Dann geht der Vorhang erst richtig auf
Ein Buch über den Himmel schreiben würde ich nicht, schließlich bin ich keine Theologin. Erzählen kann ich aber schon, wenn mich jemand anstiftet, nachfragt, mit mir auf die Suche geht. Das geschieht aber so gut wie nie, auch Theologen tun das nicht – leider. Also habe ich selbst immer mal wieder Pfarrer gefragt, welche Vorstellung sie vom Jenseits haben. Sie schweigen, weichen aus, sind überfordert, kommen mit irgendwelchen Formeln und abgeklärten Sätzen. Aber bei Ihnen ist das nun ganz anders, endlich einmal ein Theologe, mit dem ich über den Himmel reden kann. Vielleicht weil Sie Fantasie haben? Ich kenne ja Ihre Erzählungen Sein wie die Träumenden, diese Geschichten vom Aufstehen und Auferstehen. Eine wunderbare Traumeinladung für mich mit vielen Glücksmomenten! Auch eine Traumerlaubnis, weil in der Bibel das ja offenbar auch geschieht, dass man sich auf ernste und doch auch spielerische Weise Gedanken vom Jenseits macht.
Sie meinen, auch wenn ich kein Buch vom Himmel geschrieben habe, taucht es doch in meinen Romanen und Erzählungen immer wieder auf? Das kann schon sein, liegt aber oft Jahre zurück, das weiß ich nicht mehr so genau. Lesen Sie es mir doch vor.
Ist das nicht eine Vorhölle und eine Trübseligkeit ohne gleichen? Was für klägliche Bindungen an die Erde, wenn es keinen Himmel mehr gibt. Es wäre doch so unheimlich viel erlösender, wenn nicht derart verzweifelt an einem so schauerlich verkleinerten Dasein gehangen werden müsste. Wieso liegt ihm so viel an der heutigen Qualität der Spargelstangen, die meine Mutter vom Markt mitgebracht hat, warum fragt er: Wann gibt’s Essen, wann besucht ihr uns, ist die Post schon da gewesen? Wenn doch der Tod eine, ja die einzige Hoffnung wäre, das endgültige Ziel dieser letzten Gefühlskräfte, die ersehnte Stunde, nach der etwas überhaupt erst eintrifft, stattfindet, eingelöst wird, etwas Ewiges, ENDLICH ENDLICH – Trost-Aria, endlich das nahe Unendliche. Das zum ersten Mal Richtige, nach dem Tod, das, wofür die ganze lebenslange Zappelei sich gelohnt hat.
Aus dem Roman Schönes Gehege (1975)
Für mich ist es eine furchtbare Vorstellung, dass alles im Hier und Jetzt sein müsse. Das kann niemand erreichen. Wenn es schön ist, dann ist es vorübergehend, sehr vorübergehend. Der Augenblick ist das jeweils Entscheidende. Dann kommt der nächste Augenblick und schon ist es wieder vorbei. Dass es aber konstant schön, ideal und wunderbar ist, das kommt hinterher, nach dem Tod: »Dann geht der Vorhang erst richtig auf.« Das hat Karl Barth zu einem Studenten gesagt, der große Angst vor dem Tod hatte. Das ist die kreatürliche Angst eines jeden Lebewesens vor dem Tod oder besser vor dem Sterben. Denn den Tod würden die meisten Leute nicht fürchten, egal ob Atheisten oder fromm, aber das Sterben! Das ist auch wahr, das macht Angst.
Ein Pfarrer hat mich einmal belehrt. Ich habe nämlich »Dein Reich komme« aus dem Vaterunser immer auf das Himmelreich bezogen, er aber sagte: »Dein Reich komme« – das gilt hier und jetzt auf Erden. Das wird sich aber meiner Meinung nach nicht erfüllen. Es lässt sich nicht erfüllen, wenn man den Globus betrachtet, wozu wir heutzutage gezwungen sind. In der Goethe-Zeit konnten wir vielleicht noch denken: Es ist alles so weit in Ordnung auf dem Globus. Aber dass die Vollendung hier auf Erden stattfindet, kann ich nicht glauben. Und dann immer wieder dieses Beten für den Frieden, das kommt mir dermaßen kindisch vor! Das tut leider auch der Papst, der gescheite Mann. Aber es ist doch vollkommen aussichtslos, dass hier jemals Frieden sein würde. Nie! In unsern Herzen vielleicht, aber nicht wirklich zwischen Menschen. Das kann man schon in jeder zweiten Ehe beobachten, dass das nicht möglich ist. Auf dem Globus wimmelt es von Kriegsschauplätzen – immer. Wenn für Frieden gebetet wird, dann sind immer die größeren Angelegenheiten gemeint, aber nicht die kleinen Auseinandersetzungen, die genauso blutig und grauenvoll sind. Das halte ich für ein Ausweichmanöver, weil dann jeder denkt, er habe etwas Gutes getan. Hauptwunsch? Frieden! Ich glaube den Leuten auch nicht, wenn sie das sagen. Selbst die kleinen Kinderchen werden schon gefragt: Was wünschst du dir am meisten? Dann sagen sie brav: »Dass die Menschen Frieden haben untereinander.« Das Kind wünscht sich doch ein neues Fahrrad oder ein Mountainbike, aber nicht Frieden!
