PROLOG: STURZ IN DIE NACHT
Der Überlieferung nach ist der Teufel seit jeher ein umjubelter Förderer der Kunst. Ganz anders, als seine Persönlichkeit – zumal vage und manchmal auch widersprüchlich – in der Bibel dargestellt wird, erfreut sich Satan in der westlichen Kultur seit langem einer höchst bemerkenswerten Präsenz. Die kreative Fantasie der Künstler hat dafür gesorgt, dass Luzifer in all seinen Gestalten und Erscheinungsformen so intensiv im menschlichen Bewusstsein fortlebt.
Mephistopheles war die Muse von Komponisten wie Liszt und Paganini, deren Virtuosität Gerüchte über einen Pakt mit dem Teufel hervorrief. Die Opernhäuser dieses Planeten hallen bis heute von einem Repertoire höllischer Arien wider. Einer der ersten Auftritte des Teufels als musikalische Gestalt findet in den „Sequenzen“ der im Mittelalter lebenden Nonne und Mystikerin Hildegard von Bingen statt. In jüngerer Vergangenheit wurde diese Tradition von den Komponisten Krzysztof Penderecki und Maxwell Davies in deren satanischen Musikstücken fortgesetzt.
Dantes „Inferno“, Miltons „Das verlorene Paradies“ und Goethes „Faust“ zählen zu den Meisterwerken ihrer jeweiligen Nationalliteratur. Jedes für sich vermittelt eine unauslöschliche Vision des Satans, deren Einfluss sich über Jahrhunderte erstreckt. Der Fürst der Finsternis wurde in Baudelaires „Die Litanei des Satans“ – enthalten in „Die Blumen des Bösen“ – ebenso gepriesen wie in Giosuè Carduccis „Inno a Satana“ („Hymne an den Satan“); ihnen schlossen sich unzählige andere Barden an, die sich zu schwefeligen Versen hingezogen fühlten. Seit den mittelalterlichen Jedermann/Everyman-Belehrungsstücken stolziert der Teufel arrogant über die Bretter, die die Welt bedeuten, von Christopher Marlowes „Die tragische Historie vom Doktor Faustus“ bis zu George Bernard Shaws „Don Juan in der Hölle“ (dem dritten Akt seines Stücks „Mensch und Übermensch“).
Satan hatte nie etwas dagegen, großen Künstlern wie Dürer, Bosch und Goya Modell zu stehen. Später tauchte er in den dekadenten Gemälden vieler berühmter symbolistischer Maler auf. Die ersten teuflischen Skulpturen konnte man in den Kirchen des 12. Jahrhunderts sehen; lange Zeit danach formte der romantische Bildhauer Auguste Rodin seine weltlichen Satansgestalten aus Stein.
All diese dämonischen Erscheinungen der Kunstgeschichte sind gründlich dokumentiert und bezeugen die enorme Anziehungskraft, die der Teufel seit jeher auf den schöpferischen Drang vieler Künstler ausübt. In Anbetracht dessen ist es mehr als seltsam, dass sich bisher kaum jemand mit den eindrucksvollen Auftritten des Satans im Film – der „siebenten Kunst“ – befasst hat. Sieht man sich die ersten 120 Jahre Kinogeschichte etwas genauer an, dann ist es doch ganz offensichtlich, dass der Film von Anbeginn an die Domäne des Teufels war. Der Fürst der Finsternis hatte die Hauptrolle in einem der ersten narrativen Filme, dem französischen Streifen Das Haus des Teufels (Le Manoir du diable, 1896) von George Méliès, einem der bedeutendsten Pioniere der Filmgeschichte. Der deutsche Film Der Student von Prag (1913), der als erster in sich geschlossener abendfüllender Spielfilm gilt, erzählt die Geschichte eines faustischen Pakts mit dem Teufel – ein Thema, das in den kommenden Jahrzehnten immer wieder neu entdeckt und interpretiert werden sollte. Während der gesamten Entwicklung des Films als Kunstform und Unterhaltungsmedium im 20. und 21. Jahrhundert steht die Gestalt des Satans unbeirrbar im Mittelpunkt und spiegelt so den Wandel der Zeit und der kulturellen Strömungen wider.
