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E-Book

Marie Curie

Die erste Frau der Wissenschaft

AutorBarbara Goldsmith
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783492977029
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Marie Curie war eine Besessene, deren wissenschaftliche Karriere alle Rekorde brach. Sie ist die einzige Frau, die zwei Nobelpreise bekam, die erste, die diese Auszeichnung überhaupt erhielt. Bahnbrechend waren ihre Forschungen über Radioaktivität. Die renommierte Journalistin Barbara Goldsmith hat für die Recherche an diesem einfühlsamen Porträt noch immer schwer radioaktive Zeitdokumente eingesehen: Tagebücher, Briefe und Aufzeichnungen einer Ausnahmewissenschaftlerin und Frau, die für ihre Leidenschaft den eigenen Tod in Kauf nahm.

Barbara Goldsmith ist Historikerin und Journalistin. Sie schreibt für New York Times, Vanity Fair und The New Yorker. Ihre Bücher landen in Amerika regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Ausgezeichnet wurde sie u.a. mit dem »Emmy Award«. Schon als junges Mädchen war sie eine glühende Verehrerin von Marie Curie.

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Leseprobe

I


Frühe Einflüsse

»Eine große Entdeckung entspringt nicht fix und fertig dem Gehirn eines Wissenschaftlers wie Minerva in voller Rüstung dem Kopf Jupiters; sie ist das Ergebnis langer Arbeit«, schreibt Marie Curie. Und von Louis Pasteur stammt der Ausspruch: »Das Schicksal bevorzugt den Geist, der vorbereitet ist.« Doch große Leistungen erfordern mehr als wissenschaftliche Vorbereitung, nämlich einen Menschen, der sich mehr als alle anderen für die Lösung der Aufgabe eignet. Und Marie Curie, deren Persönlichkeit durch Diskriminierung und Entbehrungen, elterlichen Druck und Ehrgeiz, Patriotismus und Pazifismus geformt wurde, war ein solcher Mensch.

Als Vierjährige stand sie fasziniert vor einer Vitrine »mit mehreren Fächern, in denen es zahlreiche wunderliche, zierliche Dinge zu sehen gibt, gläserne Röhren, leicht gefügte Waagen, verschiedene Mineralien und sogar ein Elektroskop mit einem Goldblatt«[5]. Professor Wladislaw Sklodowski erklärte seiner staunenden Tochter, das sei seine »Physikausrüstung«. Maria Salomee Sklodowska, genannt Mania[6], aus der später die weltberühmte Madame Curie werden sollte, hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber die Worte ihres Vaters blieben ihr im Gedächtnis. Diese Anekdote, die Ève Curie schildert, deutet auf ein frühes Interesse für die Naturwissenschaften hin und sagt etwas über das Verhältnis der Kleinen zu ihrem Vater aus. Die Vitrine blieb verschlossen, seit die Kurse von Professor Sklodowski nach dem blutig niedergeschlagenen Januaraufstand des Jahres 1863 nicht mehr stattfinden durften. Marie Curie schreibt, ihr Vater sei durch russische Unterdrückung um eine möglicherweise herausragende Wissenschaftlerkarriere gebracht worden. »Mein Vater hatte kein Labor und konnte folglich keine Experimente durchführen.«[7] Mania sollte wie so viele andere Kinder die unerfüllten Träume des Vaters verwirklichen.

Professor Sklodowski führte in jenen Jahren ein unsicheres Dasein als Unterinspektor und Lehrer in einem kaiserlichen Jungengymnasium in Warschau. Solche russischen Gymnasien waren die einzigen Bildungseinrichtungen, die Zeugnisse ausstellen durften. Viele der polnischen Lehrer in diesen Schulen galten bei ihren Landsleuten als durch die Russen »vergiftet«. Wladislaw glaubte jedoch, die polnische Kultur durch seinen Unterricht am Leben erhalten zu können. Früher war Polen ein stolzes Land gewesen, aber nach der endgültigen Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo 1815 wurde der russische Zar Alexander II. beim Wiener Kongress zum »König von Polen« ernannt und das Land der gemeinsamen Kontrolle von Russland, Preußen und Österreich unterstellt. Sogar die Bezeichnung »Polen« tilgte man von vielen Landkarten und nannte das Gebiet »Wisla« [Weichsel], nach dem Fluss gleichen Namens. Die Russen gingen besonders grob zu Werke. Die polnische Sprache wurde in den Schulen genauso verboten wie der Unterricht in polnischer Geschichte und Literatur. Die offizielle Sprache war Russisch, und alle Straßen- und Ladenschilder mussten in Kyrillisch beschriftet werden.

Zwei Aufstände gegen die russische Besatzung waren fehlgeschlagen; beide hatten unmittelbare Auswirkungen auf die Familie Sklodowski. Während des ersten im November 1830 kämpfte Wladislaws Vater Josef, ein angesehener Physik- und Chemielehrer, in der Artillerie. Als die Russen ihn gefangen nahmen, musste er barfuß über 200 Kilometer zu einem Lager marschieren. Dabei verlor er fast 20 Kilo Gewicht. Seine Füße, nach dem Gewaltmarsch blutig und angeschwollen, sollten ihn den Rest seines Lebens quälen. Wie durch ein Wunder entkam er.

