Vom richtigen Dreh-Moment
Die Autocue und ihre Tücken
Komplett von der Rolle
Hand aufs Herz – wer kennt schon Jess Oppenheimer? Dabei müsste sein Foto zum ehrenden Angedenken auf dem Schreibtisch einer jeden Fernsehmoderatorin und eines jeden Fernsehmoderators stehen. Denn Jess Oppenheimer ist der Erfinder des Teleprompters, und ohne den geht im Fernsehen ganz allgemein fast nichts und bei den Nachrichten gar nichts. Mit dem News-Geschäft hatte der 1913 in San Francisco geborene Autor und Regisseur freilich nie etwas zu tun. Sein Metier war die Unterhaltung – zunächst im Radio, dann im Fernsehen. In den fünfziger Jahren war er Produzent und Mastermind der legendären CBS-Sitcom „I love Lucy“, und die regte ihn auch zur wichtigsten seiner zahlreichen Erfindungen für Radio, Film und Fernsehen an. Oppenheimer hielt tatsächlich 18 Patente, darunter eben auch jenes für den „in-the-lens-teleprompter“, der seinen Siegeszug im Fernsehen ganz genau am 14. Dezember 1953 antrat. Damals wurde er zum ersten Mal von den beiden Schauspielern Lucille Ball und Desi Arnaz verwendet – und zwar für eine Philip-Morris-Zigarettenwerbung, die an jenem Tag in „I love Lucy“ ausgestrahlt wurde. Zeit war im Fernsehen wohl schon damals Geld, und Schauspieler mit schlechtem Gedächtnis waren offenbar der Schrecken der Produzenten, sodass sich Oppenheimers Erfindung vom ersten Tag an lohnte. Freilich war das, was er zum Patent angemeldet und 1955 an die einschlägig aktive Firma „Autocue“ (im Lauf der Zeit ist der Firmenname zum Synonym für das Gerät geworden) in Lizenz verscherbelt hatte, eine rudimentäre Form dessen, was Moderatoren (und wahlkämpfende Politiker in den USA) heute unter diesem Hilfsmittel verstehen. Immerhin überlebte sein vergleichsweise primitives Papierrollensystem bis 1969, dem Jahr, in dem Autocue den ersten „closed-circuit prompter“ (sichtbar nur für die Benützer im Studio, aber nicht für die Zuschauer zuhause) vorstellte. Seither hat sich an der „Karaoke-Maschine für Moderatoren“ nicht allzu viel geändert.
Auch wenn es für viele noch immer nach Magie aussieht, technisch ist das Geheimnis nicht nur längst gelüftet, sondern auch leicht zu durchschauen – im wahrsten Sinn des Wortes. Und hier ist die Bauanleitung: Unter das Kameraobjektiv wird waagrecht (mit dem Bildschirm nach oben) ein Monitor angebracht, der zunächst den Text spiegelverkehrt anzeigt. Die Moderatoren lesen den Text dann von einem vor dem Objektiv montierten (schräg nach unten in Richtung des Textes zeigenden) Einwegspiegel ab, während sie unentwegt direkt in die Kameralinse blicken. Für die Qualität des Bildes stellt der Einwegspiegel kein Problem dar, weil die Kameras diese minimale Beeinträchtigung leicht ausgleichen können. Bleibt noch die Frage, wie der Text selbst in den Teleprompter kommt. Nun, in der Oppenheim-Ära und noch lange danach (ehrlich gesagt, bis in die neunziger Jahre) griff man tatsächlich auf die gute alte Schriftrolle zurück. Das heißt, die Moderationstexte wurden per Schreibmaschine auf A4-Blätter getippt, die dann einfach an den Enden zusammengeklebt und aufgerollt wurden. Die Rolle selbst wurde im Technikraum in ein dafür vorgesehenes Gerät gespannt und dann per Hand von der Moderationssekretärin höchstpersönlich abgerollt. Der Text wurde dabei Zeile für Zeile von einer Kamera abgefilmt und auf die Monitore unter den Objektiven der Kameras übertragen und dann gespiegelt. Man kann sich leicht vorstellen, dass dieses System nicht gerade maximale Flexibilität erlaubte: Wurde die Reihung der Beiträge etwa verändert, mussten ja die entsprechenden Moderationstexte aus der Rolle herausgeschnitten und an der neuen Stelle wieder eingeklebt werden. Wurden im Vorfeld einer Sendung die Berichte mehrmals hin- und hergeschoben, konnte es vorkommen, dass der Klebstreifen an so mancher Nahtstelle bereits mehrere Millimeter dick war, und dann passierte das Unvermeidliche: Die Blätter blieben stecken, der Teleprompter stoppte und der Moderator stockte. Nicht selten passierte es auch, dass Blätter von vornherein falsch zusammengefügt wurden und dann der Moderationstext und der folgende Beitrag genau nichts miteinander zu tun hatten.
Retourgang und Gaspedal
Dass sich die Wahrscheinlichkeit für menschliches Versagen potenziert, je mehr Menschen an einem bestimmten Prozess beteiligt sind, ist logisch und gilt natürlich auch (oder erst recht) für das Fernsehen. Manchmal wird dem Versagen freilich nachgeholfen, wie das folgende Beispiel zeigt: Die für das Abrollen der Moderationstexte vorgesehene Maschine wurde in jenen Zeiten im ORF von Technikern gewartet, vorbereitet und eingestellt. Ob es Zuneigung zu einer ganz bestimmten Moderationssekretärin oder das Gegenteil davon war, Boshaftigkeit oder Übermut oder das Begleichen einer alten Rechnung, lässt sich heute nicht mehr klären, aber eines Tages gefiel es dem diensthabenden Kollegen von der Technik, die Maschine so einzustellen, dass die zuvor korrekt eingespannte Rolle verkehrt herum abgespult wurde – der Teleprompter im Retourgang also! Das Entsetzen im Gesicht der Kollegin am Drehknopf und ihr Verzweiflungsschrei müssen den Übeltäter in der Sekunde geläutert haben, denn er schaltete augenblicklich um, und der Text lief wieder in die richtige Richtung. Dem Moderator nützte das freilich wenig. Der hatte seine Schrecksekunde auf Sendung, durfte aber weder schreien noch sein Entsetzen zeigen, sondern musste improvisieren und in der Folge vom Blatt lesen. Das ist im Fernsehen fast immer so: Die Letzten beißen die Hunde, und das sind die, die ihr Gesicht in die Kamera halten.
