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E-Book

Mandelas Traum (DuMont Reiseabenteuer)

Meine Reise durch Südafrika

AutorLeonie March
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheDuMont Reiseabenteuer E-Book 
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783616491554
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR

Mit den E-Books der DuMont Reiseabenteuer sparen Sie Gewicht im Reisegepäck und können viele praktische Zusatzfunktionen nutzen!

Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2018, Dumont Reiseverlag

Was hält Südafrika im Innersten zusammen, trotz aller Konflikte  und Kontraste? Leonie March hat sich auf eine 3000 Kilometer lange Reise begeben, um das Land zu verstehen, das seit 2009 ihre Heimat ist. Sie wandert mit Nachfahren der Ureinwohner durch die Drakensberge und weiter die Küste entlang durch die Transkei. Sie trifft auf moderne Freiheitskämpfer und engagierte Bürger, die im Kleinen die großen Ideale leben, auf denen Südafrikas Demokratie aufbaut. Einsame Straßen und endlose Sandpisten führen sie in den Norden bis nach Johannesburg. Sie schaut in die Abgründe des Goldrausches, ohne den es die Wirtschaftsmetropole nie gegeben hätte, entdeckt zu Fuß die kreativen Seiten dieser missverstandenen Stadt und geht abends in Soweto tanzen. Und ganz am Ende ihrer Reise zeichnen sich tatsächlich Antworten auf ihre Fragen ab.

Tipp: Setzen Sie Ihre persönlichen Lesezeichen an den interessanten Stellen und machen Sie sich Notizen... und durchsuchen Sie das E-Book mit der praktischen Volltextsuche!



<p>Leonie March, Jahrgang 1974, berichtet als freie Journalistin für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und deutschsprachige Printmedien aus dem südlichen Afrika. Sie ist Mitglied des Korrespondenten-Netzwerks weltreporter.net. 2009 beschloss sie, in die südafrikanische Hafenmetropole Durban umzusiedeln. Eine Entscheidung, die sie nie bereut hat.</p>

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Leseprobe

Kapitel 2

Eastern Cape

Von Freiheitskämpfern, Erben und Jockeys

Die schwüle, subtropische Hitze umarmt mich wie ein feuchtwarmes Handtuch – ein vertrauter Willkommensgruß der Südküste von KwaZulu-Natal, der bei mir mittlerweile Heimatgefühle auslöst. Schon bevor die kurvenreiche Straße einen ersten Blick auf den Indischen Ozean freigibt, spüre ich seinen Atem auf meiner Haut. Nach der trockenen Bergluft öffnet sich jede Pore fast spürbar, atmet die hohe Luftfeuchtigkeit ein und wieder aus. Der dünne Film, der sich auf der Haut bildet, ist im Sommer ein ständiger Begleiter. Nicht jeder mag ihn, aber ich liebe dieses Klima und die Natur, die es hervorbringt. Üppiges Grün in allen denkbaren Schattierungen prägt das Provinzstädtchen Port Edward. Bananen-, Macadamianuss- und Kaffee-Plantagen säumen die Straße, unterbrochen von noch ungezähmten Waldstücken, die dem Fluss entgegenzustreben scheinen, der die Grenze des ehemaligen Homelands Transkei markiert. Die nächste Woche werde ich hier verbringen, auf den Spuren des jungen Nelson Mandela und einer neuen Generation Freiheitskämpfer.

Gemächlich fließt der Mtamvuna unter dem großzügigen Metallbogen einer Brücke hindurch. Links die breite Mündung ins Meer, rechts steile Felswände und die saftig grünen Wälder, durch die sich der alte Grenzfluss seit Jahrhunderten einen Weg gebahnt hat. Früher trennte die Brücke Südafrika von der pseudo-unabhängigen Transkei, heute verbindet sie die beiden Provinzen KwaZulu-Natal und Eastern Cape. Südafrika ist zusammengewachsen, die Bruchstellen sind auf den ersten Blick nicht mehr sichtbar, alte Grenzen wie diese sind heute buchstäblich fließend.

