»… den Vater«
Wenn Gott unser Vater ist, bleiben wir dann ein Leben lang unmündige, seinem Wohlwollen und Urteil ausgesetzte Kinder?
Vergessen wir nicht, dass der Titel »Vater« für Gott nur ein Bild ist, welches durch entsprechende Lebenserfahrungen zum Zerrbild entstellt worden sein kann, mütterliche Seiten übersehen mag und immer zu kurz greift.
Eine geglückte Eltern-Kind-Beziehung ist von Gegenseitigkeit geprägt; durch feinfühlige Fürsorge entsteht Urvertrauen und eine sichere Basis. Von da aus kann das heranwachsende Kind seine Welt Stück für Stück erkunden und sich zu eigen machen. Die elterliche Zuwendung zielt auf Selbstständigkeit.
»Kinder Gottes«, das Wort ist nicht von gestern, es gilt für heute und für morgen. Wir empfangen das Leben von ihm, wir brauchen es nicht selbst zu schaffen. In diesem Vertrauen nennen wir Gott unseren Vater. Aber damit ist nicht alles gesagt. Die Erde ist nicht Gottes Kindergarten. Hier ist nicht von Kindsköpfen die Rede, sondern von »Erben Gottes und Miterben Christi«.
Sicher gebundene Menschen sind in sich gefestigt. Sie sind in der Lage, von eigenen Dringlichkeiten abzusehen, wenn es erforderlich ist. Sie sind frei für die Übernahme von Verantwortung und für die Gestaltung verbindlicher Beziehungen.
Gottes Geist stärkt uns den Rücken zum aufrechten Gang, in der Kirche und in der Welt.
Söhne und Töchter Gottes
Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes. Ihr habt doch nicht einen Sklavengeist empfangen, dass ihr wieder Angst haben müsstet, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! Der Geist selbst bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes, Miterben Christi, so gewiss wir mitleiden, um auch mitverherrlicht zu werden. (Röm 8,14 –17)
Wes Geistes Kind sind wir? Wir sind Kinder unserer Zeit, sagen wir oft. Des Zeit-Geistes? Paulus denkt anders: »Der Geist selbst bezeugt unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind« (Röm 8,16). Kinder unserer Zeit – Kinder Gottes.
Kinder Gottes?
Wir sind doch schließlich keine Kinder mehr. Wir sind erwachsene Frauen und Männer. »Kinder Gottes« – sollen wir Kinder bleiben? Das ist unter scheinbar frommen Vorzeichen oft genug versucht worden. Denken Sie nur an die »Pfarrkinder«, an den »Abbé«, den »Pater«, den »Heiligen Vater«. Dieser Sprachgebrauch hat nicht selten kindliche, ja kindische Abhängigkeit religiös eingeübt und die Reifung im Glauben behindert.
Mein Vater war ein einfacher Bauer. Ich habe noch in den Ohren, dass er nicht selten nach dem Sonntagsgottesdienst ärgerlich sagte: »Der Pastor predigt, als wären wir Kinder.« Er sah sich mit seinen über 80 Jahren eines christlichen Lebens nicht ernst genommen.
Liegt das nur an bestimmten kirchlichen Strukturen oder Personen? Oder macht der Glaube selbst unmündig? Die Religionskritik der Neuzeit (Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud) sagt: Der Glaube verhindert, dass der Mensch zu sich selbst kommt; er macht ihn unmündig. »Das Ganze ist so offenkundig infantil, so wirklichkeitsfremd, dass es einer menschenfreundlichen Gesinnung schmerzlich wird zu denken, die große Mehrheit der Sterblichen werde sich niemals über diese Auffassung des Lebens erheben können« (Sigmund Freud). Im Ernst, kann man das noch sagen: »Kinder Gottes«? Was ist das für ein Geist, der uns »Abba, Vater« rufen lässt? Sind wir da von allen guten Geistern verlassen?
Erwachsen werden
Vor Jahren sprach man von der »vaterlosen Gesellschaft«. Wir haben unsere Erfahrungen damit. Wer meint, sich an allen Ecken und Enden gegen die Väter (und auch gegen die Mütter) auflehnen zu müssen und den Autoritätskonflikt auf Dauer stellt, verpasst schließlich die Chance, sich in Beziehungen und Bindungen einzuüben. Er wird immer infantil bleiben; wie diejenigen, die sich hinter übergroße Väter oder Mütter oder dergleichen Institutionen verstecken und nicht wagen, sich zu lösen und freizuschwimmen, nie erwachsen werden.
So oder so, der Verlust eines wirklichen Gegenübers hat ungeahnte Folgen. Das Beziehungsgefüge im Spannungsfeld von Distanz und Nähe gerät aus den Fugen. Wo Freiheit nur als Unabhängigkeit verstanden wird und jede Bindung suspekt ist, da geht schließlich nicht nur die Freiheit verloren. Menschen werden unfähig zur Verantwortung, zur Solidarität (»Entsolidarisierung«), zu verbindlicher Liebe. Die Anonymität wächst. Und schließlich werden Beziehungen zu Dingen (Computern) wichtiger als zu Menschen. Oder wird Narziss, der Göttersohn aus der griechischen Mythologie, zum Schlüsselbild unserer Gesellschaft? Zur Mittagszeit sitzt er am Brunnen und entdeckt sein eigenes Spiegelbild auf dem Wasser. Er verliebt sich darin – und verschmachtet!
