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E-Book

Marie Curie

AutorFritz Vögtle, Peter Ksoll
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644406001
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Marie Curie (1867 - 1934) begründete die Radiologie und die Radiochemie und entdeckte die Elemente Polonium und Radium. Gemeinsam mit ihrem Mann Pierre legte sie den Grundstein für die Radioaktivitätsforschung des 20. Jahrhunderts. Für ihre Arbeiten erhielt sie 1903 als erste Frau einen Nobelpreis (für Physik), 1911 bekam sie auch den Nobelpreis für Chemie. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Fritz Vögtle, geboren 1939 in Ehingen/Donau, studierte Chemie in Freiburg sowie Chemie und Medizin in Heidelberg. Promotion 1965, Habilitation 1969, danach bis 1975 Professor an der Universität Würzburg. Ab 1975 bis zu seiner Emeritierung 2006 Professor und Direktor des Kekulé-Instituts für Organische Chemie und Biochemie an der Universität Bonn. 1986 Gastprofessur an der Universität Barcelona. Auszeichnungen u. a.: Literaturpreis für «Comprehensive Supramolecular Chemistry» (1990), Lise-Meitner-Alexander-von-Humboldt-Preis (1993). Fritz Vögtle starb 2017 in Bonn.   Veröffentlichungen u. a.: «Dendritic Molecules» und «Dendrimers and Dendrons» (zus. mit George R. Newkome und Charles N. Moorefield, 1996 bzw. 2001), Co-Autor des elfbändigen Werks «Comprehensive Supramolecular Chemistry» (1996). Forschungsgebiete: Supramolekulare Chemie, Dendrimere, Struktur-Chiroptik-Beziehungen, konkave Moleküle und Catenane und Rotaxane. Für «rowohlts monographien» schrieb er die Bände über Thomas Alva Edison und Alfred Nobel und, zusammen mit Peter Ksoll, über Marie Curie.

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Leseprobe

Schulzeit, Jugend


Mania, der Bronia bereits als Vierjähriger das Lesen beigebracht hatte, wuchs in einer Atmosphäre ständigen Lernens auf. Sie nutzte die Vorteile, die sich hieraus ergaben, und hob sich bald von den anderen Schülerinnen des kleinen Mädchenpensionats Sikorska durch überdurchschnittliche Leistungen ab. Ihrer ausgeprägten Konzentrationsfähigkeit verdankte sie es, dass sie sich trotz der Unruhe zu Hause in ihre Bücher vertiefen und auf diesem Wege der oft tristen Wirklichkeit entfliehen konnte. Der häusliche Frieden kehrte nach einem erneuten Umzug in eine geräumigere Wohnung allmählich wieder ein. Endlich konnten die Sklodowskis ihre Privaträume von denen der Pensionsgäste abtrennen.

Zu ihrem Bedauern musste Maria die Schule wechseln, denn nur die kaiserlichen Gymnasien eröffneten den Zugang zu einem Hochschulstudium. Allerdings waren den Frauen die heimischen Universitäten trotz alldem verschlossen, und ihnen blieb nur der lange und kaum erschwingliche Weg ins Ausland. Im Pensionat hatten sie heimlich Polnisch-Unterricht gehabt, obwohl Russisch offizielle Landessprache war und den Lehrern sowie Schülern Strafe drohte, sollten sie denunziert oder von einem russischen Schulinspektor ertappt werden. In den kaiserlichen Gymnasien dagegen, in denen das Lehrpersonal großteils russischer Herkunft war, kamen solche Übertretungen nicht vor. Die russischen Lehrer stießen daher auf Ablehnung bei den polnischen Schülern; oft kam es zu gegenseitigen Attacken. Trotz dieser Widrigkeiten verlor Maria ihr höchstes Ziel nie aus den Augen: Lernen. Am besten dokumentiert dies folgender Abschnitt aus einem ihrer Briefe an ihre Schulfreundin Kazia Przyborowska: Weißt Du, Kazia, trotz allem habe ich die Schule gern. Vielleicht wirst Du Dich über mich lustig machen, und doch sage ich Dir, daß ich sie gern habe, sehr gern sogar. Ich bemerke es jetzt erst. Bilde Dir nur nicht ein, daß sie mir fehlt! Nein, das gewiß nicht! Aber der Gedanke, daß ich bald wieder in die Schule komme, ist gar nicht traurig, und die beiden Jahre, die ich noch dort bleibe, kommen mir gar nicht mehr so schrecklich, so furchtbar lang vor, wie ich geglaubt habe.