Das Reich Gottes hier erarbeiten zu wollen, halte ich für wahnsinnig naiv. Es missfällt mir gerade bei vielen evangelischen Pfarrern, dass sie über alles Mögliche reden, über Pädagogik, Soziales und Ökologisches, aber nicht über Gott, Himmel, Jesus. Warum diese Angst, wirklich ernst zu machen? Warum immer so drum herumreden? Da wird mit Metaphern ausgewichen vor den eigentlich doch wahren Begriffen und einfachen schönen Worten: Jesus muss mindestens als Mittelstürmer oder Torwart auf dem Fußballplatz stehen: Würden die Leute es denn nicht auch so begreifen, was der Pfarrer meint? Wovor hat er denn Angst? Vielleicht ist er selber überhaupt nicht gläubig genug oder will es nicht ganz sein wollen und können? Ich glaube, weil ich unbedingt nicht nicht glauben will. Als ungläubiger Mensch auf dieser Erde herumzutapsen, wäre mir so zuwider! Ich könnte es überhaupt keinen Tag aushalten.
Man merkt doch immer wieder, dass im Diesseits vieles nicht aufgeht. Immer fehlt etwas. Bei einigen unserer Mitmenschen fehlt viel bis alles. Dann finde ich die Frage furchtbar lästig, störend und kindisch: Wie konnte Gott das zulassen? Ich denke, er hat mit unserem ganzen Menschentreiben hier nichts zu tun, er hat uns diese Erde überlassen. Was wir damit anfangen, ist unsere Sache, ist unsere und nicht Gottes Verantwortung. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Ich will mir jedenfalls meinen Glauben nicht ruinieren lassen, auf gar keinen Fall.
Ein Kern, der auf Vollendung hofft
Man kann sich das alleinige Überleben der Seele nicht vorstellen, das ist etwas, was mir nicht liegt. Ich bin für die Auferstehung im Fleisch – ganz konkret. Ich glaube, es gibt schon so etwas wie einen Kern, eine Winzigkeit in mir, die auf Vollendung hofft. Im Tod löst sich also keine Seele schwebend von mir ab. Ich denke eher an etwas wie eine Nuss oder ein flatterndes Häutchen tief in mir. Aber dann denke ich mir wieder oft, auch beim sogenannten Gebet: Ich bin überfordert. Jetzt komme ich nicht weiter mit den Vorstellungen vom Himmel, wie es meinen Lieben geht und was sie zu Mittag gegessen haben. Es ist nämlich wirklich sehr alltäglich, mein Himmelreich. Dann fallen mir die vielen anderen ein, die auch gestorben sind, und die Überfüllung im Himmel. Und ich gebe auf und sage: Ich kann nicht weiter. Hier bin ich überfordert. Das überlasse ich erst einmal so dem Ungefähren.
Es gibt noch was in mir drin, auch sehr klein, eine harte winzige Nuss oder ein Kern, ich würde vermuten, es ist in der Herzgegend, obwohl es eigentlich in die Seele gehört, aber die ist doch zu bibberig für dieses Allerwichtigste, denn das ist das, was an mir das Göttliche ist. Es sehnt sich nach Vollendung. Nach seiner Todeszukunft der Vervollständigung. Seelenhäutchensegel und Liliputnuss.
Aus der Erzählung Schone meine Seele (2000)
Wenn wir einschlafen,
wacht Gott in uns auf
Es gibt eine Ahnung, Glücksmomente mitten im Alltag, himmlische Andeutungen. Aber das Telefonieren gehört nicht dazu, absolut nicht. Ich bin schon manchmal froh, wenn jemand anruft. Es darf sich aber nicht so sehr in die Länge ziehen wie bei Frauengesprächen, das macht mich ungeduldig. Ich bin überhaupt kein sehr geduldiger Mensch – leider. Ich selbst spreche gar nicht lang, ich höre zu. Meine Freundinnen erzählen mir, und das sehr ausgiebig.
Ich stöhne dann auch nicht vor mich hin, so schlimm ist es nicht. Nur manchmal. Mein Tag ist nämlich eingeteilt in bestimmte Arbeitszeiten, Lebenszeiten, Genusszeiten. Das ist ein bisschen starr, das sehe ich auch ein, es ist fast wie ein Korsett. Neulich wollte mich eine Freundin besuchen und hat es auch wahr gemacht. Sie wollte aber erst um halb sieben am Abend kommen. Und das ist nun eigentlich meine Vorbereitungszeit auf den Abendimbiss und nachfolgend die Fernsehnachrichten. Dabei habe ich wieder gemerkt, wie ich in dieses System völlig eingespannt bin, mich darin aber wohlfühle oder überhaupt nur irgendwie existieren kann, wenn es genau so ist. Wenn ich dagegen alles verlaufen lasse, fühle ich mich ganz und gar grässlich.
Ich freue mich auf bestimmte Zeiten innerhalb dieses Tagesablaufs. Eine Lieblingszeit ist um halb elf, wenn ich die zweite oder dritte Gauloise rauche und mit meinem Mann eine kleine Pause mache. Dann muss ich sehen, dass ich mich irgendwie auf die Arbeit konzentriere. Wenn das funktioniert, geht’s mir auch gut, dann fühle ich mich auch morgens wohl. Sonst sind Vormittage manchmal quälend lang, wenn ich faul bin und nicht arbeite. Hausarbeit ist entsetzlich! Ich könnte es jetzt auch körperlich nicht mehr. Dann kommt ein zweiter Glücksmoment: Ich freue mich auf die Mittagessenszeit, wo ich einen gewaltigen Hunger habe und mein Mann was Gutes kocht. Gestern hatten wir Cravatti mit Chili. Cravatti ist eine Nudelart – wunderbar! So bin ich für eine Weile gut untergebracht. Dann: Ich freue mich auf den Espresso, wieder mit der Gauloise. Neuerdings kommt der herrliche Mittagsschlaf dazu, eine sehr wichtige Zeit. Das...