2. Die Familie von Bülow
Durch die Jahrhunderte
Auch wenn ihm Stern-Chef Henri Nannen einst vorwarf, durch Verwendung des Pseudonyms »Loriot« keine Schande über seine ehrwürdige Familie bringen zu wollen – geheim gehalten hat Vicco von Bülow seine Zugehörigkeit zu einer der bekanntesten deutschen Adelsfamilien nie. Warum auch? Bis auf wenige Ausnahmen hat sich unter diesem Namen eine höchst interessante Ahnengalerie versammelt. Es gab seit dem Zweiten Weltkrieg regelmäßige Familientreffen, bei denen auch Vicco von Bülow gelegentlicher Gast war. Aus seiner Familie traten zuletzt beispielsweise hervor der Politiker Andreas von Bülow als Bundesminister für Forschung und Technologie (1980 bis 1982) im Kabinett von Helmut Schmidt oder der 1972 geborene Johann von Bülow, der als Schauspieler in zahlreichen Fernsehproduktionen mitwirkte und mittlerweile ein »bekanntes Gesicht« ist. Sie sind bislang die letzten in einer mehr als illustren Reihe derer von Bülow.
Man schrieb das Jahr 1154, als die Familie Bülow erstmals urkundlich erwähnt wurde. Heinrich der Löwe gründete die Bistümer Ratzeburg, Lübeck und Schwerin, und da im Bistum Ratzeburg namentlich dem Bischof das Zehntrecht zustand, wurde auch eine Liste aller Güterbesitzer angelegt, die den Zehnten von ihren Bauern an den Bischof oder Landesherren abzuführen hatten. Die Gutsherren selbst erhielten ein Drittel des Zehnten.
In diesem Register nun findet sich der Eintrag: »In parocia Rene XXIV (B)ulovve Godofridus II …«, was heißt, dass es im Kirchsprengel Rehna, im Ort Bülow (Bulovve) 24 Höfe/Landstücke gab, wovon zwei dem Gottfried (Godofridus) gelehnt waren. Bülow ist heute ein Ortsteil von Königsfeld in Nordwestmecklenburg. Dieser Gottfried vom Orte Bülow war also wohl der erste Bekannte dieses wahrhaften historischen Adelsgeschlechts. Die Erwähnung ist als Beweis allerdings eher wacklig, da die Ortsnamen noch nicht mit den Namen der Familien verbunden wurden.
Die erste tatsächlich fass- und belegbare Erwähnung tauchte dann im Jahr 1229 auf. Wieder war es ein Gottfried von Bülow (in Anbetracht mehr als 70 vergangener Jahre handelte es sich eventuell um einen Sohn oder gar Enkel), der Mitzeuge bei der Gründung von vier Kapellen bei Parchim durch Fürst Johann von Mecklenburg war. »Godofridus von Bulowe« wurde dann auch sieben Jahre später erstmals als Ritter erwähnt. Um Ritter zu werden, musste man (wie heutzutage bei der Aufnahme in einen noblen Club) einiges auf die Beine stellen. Ein Ritter musste mehrere edle Ahnen und Lehnbesitz vorweisen, er musste jeden reisenden Ritter bei Tag und Nacht aufnehmen und bewirten und überdies einige Pferde besitzen, um dem Fürsten Waffendienste leisten zu können. Bis 1255 wurden Gottfried von Bülow und sein Bruder Johann in nicht weniger als 24 Urkunden erwähnt.
In Zusammenhang mit seinem Testament, in dem Gottfried seine Großzügigkeit bewies, indem er Äcker, Fischteiche und eine Mühle den Nonnen der Klosterkirche zu Rehna vermachte, tauchte 1255 auch erstmals das Familienwappen auf. Es besteht aus einem Schild, das mit 14 Kugeln (oder Münzen) bestückt ist. Wie die meisten Wappen mittelalterlicher Adelsgeschlechter entstand auch das derer von Bülow aus reinem Pragmatismus – es handelte sich um den Schildbeschlag des Ritters, und die Verzierung diente der Befestigung des leichten Holzes. Manche Ritter begnügten sich mit zu Mustern angeordneten Nägeln, andere nagelten sich Löwen oder Adler aufs Schild. Daraus, aus der klassischen Schildform mit Farbe und Muster, entwickelten sich die Wappen, die man noch heute kennt. Im Fall von Bülow also 14 Kugeln (in einer sich nach unten verjüngenden Anordnung) auf blauem Grund. Später kam ein Helm mit blau-goldenen Decken hinzu, und auf diesem Helm saß eine Golddrossel, auch Pirol genannt, die einen goldenen Ring im Schnabel trägt. Der Pirol heißt im Mecklenburgischen auch der »Vogel Bülow« – und französisch eben »Loriot«.
Verzweigungen
Die frühen Bülows hatten vor allem im Sinne, das Christentum zu verbreiten und gleichzeitig die Fürstenherrschaft fester zu begründen. Sie hatten somit eine enge Verbindung zur Kirche, damals ja ungleich mächtiger und einflussreicher in weltlichen Dingen als heute. Viele Familienmitglieder traten in den Dienst der Kirche ein. Bereits im Jahre 1292 tauchte ein weiterer Gottfried von Bülow auf, als Bischof von Schwerin. Auch seine drei Nachfolger in diesem so prominenten wie einflussreichen Amt waren allesamt Bülows: erst Ludolf (1331 bis 1339), dann Heinrich I. (1339 bis 1347) und schließlich Friedrich II. (1366 bis 1377).
