Sie wollen Ihr Leben verändern? Machen Sie den Anfang in der Küche
Als meine Mutter starb, war ich ein Jahr alt, und ich erinnere mich kaum noch an sie. Bis mein Vater erneut heiratete, kümmerte sich seine Mutter um mich. Meine Großmutter verbrachte fast den ganzen Tag in der Küche, und so wurde dieser Raum für mich zu einem Hort tiefer Geborgenheit.
Ich kauerte stundenlang auf einem Fußhocker aus Weidengeflecht und fühlte mich sicher und beschützt. Aus dieser Perspektive kam ich mit der Welt besser zurecht. Und während ich von meiner Großmutter nur die geschwollenen Fußgelenke in ausgetretenen Pantoffeln sehen konnte, wuchs mir dieser Ort immer mehr ans Herz. Ihre Stimme hatte stets etwas Strenges, so als dulde sie keinen Widerspruch. Etwa wenn sie mir mitteilte, was an einem durchschnittlichen Wochentag in Pavia, der Stadt, in der wir in Norditalien lebten, auf dem Programm stand: Markt, Botanischer Garten und zurück nach Hause, um die Minestrone aufzusetzen.
Schon damals kam ich mit einem ganz wesentlichen Aspekt unseres Lebens in Berührung: In allen Kulturen, in denen Nahrung mithilfe einer Feuerstelle vom rohen in einen gekochten Zustand überführt wird, braucht es einen Ort, an dem die Lebensmittel sowie das entsprechende Werkzeug für ihre Verarbeitung aufbewahrt werden. Wahrscheinlich hat sich schon vor Tausenden von Jahren eine meiner Vorfahrinnen die Frage gestellt, wie sie den Platz um die Feuerstelle nach dem Zubereiten der Mahlzeiten aufräumen soll, damit alles für das nächste Mahl parat ist. Auch für mich ist die Küche der Lebensmittelpunkt. Selbstverständlich kann in Städten, wo das Essen seit jeher auch außerhalb der eigenen vier Wände stattfinden kann, eine Küche auch einfach aus einer schlichten Kochstelle und zwei Regalen bestehen.
Die Küche als Raum ist von Psychologen, Philosophen und Historikern betrachtet worden. Sie sahen in ihr alles, vom Uterus und dem Ort der weiblichen Herrschaft bis hin zu dem Bereich des Hauses, in dem geschnitten, zerteilt, weichgeklopft und zerkleinert wird. In primitiven Gesellschaften hatte die Küche sogar sakrale Bedeutung.
Ich persönlich sehe die Küche als Ort, an dem die vier Elemente – Wasser, Erde, Luft und Feuer – zu Hause sind. In diesem Buch werden wir uns daher auch damit beschäftigen, wie man durch die richtige Ordnung die Harmonie zwischen diesen Elementen und sich selbst wiederherstellen kann. Denn die Küche ist ein Ort der Geselligkeit, aber eben auch ein Ort der Wandlungen. Zutaten werden hier in Gerichte verwandelt, Rohes in Gekochtes und so weiter. Und genau deshalb ist die Küche meiner Meinung nach wie kein anderer Raum geeignet, um Veränderungen aller Art in Gang zu setzen. All das hat mich dazu angeregt, darüber nachzudenken, wie die Menschen Lebensmittel ordnen, und daraus ist eine Methode für die Organisation von Vorräten entstanden.
Man mag die Küche meiden, ihre Existenz einfach hinnehmen oder vollkommen in ihr aufgehen, doch niemand kann ohne das leben, was hier stattfindet: Rohes wird in Gekochtes verwandelt, Kaltes in Heißes, Zähes wird ebenso verzehrbar gemacht wie Blutendes. Die Küche ist jedoch innerhalb des Hauses auch der einzige Raum, in dem Gewalt gleichsam zelebriert wird. Nur hier werden Fleisch und Blut weiterverarbeitet, nur hier begegnen wir dem Tod, nur hier wird mit Messern hantiert und das Feuer gezähmt. In der Küche wird das Naturprodukt in etwas kulturell Akzeptiertes verwandelt, auch wenn Rohkostliebhaber nicht unbedingt einen Herd benötigen. Kochen, das Zerteilen von Speisen und ihr Verzehr in Gemeinschaft sprechen all unsere Sinne an. Immer ist Essen Nahrung für Körper und Seele zugleich, und es findet oft an jenem Ort statt, an dem es zubereitet wurde: in der Küche.
Doch wie entstand die Küche eigentlich? Lassen Sie uns einen kurzen Ausflug in die Geschichte unternehmen. Im Italien und Rom der Antike war die Küche nicht mehr als eine Feuerstelle im Atrium, wo der Rauch durch eine Öffnung im Dach entwich. Im Römischen Reich bestand die Feuerstelle oft nur aus einem gemauerten und mit Ziegeln verkleideten Tisch, der an einer Wand stand. Daneben befand sich vielleicht noch eine Mauernische, in der man Speisen aufbewahren konnte und durch die man zumindest eine rudimentäre Ordnung herstellen konnte.