Der Aufstand vom Januar 1863 wurde ein katastrophaler Fehlschlag. Eineinhalb Jahre lang kämpften Polen, manche lediglich mit Spaten, Knüppeln und Hacken ausgerüstet, gegen die Armee des Zaren. Am Ende waren Tausende polnische Aufständische tot oder wurden nach Sibirien verbannt. Ein Onkel von Mania wurde bei den Auseinandersetzungen verwundet, ein anderer verbrachte vier Jahre in Sibirien. Etwa 100000 polnische Widerstandskämpfer flohen mit all den Habseligkeiten, die sie tragen konnten, in andere Länder, hauptsächlich nach Frankreich. Im August 1864 nahm man die Anführer des Aufstands gefangen und hängte sie. Ihre Leichen baumelten den ganzen Sommer von den Wällen der Alexan-derzitadelle nur wenige Häuserblocks von der Wohnung der Sklodowskis entfernt und verwesten langsam in der Hitze.

Die Sklodowskis entstammten dem polnischen Landadel, der sogenannten Szlachta. Obwohl sich einige aristokratische Statussymbole erhalten hatten, zum Beispiel Wappen und Dörfer, die den Namen bestimmter Familien trugen, hatten die meisten im Lauf der Jahre sowohl ihren Grund- als auch den sonstigen Besitz verloren. Vielleicht bewahrten die Angehörigen dieser Schicht gerade deshalb einen gewissen Standesdünkel, wenn es um Werte ging, die nicht in weltlicher Währung gemessen wurden. Bildung und Nationalstolz hatten in Manias Familie eine lange Tradition. Schon ihr Großvater Josef hatte an der Warschauer Universität studiert und später in den weniger repressiven Provinzen unterrichtet. Nachdem die Warschauer Universität nach dem Aufstand von 1830 vorübergehend geschlossen worden war, sah sich ihr Vater Wladislaw gezwungen, Privatunterricht in Biologie zu nehmen; später studierte er an der Naturwissenschaftlichen Hochschule von St. Petersburg, wo er seinen Abschluss in Mathematik und Physik machte. Anschließend kehrte er nach Warschau zurück und arbeitete dort als Assistenzlehrer. Sein Gehalt war so niedrig, dass er damit kaum über die Runden kam, geschweige denn daran denken konnte, eine Familie zu gründen. Doch dann lernte er Bronislawa Boguska kennen, eine schöne, kultivierte Frau, die wie er aus der Szlachta stammte.

Bronislawas Eltern hatten, entgegen der allgemeinen Überzeugung der Zeit, dass Frauen weder die körperlichen noch die geistigen Voraussetzungen für das Erlernen eines anspruchsvollen Berufs besäßen, dafür gesorgt, dass ihre Tochter die einzige Privatschule für Mädchen in Warschau besuchen konnte. Während sämtliche privaten Bildungseinrichtungen von russischen Beamten überwacht wurden, unterlagen Mädchenschulen weniger strikten Kontrollen, weil die Russen glaubten, Frauen würden ohnehin nie am öffentlichen Leben oder der Politik teilhaben oder eine wichtige Position in der Welt der Männer bekleiden.

Als Bronislawa und Wladislaw 1860 heirateten, hatte sie sich dank ihrer Intelligenz und Kompetenz von einer einfachen Lehrerin zur Leiterin der Schule in der Fretastraße hochgearbeitet. Sie nannte ein solides Einkommen und eine geräumige Erdgeschosswohnung neben der Schule ihr eigen. Mit der Heirat begann für sie ein Leben, in dem sie eine Doppelbelastung zu schultern hatte. Sie musste Geld verdienen und gleichzeitig die Kinder großziehen. In den sechs Jahren nach ihrer Heirat gebar sie fünf Kinder: Sofia (Spitzname Zosia) 1862, Josef 1863, Bronislawa (Bronia) 1865, Helena (Hela) 1866 und am 7. November 1867, im selben Jahr, in dem der erste Band von Karl Marx’ Das Kapital erschien und Alfred Nobel das Dynamit patentieren ließ, ihr letztes Kind Maria Salomee (Mania). Danach vertraute Bronislawa einer Freundin an: »Ich muss gestehen, dass ich nichts dagegen hätte, wieder Fräulein Boguska zu sein, jetzt, wo ich sehe, wie schwierig das Leben einer Ehefrau ist.«

1867 wurde Bronislawas Mann Konrektor eines russischen Gymnasiums in der Nowolipkistraße. Seine neue Stelle brachte auch eine Wohnung mit sich. Es war keine Frage, dass Wladislaws Karriere wichtiger war als die seiner Frau, weshalb die Familie – vier Töchter und ein Sohn – aus dem Warschauer Zentrum an den westlichen Rand der Stadt zog. Für Broni-slawa hieß das, jeden Tag den langen Weg zur Schule in der Fretastraße auf sich zu nehmen, eine Belastung, die sich mit der Zeit auf ihre Gesundheit niederschlug. Sie gab ihre Stelle auf, wurde Hausfrau und unterrichtete Zosia und Josef daheim. Um ein paar Rubel dazuzuverdienen, brachte sie sich selbst das Schustern bei und stellte fortan die Fußbekleidung ihrer Kinder zum reinen Materialpreis her. Das Klopfen ihres Hammers begleitete stets den Unterricht.

1871, Mania war vier, begann ihre Mutter, Gewicht zu verlieren und ununterbrochen zu husten, eindeutige Symptome von Tuberkulose. Mania erzählte später, dass sie sich an keinen einzigen Kuss und keine Umarmung ihrer Mutter erinnern könne. Zweifelsohne handelte es sich um eine Vorsichtsmaßnahme Bronislawas, die auch ihr eigenes Geschirr und Besteck verwendete; aber das kleine Mädchen, das sich nach Liebe sehnte, empfand ihre Zurückhaltung als schmerzhaft. Hinzu kam, dass die Sitten der Zeit die Distanz zwischen Eltern und Kindern ohnehin förderten. Die Eltern besaßen absolute Autorität und wurden in der Höflichkeitsform angesprochen.

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