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E-Book

Lucky Loser

Wie ich einmal versuchte, in die Tennis-Weltrangliste zu kommen

AutorFelix Hutt
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783843720687
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Felix Hutt zählte einmal zu den besten Junioren Deutschlands, doch für die große Tenniskarriere hat es nicht gereicht. Er begann zu arbeiten, heiratete, und verlor den Sport aus den Augen. Bis zu diesem einen Morgen, als er sein Idol Roger Federer im Fernsehen kämpfen und gewinnen sieht. Mit Ende 30 packt Hutt nochmal das Fieber: Er will sich seinen Jugendtraum erfüllen und seinen Namen einmal in der Weltrangliste lesen. Und so beginnt er eine Reise zu exotischen und weniger exotischen Orten, zu Tennisturnieren in Pakistan, Kambodscha, Israel, Uganda und Bayern ... Wird es ihm gelingen, den einen ATP-Punkt zu holen, der ihm einen Eintrag in der Liste der Besten beschert?

Felix Hutt, geboren 1979, spielt Tennis seit er sechs Jahre alt ist. Er trainierte unter einem slowakischen Trainer, dessen Motto lautete: »Man muss Schmerzen mit Schmerzen bekämpfen, um erfolgreich zu sein«. Er arbeitete als Redakteur beim STERN, erhielt 2017 den European Press Prize. Seit Sommer 2018 arbeitet er als Redakteur beim SPIEGEL.

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Leseprobe

First Serve (Prolog)


Am Sonntagnachmittag des 23. Juli 2017 spielte der Argentinier Leonardo Mayer auf dem Center Court am Hamburger Rothenbaum gegen den Berliner Rudolf Molleker. Es war die letzte Runde der Qualifikation. Mayer hatte das größte deutsche Tennisturnier vor drei Jahren gewonnen. Er musste durch die Qualifikation, weil er wegen Verletzungen in der Weltrangliste abgerutscht war. Für Molleker, 16 Jahre alt, war es der erste Auftritt bei einem großen Turnier. Mayer spielte schlecht. Molleker frech. Er hatte nichts zu verlieren und gewann mit 6:3 im dritten Satz. Die Zuschauer erhoben sich nach dem Matchball und klatschten, minutenlang.

Mayer hätte nach seiner Niederlage gedemütigt abreisen können, aber er beschloss, noch ein paar Tage in Hamburg zu trainieren. Er mochte den langsamen Sandplatz, schrieb sich als Lucky Loser ein. Sollte ein Spieler aus dem Hauptfeld absagen, käme er auf diesem Weg vielleicht doch zum Zug. Nach dem letzten Match der Qualifikation wurde eine Reihenfolge unter den Lucky Losern ausgelost. Der erste auf der Liste würde der erste Nachrücker sein, der achte hatte wenig Chancen.

Mayer stand oben auf der Lucky-Loser-Liste. Der Slowake Martin Kližan zog zurück. Mayer durfte im Hauptfeld antreten.

Leonardo Mayer steigerte sich von Runde zu Runde und gewann am Ende das Turnier. Eine Woche nach seiner Niederlage gegen Rudi Molleker erhielt er 500 Weltranglistenpunkte und 323 145 Euro Preisgeld. Mayer war der erste Lucky Loser, der ein Turnier der 500er-Kategorie gewann.

Ein Lucky Loser ist kein Verlierer. Ein Lucky Loser ist ein Tennisspieler, der eine zweite Chance bekommt. So wie Leonardo Mayer. Oder ich. Mayer nutzte seine zweite Chance für den Turniersieg in Hamburg. Aus meiner zweiten Chance entstand dieses Buch.

Ich heiße Felix Hutt, bin 1,88 Meter groß und wurde am 1. Februar 1979 im Kreiskrankenhaus Stuttgart-Bad Cannstatt geboren. Ich habe blaugrüne Augen, glaube an Horoskope und Pearl Jam, wiege nie, was ich sollte, weiß zu selten, was ich will, aber immer, wovon ich träume. Ich träumte seit meiner Jugend von einem ATP-Punkt. Mit einem ATP-Punkt war man in der Weltrangliste. Dafür musste man eine Runde im Hauptfeld eines Futures gewinnen. So werden die unterklassigen Weltranglistenturniere genannt. Ich wollte einmal meinen Namen in der Weltrangliste lesen.

