Einleitung
Eine kurze Anregung zur Benutzung dieses Buches:
1.) Fangen Sie einfach an, Yoga zu praktizieren. Das Übungskapitel ist so aufgebaut, dass Sie Schritt für Schritt durch Ihren ganzen Körper durchgeführt werden, dabei können Sie erkennen, wo Ihre persönlichen Knackpunkte liegen.
2.) Stellen Sie sich die Frage: Welche Reiterprobleme erschweren zum Beispiel den korrekten Einsatz von Hilfen?
Fehlt es Ihnen eventuell an Gleichgewicht? Im Yogaübungsteil dieses Buches finden Sie einige Übungen, die sich genau mit diesem Problem auseinander setzen. Setzen Sie Ihren Körper bewusst ein, ist das für Ihr Pferd eine Hilfe, wenn nicht, eine Behinderung.
So können Sie durchaus zu speziellen Problemen Ihr ganz individuelles Übungsprogramm zusammenstellen.
Aber: Es wäre sehr verkürzt, wenn Sie den Yoga nur nach Rezeptbuch anwenden.
Als Leitgedanken für die Balance zwischen Spannung und Lösung, zwischen Tun und Lassen möchten wir den Kernsatz einer uralten Yogaschrift an den Beginn stellen:
„Stira Sukham Asanam“ – fest, stabil (Stira) und leicht, angenehm (Sukha) ist eine Yogahaltung (Asana) (Patanjali Kap. II/46)
Dieses Gleichgewicht zwischen den vermeintlichen Gegensätzen ist hilfreich, um Harmonie in die Bewegung zu bringen; das gilt für den Menschen und auch für das Pferd.
„Gleichgewicht ist Stabilität in der Dynamik.“ (Zitat von: Dr. Christian Larsen, Begründer der Spiraldynamik, siehe auch Seite 16)
Die verschiedenen Übungsmethoden sind aufeinander abgestimmt und ergänzen sich gegenseitig, es ist ein wirklich ganzheitliches System, das auch ganzheitlich praktiziert werden sollte.
Ein Sowohl-als-auch ist hier sicher die goldene Mitte: Kombinieren Sie spezielle Übungen für Ihr spezielles Problem mit etwas ganz anderem, vergessen Sie auch die Entspannung, den Atem und die mentalen Aspekte nicht.
Grundüberlegungen
Gutes Reiten verlangt sowohl gymnastizierte und mental ausgeglichene Pferde als auch gymnastizierte und mental ausgeglichene Reiter.
Dieses Buch soll Beispiele für das Zusammenwirken von Yoga und Reiten aufzeigen und Lust machen auf die Möglichkeiten, die in dieser Arbeit stecken. Wir hoffen, dass Reiter (männliche und weibliche gleichermaßen)1 Anstöße bekommen, ihr Bewusstsein für Durchlässigkeit, Elastizität und Spannkraft des eigenen Körpers zu erhöhen – und Yogaübende neugierig werden, die direkten Reaktionen der Pferde auf ihr eigenes reiterliches Verhalten kennen zu lernen.
Und schließlich jene, die bisher weder Yoga noch Reiten praktiziert haben: Vielleicht entdecken sie hier einen Weg, mit sich, ihrem Körper, mit der Natur und Umwelt mehr in Übereinstimmung und Harmonie zu kommen.
Im Reitunterricht begegnet man oft dem Problem, dass viele Reiter Schwierigkeiten mit der Koordination ihrer Haltung und Bewegung haben. Fehlerhafte, schlechte Haltungsformen, die sich im Alltag entwickeln, werden auf dem Pferd deutlicher sichtbar und führen zwangsläufig zu Missverständnissen zwischen Mensch und Tier.
Fehlendes Körperbewusstsein, Balance- und Koordinationsmängel der Reitschüler verzögern oder verhindern sogar den Lernprozess. Zu viele Komponenten – korrekter Sitz, korrekte Einwirkung, Haltung und Bewegung des Pferdes, Ausführung der Bahnfiguren und -lektionen – überfordern die Reitschüler nicht nur geistig, sondern auch körperlich. Dies kann zu Verkrampfungen und Fehlhaltungen führen, die sich auf das Pferd auswirken.
Foto: Cordula Wimmer
Spaß im losgelassenen Galopp (Gereon Wimmer mit Andalusier Caruso).
Ein zentrales Anliegen für jeden Menschen ist der Erhalt der eigenen Gesundheit. Ein zentrales Anliegen für alle Reitenden sollte ebenso der Erhalt der Gesundheit ihrer Pferde sein.
Die Natur hat Pferde eigentlich nicht dazu geschaffen, als Reittiere zu dienen. Wenn wir trotzdem reiten wollen, sind wir dafür verantwortlich, dass unser Pferd die Möglichkeit hat, das zusätzliche Gewicht schadlos zu tragen.
Dies erreichen wir:
· erstens durch Gymnastizierung des Pferdes,
· zweitens durch Gymnastizierung unseres eigenen Körpers.
