3 Der Jugendtrainer
Sport stellt einen bedeutsamen Teil der Lebenswelt Sport treibender Kinder und Jugendlicher dar und beeinflusst deshalb auch wesentlich deren Persönlichkeitsentwicklung.
Auch andere Lebenswelten, wie Familie, Schule, Beruf, Gleichaltrige oder Freizeit sind Teil dieses Entwicklungsprozesses. All diese Lebensbereiche stehen nicht isoliert neben dem Sport. Sie beeinflussen in übergreifender Weise das Verhalten des Jugendlichen in Training und Wettkampf. Auch der Trainer trägt die Verantwortung dafür, dass alle Faktoren der Lebenswelt jugendlicher Sportler so aufeinander abgestimmt werden, dass sie in der Persönlichkeit konstruktiv verinnerlicht werden (Abb. 40).
Deshalb ist der Jugendtrainer, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, auch Pädagoge. Im Rahmen der pädagogischen Verantwortung steht dem Trainer eine Vielzahl psychologischer Maßnahmen zur Verfügung, die dazu beitragen, Kindern und Jugendlichen zu einer sinnvollen und zufrieden stellenden Lebensführung zu verhelfen und sie zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen.
Sport ist seinem Wesen nach optimistisches Handeln. Sobald mit sportlichem Handeln nicht mehr die Hoffnung auf Erfolg verknüpft ist, sondern die Furcht vor Misserfolg das Verhalten steuert, widerspricht dies dem eigentlichen Sinn des Sports.
Das Trainerverhalten muss deshalb prinzipiell auf Erhaltung und Verbesserung der optimistischen Einstellung des jugendlichen Sportlers ausgerichtet sein. Unterstützung, Ermutigung, Hoffnung, Lernbereitschaft und Zielstrebigkeit sollen Leitlinien für den Trainer sein.
Im Kinder- und Jugendbereich hat deshalb der humanistisch eingestellte Trainer den absoluten Vorrang.
Auch im Mannschaftssport steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt. Erst die Entfaltung seiner Individualität macht ihn zu einem wertvollen Mitglied der Mannschaft. Jedes Mitglied einer Mannschaft verfügt über eine einmalige Lebensgeschichte. Nur wenn der Trainer die besonderen Entwicklungs- und Persönlichkeitsvoraussetzungen kennt, können seine Maßnahmen wirksam sein und der Mannschaft zugute kommen.
Abb. 40: Trainer – Freizeit
3.1 Das diagnostische Bemühen
Aus den angeführten Gründen sollte sich jeder Trainer bemühen, sein Interesse auch auf andere Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen zu richten.
Je mehr Kenntnisse er über das Leben der ihm anvertrauten Schützlinge hat, umso weniger wird er in Gefahr geraten, falsche oder unangepasste Reaktionen zu zeigen und umso besser wird er das Verhalten der Kinder einschätzen und beurteilen können.
Eine gute Diagnose ist die Mutter der Therapie.
An Erkenntnismöglichkeiten stehen dem Trainer in der Praxis hauptsächlich vier Instrumente zur Verfügung:
• Kenntnisse über Lebensumstände (Anamnese)
• Beobachtung
• Gespräch
• Eigene Erfahrung, Menschenkenntnis.
Kenntnisse der persönlichen Lebensumstände und der sozialen Einflussfaktoren bieten die Grundlage für die Interpretation weiterer Informationen, z. B. durch Gespräch und Beobachtung.
Zur Erweiterung der Kenntnisse bezüglich der Lebensumstände können folgende Fragen nützlich sein:
• Wo wohnt das Kind?
• Wie weit ist der Trainingsort entfernt?
• Welche Verkehrsmittel benutzt das Kind?
• Wird es von Eltern gebracht und abgeholt?
• Ist es sich selbst überlassen?
• Hat es Geschwister?
• Wie verbringt es die freie Zeit? Wie sind die Leistungen in der Schule?
• Gibt es noch andere Hobbys, die mit dem Sport konkurrieren?
• Sind die Eltern sportfreundlich eingestellt?
• Welche Erwartungen verknüpft das Kind mit dem Sport?
• Hat es bestimmte Ziele?
• Aus welchen Gründen entscheidet es sich gerade für diese Sportart?
Die Beobachtung
Sie stellt das alltägliche Instrument dar, das der Trainer verwendet, um das Verhalten seiner Schützlinge zu beurteilen.
Jeder Trainer muss sich jedoch bewusst sein, dass die Beobachtung nur über das äußerlich erkennbare Verhalten Aufschluss gibt.
