist besser, „Schwäche“ als „Fähigkeitsdefizit“ zu betrachten, das sich gegebenenfalls verbessern lässt.)
Sie sind sich bewusst, dass Menschen viele Vorstellungen von ihrer Wunschzukunft haben. Trotz der völligen Unvorhersehbarkeit des Lebens und der eingeschränkten Bestimmbarkeit der Zukunft gehört es zur Natur des Menschen, sich eine Vorstellung von dem Erhofften zu machen, es vorauszusagen und darauf zuzuarbeiten. Oft jedoch sind die Erwartungen von Coachees in Bezug auf das, was sie wollen, recht vage. Vielleicht sind sie sich auch im Unklaren darüber, wie viel sie davon erreichen wollen oder wie viel sie zur Erlangung des Gewünschten zu investieren bereit sind.
Sie fokussieren nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Menschen sind natürlich immer auch ein Produkt ihrer Geschichte, welche ihnen Lektionen erteilt. Obwohl die Betonung des lösungsorientierten Coachings auf dem liegt, „was als Nächstes passiert“, lassen sich auch hier übertragbare Fähigkeiten und Lösungen aus bereits Geschehenem wieder abrufen. Außerdem kann das Nachdenken über die eigene Vergangenheit Dinge offenbaren, die man in der Gegenwart mit sich herumträgt und die entweder Teil der Lösung oder Teil des Problems sein können.
Sie vermeiden paralysierende Analysen. Es ist durchaus möglich, zu viel nachzudenken! Für manche ist das Analysieren eine Ausrede, um nichts zu unternehmen. Das sorgenvolle Suchen nach Erklärungen und Aufstellen von Theorien in Bezug auf eine aktuelle Angelegenheit als essenzielle Vorbedingung, um aktiv zu werden, ist oft ein Rezept für Trägheit. So sucht man vielleicht auch nach jemandem oder etwas, dem man die Schuld in die Schuhe schieben kann. Uneinigkeit über die Ursachen eines Problems kann zu selbstrechtfertigendem Verhalten führen und die Situation verschlimmern.
Sie bieten keine Antworten, sondern stellen Fragen. Indem lösungsorientierte Coachs ihre Coachees ermutigen, unmittelbar umsetzbare praktische Lösungen vorzuziehen, nehmen sie eine aus dem Hintergrund führende Rolle ein.
Sie untersuchen negative Selbstgespräche. Negative Selbstgespräche können demotivieren und das Erreichen von Zielen blockieren. Lösungsorientierte Coachs haben deshalb ein feines Ohr dafür und machen, falls nötig, darauf aufmerksam. Sie ermutigen die Coachees, dieses negative Selbstgespräch mit mehr realistischem (aber nicht positivem) Denken zu kontern.
Sie lauschen auf die Stärken und Ressourcen der Einzelnen und verstärken sie. Lösungsorientierte Coachs heben die Stärken und Ressourcen ihrer Klienten heraus und ermuntern diese, sie sich zu notieren, damit sie nicht vergessen, dass sie bereits Kernattribute besitzen. Dies hilft, Selbstwirksamkeit zu entwickeln.
Sie erinnern daran, das, was funktioniert, auch weiterhin zu tun. Im Allgemeinen ist es sinnvoller, auf dem, „was funktioniert“, aufzubauen, statt etwas komplett Neues und anderes zu tun (obwohl auch der Moment dafür irgendwann kommt). Ist man schon einmal erfolgreich mit einer Situation zurechtgekommen, kann man getrost darüber nachdenken, wie man dies geschafft hat, und sich dazu ermutigen lassen, es zu wiederholen. War es schwieriger als das im Moment Anstehende, ist die eigene Fähigkeit klar erwiesen.
Sie fordern dazu auf, Nicht-Funktionierendes sein zu lassen und stattdessen etwas anderes zu tun. Oft hängt man an den eigenen Lösungsmethoden, sogar wenn sie bewiesenermaßen versagt haben. Man tut immer wieder das Gleiche, in der Hoffnung, dass es eines Tages zum gewünschten Ergebnis führt und man am Ziel ankommt: der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung (Oscar Wilde). Dabei wird aber folgende Tatsache ignoriert: „Wenn man immer das tut, was man immer schon tut, dann bekommt man das, was man immer schon hat.“ Lässt man misslungene Lösungsversuche dagegen bleiben, hat man die Chance, nach einer Alternative zu suchen und diese auszuprobieren.
Umso viel wie möglich zu lernen, werden „Lösungen“ ausprobiert. Neue Lösungen sind sinnvoll, jedoch nur begrenzt von Wert, wenn sie schnell in Vergessenheit geraten. Mithilfe von Coaching kann man lernen, Dinge bewusst anders zu tun, und zwar auf eine Art, die wiederholbar ist.
Das, was nicht kaputt ist, wird nicht repariert, höchstens verbessert. Es gibt auch übereifrige Coachs, die skrupellos in die Privatsphäre ihrer Coachees eindringen, indem sie sie dazu auffordern, über Probleme zu sprechen, die nicht zum Anliegen gehören. Zwischen Coaching und Therapie müssen klare Grenzen gezogen werden, und man sollte im eigenen Zuständigkeitsbereich bleiben.
Doch auch das hilfreiche Prinzip, dass man das, was nicht kaputt ist, bestehen lassen sollte, hat seine Grenzen. Denn laufen die Dinge gut, könnte es an der Zeit sein, die Leistung zu verbessern, und zu schauen, was für einen dauerhaften Erfolg notwendig ist. Ruht man sich hingegen auf seinen Lorbeeren aus, wird man womöglich überholt und fällt zurück. So bleiben manche Menschen in ihrer Komfortzone, obwohl sie eigentlich zu sehr viel mehr fähig sind. Häufig liegt der Erfolg darin, die Aufmerksamkeit auf Einzelheiten zu richten und in allen Leistungsbereichen minimale Verbesserungen zu erzielen. Gesundes in Ruhe zu lassen schließt nicht das Bedürfnis aus, es instand zu halten, damit es nicht...