„Der Mensch auf dem Pferderücken erweist sich nur dann nicht als Problem, wenn er die Tragfähigkeit des Rückens so erhöht, dass sein Pferd diese vermehrte Last ohne Schaden aufnehmen kann. Vernachlässigt er diese Aufgabe, ist ein kranker Rücken unweigerliche Folge.“ 2
Brauchen Reiter ein ergänzendes Ausgleichstraining?
Für berufsmäßige und sportlich ambitionierte Reiter (im Sinne von Turniersport) stellt sich diese Frage eigentlich nicht:
Wie in jeder anderen Sportart auch besteht ein sinnvolles Training darin, die Sportler (in unserem Fall: Reiter und Pferde) sowohl körperlich als auch mental in einen Zustand des persönlichen Wohlbefindens zu bringen und diesen zu erhalten. Nur so ist effektive Leistung möglich.
„… (es) werden in allen Sportarten systematische Gymnastik- oder Koordinationsprogramme angeboten, die die Voraussetzungen für die Bewegungsabläufe der eigentlichen Sportart schaffen. Erst dann können Reitbewegungen fühlend vollzogen werden, weil ein bestens vorbereitetes Körpersystem Grundlage für den korrekten Sitz ist …“ 3
Yoga hat längst im Trainingsplan vieler Leistungssportler seinen festen Platz gefunden, sei es nun in der Form von Lockerungsübungen, Dehnungen, Kraftaufbau, Atemarbeit, Entspannung oder Meditation. Der große Vorteil dieser Methode liegt in der ganzheitlichen Sichtweise: Sowohl Körper als auch Geist sind einbezogen, es findet keine Trennung statt – und insbesondere die wechselseitige Beeinflussung findet Beachtung.
Aber auch für Freizeitreiter, die das Reiten als Ausgleich für ihren üblichen Alltagsstress betrachten, ist es sinnvoll, Yoga zu üben. Die aus dem Alltagsstress resultierenden Verspannungen können so schon vor dem Reiten verringert werden – die Pferde sind dafür dankbar. Dabei spielt nicht nur der entspannende Aspekt des Yoga eine Rolle, sondern vor allem auch die zunehmende Verbesserung des Körpergefühls und der Koordinationsfähigkeiten des Reiters.
Dadurch entwickelt und erweitert sich die Fähigkeit, auf das Pferd einzuwirken, mit ihm zu kommunizieren. Das heißt nichts anderes als:
besser reiten!
Die Unterscheidung Freizeit- und Sport- oder Berufsreiter hat übrigens nichts damit zu tun, mit welcher Ernsthaftigkeit Sie die Reiterei betreiben. Der Sportreiter, genauso wie der Berufsreiter, steckt jedoch in einem mehr oder weniger engen Zeitkorsett. Er muss eine bestimmte Leistung zeitgerecht auf den Punkt bringen.
Solchen das Reiten selbst betreffenden Druck hat der Freizeitreiter nicht, auch wenn er vielleicht aufgrund anderweitiger – zum Beispiel beruflicher – Anspannung wenig Zeit für das Reiten hat.
Deshalb werden diese beiden Gruppen unterschiedliche Anforderungen an ein Ausgleichstraining stellen.
Reitlehrer haben darüber hinaus ein noch breiteres Anliegen an ein das Reiten begleitendes beziehungsweise ergänzendes Trainingsprogramm:
„Der Reitlehrer muss zur Optimierung seiner ausbilderischen Tätigkeit versuchen,
1. seine Vorstellungen und Kenntnisse bezüglich Sitz und Hilfengebung im Zusammenhang mit den zu reitenden Übungen und Lektionen weiter zu verbessern und zu vertiefen,
2. die Bedeutung der Muskulatur für den Sitz des Reiters zu erkennen und gegebenenfalls durch Zusatzaufgaben funktionsgymnastischer Art Schwächen im Muskelsystem beziehungsweise der Koordination des Reiters abzubauen,
3. Fehler mit ihren Ursachen früher zu erkennen,
4. Sicherheit in der Beherrschung der Fachsprache zu erlangen, um noch präziser unterrichten und korrigieren zu können.“ 4
Leider ist die Praxis in der Ausbildung von Reitlehrern im Allgemeinen eine andere.
Zum Beispiel ist die Betrachtung der reiterlichen Einwirkung über den Sitz im Hinblick auf konkrete anatomische Zusammenhänge zu ungenau beziehungsweise wird dieser Aspekt derart abstrakt – meist nur theoretisch – vorgebracht, dass eine praktische Umsetzung nur laienhaft bleiben kann.
Für den Reitlehrer wäre es daher besonders wichtig, ganz praktisch – am „eigenen Leib“ – mit Ergänzungstraining Erfahrungen zu machen! Nur durch eigene Erfahrung ist er in der Lage, sich auch in die innere Situation seiner Reitschüler einzufühlen.
Das, was ein Reitlehrer sieht, muss er auch nachempfinden können. Er sollte den Stand seiner Schüler (Reiter und Pferd) nicht nur von ihrem äußeren Erscheinungsbild, sondern in der Gesamtheit erfassen.
„Die äußere Haltung ist immer an innere körperliche und psychische Vorgänge und Zustände gebunden.“ 5
Das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Psyche und Soma (Geist und Körper)...