Heute wird der abzulesende Text von den Moderatoren selbst an ihren Schreibtischen in den Computer getippt, abgespeichert und nach einer entsprechenden Kontrolle durch den Chef vom Dienst freigegeben. Auf vielen Sendern (von Bloomberg bis n-tv) wird der Teleprompter auch von den Moderatoren selbst meist via Fußsteuerung (liebevoll „Gaspedal“ genannt) gesteuert, in den Nachrichtensendungen des ORF machen das noch eigene Sekretärinnen oder Assistenten. Sie regulieren im Regieraum, also für die Moderatoren unsichtbar, mit einem Trackingball (eine Art auf den Kopf gelegte Computermaus) die Geschwindigkeit, je nachdem, ob schneller oder langsamer gelesen wird. Verspricht sich der Moderator, ist es von Vorteil, wenn auch der Text stehen bleibt. Andernfalls ist das Chaos perfekt. Asynchrone „Autocue-Pärchen“ vor und hinter der Kamera sind der Schrecken der Chefs vom Dienst. Schließlich hat der Teleprompter einen nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt: Gleichmäßige Sprechgeschwindigkeit sorgt für einen ausgeglichenen Zeitetat, und das ist bei einer Sendung wie der „Zeit im Bild“ um 19.30 Uhr mit einem derart engen Zeitkorsett (derzeit siebzehn Minuten und keine Sekunde mehr) die halbe Miete. Schließlich muss der Hauptabend pünktlich um 20.15 Uhr beginnen und keine Sekunde später. Läuft etwa auf RTL der gleiche Film wie im ORF, könnte ein früherer Start für Tausende österreichische Zuschauer Grund genug sein, den Streifen bei der Konkurrenz anzuschauen (die meisten von ihnen kommen freilich beim ersten Unterbrecher-Werbeblock wieder zurück).
Stichwort Zeitrechnung: Die in allen ORF-Redaktionen verwendete Textverarbeitung namens RedSys erlaubt die Umrechnung von Wörtern in Sekunden. Das bedeutet, dass für jeden geschriebenen Satz automatisch die dafür benötigte Sprechzeit (bei durchschnittlicher Sprechgeschwindigkeit) ausgewiesen wird. Die von den Moderatoren vor der Sendung geschriebenen Texte werden also auf die Beitragslängen addiert, und daraus ergibt sich die Gesamtlänge der Sendung. Liegt diese über dem Budget von siebzehn Minuten, muss der „Überzug“ (die Sekundenzahl blinkt dann anklagend in grellem Rot ganz oben in der linken Spalte der Sendeliste) gekürzt werden. Bevor ein ganzer Beitrag gestrichen oder in der Sprache der Newsmacher „versenkt“ wird, müssen zuerst meist die Moderationstexte daran glauben. Wird während der Sendung ein Zeit-Überzug aufgebaut, weil sich der Moderator verspricht oder ein Studiogast die vorgegebene Zeit missachtet, bleibt dem als „Fahrdienstleiter“ der Sendung am Regieplatz agierenden Chef vom Dienst oft nur noch der lapidare Befehl „angasen!“ Der ist an den Autocue-Assistenten gerichtet und bedeutet schlicht schnelleres Drehen. Dem Moderator im Studio bleibt dann ebenfalls nichts anderes übrig, als beim Reden einen Zahn zuzulegen. Nach der Sendung spielen sich nach solchen Höllenritten im Newsroom nicht selten emotionale Szenen ab, und oft genug muss der Assistent mit dem schnellen Finger die Suppe auslöffeln. Für den Chef vom Dienst zählt in solchen Fällen meist nur eines: „Hauptsache, wir haben eine Punktlandung hinbekommen!“ Andernfalls hätte ein Konflikt mit der Sendeleitung gedroht. Sie wissen schon, der Hauptabend …
Dem Präsidenten zu Füßen
Moderatoren sind freilich nicht die einzigen, die im Umfeld der ORF-News auf den Teleprompter vertrauen. Der prominenteste „Externe“ ist der Bundespräsident. Für seine Fernsehansprachen zum Nationalfeiertag und zu Neujahr rückt regelmäßig eine ansehnliche Crew vom Küniglberg in der Hofburg an: der Ressortleiter Innenpolitik als redaktionell Verantwortlicher, der Betriebswirtschaftliche Leiter (BWL) als Gesamtverantwortlicher für die Aufnahme, der Regisseur, ein Kameramann mit Assistent, ein zusätzlicher Tontechniker, zwei Lichttechniker (in der Hofburg ist es düster) und last but not least der Autocue-Assistent. Für den Außeneinsatz, und das ist jeder Einsatz außerhalb des Studios, auch wenn er sich irgendwo drinnen abspielt, gibt es nämlich einen kleinen mobilen Teleprompter, der nach demselben Prinzip funktioniert wie sein großer Bruder im Studio. Wie es der Teufel...