Ein Relikt der Apartheid wartet unmittelbar auf der anderen Seite des Mtamvuna: ein Casino. Im puritanischen Südafrika war Glücksspiel damals verboten, also lagerte man es in die schwarzen Homelands aus. Schließlich waren sie nach der bigotten Logik des rassistischen Regimes eigenständige Staaten, auch wenn sie nie als solche von der Weltgemeinschaft anerkannt wurden. Die Transkei war 1976 das erste Homeland, das in die vollkommen von Südafrika abhängige Unabhängigkeit entlassen wurde. Für den Apartheid-Staat war es ein schier unerschöpfliches Reservoir billiger Arbeitskräfte, die man bequem wieder dorthin abschieben konnte, wenn sie ihre Pflicht getan hatten, und ein sündiges Paradies. Black Jack statt Black Lives Matter. Bis heute gibt es diese glitzernden Spieltempel inklusive Hotel, Golfplatz, Wasserrutschen und Kino auch in anderen ehemaligen Homelands. Doch es zieht mich nicht an den Roulettetisch, sondern ans andere Ende des großzügigen Casino-Geländes, ans Ufer des Mzamba-Flusses, wo ich mit Nonhle verabredet bin.

Freunde hatten mir ihre Nummer in die Hand gedrückt, als ich ihnen von meinen Plänen erzählte, ein paar Tage die wilde Küste, die Wild Coast, entlangzuwandern. Es ist eine meiner Lieblingslandschaften in Südafrika: urwüchsig und von atemberaubender Schönheit. Vor vielen Jahren war ich hier gemeinsam mit meinem Mann mit Rucksack und Zelt unterwegs. Von Port St. Johns sind wir etwa einhundert Kilometer bis nach Port Edward gewandert – auf schmalen Fußpfaden durch die weite, spärlich besiedelte Hügellandschaft, kraxelnd entlang schroffer Abhänge, barfuß über die Sandstrände, durch mehr als hüfthohes Wasser der Flussmündungen watend, staunend an Wasserfällen, die sich tosend direkt ins Meer stürzen, und berührt von der Gastfreundschaft der Einheimischen, die uns unterwegs begegneten. Es war der Beginn einer Liebe zu dieser Region und ihren Menschen, den Mpondo. »Diesmal musst du Nonhle treffen! Außerdem ist es sicherer, wenn du nicht allein unterwegs bist«, hatten mir meine Freunde ans Herz gelegt. Ihr Name ist mir vertraut, Nonhle Mbuthuma ist eine einheimische Umweltaktivistin, seit Jahren setzt sie sich für den Erhalt der Natur und Kultur ihrer Heimat ein. Eine bessere Weggefährtin kann ich mir nicht wünschen, um mehr über Land und Leute zu erfahren. »Triff mich Montag früh am Fluss«, hatte Nonhle mir am Telefon spontan zugesagt. ›Meet me at the river‹, so wie der berühmte Song von Miriam Makeba. Die Melodie summend, parke ich mein Auto auf dem Casino-Parkplatz, schultere meinen Rucksack und folge ihrer Wegbeschreibung über eine große Wiese. Vom Tiefblau des Indischen Ozeans weht nicht einmal der Hauch einer Brise. Kein Wölkchen trübt den blitzblauen Himmel und auch meine Stimmung ist ungetrübt.

Nonhle ist noch nicht da, als ich den vereinbarten Treffpunkt erreiche. Das ist eher die Regel als die Ausnahme in Südafrika und daher kein Grund zur Sorge. Geduldiges Warten gehört zu den Dingen, die ich während meiner Zeit hier gelernt habe, wenn auch notgedrungen und zunächst zähneknirschend. Mittlerweile empfinde ich die meisten Menschen bei Besuchen in der alten Heimat Deutschland oft als extrem ungeduldig. Nach ein paar Minuten Verspätung wird schon das Smartphone für einen Anruf gezückt. Einem Südafrikaner würde das im Traum nicht einfallen. Mir auch nicht mehr. Doch ein wenig deutsch bin ich dann doch noch. Während die meisten meiner südafrikanischen Freunde Pünktlichkeit für unnütz halten, weil ja sowieso alle zu spät kommen, halte ich mich weiter an vereinbarte Uhrzeiten. Und warte. Wie jetzt auf Nonhle. Ich habe mir die Zeit schon an hässlicheren Orten vertrieben. Diverse Meter unter mir, in einer felsigen Schlucht, gurgelt der Fluss. Das braune Wasser hat die Steine rundgewaschen, die überall aus der Oberfläche ragen. In jeder Felsritze der Abhänge sprießt widerspenstiges Grün: Wildblumen, Aloe-Stauden, Büsche. Ich setze mich unter einen Baum auf einen Stein, Schatten tanken, bevor ich den Rest des Tages der prallen Sonne ausgesetzt bin. Sogar die sonst lebhaft zwitschernden Vögel scheinen in dieser Hitze den Atem anzuhalten. Die Stille ist intensiv, fast körperlich spürbar. So bekommt das Warten fast etwas Meditatives. Doch lange dauert es heute nicht: Mit nur einer halben Stunde Verspätung sehe ich zwei Gestalten über die große Wiese vom Casino auf mich zukommen – Nonhle, eine schlanke junge Frau, die sich mit einem breitkrempigem Hut und einem Tuch über den Schultern gegen die Sonne gewappnet hat, und ihren Begleiter, der sie um mehrere Köpfe überragt. Er stellt sich als Khumbulani vor und begrüßt mich eher distanziert mit Handschlag, während Nonhle mich fest umarmt.