Ich bin auf eine Reise gegangen, um mir diesen Traum zu erfüllen, und an ihrem Ende kam ich bei mir selbst an. Ich habe mein Tennisbag auf den Rücken gepackt, wie der Globetrotter seinen Rucksack, und bin los. Ich habe versucht, täglich zu trainieren, mich gesund zu ernähren, den Verlockungen zu widerstehen. Ich bin unter anderem nach Kambodscha, Pakistan und Uganda gereist, weil die Weltranglistenturniere in exotischen Ländern schwächer besetzt waren. »Buschpunkte« nannten die Profis die Punkte auf diesen Turnieren. Mir war egal, wie sie hießen, die ATP-Punkte dort zählten genauso viel wie die, die ich in Europa erringen konnte. Ich habe akzeptiert, dass ich von den Ländern auf meiner Reise wenig sehen würde, obwohl sie mich interessierten. Es ging mir nicht um Sightseeing oder kulturelle Bildung, sondern um Training und Turniere, Gewinnen und Verlieren. Ich habe versucht, Ablenkung und Anstrengung außerhalb des Platzes zu vermeiden, den Körper regenerieren zu lassen. Ich wollte für dieses Buch wie ein Tennisprofi leben.

Ich habe vor meiner Reise nicht lange die Pros und Contras abgewogen. Mir nicht überlegt, was vernünftig ist oder Schlimmes passieren konnte. Ich bin einfach meinem Gefühl gefolgt. Ich war in einem Alter, in dem ich der Coach vieler meiner Gegner hätte sein können. Ein Tennis-Senior. Zu alt, zu dick, zu desillusioniert, zu untrainiert, zu müde, zu pessimistisch. Ein bisschen wie Mickey Rourke in The Wrestler. Doch ich musste noch einmal in den Ring. Tennis hatte eine zu große Bedeutung für mich gehabt, um es einfach so ausklingen zu lassen. Ich wollte Frieden schließen mit diesem Sport, dieser Leidenschaft, diesem Leben. Mit den Niederlagen, die ich nicht vergessen konnte. Ich hätte es mir nicht verziehen, wenn ich es nicht gewagt hätte aufzubrechen. Es war nicht schlimm zu scheitern, aber es war schlimm, es nicht zu versuchen. So abgedroschen der Spruch auch klingen mochte, ich fand ihn zutreffend.

Vor der Reise waren die Bahnen meines Lebens vorgezeichnet. Wie bei vielen meiner Freunde. Glück hatte für uns häufig zu bedeuten: Festanstellung, Eigentumswohnung, Auto, gedecktes Konto, Frau, Kinder, Labrador, italienische Kaffeemaschine. Ich will nicht sagen, dass es die falschen Ziele waren, aber mich langweilte ihre Konformität, die dann doch selten zum Glück führte.

Meine Idee, aufzubrechen, um ein Mal im Leben in die Tennis-Weltrangliste zu kommen, hielt ich anfangs für die Vorhut einer Midlife-Crisis: die Verwirklichung einer Bucket List. Aus den gewohnten Bahnen ausbrechen. Eine Flucht vor dem Alltag mit seinen Verpflichtungen und Routinen. Wie banal, tausendfach gehört und gelesen. Aber es entwickelte sich dann alles anders. Ich lief vor nichts weg. Ich kam ständig an. Ich lernte mich besser kennen.

Die Erinnerungen haben sich auf meine Festplatte gebrannt. Sie sind nicht mehr zu löschen. Die Erfahrungen, Anekdoten und vor allem die Begegnungen haben für mich einen Wert, den kein Statussymbol erreichen kann. Einer meiner neuen Freunde spielt jetzt Davis Cup für Neuseeland. Ich werde ihn bald bei den Australian Open besuchen. Einer meiner Gegner wurde wegen Matchfixing, Spielmanipulation im Zusammenhang mit Sportwetten, zu 250 000 Dollar Strafe verurteilt und lebenslang gesperrt. Ihn werde ich nicht mehr sehen.

