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Was ist eine Marke?
Antwort: Eine Marke ist ein positives Vorurteil.
Jede Marke ist ein positives Vorurteil in den Köpfen der Menschen. Jede Marke existiert wirtschaftlich, weil eine bestimmte Gruppe von Menschen ein positives Vorurteil über die Leistung des markenführenden Unternehmens besitzt. Ob Nivea, Fliesenleger Hans Kachel oder die Lieblingspizzeria um die Ecke – sowohl die globale Konzernmarke als auch der regionale Handwerker und das Restaurant im Viertel besitzen ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage aus einem bestimmten Grund: weil sich eine gewisse Anzahl von Menschen darüber einig ist, dass die spezifischen Leistungen der drei Unternehmungen gut sind, und diese Menschen daher diese Leistungen regelmäßig bei Bedarf in Anspruch nehmen. Eine an sich heterogene Personengruppe teilt ein positives Vorurteil über eine spezifische Leistung und bildet in Bezug auf diese Leistung eine homogene Gruppe.
Der Aufbau eines positiven Vorurteils folgt organischen Sozialprinzipien: Ein Produkt oder eine Dienstleistung trifft auf Resonanz bei einer bestimmten Personengruppe, die daraufhin bereit ist, in diese spezifische Leistung wiederholt ihr Geld zu investieren. Über den regelmäßigen Verkauf von Ware an diese Gruppe entsteht wirtschaftliche Sicherheit beim Anbieter. Dank der Existenz von Wiederkäufern erhält der Verantwortliche eine Berechnungsgrundlage für sein Geschäft. Erst Stammkundschaft ermöglicht vorausschauendes Steuern und Handeln: Ob Eckkneipe im Dorf oder Treppenlift im Haus – eine Marke wird nicht ab einem »irgendwie« prozentual festgelegten Popularitätsgrad wirksam. Sie wirkt ab dem Moment, in dem eine bestimmte Personengruppe zu Wiederkäufern wird und diese Menschen dem Unternehmen ihr Geld – meist im Voraus – anvertrauen, weil sie Vor-Vertrauen in die Leistung entwickelt haben.
| Ergo: Das positive Marken-Vorurteil ist immer an Leistung gekoppelt: Es ist das Resultat guter Leistungen über die Zeit. |
Gute Leistungen erschaffen positive Vorurteile
Dieser »einfache« soziale Vorgang ist entscheidend für die Markenbildung: Menschen sind mit einer Leistung dauerhaft zufrieden. So zufrieden, dass sie wiederholt gekauft haben und wiederholt keine Enttäuschung erleben mussten. Die Folge: Eine Anzahl Menschen redet positiv über eine Leistung und vermehrt darüber nach und nach die Anzahl der Käufer. Jede Marke der Welt funktioniert über ein solches Voraus-Urteil. Auch ein Zwischenhändler, der öffentlich gar nicht als Marke in Erscheinung tritt, existiert nur, weil seine Handelspartner ein positives Vorurteil über seine Leistung besitzen.
EXKURS: Das Vorurteil heute – Image-Desaster und PR-GAU
Das Vorurteil an sich hat seit Langem ein heftiges Imageproblem, weil es fast nur noch in seiner negativen Variante bekannt ist. So lautet der allgemeine Tenor: Vorurteile muss man bekämpfen und letztendlich abschaffen, denn nur dumme Menschen haben Vorurteile. Sowohl die Popularität als auch die Abwehr und Angst vor dem abwertenden Voraus-Urteil haben viel mit seiner historisch erwiesenen Durchschlagskraft und den oft völlig unkalkulierbaren Folgen zu tun: Vorurteile mobilisieren Massen und funktionieren im schlimmsten Fall wie ein sozialer Brandbeschleuniger. Daher wird mancher Politiker, der unter sinkendem allgemeinen Zuspruch bei gleichzeitig gesteigertem eigenem Machtinteresse leidet, spätestens eine Woche vor dem Urnengang zum Sozial-Pyromanen. Wie er das macht? Indem er mit zwei bis drei bewusst gewählten und öffentlich gesprochenen Sätzen die passenden kollektiven Vorurteile und somit Wählermassen aktiviert. Wie gut das funktioniert, wenn man es nur konsequent genug macht, hat eine junge Partei in Deutschland jüngst erfolgreich vorgeführt.
Aber warum klappt das so »gut«? Als oftmals über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Deutungsmuster besitzen Vorurteile soziale Energien, die nahezu unüberwindbar sind. Exakt darin liegt der Grund für ihre Widerstandskraft gegenüber gut gemeinten Nachbarschaftsfesten und anderen Versuchen, diese Vorurteile einzudämmen. Wer gegen starke Vorurteile kämpft, hat schwache Chancen: Es geht gegen Überzeugungen, die oft von einer Generation an die nächste vererbt werden und konstituierend für das Selbstbild der betroffenen Menschen sind – also echter Sozial-Granit. In der Konsequenz herrscht akute Bruchgefahr für jeden ethisch erhobenen Zeigefinger gegen kahl rasierte Schädel alter deutscher Prägung. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit.
