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E-Book

Mama, Papa, ich werd' Fußballprofi!

Unser neues Leben am Spielfeldrand

AutorBernd Ulrich, Ursula Engel
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644499911
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wie geht man mit einem Kind um, das ein Talent hat und große Leidenschaft dafür aufbringt? Muss man sein Kind vor zu hohen Erwartungen schützen? Was, wenn der Traum zerplatzt? Fritz liebt Fußball. Er träumt davon, Fußballprofi zu werden, und die Chancen sind gar nicht so schlecht. Irgendwann schafft er es in die Jugend-Bundesliga. Seine Eltern erzählen in diesem Buch, wie diese Leidenschaft ihr Leben verändert hat, von großen Emotionen auf und neben dem Fußballplatz, Diskussionen mit Freunden über Leistungsdruck, Demütigungen durch Trainer und den Gefahren von elterlichem Stolz. Ein Buch von Eltern für Eltern - und eine Hommage an den schönsten Sport der Welt.

Ursula Engel, geboren 1963, studierte Soziologie und Politikwissenschaften in Marburg. Sie volontierte beim Zeitschriftenableger der WAZ in Düsseldorf und arbeitet seit 1998 als freie Journalistin und Autorin in Berlin.

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Leseprobe

1. Der Urball – erste Liebesbeziehungen


Männern werden besondere Beziehungen zu ihrem besten Freund, zu ihrer Arbeit und zu ihren Autos nachgesagt. Ihre Beziehung zum Ball ist dennoch auf eine außergewöhnliche Art anders und sehr speziell. «Wirft man in eine Schar von Jungen einen Ball, so kann man sicher sein, dass mehr als 90 Prozent versuchen, den Ball mit dem Fuß zu spielen», hat der Fußballlehrer Gerhard Bauer vor über 40 Jahren geschrieben. An diesem fast reflexhaften Verhalten hat sich bis heute nichts geändert. Beim Ballspielen, beim Fußballgucken, im Stadion, wo auch immer Männer auf Bälle treffen, werden viele Gefühle in Bewegung gesetzt. Männer nehmen sich an den Händen, tanzen an Eckfahnen, werfen Küsse in die jubelnde Menge. In Verbindung mit dem Ball kann man Männer in der Öffentlichkeit ungewöhnlich sensibel und zärtlich miteinander sehen.

Was macht diese Mann-Ball-Beziehung aus? Große Leidenschaft ist in jedem Fall im Spiel. In meiner Familie ist das offensichtlich und bei meinem Sohn ganz besonders ausgeprägt. Bälle spielten in seinem Leben von Anfang an eine außergewöhnliche Rolle. Aber wie und wann hatte das bei ihm eigentlich angefangen? Gab es überhaupt eine Zeit ohne Ball? Fritz ohne Ball? Daran habe ich keine Erinnerung. Ball war immer.

Die allererste Begegnung mit dem Ball war eine Innenansicht. In eine riesige pralle Kugel verwandelte das Baby, das ich erwartete, meinen Bauch. Außen prall, innen so weich, dass der kleine Bewohner sowohl mit ersten Kicks von Füßen, Ellbogen, Hintern und Knie als auch mit dem Kopf Bekanntschaft machen konnte. Hier absolvierte er seine allererste Trainingseinheit.

Zu Hause in der Wiege, da wartete der Ball bereits. Sein Name war Siggi, und er erfüllte von Anfang an viele Bedürfnisse. Er war Empfänger und Spender unterschiedlichster Emotionen, klein, kuschelig und rund. Zumindest soweit eine Kugel mit einer weichen Füllung in einer Frottéhülle rund sein kann. Dieser Ball wurde im Laufe der Zeit geliebt und geknuddelt, geherzt und auch geküsst wie der Lederball vom glücklichen Champions-League-Spieler im Fernsehen. Welche Bedeutung die Bälle in Fritz’ Leben einmal haben sollten, das ahnte ich damals allerdings noch nicht.