Es wäre voreilig, aufgrund eigener Erfahrungen auf innere Ursachen des beobachteten Verhaltens zurückzuschließen. Ein gesenkter Kopf kann z. B. Konzentration bedeuten oder depressive Verstimmung signalisieren, wagemutiges Verhalten kann auf überzogenes Anerkennungsbedürfnis oder auf Angst zu versagen zurückzuführen sein.
Deshalb sollte der Trainer keine voreiligen Schlüsse aus seinen Beobachtungen ziehen und versuchen, möglichst über das Gespräch die Hintergründe des beobachteten äußeren Verhaltens zu erhellen.
Das Gespräch
Es dient in erster Linie dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung Trainer-Kind und weiterhin als wichtige Informationsquelle. Um zu verhindern, dass sich schon zu Beginn Barrieren oder Hemmungen aufbauen, empfiehlt es sich, das Gespräch mit positiven Dingen einzuleiten und angenehme Inhalte zu wählen, über die man gerne spricht, z. B.:
„Welche Hobbys betreibst du noch?“, „Was hast du in den Ferien vor?“, oder auch: „Was gefällt dir an deinem Sport am besten?“ Dadurch wird verhindert, dass sich schon zu Beginn innere Widerstände bilden, die verhindern, dass sich das Kind vertrauensvoll an den Trainer wendet.
In die Zusammenschau der Erkenntnisse, die er aus diesen drei diagnostischen Instrumenten gewinnt, kann der Trainer nun seine eigene Erfahrung und seine Menschenkenntnis einbringen und sich so ein einigermaßen realistisches Bild der Motive, der Erwartungen oder der besonderen Ursachen auffälliger Verhaltensweisen bei Problemkindern machen.
Trotzdem sollte sich der Trainer im Klaren darüber sein, dass jedes Kind eine eigene, unaustauschbare Lebensgeschichte hat. Alle Erkenntnisse bleiben bruchstückhaft und man muss stets bereit sein, vorgefasste Meinungen wieder zu überdenken und zu versuchen, sie auf die Bedingungen der einzelnen Kinder hin neu zu definieren und bereit sein, Maßnahmen zu verändern.
3.2 Pädagogisch-psychologische Zielsetzungen
Ziel des Kinder- und Jugendsports ist es, dazu beizutragen, dass junge Menschen selbstständig werden, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gewinnen und befähigt werden, ihr Leben in eigener Verantwortung zu gestalten.
Auch der Kinder- und Jugendsport stellt einen Wegbereiter für das spätere Erwachsensein dar. Seine Ziele sollen den Kindern Orientierungshilfe bieten und gewährleisten, dass sich keine Lebensbarrieren, keine Lernplateaus, kein Zielverlust oder Ziellosigkeit einstellen.
Es hat sich z. B. gezeigt, wie nachteilig sich Schülermeisterschaften auswirken können. Wenn die Meisterschaft das Ziel des Kindersports ist, dann stellt sich nach Erreichen dieses Ziels oftmals der Zustand der Ziellosigkeit ein. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung wird durch solche Plateaus unterbrochen. Nur wenn Wünsche und Zielstellungen vorhanden sind, die weit in die Zukunft reichen, auch wenn es nur Visionen oder Traumziele sind, entfalten sie doch eine motivierende Kraft, die verhindert, dass Kinder nach dem Erreichen von Kurzzeiterfolgen die Lust verlieren.
3.2.1 Worauf gründet der pädagogische Optimismus?
Alfred Adler hat in seiner „Individualpsychologie“ das natürliche Minderwertigkeitsgefühl als die Basis der Erziehbarkeit bezeichnet.
Was ist darunter zu verstehen?
Das Kind erlebt, dass es aus eigener Kraft noch nicht lebensfähig ist. Es akzeptiert diese Unzulänglichkeit und Unterlegenheit in der Erwachsenenwelt und entwickelt dadurch Minderwertigkeitsgefühle, die es zu kompensieren gilt (Abb. 41).
Das gesunde Minderwertigkeitsgefühl verbindet sich mit dem hoffnungsvollen Gefühl des „Noch-nicht-Könnens“, das im Lauf des Lebens überwunden werden kann. Das Minderwertigkeitsgefühl treibt den Menschen, sein Leben zu meistern, seine Probleme erfolgreich zu bewältigen.
Offensivgeist und die Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen, kennzeichnen das gesunde Minderwertigkeitsgefühl. Es stellt die Basis für das spätere Selbstvertrauen dar, das den Menschen befähigt, auch Rückschläge und Niederlagen zu akzeptieren, ohne dadurch seine positive Lebenseinstellung zu...