Die beiden fünfzehnjährigen Mädchen verbindet eine innige Freundschaft, die auch nach ihrer Schulzeit fortdauert. Am 12. Juni 1883 ist der ersehnte Tag der Entlassung endlich gekommen. Wie schon ihren Geschwistern Josef und Bronia wird auch ihr als bester Schülerin des Jahrgangs eine goldene Medaille überreicht. Jedoch war Marias gesundheitlicher Zustand durch die psychischen und physischen Anstrengungen und Belastungen der letzten Jahre so ernst geworden, dass ihr Vater beschloss, sie für ein Jahr zur Erholung aufs Land zu schicken. Es war wahrscheinlich kein organisches Leiden, vielmehr brauchte sie eine Ruhepause, in der sie sich entspannen, die Schule vergessen und ihre alltäglichen Sorgen hinter sich lassen konnte. Bei ihren Verwandten in Zwola verbrachte sie ihre ersten Ferientage, anschließend ging es weiter zu ihrem Onkel Ksawery nach Zawieprzyce bei Lublin. Dort erfreute sie sich, wie schon in ihrer Kindheit, am Landleben, lernte Reiten und genoss ihr Nichtstun. Ihrer Freundin Kazia schreibt sie in jenen Tagen:

Ich kann sagen, daß ich, abgesehen von einer Stunde Französisch-Unterricht mit einem kleinen Jungen, nichts tue, absolut nichts – denn ich habe sogar die Stickerei aufgegeben, die ich angefangen hatte … ich habe keinen Stundenplan. Manchmal stehe ich um vier oder fünf auf (morgens, nicht abends!), ich lese keine ernsthaften Bücher, nur harmlose und alberne kleine Romane. So fühle ich mich, trotz des Diploms, das mir die Würde und Reife einer Person zuspricht, die ihre Studien abgeschlossen hat, unglaublich dumm. Manchmal lache ich ganz für mich, und ich betrachte meinen Zustand vollkommener Dummheit mit großer Befriedigung.

Zwischendurch besuchte sie Zakopane. Der Anblick der bizarren Gebirgslandschaft der Tatra blieb ihr für immer unvergesslich. Auf langen Wanderungen über steile Pfade und an Bergseen vorbei vertiefte sich ihre Liebe zur Natur.

Den Winter verlebte sie in Skalbmierz zusammen mit Tante und Onkel Sklodowski und deren drei mit Maria etwa gleichaltrigen Töchtern. Es sollten die turbulentesten Tage ihrer Jugend werden. Diese lebensfrohe Familie ließ keinen Anlass aus, um zu feiern. Unentwegt fanden Vorbereitungen statt – sei es wegen der Ankunft von Gästen oder für die Höhepunkte der Karnevalszeit. Von den ausgelassenen Tagen und Nächten berichtet die begeisterte Maria in einem Brief an ihre Schwester Bronia:

Ich habe noch einmal am Sonnabend auf dem Kulig die Wonne des Karnevals genossen und denke, daß ich mich nie wieder so amüsieren werde, weil auf einem Frackball nie jene Lust und Fröhlichkeit herrschen kann wie hier.

Wir sind ziemlich früh angekommen. Ich fungiere als Frisöse, denn ich kämmte die Mädchen für den Abend, und zwar sehr gut. Die anderen kamen gegen acht, unterwegs ist so einiges passiert, wir haben die Musikanten verloren und wieder gefunden, eine Kutsche ist umgekippt. Man teilte mir meine Nominierung zur «Braut» mit und stellte mir den «Bräutigam» vor, einen sehr gut aussehenden, schicken Krakauer. Der Kulig gelang einzigartig. Wir tanzten am hellen Tag um acht Uhr Mazurka, und es war so fröhlich wie am Anfang. Sechzehn Paare. Wir haben den herrlichen Oberek mit seinen Figuren getanzt, und Du mußt wissen, daß ich ausgezeichnet Walzer tanzen gelernt habe, ich hatte einige Touren im voraus vergeben. Wenn ich herausging, um mich auszuruhen, warteten sie an der Tür auf mich.