»Das negative Vorurteil ist mit dem positiven eins. Sie sind zwei Seiten einer Sache.«4 Der Soziologe Max Horkheimer charakterisiert einen bedeutsamen Sachverhalt: Jedes positive Vorurteil inkludiert ein negatives und umgekehrt. Punktum. Wissenschaftlich wertfrei ist ein Vorurteil somit nicht per se eine Verfehlung menschlicher Toleranz, sondern »nur« eine Vereinfachung, welche die Vielfalt individueller Handlungen einer Gruppe bündelt. So betrachtet wäre ein effizienter Einkaufsgang zu Edeka zehn Minuten vor Ladenschluss ein Ding der Unmöglichkeit, gäbe es keine Vorurteile: Wieso sollten wir darauf vertrauen, dass Danone, Emmi und Landliebe kein Formaldehyd in Plastikbecher füllen? Und wer oder was ist überhaupt dieser Da- none?
Ohne Vor-Wissen und Vor-Vertrauen in Marken und deren Leistungen wären die meisten Alltagsabläufe wie ein Blindflug zum Mars. Allein im Gang mit den diversen Konfitüren würde die Prüfzeit bis zur Entscheidung über das Haltbarkeitsdatum auf den meisten Gläsern hinausgehen.
In unserer modernen Welt sind Vorurteile die Grundvoraussetzung dafür, sich angesichts überbordender Komplexität überhaupt eine Chance auf einen Überblick zu erhalten. Möchten Sie wirklich in Ihrem Alltag ständig jedes Vorurteil austesten? Persönlich prüfen, ob in Rom oder Palermo die Autos am Zebrastreifen eher anhalten als in Oslo oder Hamburg? Selbst testen, ob großflächig tätowierte Menschen eher zu Gewalt neigen als tatoofreie? Da waren jetzt wohl einige »böse« Vorurteile dabei, aber vielleicht sind diese ja hilfreich für Ihren nächsten Italienaufenthalt. Und manchmal sind Vorurteile einfach nur zum Lachen, trotz fehlender Political Correctness: »Du bist so überflüssig wie ein Fundbüro in Polen.«
Die Medaille hat demnach zwei Seiten: Es sind genau jene hartnäckigen Vorurteile, die einerseits zu Hass und den grausamsten Ereignissen führen (jeden Tag neu, wie die Nachrichten beweisen), die aber andererseits aufgrund genau dieser sozialen Härte-Eigenschaften für jeden Wirtschaftskörper einen Segen darstellen: Unternehmen und deren Marken existieren, weil Menschen ein positives Vorurteil besitzen, das sich sogar gegen Affen- und Dieselskandale, Elchtests, Rückrufaktionen, Analogkäse und Pferdefleisch als erstaunlich stabil erweist. Wenn die Marke VW nicht viele Jahrzehnte lang erfolgreich über herausragende Leistungen im Automobilbau ein starkes positives Vorurteil im globalen Markt etabliert hätte, könnte das Unternehmen ein Dieselgate kaum überleben.
Unter diesem Blickwinkel wird deutlich, was Wirtschaft wirklich bedeutet. Um in der Automobilbranche zu bleiben: BMW, Audi, Lexus oder Tesla – Wirtschaft ist der Kampf um das stärkste positive Vorurteil über eine Leistung. Je stärker das Vorurteil, umso anziehender und reizvoller die Marke. Daher werden heute bevorzugt eher ältere Marken aufgekauft oder reaktiviert, als eine komplett neue Marke aufzubauen.5 Einziger Grund dafür: Es existiert bereits ein positives Vorurteil über deren Leistung. Daher kann man mit dieser Marke im Wortsinne leichter rechnen und spart gewaltig bei den Einführungskosten. Nur nebenbei erwähnt: Fast alle Marken-Neueinführungen scheitern.
Ein Beispiel zum Thema Vorurteile: Wenn man als Vortragsredner und Dozent über neun Jahre wiederholt spontane Live-Umfragen vor völlig unterschiedlichen Zuhörergruppen in unterschiedlichen Ländern startet und jeweils fragt, was den Anwesenden zur Marke »Volvo« einfällt, so werden drei Begriffe nahezu immer spontan genannt: »Schweden«, »Familie« und »Sicherheit« (alternierende Reihenfolge). Es existiert demnach neben der schwedischen Herkunft und der Familienfreundlichkeit ein positives Vorurteil bezüglich der Sicherheit der Fahrzeuge von Volvo. »Sicherheit« wird aber auch häufig genannt, wenn man nach Marken wie Mercedes, Sparkasse, Allianz oder Abus (Schlösser) fragt. Jede dieser Marken kann Sicherheit demnach als einen – neudeutsch – »Asset« für sich reklamieren.
Apropos Volvo: In den letzten Jahren rief immer eine Person aus der Gruppe »China«, sobald das positive Vorurteil »Schweden« genannt wurde. Hintergrund: Seit 2010 gehört die Volvo Car Corporation zum chinesischen Fahrzeugkonzern Zhejiang Geely Holding...