Jede Zeit hat ihre ganz speziellen Herausforderungen. So auch die moderne mediale Welt. Körperliche Anforderungen treten mehr und mehr in den Hintergrund. Geistige Fähigkeiten gewinnen dagegen immer mehr an Bedeutung. Längst sind sie zu den wichtigsten Ressourcen auf den Arbeitsmärkten geworden. Erfolgreich sein und sich dabei wohlfühlen, das setzt geistige Vitalität voraus. Wer mental gesund und leistungsfähig ist, erlebt Lebensqualität. Es verwundert daher nicht, dass immer mehr Menschen vor geistigem Verfall und den damit verbundenen Folgen Angst haben. Dabei muss das gar nicht sein.
Ausgestattet mit dem wohl spannendsten, aufregendsten und leistungsfähigsten Organ, das die Natur je hervorgebracht hat, dem Gehirn, ist der Mensch bestens gerüstet für die vielfältigen Chancen, Anregungen und Herausforderungen der heutigen Welt. Nehmen wir uns ein wenig Zeit, uns mit diesem ganz besonderen Organ vertraut zu machen. Je mehr wir darüber wissen, wie unser Gehirn arbeitet, desto besser gelingt es uns, seine Potenziale zu entfalten.
Ein Vergleich mit der Nutzung eines Computers verdeutlicht das. Das gesamte Spektrum der Möglichkeiten eines Computers bleibt uns verschlossen, wenn wir uns nicht mit seinen vielfältigen Funktionen vertraut machen. Wir können den Computer dann lediglich als bessere Schreibmaschine nutzen. Kennen wir aber die Nutzungsmöglichkeiten, die er uns bietet, so können wir ihn unseren Erfordernissen und Wünschen entsprechend als echte Arbeitsunterstützung, komplexes Unterhaltungsmedium oder Wissenslieferant einsetzen. Die Entscheidung liegt bei uns selbst.
Nehmen wir ein weiteres Beispiel. Stellen Sie sich vor, Sie planen eine Reise in eine attraktive Stadt, die Sie noch nicht kennen. Sie können völlig unvorbereitet dort hinfahren und vor Ort ziel- und planlos herumlaufen. Sie erfreuen sich dabei an dem einen oder anderen Sehenswerten und können die Atmosphäre in der Stadt genießen. Das hat seinen Reiz und kann große Freude machen. Sie können sich aber auch vorab über kulturelle und geschichtliche Hintergründe, über interessante Angebote genau in der Reisezeit und über Möglichkeiten zur Teilnahme an Führungen oder kulturellen Veranstaltungen informieren. In diesem Fall erschließen Sie sich die Stadt weitaus intensiver. Außerdem haben Sie ganz nebenbei den Genuss der Vorfreude. Auch hier liegt die Entscheidung bei Ihnen selbst.
Ähnlich ist es mit unserem Gehirn. Wir können es im Sparbetrieb nutzen und auf vielfältige Erlebnis-, Erkenntnis- und Erfahrungswelten verzichten. Wir können uns aber auch entscheiden, uns die schier unerschöpflichen Potenziale größtmöglich zu erschließen. Es liegt ganz bei uns.
Natürlich haben wir alle eine individuell unterschiedliche genetische Basis, so wie wir auch unter unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind. Der eine hat viel Unterstützung bei der Entfaltung seiner Potenziale erfahren und der andere weniger. Wir können aber auch eigenverantwortlich Einfluss auf unsere geistigen Ressourcen nehmen. Unsere Möglichkeiten sind immer ein Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung, persönlicher Prägung und aus dem, was und wie viel wir selber tun können und wollen.
Schauen wir uns ein paar beeindruckende Fakten über das Gehirn an. Wussten Sie, dass dieses insgesamt nur knapp 1,4 Kilogramm schwere Organ, das so platzsparend gefaltet und geschützt unter unserer Schädeldecke untergebracht ist, etwa 100 Milliarden Nervenzellen hat, sogenannte Neuronen? Sie alle sind unmittelbar mit der Weiterleitung und Verarbeitung von Informationen beschäftigt. Eine vielfach benutzte Analogie macht die Dimensionen in unserem Kopf vorstellbarer. Die Anzahl der Bäume im Amazonas-Regenwald wird auf eine ähnlich hohe Zahl beziffert. Der Amazonas-Wald erstreckt sich dabei über eine Fläche von rund 4 300 000 Quadratkilometern. Bezieht man das Gebiet rund um alle Nebenarme des Amazonas-Flusses mit ein, so hat er sogar knapp mehr als 7 000 000 Quadratkilometer Fläche. Die für höhere kognitive (geistige) Leistungen zuständige Großhirnrinde, das ist die stark gefurchte und gefaltete graue äußere Schicht des Gehirns, bedeckt dagegen, wenn wir sie auseinanderfalten könnten, lediglich den Platz von vier Blatt Schreibmaschinenpapier.1
Die 100 Milliarden Neuronen werden bei ihrer Arbeit von einer ebenso gigantisch großen Anzahl von Hilfszellen, den sogenannten Gliazellen, unterstützt. Zählt man auch diese Zellen dazu, so verfügt unser Gehirn insgesamt über etwa 1 Billion Nervenzellen, eine schier unvorstellbar große Anzahl.
