Bundesländer-Spott
Sich über Menschen lustig zu machen, die man anders sieht als sich selbst, ist ein beliebter Zeitvertreib. Den Wienern habe ich dazu ein eigenes Kapitel gewidmet (siehe Seite 207), wie es einer Hauptstadt auch zukommt. Die anderen Österreicher, so sie nicht ohnedies längst „eingewienert“ sind, bekommen hier ihr Fett weg.
Nicht-Wiener heißen generell: „Gscherte“, also Landbewohner. Die Bauern durften durch Jahrhunderte als Unfreie keine langen Haare tragen, wurden also geschoren, daher der Name. Heute gilt das ja eher als sexy. So ändern sich Zeiten und Geschmäcker.
Jüngere Leser werden sich nicht mehr an die alten, schwarz-weißen Autokennzeichen erinnern können, die es nur mehr in ein paar hundert Exemplaren für Nostalgiker und Fahrer von Oldtimern gibt. Damals gab es für alle in Niederösterreich angemeldeten Fahrzeuge Kennzeichen mit einem großen N am Anfang, was den Niederösterreichern oder solchen, die mit so einem Taferl fuhren, den Spottnamen „Neandertaler“ einbrachte, was auch oft mit der zögerlichen Fahrweise eines Provinzlers in der Großstadt zu tun hatte. Die Steirer, die ein ST vorangestellt hatten, wurden taxfrei zu „Sterzfressern“ erklärt, in der Meinung, der „Sterz“ – für Nichtösterreicher: ähnlich dem Schmarren – sei nach wie vor die Hauptnahrung des Volkes jenseits des Semmerings. Eine andere uncharmante Bezeichnung für die Steirer: Die „Kropferten“. Doch den Kropf gibt es nicht mehr, denn der ist ausgestorben, jawohl, der steirische Kropf wurde „wegjodiert“; nicht weggejodelt, sondern weggesalzen, mit Jod im Salz vernichtet.
Zwei Redewendungen sind auch über die Steiermark hinaus im Sprachgebrauch alltäglich: „Schmeck’s, Kropferter!“ Was so viel heißt wie: „Finde es selbst heraus.“ Und – die Sache, die Debatte, der Streit „ist so notwendig wie ein Kropf“, sprich: überflüssig.
Und wenn wir schon in der Steiermark sind: Dort ist das Jodeln – eine Art Almschrei – in höhere Sphären gehoben worden, durch den allbeherrschenden Erzherzog Johann, der auch Namenspatron des nach ihm benannten Jodlers ist. Im Rest von Österreich ist der Jodler oft mit dem schalen Geschmack von Patriotismus und Volkstümlichkeit belegt. Ausgehend von Sendungen des Typs „Musikantenstadl“ musste sich das öffentlich-rechtliche TV die Frage stellen lassen: „Verjodeln wir unsere Gebühren? – Fernsehen zwischen Qualität und Quote.“17
Vor allem die Steirer schauen auf ihre östlichen Nachbarn, die Burgenländer, herab. Sie nennen sie verächtlich „Gelbfüßler“, also Landarbeiter, die auf (gelbem) lehmigem Boden arbeiten.
Und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ findet: „Zum Burgenland fallen den meisten nur Wein und die Witze über seine Bewohner ein, die als ,die Ostfriesen Österreichs‘ gelten.“
Die Oberösterreicher wurden, weil in diesem Bundesland der vergorene Apfelwein gerne verkostet wird, zu „Mostschädeln“. Das ist insofern nicht korrekt, weil der Most ja auch außerhalb des Landes getrunken wird, etwa in Niederösterreich, das ja einen eigenen Landesteil, das „Mostviertel“ hat.
Die Salzburger, vor allem die Bewohner der Landeshauptstadt, haben es mit dem Stier. Sie nennt man bis heute „Stierwascher“, wiewohl den wenigsten die Herkunft des Spottnamens geläufig ist: Historische Tatsache ist, dass die Salzburger Metzger die Schlachtung der Tiere öffentlich vorzunehmen hatten, damit kein schädliches Fleisch zum Verkauf kommen konnte. Die übliche Reinigung in der Salzach führte zur scherzhaften Bezeichnung „Stierwascher“ für die Salzburger. Doch davon kommt der Name nicht, sondern vom so genannten „Wascher“, einer Keule, mit der die Tiere vor der Schlachtung betäubt wurden.
Die Vorarlberger sind schon wegen ihrer für den Rest von Österreich unverständlichen Sprache Ziel so manchen Spotts. Da im Unterschied zu den bayrischen Dialekten Österreichs die Mitvergangenheitsform auch beim Verb „sein“ fehlt und „i bin gsi“ anstelle des sonst üblichen „i war“ verwendet wird, werden die Vorarlberger im übrigen Österreich scherzhaft auch als „Gsiberger“ bezeichnet.
Die Vorarlberger selbst hingegen bezeichnen die Bregenzer wegen ihrer bevorzugten Lage am Bodensee als „Seebrunzer“.
Einen ähnlichen Begriff gibt es in Deutschland für die „Älpler“. Statt „Ösis“ werden sie „Schluchtenscheißer“ oder „Schneebrunzer“ genannt.