Aber auch der Sommer hielt viele Freuden für Maria bereit. Sie hatte erneut ihren Ferienort gewechselt. Diesmal war sie zusammen mit ihrer Schwester Hela von einer ehemaligen Schülerin ihrer Mutter auf das Gut ihres französischen Gatten, dem Grafen de Fleury, eingeladen worden. Dass sie auch hier keine Gelegenheit zur Langeweile hatte, belegt folgender Ausschnitt aus einem Brief an Kazia:

Jetzt sind wir schon einige Wochen in Kepa, ich müßte Dir unser Leben hier beschreiben, aber ich habe keine Kraft dazu, sondern sage Dir nur, daß es wunderbar ist! Wir machen alles, was uns einfällt, mal schlafen wir nachts, mal am Tage, wir tanzen und machen überhaupt solche Dummheiten, daß wir es manchmal verdienten, ins Irrenhaus geschickt zu werden.

Nur zu schnell verging diese Zeit der völligen Sorglosigkeit. Gut erholt kehrte Maria im September 1884 nach Warschau zurück. Einiges hatte sich inzwischen verändert. Da der Vater aus Altersgründen keine Schüler mehr aufnahm, war die Familie in eine kleinere Wohnung in der Nowopolkistraße umgezogen. Zudem rückte die Pensionierung des Vaters näher, und sie standen erneut vor ihrem immer wiederkehrenden Problem: Geldmangel. Jetzt war die Reihe an den Kindern, sich um eine Lösung zu bemühen. Diese war schnell gefunden, sie versuchten es als Nachhilfelehrer. Jedoch gab es damals viele Konkurrenten, die sich auf diese Weise ihr Studium finanzieren wollten. Wie schwer es war, Schüler zu finden, und vor allem, wie wenig dafür bezahlt wurde, geht aus den folgenden Zeilen Marias hervor: Jemand, der durch Freunde von uns wußte, kam, um wegen Nachhilfestunden zu fragen; als Bronia von einem halben Rubel für die Stunde sprach, lief der Besucher davon, als sei Feuer im Haus ausgebrochen …

Dass die Schüler sie zu Hause aufsuchten, war selten der Fall, meistens mussten sie von einem zum anderen weite Entfernungen bei Wind und Wetter zurücklegen, und dies zu Fuß. Trotz dieser strapaziösen und zeitraubenden Tätigkeit nahm Maria in ihrer Freizeit zusammen mit ihren Schwestern an den Vorlesungen der «Fliegenden Universität» teil. Da diese auch Frauen offenstehende Einrichtung, die aus Zusammenkünften in Privatwohnungen bestand, illegal war, setzte sich Maria erneut der Gefahr aus, bestraft zu werden. Die Gruppe der überwiegend weiblichen Teilnehmer wurde von der siebenundzwanzigjährigen Gymnasiallehrerin Bronislawa Piasecka geleitet. Sie waren stark von den Gedanken des Positivismus Auguste Comtes und Herbert Spencers beeinflusst und hatten die Lösung der politischen Probleme auf ihre Fahne geschrieben. An die Stelle von blutigen Aufständen und sporadischen Terroraktionen sollte der Aufbau eines geistigen Potenzials als Triebfeder zur Veränderung treten. Ihre Vorbilder waren Wissenschaftler wie Pasteur und Darwin, die in jenen Tagen durch ihre Arbeiten großes Aufsehen erregt hatten.

Wenn das Ziel auch zu hoch gesteckt war, so sammelte Maria in dieser für sie sehr wertvollen Zeit doch viele Erfahrungen. Noch 40 Jahre später erinnert sie sich gern an die anregenden Diskussionen und vertrat weiterhin die Grundgedanken der «positiven Idealisten», wie sie sich selbst einmal bezeichnete: Ich bewahre eine lebhafte Erinnerung an jene freundliche Atmosphäre von geistiger und sozialer Kameradschaft. Die Möglichkeiten des Wirkens wären gering, und die erreichten Ergebnisse konnten nicht beträchtlich sein. Dennoch halte ich an dem Glauben fest, daß die Ideen, die uns damals leiteten, die einzigen sind, die zu einem wahren Fortschritt führen können. Wir dürfen nicht hoffen, eine bessere Welt zu erbauen, ehe nicht die Individuen besser werden. In diesem Sinn soll jeder von uns an seiner eigenen Vervollkommnung arbeiten, indem er auf sich nimmt, was ihm im Lebensganzen der Menschheit an Verantwortlichkeit zukommt, und sich seiner Pflicht bewußt bleibt, denen zu helfen, denen er am ehesten nützlich sein kann.

Wie ernst es ihr mit der Erfüllung...

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