In Mittelalter und Renaissance wandelte sich die Küche. Das gemeine Volk lebte um einen großen Kamin versammelt, und oft gab es nur diesen einen Raum, in dem sich die Menschen tagsüber aufhielten und nachts schliefen. Ganz anders sahen die Küchen der Adeligen in den Klöstern, Schlössern und Burgen aus. Sie waren geräumig und mit einem riesigen Kamin ausgestattet. Doch nach und nach verschwanden diese prunkvollen Küchen aus dem Leben der Menschen, und bald wurde die Küche eher zum Hinterzimmer, in dem die Bediensteten schufteten, während die feine Gesellschaft an den prächtigen Tafeln der Renaissance speiste und dabei die eigentlichen Küchen nie zu Gesicht bekam. Mit Beginn der Moderne und teilweise noch bis in unsere heutige Zeit trat die Doppelfunktion der Küche, in der gleichzeitig auch gegessen wird, zwar wieder zutage, doch in der Regel ist es so: Je höher die gesellschaftliche Schicht, desto weiter liegt die Küche vom Wohnzimmer entfernt. Laut Bartolomeo Scappi, im 16. Jahrhundert berühmter Koch im Vatikan, sollte die Küche übrigens so weit wie möglich vom »Publikum« entfernt liegen, da sie für Gäste ein gefahrvoller Ort sei und man außerdem die angrenzenden Gemächer nicht mit dem Lärm belästigen dürfe.
Ich muss immer noch lächeln, wenn ich an die sarkastische Bemerkung meiner Großmutter über das überhebliche Getue heutiger Köche denke: »Sollen sie doch hingehen, wo sie hingehören, in die Küche zum Personal.« Was hätte sie wohl dazu gesagt, dass mittlerweile einige von ihnen mit ihrer Kochkunst unsere Welt ein klein wenig besser machen?
Typisch für weniger betuchte Menschen im heutigen Italien, vor allem auf dem Land, ist, dass sich große Teile des Lebens auch in der Küche abspielen. Dort ist die Hausfrau mit Bügeln und Flicken beschäftigt, während auf dem Herd die Suppe fröhlich vor sich hin brodelt und die Kinder am Küchentisch ihre Hausaufgaben machen. Die Küche ist der wärmste Raum im Haus, und am Samstag wurde dort vor noch nicht allzu langer Zeit ein Bottich zum Waschen der Wäsche aufgestellt, in dem anschließend die ganze Familie badete.
Diese Art der Wohnküche hat etwas sehr Lebendiges: Sie ist erfüllt vom Rascheln der Bügelwäsche, dem Schnarchen des Großvaters, der auf dem Sofa eingenickt ist, und den fröhlichen Stimmen der Kinder. In dieser Küche herrscht nur mitten in der Nacht für wenige Stunden Ruhe, dann geht schon wieder die Sonne auf, und jemand schlüpft aus dem warmen Bett, um für alle Bewohner des Hauses das Frühstück zuzubereiten. In traditionellen Haushalten ist das normalerweise die Ehefrau und Mutter, die in ihrem nach frischem Kaffee duftenden Reich den Herrn des Hauses umsorgt, bevor dieser sich zur Arbeit begibt. Mir ist bewusst, dass feministisch orientierte Leserinnen (und bin ich selbst nicht eine von ihnen?) jetzt die Nase rümpfen werden. Aber so war es doch lange Zeit. Und so ist es noch heute, sobald man die Großstädte hinter sich lässt oder sich in den Süden Italiens begibt. Meine Kinder, mein Ehemann und mein Schwiegervater sagten einmal zu mir: »Wir möchten nicht, dass du morgens so früh aufstehst, um für uns alle das Frühstück zu machen, wir übernehmen das von nun an abwechselnd.« Mit dem Ergebnis, dass schon bald kein Mitglied unserer Familie mehr zu Hause frühstückte. Der Anblick meiner verwaisten Küche am Morgen bedrückte mich so sehr, dass ich schließlich doch wieder früh aufstand, um das Frühstück für alle zu bereiten.
Sklavin oder Herrscherin über die Küche? Heutzutage ist die Küche für viele Frauen nicht mehr der heimische Herd, an den gefesselt sie ihr Sklavendasein fristen müssen. In der Küche der Gegenwart spielt sich das Leben ab, sie wird benutzt und verschmutzt, dort finden die Mahlzeiten statt. Sie ist wieder zum Mittelpunkt des häuslichen Lebens geworden. Vor lauter Modernisierung werden Küchen heutzutage jedoch auch schnell zu sterilen Hightechorten. Denn längst hat die Küche Uhren und Autos als Statussymbol abgelöst und ist zum Vorzeigeraum des Hauses geworden: Stolz führt man seinen sechsflammigen Induktionsherd vor, den Schockfroster und das ferngesteuerte Supergerät zum Backen/Entsaften/Mixen. Und um die schicke Küche dann zu schonen, isst man auswärts in Restaurants. Menschen, die sich wenig aus solchen Vorzeigeobjekten machen, tendieren dagegen zum anderen Extrem: der Kochnische. Hier verstecken sich meist ein paar Töpfe hinter einer Stahlwand im loftartigen Wohnzimmer. Aus den Augen, aus dem Sinn.
In diesem Buch bewegen wir uns irgendwo dazwischen. Wir besitzen eine Küche, die unsere Bedürfnisse erfüllt und mehr oder weniger aufgeräumt ist. Das kann eine Hochglanzküche sein oder eine, die schon ein paar Kratzer abgekriegt hat, vielleicht ist sie neu, vielleicht haben wir sie geerbt; vielleicht ist sie ungemütlich und wenig funktional. Oder feucht und dunkel, billig und schäbig oder lichtdurchflutet und luxuriös. Es gibt so viele Küchen, wie es Menschen gibt.
Super, denken Sie vielleicht an dieser Stelle, jetzt habe ich einiges über die symbolischen, anthropologischen und historischen Aspekte von Küchen erfahren. Aber jede(r) von uns schlägt sich mit der harten Realität seiner eigenen Küche herum.
Spätestens am Samstagnachmittag nach dem wöchentlichen Großeinkauf ist oft der ganze Raum mit Unmengen an Lebensmitteln vollgestellt, die alle für die kommende Woche aufbewahrt und verstaut sein wollen,...