Damit aber nicht genug. Die Gesamtlänge der von den 100 Milliarden Neuronen ausgehenden Nervenfasern beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer. Das entspricht 145 Erdumrundungen.2 Jedes Neuron kann mit Tausenden von anderen Neuronen in Kontakt treten, um Signale zu empfangen oder zu senden. Man geht davon aus, dass zum Teil weit mehr als 10 000 Zellen mit jedem Neuron Kontakt aufnehmen. Das Neuron selbst tritt wiederum mit Tausenden von anderen Neuronen in Verbindung. So entsteht ein gigantisches Kommunikationsnetzwerk mit etwa so vielen Verbindungen, wie es Blätter im Amazonas-Wald gibt. Auf einem Gehirnstückchen von der Größe eines Stecknadelkopfes könnten bis zu 1 Milliarde Verknüpfungen liegen. Insgesamt gibt es mindestens 100 Billionen (100.000.000.000.000!) Verbindungen zwischen den einzelnen Neuronen.3
Die Neuronen stehen miteinander in Verbindung, um Informationsreize oder Botschaften untereinander auszutauschen. Diese Signale werden mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Metern pro Sekunde, also etwa 360 Stundenkilometern weitergeleitet.4 Das erklärt die mühelose Schnelligkeit, mit der wir auf alle Reize unserer Umgebung reagieren können. Stolpern wir beispielsweise bei einem Waldlauf plötzlich über ein Stück Baumwurzel, so nehmen wir das quasi genau in dem Moment wahr, in dem es passiert. Wir sind blitzschnell in der Lage, unsere Körperhaltung zu korrigieren, wieder Gleichgewicht zu erlangen und hoffentlich einen Sturz zu vermeiden. Das kann uns nur gelingen, weil die Reizweiterleitung zwischen Fuß und Gehirn in Bruchteilen einer Sekunde geleistet wird.
Bedenken wir, dass wir ohne unser Gehirn nicht riechen, schmecken, hören, sehen, fühlen, sprechen, atmen oder uns bewegen und räumlich orientieren könnten. Ohne unser Gehirn würden unsere inneren Organe nicht ihre lebenswichtige Arbeit tun. Wir könnten weder Freude noch Schmerz empfinden. Erfahrungen und Gefühle könnten uns nicht leiten und unser tägliches Verhalten sinnvoll steuern. Neue Aufgaben und Probleme können wir nur dank unseres Gehirns komplex durchdenken und Lösungen dafür finden. Ohne dieses wundervolle Organ wäre die Menschheit heute nicht das, was sie ist, eine hoch entwickelte Spezies.
Wie funktioniert die Aufnahme und Weiterleitung von Informationen zwischen den Neuronen konkret? – Chemische und elektrische Impulse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Sie bewirken ein Wechselspiel zwischen Erregung (Aktivierung) und Hemmung (Deaktivierung), ähnlich dem Wechselspiel zwischen Beschleunigen und Abbremsen beim Autofahren. Basiszustand aller Nervenzellen ist der Ruhezustand. Die Zelle sendet kein Signal aus. Unser Auto, das wir gerade nicht benutzen und auf dem Parkplatz abgestellt haben, ist ein guter Vergleich. Der Ruhezustand der Zelle ändert sich schlagartig, wenn Informationen weitergeleitet werden sollen. Im Gehirn werden elektrische Impulse im sendenden Neuron aufgebaut. Man spricht von dem sogenannten Aktionspotenzial. Die entstehende elektrische Spannung entspricht der einer 9-Volt-Batterie. Das Axon, eine direkt vom Zellkörper abgehende Nervenfaser, welches Signale vom Zellkörper zu anderen Nervenzellen weiterleitet, ist jetzt aktiviert. Als Vergleich stellen wir uns vor, dass wir uns entschließen, mit unserem Auto loszufahren. Wir starten den Motor und geben Gas, um anfahren und den Parkplatz verlassen zu können. Ist der Transport über das Axon gestartet, schaltet der Zellkörper umgehend wieder in den Ruhezustand. Andernfalls wäre er blockiert für die Aufnahme neuer Signale.
Das über das Axon transportierte Signal muss nun seinen Bestimmungsort, das empfangende Neuron, erreichen. Jetzt kommen die Dendriten (griechisch dendrites: zum Baum gehörend) des empfangenden Neurons ins Spiel. Das sind baumartig verzweigte Nervenfasern, die Signale von anderen Nervenzellen aufnehmen können. Sie sind kürzer als die Axone. Das Axon, das eine Information übermitteln will, nimmt an seinem Ende mit den Dendriten der Zielzelle Kontakt auf. Das ist aber nicht einfach. Die jeweiligen Enden von Axon und Dendrit sind durch einen sogenannten synaptischen Spalt voneinander getrennt. Die Enden beider Zellen (Dendrit und Axon) bilden zusammen mit diesem Spalt die Synapse, über die alle Informationen übertragen werden. Wie kann aber das transportierte Signal seinen Bestimmungsort erreichen, wenn dazwischen ein Spalt, das heißt eine Unterbrechung liegt, die von den elektrischen Impulsen nicht einfach übersprungen werden kann?
Die Natur hat für dieses Problem eine intelligente Lösung gefunden. Zur Veranschaulichung stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sind als Bote für die schnelle Zustellung von Briefen zuständig und haben einen eiligen Auftrag zu erledigen. Sie fahren mit Ihrem Auto auf kürzestem Weg in Richtung Empfängeradresse und kommen an einen Fluss. Auf der anderen Seite des Flusses wartet der Empfänger auf Ihre Nachricht. Ohne ein geeignetes Hilfsmittel wären Sie nicht in der Lage, die Information zum Empfänger zu bringen, da Ihr Auto den Fluss nicht einfach durchfahren...