Die vorliegende Untersuchung über das satanische Kino geht weit über die vorhersehbare Handvoll Filme hinaus, in denen Beelzebub in einem kaleidoskopischen Bilderreigen und mit interessanten Effekten beschworen wird. „Luzifers Leinwand“ sprengt alle Genregrenzen und dringt in oftmals noch unerforschtes Territorium vor. Aus dieser ersten Filmographie des gefallenen Engels wird ersichtlich, dass der satanische Archetyp keine Beschränkungen kennt. Sie werden hier alles von satanischen Musicals zum Mitwippen à la Damn Yankees (1958) bis hin zu Underground-Experimentalfilmen der Avantgardeszene wie Invocation of My Demon Brother (1969) finden. Satan wird im schlüpfrigen Hardcore-Porno The Devil in Miss Jones (1972) ebenso beschworen wie im familienfreundlichen Disney-Film Fantasia (1940). Es gibt Science-Fiction-Streifen, in denen der Teufel als Außerirdischer dargestellt wird, und Blaxploitation-Machwerke, in denen die Hölle im Getto nebenan angesiedelt ist. Im satanischen Western The Devil‘s Mistress (1966) reitet der Gottseibeiuns sogar über die Prärie. Cineastische Juwelen wie F. W. Murnaus Faust – eine deutsche Volkssage (1926) und Richard Burtons Doktor Faustus (Doctor Faustus, 1967) präsentieren uns charmante und eloquente Teufel, die auch in den Salons der klassischen Hochkultur nicht fehl am Platze wären. Doch trotz solch hochtrabender Ausflüge auf die Leinwand ist Satan kein Snob – er fühlt sich auch in ganz miesen Filmen für Auto- und Vorstadtkinos zu Hause. Aus diesem Grund habe ich meinen teuflischen Kino-Überblick so weit wie möglich gefasst, da uns selbst der billigste Exploitation-Reißer so viel über unseren undurchsichtigen Unhold verrät wie die kultiviertesten filmischen Abhandlungen zum Thema.
Zeichnet man die Entwicklung des satanischen Archetyps im Film nach, dann stellt man bald fest, dass es keine andere Figur gibt, die so völlig unterschiedliche Auslegungen inspiriert hat: charmanter Gauner mit tadellosen Umgangsformen; geiferndes, fast tierisch anmutendes Ungeheuer; unschuldig wirkendes Kind; verführerische Frau; unsichtbare metaphysische Kraft – dies sind nur ein paar der widersprüchlichen Darstellungen des Teufels, die im satanischen Kino zu sehen sind. So viele Filmemacher aus allen Kulturen und KinoJahrzehnten haben sich dieser launenhaften Gestalt gewidmet, dass man bei der Recherche auf eine völlig unvorhersehbare Abfolge wechselnder Darstellungen stößt. Als Figur ist Luzifer so mysteriös, dass der Fantasie der Kreativen keine Grenzen gesetzt sind und äußerst individuelle Interpretationen ans Tageslicht kommen. Komischerweise stellten Regisseure und Drehbuchautoren den Teufel eher selten in der banalen Form des mistgabelschwingenden Oberbösen mit den gespaltenen Hufen dar. Auf Luzifers Leinwand fanden sich immer auch subversive Verkörperungen des Teufels als dunkler Antiheld, die mit dem überlieferten christlichen Satansklischee vom eindimensionalen Buhmann nicht mehr viel zu tun hatten.
Diese so unterschiedlichen filmischen Darstellungen der Galionsfigur des absolut Bösen zeigen sehr gut, wie schnell im 20. Jahrhundert das gesellschaftliche Pendel hin und her schlug zwischen transgressiven Impulsen und sicherem Konservatismus. Das satanische Kino hält uns einen Spiegel vor – und der Teufel spielt darin oft die Rolle des kosmischen Übels, das zur Entstehungszeit des jeweiligen Films im kollektiven Bewusstsein sein Unwesen trieb. Satan wurde auf der Leinwand als Verbündeter so unterschiedlicher Volks- und Weltfeinde wie Saddam Hussein, der Hippie-Gegenkultur der 1960er Jahre, der Nazis, des juristischen Berufsstands, der Heavy-Metal-Musikszene, Kaiser Wilhelms II. und des Präsidenten der Vereinigten Staaten porträtiert.
Jenseits all dieser rein zeitbezogenen Ängste hat das satanische Kino Luzifer jedoch am häufigsten mit der berauschenden und subversiven Macht des Eros in Verbindung gebracht. Zahlreiche Filme zeigen den Satan als dunklen Herrscher über den ewigen Ritus der Sexualität, wo er am effektivsten in Gestalt seines wichtigsten Vertreters auf Erden wirkt: der Weiblichkeit. Schon Tertullian schrieb „Foemina janua diabuli“ („Die Frau ist das Einfallstor des Teufels“) – und dieser schicksalhafte Spruch wurde dem Publikum in hunderten diabolischen Filmen eingetrichtert. Je nach dem gesellschaftlichen Umfeld der Entstehungszeit wurden satanische Sexualität und weibliche Erotik entweder zelebriert (Hexen [Häxan, 1922]), exploitativ dargestellt (Die Blutorgie der Satanstöchter bzw. In den Krallen der Satanstöchter [Blood-Orgy of the She-Devils, 1972]) oder mit dem Tode bestraft (Der Exorzist [The Exorcist, 1973]) – manchmal sogar alles in ein und demselben Film. Das dämonische Andere ist manchmal nur die andere Frau, die verliebte Herzen dazu bringt, gegen ihre heiligen Ehegelübde zu verstoßen. Filme, die im gleichzeitig lüsternen und puritanischen Hollywood produziert wurden, haben eindeutig eine Tendenz zur Frauenfeindlichkeit, indem sie das Weibliche gern als willigen Komplizen des Satans darstellen. In solchen Streifen hallen deutlich die Worte der päpstlichen Inquisitoren Heinrich Kramer und Jakob Sprenger wider, die den „Hexenhammer“ alias „Malleus Maleficarum“ verfassten und darin schrieben: „Eine Hexerei kommt von...