Ich habe nicht aufgegeben, als sich das Projekt gar nicht mehr lustig anfühlte. Ich habe vom Training, den Matches und den Gegnern viel für mein Leben gelernt. Ich bin geduldiger und toleranzfähiger geworden. Wenn man in Ugandas Hauptstadt Kampala versucht, ein Match zu gewinnen, während neben dem Platz ein Musikfestival stattfindet, dann stört es einen nicht mehr so sehr, wenn die Bahn Verspätung hat oder die Schlange an der Supermarktkasse sich nicht bewegen will.

Es gibt viele Erzählungen, die zwischen dem sportlichen Wettkampf und dem Leben Parallelen ziehen. Das Drama des Boxkampfes, die Einsamkeit des Torhüters, der Mut des Skispringers. Ich glaube, dass es keinen Sport gibt, der einem so viel fürs Leben mitgeben kann wie Tennis. Man muss seinen Gegner lesen können und sollte ihm wenig von sich selbst preisgeben. Man braucht Ausdauer, Beweglichkeit, Koordination, Konzentration, Schnellkraft, strategisches Denken und den Willen, über Stunden Selbstzweifel und äußere Widrigkeiten, wie die Beschaffenheit des Platzes oder das Wetter, zu überwinden. Im Tennis gibt es keinen glücklichen Zufall, keinen Lucky Punch und keinen Ausgleich in letzter Minute. Es gibt nur Sieg oder Niederlage. Egal wie hoch man führt, wenn man den letzten Punkt nicht macht, kann der Gegner jederzeit zurückkommen. Und: Wer ein Tennismatch gewinnen will, muss über einen langen Zeitraum viele Punkte gewinnen. Selten läuft es dabei so, wie man es geplant hat. Tennisspieler müssen eine hohe Frustrationstoleranz entwickeln, wenn sie erfolgreich sein wollen. Das eigene Unvermögen, der Netzroller des Gegners im falschen Moment, die Sonne, die beim Aufschlag den Ball verschluckt, der Typ am Zaun, der laut auf seinem Handy telefoniert – in jedem Match gibt es viele Gründe, die für eine Niederlage verantwortlich gemacht werden können. Aber wer sich leicht aus der Fassung bringen lässt, der wird verlieren.

Günter Bresnik, der Trainer von Österreichs Nummer eins, Dominic Thiem, sagte einmal: »Ich würde jedem Kind professionelles Tennistraining empfehlen, selbst wenn es keine Chance hat, jemals einen einzigen Dollar Preisgeld zu gewinnen. Es gibt keine bessere Lebensschule.« Ich bin kein Anhänger von Ratgebern und will niemanden belehren, aber ich bin überzeugt, dass von dem, was ich vom Tennissport für mein Leben gelernt habe, auch andere profitieren können. Deshalb habe ich im letzten Kapitel meine wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst (Kapitel 14, Seite 222).

Ich war sechs Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit einem viel zu großen Aluminium-Schläger versuchte, einen weißen Tennisball (ja, die gab es damals noch …) gegen das Garagentor meiner Großeltern zu schlagen. Als Boris Becker am 7. Juli 1985 mit 17 Jahren zum ersten Mal Wimbledon gewann, war das die Geburtsstunde meiner Leidenschaft. Wurde Tennis vor diesem Sonntag von Leuten gespielt, die Pastellfarben trugen und in Südfrankreich Urlaub machten, holte Beckers Triumph mich und viele meiner Freunde vom Fußball- auf den Tennisplatz. Auf einmal gab es nichts Cooleres, als nach Bällen in den roten Sand zu hechten und die Becker-Faust zu ballen. Seine Matches waren unsere Messen, er war unser Messias, und für seine großen Spiele verzieh ich ihm alles, was er nach seiner Karriere anstellte.

Heute bin ich vierzig Jahre alt und verbringe immer noch viel Zeit mit Tennis. Ich spiele, bewundere, betrachte, analysiere, lebe und vor allem lerne ich Tennis. Ich verdanke dem Sport viele Freundschaften. Viele meiner Freunde waren früher meine Gegner. Es verbindet, wenn man sich stundenlang bekriegt. So ehrlich lernt man sich nie wieder kennen. Auf dem Tennisplatz...

Blick ins Buch

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