Provinz
„Provinz, reimt sich auf Linz.“ Der Schüttelvers stimmt längst nicht mehr in seiner Absolutheit. Linz ist heute die Stadt der ARS Electronica, des Architekturjuwels Lentos, seit kurzem auch des modernsten Musiktheaters. Ulrich Weinzierl findet in der „Welt“ vom 27.9.2008: „Jeder Kenner weiß, dass Linz an der Donau längst zu den fortschrittlichsten, künstlerisch weltoffensten Städten Österreichs zählt, in mancher Hinsicht selbst Wien übertrifft.“ Eins ist jedoch unbestreitbar: Die Kulturhauptstadt 2009 hat eine schwere historische Last zu tragen: Schließlich sollte sie einst auf Wunsch von Adolf Hitler, der hier seine Kindheit verbracht hatte, „Kulturhauptstadt des Führers“ werden.
Doch „die Provinz“ wird gerne auf die Schippe genommen, so zum Beispiel vom Historiker Dr. Oliver Rathkolb im Gespräch mit Barbara Stöckl zur Neugestaltung der historischen Dokumentationsserie Österreich I18 von Hugo Portisch und Sepp Riff: „Österreich pendelt zwischen Provinzialismus und permanenter Selbstüberschätzung.“
Provinziell steht in unserem Sprachgebrauch gleich für eine Vielzahl beleidigender Adjektive: banausisch, dörflich, eng, ländlich, pedantisch, pingelig, spießerhaft.
Wen wundert’s also, dass heute niemand mehr mit dem Begriff Provinz in Verbindung gebracht werden möchte. Dabei wird Österreich seit Jahrzehnten von „Provinzlern“ regiert. Julius Raab kam aus St. Pölten, Leopold Figl aus dem kleinen Ort Rust im Tullnerfeld, Alois Mock aus Euratsfeld bei Amstetten („Den Kreisky kennt die ganze Welt, der Mock, der kommt aus Euratsfeld“ war einst ein beliebter Reim), Fred Sinowatz aus Neufeld an der Leitha, Alfred Gusenbauer aus Ybbs, Michael Häupl aus Altlengbach.
Orte in der Provinz, heißt es oft, seien intellektuell rückständig, politisch konservativ und kulturell bieder. Man versucht, so bald wie möglich in die Hauptstadt zu flüchten – siehe die eben genannten Beispiele. Es muss aber keine Automatik sein, gibt es doch auch in Großstädten genügend Spießer und Banausen. Vom deutschen (Parade-)Verleger Henri Nannen („Stern“ u.a.) stammt der kluge Satz: „Provinz ist dort, wo die Menschen provinziell denken.“
„Stadtluft macht frei. Nur keine Provinz!“ findet hingegen Barbara Coudenhove-Kalergi in ihren Erinnerungen „Zuhause ist überall“. „Nach Moskau, nach Moskau“, rufen die drei Schwestern in Anton Tschechows gleichnamigen Stück. Die „rote“ Gräfin, die in Prag aufgewachsen ist, 1945 fliehen musste und in Salzburg eine Bleibe findet, ruft: „Nach Wien, nach Wien!“
Manche sind dagegen stolz, „Provinzler“ zu sein, also abschätzig taxiert zu werden. Die nächste Stufe ist schon der „Hinterwäldler“, also nicht der im Wald Lebende, noch ärger, der dahinter Lebende. Die Provinzler ihrerseits beäugen umgekehrt genauso kritisch die Städter oder gar die Großstädter, wobei wir ja nur eine Großstadt haben. Ein passendes Zitat: „Graz ist stolz darauf, eine Großstadt zu sein. Die Linzer sind stolz darauf, dass Linz keine Großstadt ist. Salzburg ist nicht einmal stolz.“ Wer kann so boshaft sein? Hans Weigel in seinem Buch: „O du mein Österreich.“
A propos Salzburg: Zeitlebens hat Thomas Bernhard mit der (Festspiel-)Stadt Salzburg gehadert. Grund genug, an seine schönsten Beschimpfungen der Festspielstadt zu erinnern. „Salzburg: wenn es eine Hölle gibt, so ist hier das Modell.“ Der erste Band seiner poetisch-polemischen Jugendautobiografie, „Die Ursache“ (1975), sorgte an der Salzach für Empörung und Prozesse. Bernhards Tiraden wider den „durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden“ wurden so berühmt wie berüchtigt.
Bei der Präsentation eines opulenten Buches über Salzburg und die Festspiele monierte ORF-Legende Gerd Bacher, Kind dieser Stadt, im Juli 2013: „Wenn die Bevölkerung so toll wäre wie die Stadt, wär’s überhaupt olympisch. Aber man gewöhnt sich daran.“
Ein ebenso böses Bonmot von einem, der in Salzburg und Innsbruck gelebt hat: Roland Adrowitzer, eines der bekanntesten Fernsehgesichter des ORF. Er war u.a. ORF-Landesintendant in Innsbruck: „Innsbruck weiß, dass es Provinz ist, Salzburg nicht.“
Schon Karl Kraus hat Linz benützt, um Salzburg zu beleidigen: „Wenn die Salzburger von heute Salzburg erbaut hätten, wäre bestenfalls Linz daraus geworden“, schrieb er 1922. Und Österreichs stille Paradeschriftstellerin Ingeborg Bachmann gab selbstkritisch zu: „Nie war ich in Linz, ich bin immer durchgefahren.“
Kritik aus dem Ausland
Kann der Österreicher schon generell schlecht mit Kritik umgehen – aktiv wie passiv –, so...