Der Herzenskrieger – für eine neue und selbstbewusste Männlichkeit
Die meisten Männer haben ihr Herz an die Frauen verloren: an die Mutter, die Erzieherin, die Freundin, die Ehefrau. Was viele dabei übersehen: Solange Männer auf Bestätigung durch Frauen hoffen, bleiben sie in einer abhängigen und isolierten Position. Und ohne es zu bemerken, opfern sie das Beste, was sie besitzen: ihre Männlichkeit.
Die männliche Rolle war über Jahrtausende geprägt von Jagd, Kampf und Aggression – Fähigkeiten, die das Überleben der Menschen in der Evolutionsgeschichte überhaupt erst möglich machten. Männliche Werte und Eigenschaften waren Mut, Disziplin, Willensstärke, Verantwortungsübernahme und Zielstrebigkeit. Entsprechend war auch die männliche Sozialisation ausgerichtet. Die Weitergabe „männlicher Eigenschaften“ und Tugenden war bis vor zwei bis drei Jahrzehnten gesellschaftlich ausdrücklich erwünscht und wurde für einen Jungen und Mann als notwendig angesehen.
Die weibliche Rolle hingegen war in der Geschichte der Menschheit vorrangig auf die Reproduktion, die Erziehung der Kinder, auf Ernährung und Fürsorge ausgerichtet. Hingabe, Einfühlungsvermögen und Anpassungsbereitschaft waren die klassischen weiblichen Werte. Die Rolle der Frau war außerdem meist durch die Abhängigkeit vom Mann geprägt, der auch ihren gesellschaftlichen Status bestimmte.
Die Frauenbewegung hat in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Veränderung im Selbstverständnis von Männern und Frauen bewirkt. Traditionelle Werte, die mit stereotypen Denk- und Verhaltensweisen einhergegangen sind, wurden infrage gestellt. Ein neues Bewusstsein etablierte sich. So akzeptieren heute nur noch wenige gebildete Frauen die Rolle der Ehefrau, die sich für den Mann an Heim und Herd aufopfert. Frauen stellen immer stärker ihre persönliche Entwicklung und berufliche Karriere in den Vordergrund. Das Motto lautet: Selbst ist die Frau – unabhängig und selbstbewusst. Klassische Machos sind dementsprechend out.
Frauenbewegung und Emanzipationsbestrebungen haben in den letzten 30 Jahren jedoch nicht nur die gesellschaftliche Rolle der Frauen verändert, sondern entsprechend auch bei den Männern, ihrem geschlechtlichen Pendant, massive Veränderungen bewirkt.
Dabei hat dieser Wandel in den Geschlechterrollen keinesfalls nur längst überfällige verkrustete Strukturen aufgebrochen, sondern hat bei beiden Geschlechtern auch zu einer zunehmenden Rollendiffusion geführt. Frauen stehen oftmals ratlos vor der Frage, ob sie sich für Kinder oder Karriere entscheiden sollen, denn sie finden beide Rollen meist kaum miteinander vereinbar. Soziodemographisch zeigt sich dieses Dilemma deutlich in dem starken Geburtenrückgang, insbesondere bei Frauen mit gehobenem Bildungsabschluss.
Noch dramatischer wirkt sich der Wertewandel allerdings auf die Männer aus. Männliche Tugenden, wie Aggressivität, Mut und Durchsetzungskraft, werden heute in der Gesellschaft nicht mehr wie vor 30 Jahren uneingeschränkt wertgeschätzt. Im Gegenteil. Sie werden sehr kritisch betrachtet. Es ist sogar so weit gekommen, dass Jungen und Männern typisch männliche Eigenschaften zunehmend aberzogen werden.
Frauen übernehmen die Führung
In meiner mittlerweile 20-jährigen Erfahrung in der Seminararbeit und therapeutischen Beratung beobachte ich diese kontinuierliche Veränderung und ihre Folgen. Immer mehr Männer entwickeln statt ihrer männlichen Seite ihre weibliche Seite. Sie entdecken Qualitäten wie Emotionalität, ihr Harmoniebedürfnis, Ruhe und Einfühlungsvermögen. Sie lernen auf Frauen einzugehen, Karriere nicht als oberstes Ziel zu sehen und ihr Selbstverständnis als Mann von der Bestätigung durch Frauen abhängig zu machen.
Immer mehr Frauen entwickeln und stärken dagegen ihre männlichen Anteile. Sie gewinnen an Stärke und Selbstbewusstsein, entwickeln ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihre Willenskraft.
Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, dass diese Veränderungen zu mehr Annäherung und Verständnis zwischen den Geschlechtern führen. In der Praxis jedoch zeigt sich eine tiefe Verunsicherung, die insbesondere die Männer betrifft.
Immer mehr Männer leiden in Partnerschaften unter emotionaler Abhängigkeit oder ziehen sich in die Einsamkeit zurück. „Wer bin ich als Mann?“ ist eine Frage, die viele Männer beschäftigt. Klassische männliche Qualitäten wie Disziplin, Ehrgeiz, Aggression und Pflichtbewusstsein werden abgelehnt – meist einhergehend mit einer Ablehnung des eigenen Vaters, dem ersten Vorbild für Männlichkeit im Leben. Viele Männer bemühen sich sogar darum, jegliche Aggressivität, Kraft und auch ihre Sexualität zu verstecken. Einer Frau wehzutun – im realen wie im übertragenen Sinn – ist ein ultimatives Tabu. Sie selbst aber sind bereit, sich emotional verletzen zu lassen – wie kleine Jungen, die auf eine Anerkennung durch ihre Mutter hoffen, wenn sie lieb sind, und mit Strafe rechnen, wenn sie unartig waren. Doch je netter die Männer werden, umso mehr verlieren sie sich selbst als Mann, wie ein Wolf, der sich in einem Schafspelz versteckt und irgendwann vergisst, dass dies nur eine Verkleidung ist.