Dabei scheute sich das bereits etablierte Adelsgeschlecht nicht vor Scharmützeln mit den Mächtigsten. Als Papst Urban V. statt Friedrich von Bülow einen seiner Günstlinge als Bischof installieren wollte, hielten die Bülows zusammen, brachten eine Menge Geld auf – denn seinerzeit wurden Bischofssitze gekauft – und schafften es tatsächlich, dem Papst das Nachsehen zu geben. Die beiden Grabplatten aus Messing, die zu Ehren der drei Bischöfe der Familie Bülow im Schweriner Dom aufgestellt sind, gelten heute als älteste bildliche Darstellung von Mitgliedern der Familie von Bülow.
Ab dem Jahr 1382 verteilte sich die Familie immer mehr über ganz Mecklenburg. Bis 1444 existierten schon acht verschiedene Linien oder Äste der Bülows. Ihre Stammsitze befanden sich anfangs in der Diözese Ratzeburg, von dort aber breiteten sie sich über ganz Mecklenburg und später sogar bis nach Dänemark und Schweden aus. Und: Die Bülows waren immer schon clevere Leute. Sie mehrten ihren Reichtum, indem sie etwa Geld an Kriege führende Fürsten in Mecklenburg oder an die Bischöfe von Schwerin verliehen. Denn die hatten wegen der enormen Kosten ihrer reichlichen Scharmützel und Kriege immer Bedarf. Im Lauf der Zeit wurden die Bülows so in die Lage versetzt, ihren Grundbesitz weiter zu vergrößern. In Mecklenburg und immer mehr auch in angrenzenden Gegenden.
Erst die Reformation brachte einen kleinen Knick ins erquickliche Ausbreiten und Prosperieren der von Bülows. Denn bis dato hatten sie mit den Katholischen gute Geschäfte gemacht, betrieben einige Vikareien und viele der ihrigen kamen in Klöstern unter. Nach Luthers Reformation aber mussten sie teilweise ihre Heimat verlassen und so dehnte sich die Familie im 16. und 17. Jahrhundert immer weiter aus: In ganz Nord- und Mitteldeutschland, in Holstein, Sachsen, Thüringen, West- und Ostpreußen, Schlesien, Lüneburg und Celle besaßen die von Bülows schließlich Land.
Aber sie blieben natürlich dennoch auch in Mecklenburg wohlhabend und einflussreich. Und schon im 17. und 18 Jahrhundert vergrößerte sich der Landbesitz wieder enorm. 1945, als die letzten von Bülows von der russischen Besatzungsmacht enteignet wurden, besaß die Familie dort noch immer 9228 Hektar. Insgesamt sieben Äste des Stammes von Bülow hatten seit Ritter Gottfried bis 1945 durchgehend Landbesitz in Mecklenburg. Heute erinnern noch Stiftungen von Epitaphen, Glocken oder Altären in insgesamt 73 Kirchen an die Zeit der von Bülows in Mecklenburg. Das Epitaph in der Kirche von Heiligenhagen konnte auch durch Unterstützung von Vicco von Bülow restauriert werden.37
Eine starke Familie – die berühmtesten von Bülows
Durch die Jahrhunderte traten bei den von Bülows einige prägnante Charakteristika und Merkmale immer wieder auf. Selbst das Nachschlagewerk Neue Deutsche Biographie in seinem Band 2 (Behaim bis Bürkel, 1955) kam nicht umhin, im Wesentlichen drei Berufsgruppen auszumachen: Staatsmänner, Generale und Schriftsteller. Wesenszüge von Staatsmännern und Generalen finden sich sicherlich auch in der Arbeitsweise (wie viele seiner Mitarbeiter bestätigen können) und natürlich im Humor des Nachkommen und (im weitesten Sinne) Schriftstellers Vicco von Bülow.
Als Staatsmann hervorgehoben wurden Gottfried Philipp von Bülow, der sich als Jurist einen Namen machte und von 1826 an vier Jahre dem Ministerium des Herzogtums Braunschweig vorstand. Alexander von Bülow (1829–1901) war Staatsminister in Mecklenburg und Otto von Bülow ein fähiger Diplomat, unter anderem agierte er als Vertreter des Auswärtigen Amts bei Reisen von Kaiser Wilhelm I.
Bernhard Ernst von Bülow wurde am 2. August 1815 im holsteinischen Ostseedörfchen Cismar geboren und nach einer stets aufstrebenden Karriere schließlich 1873 Staatssekretär des Auswärtigen Amts und dann 1876 preußischer Staatsminister ohne Geschäftsbereich. Es waren turbulente Zeiten. 1871 war Otto von Bismarck Reichskanzler des Deutschen Reiches geworden und Bernhard Ernst von Bülow war einer seiner engeren Vertrauten. So nahm er zusammen mit seinem prominenten Chef am Berliner Kongress teil, wo im Sommer 1878 nicht weniger als die Balkankrise beigelegt und Südosteuropa neu geordnet wurden.
In seiner Art und seinem Charakter schien er ein »typischer« von Bülow zu sein: »Bismarcks Vertrauen beschäftigte und belastete ihn mit einer Fülle von Aufgaben auch der inneren Politik. Bülows vermittelnde und ausgleichende Art in Verbindung mit seinem konservativen, streng höfischen Wesen machte ihn geeignet zum Gesandten des Kanzlers bei Wilhelm I., um dessen ›Ideen‹ zu erkunden und ihm Bismarcksche Ansichten beizubringen. Mehr diplomatischer Techniker als Staatsmann im höheren Sinne, war er doch von großer Einsicht und Klarheit. Keine Kämpfernatur, allem Extremen abgeneigt und (…) nie mit unabänderlichen Überzeugungen beschwert, vielmehr wandlungs- und anpassungsfähig.«38 Eine Fortsetzung der...