Es ist die Aufgabe unseres Lebens, zu reifen und erwachsen zu werden, so mühsam und schmerzhaft das oft auch ist. Doch wir sind und bleiben Kinder unserer Väter und Mütter, auch wenn wir 100 Jahre alt werden. Kind ist man nicht durch Arbeit oder Verdienst, sondern von Geburt her, biologisch, psychologisch, existenziell. Keiner hat sich selbst gemacht. Wir verdanken uns nicht unserer Entscheidung. Manche hadern damit und sagen: Ich bin doch gar nicht gefragt worden. In der Tat, wir sind uns vorgegeben. Das bestimmt unser ganzes Dasein.
Ja zum Kind in uns
»Kinder Gottes«, das Wort ist nicht von gestern, es gilt für heute und für morgen. Es deutet an, dass Gott uns immer voraus ist und bleibt. Wir empfangen das Leben von ihm, wir brauchen es nicht selbst zu schaffen. Die »Macher« leben in der Knechtschaft ihrer eigenen Leistung, ständig unter Druck. Wir empfangen das Heil von Gott, wir können und müssen uns nicht selbst erlösen. Zu uns selbst finden wir nicht, indem wir (wie Narziss) in den Brunnen schauen und uns in unser eigenes Bild verlieben. Gott sieht uns an, das gibt uns Ansehen. »Ich bin geliebt, also bin ich!«
In diesem Vertrauen rufen wir: »Abba, Vater!« (Röm 8,15). Wir haben es nicht nötig, uns mit Zähnen und Klauen gegen einen Über-Vater-Gott emanzipieren zu müssen. Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind von solchen Rechtfertigungszwängen befreit. Wo dieser Geist weht, da ist Luft zum Atmen, zum Aufatmen. Da regt sich was, da wird’s kreativ durch den creator spiritus.
Erben Gottes
Kinder Gottes, ja! Aber damit ist nicht alles gesagt. Die Erde ist nicht Gottes Kindergarten. Gott hält seine Kinder nicht klein und abhängig, er lässt sie in seiner Nähe groß werden und frei, erwachsen, mündig. Er entscheidet nicht einfach über die Köpfe hinweg: »Ihr habt doch nicht einen Sklavengeist empfangen, … sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen« (Röm 8,15). Hier ist nicht von Kindsköpfen die Rede, sondern von »Erben Gottes, Miterben Christi« (Röm 8,17). Erben sind die, denen ich alles anvertraue, was mir am Herzen liegt. Ich traue ihnen zu, dass sie eigenständig und verantwortlich damit umgehen.
»Wir sind Miterben Christi«, mit allen Hypotheken: »Wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden« (Röm 8,17). Gottes Geist bindet uns ein in die Solidarität mit dem Leiden Jesu, dem Leiden an der Schöpfung. Ein Geist, der sich um diese Seite der Realität drückt, der einen Bogen macht um die dunkle Seite unserer Erfahrungen, der nicht gerade im Tal des Todes das Banner der Hoffnung aufrichtet, kann Gottes Geist nicht sein. – Kein leichtes Erbe, aber ein kostbares. Gottes Geist befähigt uns, dieses Erbe anzutreten.
Wenn Gott uns so sieht, als erwachsene Söhne und Töchter, als Erben, muss man das nicht spüren in der Kirche? Wir können uns doch nicht anders sehen, als Gott uns sieht. Wir können und dürfen doch nicht nach dem überholten Schema von Sklavenhaltern verfahren. Wir dürfen auch nicht so tun, als seien wir immer noch im Kindergarten. Und Gott will nicht, dass einige Erbhöfe verwalten und andere abhängig halten. Alle sind wir »Erben Gottes und Miterben Christi«. Das gilt nicht wegen des gewachsenen Demokratiebewusstseins heute, sondern weil Gottes Geist das bezeugt. Für Getaufte gibt es nur mehr geschwisterliche Instanzen (vgl. auch Mt 23,9), ohne Autoritätshörigkeit, ohne Unterwürfigkeit und Ängstlichkeit. Gottes Geist stärkt uns den Rücken zum aufrechten Gang, in der Kirche und in der Welt.10
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Viele Generationen von Christen mussten mit dem Bild des strengen, gerechten Patriarchen leben, der unendlich weit, unerreichbar und zugleich kontrollierend, bewertend jede Lebensregung überwacht. Dieser »Vater im Himmel« war zum Fürchten. Dabei finden sich schon im Alten Testament Texte, die eine andere Sprache sprechen:
Gott ist wie eine Mutter zu seinem Volk. Gott lässt sich letztlich von mütterlicher Barmherzigkeit leiten. Gott richtet das Böse. Das Wort vom Gericht gehört unveräußerlich zu unserem Glaubensbekenntnis. Aber sein letztes Wort ist ein überwältigendes, unbegründbares, »unvernünftiges« Erbarmen.
Das Gottesbild, das sich durch Jesus im Neuen Testament erschließt, schildert einen liebevollen Vater, der Umkehr ohne Gesichtsverlust ermöglicht und sich für die Zugehörigkeit jedes Einzelnen einsetzt.
Ins Herz geschlossen
Gott ist wie eine Mutter zu seinem Volk – das sagt der Prophet Hosea (11,1– 9) zu Israel, dem Volk Gottes. Darin ist auch das neue Gottesvolk angesprochen. Gott hat Israel in sein Herz geschlossen. Er hat das...