Das Paradoxe ist: Die meisten Frauen haben auf Dauer wenig Interesse an einem „netten“ Mann. Sobald eine Frau die Dominanz über „ihren“ Mann hat, befindet sie sich in der Mutterrolle und betreut ihn als großen Jungen. Eine Rolle, die nur wenige Frauen auf Dauer attraktiv finden. Viele suchen sich lieber einen „richtigen“ Mann, um etwas Aufregendes zu erleben. Unsere interaktive Umfrage zum Sexualverhalten (nachzulesen unter: www.sexualtherapie.biz) ergab beispielsweise, dass Frauen mittlerweile genauso treu oder untreu wie Männer sind. Eine Umfrage in der Märzausgabe 2007 der Zeitschrift Player zeigt auf, dass 67 Prozent der Frauen fremdgehen, weil sie mit ihrem Sexleben unzufrieden sind, 23 Prozent aus purer Abenteuerlust.
Frauen übernehmen immer mehr die Führung und Verantwortung in Ehe und Beziehungen, während Männer zu „Problemfällen“ werden, die sich nicht verändern wollen. Sie werden zu braven und lieben Jungen, die keiner Frau wehtun wollen. Jungen, die bereit sind, ihre eigenen Wünsche und Visionen, ihre Freiheit und Aggression aufzugeben, manchmal sogar ihre Sexualität, um eine Frau glücklich zu machen.
Diese aktuelle Rolle des Mannes wird auch in deutschen und amerikanischen Spielfilmen sehr anschaulich dargestellt: Der Mann wird meist als netter, trotteliger Partner in Beziehungen dargestellt. Die Frau hat die Macht, die Führung und Kontrolle. Der Mann punktet höchstens durch liebenswerte „Marotten“. Männer werden als große Jungen dargestellt – ohne Biss, ohne Macht und völlig abhängig von ihrer Partnerin – ein Spiegelbild vieler realer Beziehungen.
Der gesellschaftliche Wertewandel hat dazu geführt, dass Frauen heute intensiv gestärkt werden. Jede größere Stadt unterhält heute eine städtische Gleichstellungsstelle, deren Gleichstellungsbeauftragte darauf achten sollen, dass Frauen nicht benachteiligt, sondern gefördert und besonders geschützt werden. In den Kulturangeboten der Städte finden sich öffentlich geförderte geschlechtsspezifische Angebote, die ausnahmslos Frauen vorbehalten sind. Die Erziehung in den Sozialisationsinstanzen Kindergarten und Schule verfolgt in den letzten beiden Jahrzehnten mit ihren pädagogischen Konzepten bevorzugt die Förderung von Mädchen.
Mit durchschlagendem Erfolg: Mädchen verfügen heute flächendeckend über die besseren Schulnoten und besseren Abschlüsse. Sie gelten als sozial kompetenter und besitzen Qualitäten und Fertigkeiten, die für ein späteres erfolgreiches Berufsleben sehr wichtig sind.
Dieser umfangreichen Mädchen- und Frauenförderung stehen allerdings die Verlierer des Wertewandels gegenüber: die Jungen und Männer. Jungen werden Aggression und Freiheitsdrang abtrainiert, damit sie ungefährlich, demokratisch und einfühlsam werden. Die Jungen werden die besseren Mädchen – sanft und verständnisvoll bis hin zu naiver oder einfach feiger Angepasstheit an die vermeintlichen Wünsche der anderen. Und die anderen – das sind im Leben von immer mehr Jungen die Frauen, denen der Junge gefallen will und deren Werte er auch als erwachsener Mann übernimmt.
Die Folgen dieser Entwicklung sind weitreichend: Jungen und Männer sind zum Problemfall der Gesellschaft geworden. Lernschwierigkeiten, schlechte Schulabschlüsse, Drogensucht, Selbstmord – auf fast allen gesellschaftlichen Ebenen machen Jungen und Männer negative Schlagzeilen.
Die Abhängigkeit der Männer von Frauen
In meine therapeutische Praxis kommen in den letzten Jahren immer mehr Männer, die sich von Frauen in ihrem Leben emotional abhängig fühlen. Hans ist ein typisches Beispiel:
Hans ist ein attraktiver und gepflegter Mann, ein erfolgreicher Rechtsanwalt. Er kommt zu mir in die Beratung, weil er in seiner Ehe unglücklich ist. Nach der Geburt seines mittlerweile vierjährigen Sohnes, den er sehr liebt, häufen sich die Konflikte in der Ehe mit seiner intelligenten Frau, die selbst therapeutische Erfahrungen hat. Obwohl er sich redlich bemüht, sie glücklich zu machen, sich nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag noch Zeit für das Kind nimmt und sogar im Haushalt hilft, nimmt ihre Kritik an ihm immer mehr zu. Gleichzeitig sinkt ihr sexuelles Interesse an ihm in drastischem Maße. Auf meine Nachfrage hin gesteht Hans, dass sie kaum noch Sex zusammen haben, weil sie ihn stets abweist oder „Sachzwänge“ vorschiebt. Er gesteht mit schlechtem Gewissen, dass er eine Affäre angefangen hat, obwohl er seine Frau liebt und...