Glücklicherweise war mein Sohn ein ganz normaler, gesunder Junge. Er war nicht zu groß, nicht zu klein, weder sehr schwer noch leicht. Und für uns Eltern war er natürlich – so wie alle unsere Kinder – etwas ganz Besonderes. Dass es ein Junge werden würde, hatten wir nicht gewusst. Und auch bei dem Namen waren wir uns nicht sicher. Zwei standen zur Auswahl. Der Vater und ich hatten beschlossen, uns noch nicht festzulegen. Wir wollten das Kind erst sehen und dann entscheiden. Als es schließlich so weit war, streckte er den Hals keck dem Neuen entgegen, die Augen suchend aufgerissen sah er uns an. Da will einer was von der Welt!, war mein erster Gedanke. Ich sah den Vater kurz an. Er nickte. Wir hatten einen Fritz.

Der aus dem Ruhrpott stammende Großvater war mit konkreten Vorstellungen über sein zweites Enkelkind weit weniger zurückhaltend. Er war sich sicher, dass es diesmal ein Junge werden würde. Und er hatte schon Pläne für den «Stammhalter» gemacht, lange bevor er ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Genauer genommen zwei Pläne: Erstens, den Namen der Familie, also seinen eigenen, sollte sein Enkel tragen, zweitens Fußballer, also Schalker werden.

Aber die großväterlichen Pläne machten uns keine Sorgen. Unserem Sohn und uns würden sie nichts anhaben können. Der Vater und ich wussten, dass es keinen Sinn hatte, die eigenen Wünsche auf unsere Kinder zu übertragen. Wir hatten bereits eine Tochter. Ich wusste also auch praktisch, was dabei herauskommt, wenn man versucht, den Kindern die Dinge zu ermöglichen, die man selbst als Kind gerne gemacht hätte. Es klappt nicht! Kinder sind von Anfang an Wesen mit eigenem Willen und Neigungen. Sie kommen mit einem gewissen Anteil an Charakter zur Welt. Wir können Angebote machen, ihnen Optionen und Möglichkeiten zeigen und versuchen, Einfluss auf sie zu nehmen, ihnen einen Weg und eine grundsätzliche Haltung zur Welt zeigen. Und natürlich tun sie vieles, weil wir es tun oder weil sie uns eine Freude machen wollen. Aber sie sind glücklicherweise keine Kopien unserer selbst.

Dennoch suchen alle Eltern nach Ähnlichkeiten, nach einem Widerschein von sich selbst in ihren Kindern. Sehen sie uns äußerlich ähnlich? Hat er nicht deine Augen? Meinen Mund? Bei den Äußerlichkeiten gibt es oft frappierende Fälle. Natürlich geben wir vieles an unsere Kinder weiter. Natürlich sind sie uns ähnlich, manchmal glauben wir, uns in ihnen tatsächlich wiederzuerkennen. Aber sie sind auch anders, überraschend und manchmal ganz fremd.

Der Vater und ich hatten uns auf jeden Fall fest vorgenommen, unsere eigenen Wünsche nicht auf unsere Kinder zu projizieren. Aber durften wir uns deshalb jetzt gar nichts für sie wünschen? Kinder und Wünsche hängen schließlich irgendwie zusammen. Im besten und wohl häufigsten Fall sind sie Ergebnis eines Wunsches. Natürlich wünschten wir uns, wie alle Eltern es tun, etwas für unsere Kinder, für dieses Kind. Gesundheit, Segen, eine glückliche Kindheit, Freunde, ein erfülltes Leben. Alles Gute eben und nichts Schlechtes. So abstrakt, da waren wir uns einig, ist Wünschen wundervoll.

Was aber, wenn Wünsche konkret, schlimmer noch, wenn sie zu festen, realen Vorstellungen werden? Plötzlich können aus guten Wünschen und dem Besten fürs Kind ungeliebte Plagegeister werden. Die Kinder unserer Großeltern, also unsere Eltern, können viele Geschichten von diesen «guten Wünschen» erzählen. Viele ihrer Generation sind diesen Wünschen gefolgt, haben Betriebe übernommen, Fächer studiert oder vielleicht auch Partner geheiratet, die sie eigentlich nicht wollten. Mit dieser Sorte Wünsche wollten wir unsere Kinder verschonen. Wir hofften, dass wir früh erkennen würden, was ihnen besondere Freude macht. Wir fragten uns immer früher, welcher Sport, welches Instrument das richtige sein könnte. Viele Eltern beklagen sich darüber, dass ihre Kinder keine Leidenschaften entwickeln, dass sie ihre Hobbys ständig wechseln, sich für nichts interessieren. Damit hatten wir kein Problem. Im Gegenteil. Unser Sohn brachte großes Wollen und große Ausdauer mit. Große Leidenschaften ließen auch nicht lange auf sich warten.