»Schön, dich zu sehen«, sagt sie. »Aber, eish! Es ist furchtbar heiß heute. Kein perfekter Tag für eine Wanderung.« Eish! Ein typisch südafrikanischer Ausruf, der vieles bedeuten kann, auf der Skala von Überraschung bis Schock, von Unglauben bis Horror. Mal von weit aufgerissenen Augen, mal von Kopfschütteln begleitet. Der Ursprung soll im isiXhosa liegen, der beherrschenden Sprache der Transkei also. Mittlerweile aber benutzen es alle. Das Wort ist lautmalerisch einfach zu schön, um von den anderen Sprachen ignoriert zu werden. Auch in meinem Vokabular hat es mittlerweile einen festen Platz. Eish! Nonhle nimmt ihren Hut von ihren ratzekurzen Haaren, wischt sich mit ihrem Tuch die Schweißperlen von der Stirn, setzt sich neben mich und schlägt eine Planänderung vor: Damit wir nicht als dehydrierte Brathähnchen enden, könnten wir die Wanderung abkürzen, anstatt wie verabredet rund 15 Kilometer bis nach Xolobeni zu wandern, und bei ihrer Familie übernachten, die nicht ganz so weit weg wohnt. Ich spüre, dass die Hitze nicht der einzige Grund für ihr Anliegen ist; ein Gefühl, das sich später bestätigt. Also stimme ich zu. Planänderungen gehören in Südafrika ohnehin zum Alltag. Flexibilität ist hier eine ebenso nützliche Eigenschaft wie Geduld. Zu meiner Überraschung gehen wir nicht in Richtung Meer, sondern ein Stück flussaufwärts. »Du kennst dich hier natürlich besser aus, aber müssen wir nicht da lang?«, frage ich. »Du warst aber wirklich lange nicht mehr hier«, schmunzelt Nonhle. Stimmt. Das letzte Mal, dass ich den Mzamba-Fluss überquert habe, liegt etliche Jahre zurück. Der einzige Weg führte damals bei Ebbe durch die Meeresmündung. Seit wenigen Jahren jedoch gebe es eine neue Route, erzählt Nonhle, während sie der Hitze angemessen gemächlich einem kleinen Trampelpfad folgt: eine 140 Meter lange, schmale Hängebrücke für Fußgänger, die schon nach der nächsten Biegung auftaucht. Eine zierliche Konstruktion aus dicken Drahtseilen und Holzlatten.

Nonhle bleibt fast feierlich stehen: »Diese Brücke sieht auf den ersten Blick nicht nach viel aus. Aber sie hat Menschenleben gerettet!« Sie macht eine kleine, wie sich im Lauf der nächsten Tage herausstellt, für sie typische Kunstpause. »Noch vor nicht allzu langer Zeit sind jedes Mal, wenn Hochwasser war, vor allem Kinder hier ertrunken. Denn die einzige weiterführende Schule ist auf der anderen Seite.« Jahrelang hatte die Dorfgemeinschaft die Regierung um eine Brücke gebeten. Ohne Erfolg. Nonhle zuckt resigniert die Schultern. Von der Regierung erwartet sie ohnehin keine Hilfe mehr. Die Sorgen ländlicher Gegenden wie ihrer Heimat interessierten auch im »neuen Südafrika« niemanden. Stattdessen realisierten ein gemeinnütziger Verein, österreichische Architekturstudenten und Freiwillige das Projekt im Selbstbau gemeinsam mit der ansässigen Bevölkerung. »Weißt du, was mich besonders beeindruckt hat?«, fragt Nonhle, um ihre Frage direkt selbst zu beantworten: »Wir haben über alles selbst entschieden, zum Beispiel den exakten Standort für die Brücke. Normalerweise kommen Leute mit Geld, einer bestimmten Vorstellung von Entwicklung und der Überzeugung, dass sie besser wissen, was die Einheimischen brauchen, als diese selbst.« Auch deshalb würden so viele, auch durchaus wohlgemeinte Projekte,...

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