Sollte der Großvater also ruhig von der Weitergabe seines Erbes träumen und von einem Enkel, der für Schalke 04 auf dem Platz stehen würde. Meinen Sohn würden diese Träume nicht belasten. Zudem wohnten wir mit unserer Tochter und dem Neugeborenen damals nicht in der Nähe der zahlreichen Verwandten im Ruhrgebiet, die allesamt Schalke-Fans waren und deren Kinder zum Teil schon bei der Geburt eine Schalke-Mitgliedschaft in die Wiege gelegt bekamen. Wir lebten im toleranten Köln und zogen wenige Monate später in ein kleines Dorf zwischen Mosel und Eifel. Mehr Rand der Republik ging kaum, das nächstliegende Stadion, wo man die 1. Liga live hätte sehen können, war der Betzenberg in Kaiserslautern, circa 200 Kilometer entfernt.

Fritz konnte also – völlig unbelastet von großen Erwartungen – entspannt ins Leben starten. Natürlich wurde er dabei aufmerksam von mir, dem Vater, der großen Schwester und den zweiten Großeltern beobachtet. Die Monate vergingen, und bald ließ es sich nicht mehr ignorieren: Da wollte einer mehr, als vor sich hin wachsen. Der Vater und ich sahen uns immer häufiger verwundert über diese Energie an. Da war ein Junge, der wollte ganz offensichtlich mehr Bewegung, mehr Aufmerksamkeit, mehr können, tun und denken und vor allem – mehr Ball. Mit glasklarem Blick verfolgte er mich, den Vater, seine Schwester und alle anderen in seiner Umgebung, übte Bewegungen und Laute mit großer Beharrlichkeit und stets aufs Beste gelaunt. Und immer wieder war da dieses runde Ding, das eine unglaubliche Faszination auf ihn ausübte. Unser neues Familienmitglied zeigte uns von Anfang an: Hier komme ich.

Dabei ist ja auch ein etwas «fauleres» Säuglingsleben schon unglaublich anstrengend. Was diese kleinen Wesen in den ersten Monaten ihres Lebens leisten, welche Verknüpfungen im Hirn stattfinden, welche Koordinationsfähigkeiten sich entwickeln, übertrifft alles, was unsere Körper im weiteren Leben in der Lage sind zu leisten. Nie wieder werden so viele Dinge in so kurzer Zeit erlernt und vorangetrieben. Jeder Säugling ist in dieser Lebensphase quasi ein Leistungssportler. Mein Sohn war kein Wunderkind. Er war einfach bei vielem ein klein wenig schneller, ein klein wenig ehrgeiziger als andere. Ausdauer und Ehrgeiz besaß er im Überfluss. Er wurde nicht müde, konnte nie genug vom Ball bekommen, vom Hin- und Herschieben, vom Schubsen und Hinterherkriechen. Fast meditativ spielte er mit dem Ball. Er untersuchte ihn peinlich genau auf seine Eigenschaften und probierte sie alle aus.

Fritz wollte den Ball treten, bevor er laufen konnte, und deshalb versuchte er es erst im Liegen und kurz darauf in einer Position zwischen halb aufrechtem Sitzen und Stehen. Mit den Armen zog er sich am Gitter des Bettchens hoch, oder er hielt sich an einem Stuhl fest, um dann ein Bein anzuheben und mit ihm in Richtung Ball zu zielen. Das war weder eine bequeme Stellung noch eine besonders elegante. Bis zum ersten eigenständigen Schritt würde es noch dauern. Aber der erste Schuss gelang schon jetzt.

Parallel zu den rasanten Mobilitätsfortschritten wuchs Fritz körperlich, mit dem Sprechen und Verstehen ging es ebenfalls schnell voran. Und wenn «Ball» vielleicht auch nicht das allererste Wort war, so gehörte es...

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