Aufgrund der außerordentlichen Größe von Russland ist es nahezu unmöglich vollumfängliche Aussagen über das Land als Ganzes zu treffen. In Folge dessen erhebt die vorliegende Arbeit nicht den Anspruch die spezifischen Umstände in den einzelnen Regionen Russlands zu analysieren und zu differenzieren. Das Hauptaugenmerk beruht auf Angaben, die über einen allgemeinbildenden Charakter für alle Wirtschaftszentren Russlands verfügen.
Zumindest administrativ lassen sich die wichtigsten Wirtschaftsgebiete in sieben Föderationskreise (Vgl. 1.Anhang) aufteilen, wovon sich beispielsweise das europäische Zentralrussland mit Moskau als Verwaltungssitz maßgeblich von dem zu Asien gehörenden Sibirien mit Nowosibirsk als Amtszentrum unterscheidet. Aufgrund der herausragenden Stellung Moskaus, soll nachfolgend ein bündiger Umriss zu der Hauptstadt der Russischen Föderation aufgezeigt werden. Anschließend erfolgt eine prägnante Erläuterung zu den übrigen Gebieten.
Moskau
Das politische und wirtschaftliche Machtzentrum des größten Landes der Erde ist in der Stadt an der Moskwa vereint. Moskau (Vgl. 2.Anhang) gilt als eine Stadt, die niemals schläft und auch darüber hinaus werden diverse Superlative mit der einstigen Heldenstadt assoziiert. Über 90 % der ausländischen Unternehmen in Russland sowie fast alle russischen Regionalfirmen haben einen Sitz im größten Ballungszentrum
Europas. Folglich fallen ca. 80 % des Kapitalumlaufs von Russland auf die Hauptstadt. Gründe hierfür können überwiegend in dem gut ausgebauten Transport-, Kommunikations- sowie Bankennetz gesehen werden.[13] Somit gilt die Region Moskau auch für deutsche Unternehmen als das wichtigste Markteintrittsgebiet in Russland.[14]
Außerhalb Moskaus
Doch neben dem Wirtschafts- und Machtkern Russlands streben auch weitere regionale Zentren eine führende wirtschaftliche Stellung an. Längst sind St. Petersburg, Jekaterinenburg, Nischnij Nowgorod sowie Nowosibirsk aus dem Schatten Moskaus getreten und profitieren von ihren spezifischen Standortvorteilen.[15] Aktuell profiliert sich zunehmend die Austragungsstätte der Olympischen Winterspiele 2014: die Region Sotschi. Bislang sind in diesem Landesteil moderne Infrastrukturnetze, vor allem im Bereich Gesundheit, Telekommunikation, Versorgung und Verkehr nur defizitär vorhanden.[16] Gerade deutsche Industrieunternehmen könnten maßgeblich von dieser Investitionsentwicklung mit einem geschätzten Volumen von elf Milliarden USD profitieren.[17]
An dieser Stelle ist jedoch zu bemerken, dass sich durch das Erstarken der „neuen Wirtschaftsregionen" in den einzelnen Föderationskreisen zunehmend ein Konkurrenzkampf mit dem Zentrum in Moskau manifestiert.[18]
Ein deutsches Unternehmen mit der Absicht grenzüberschreitend in Russland tätig zu werden, sollte sich in Anbetracht der Größe des Landes zunächst auf eine einzelne Wirtschaftsregion konzentrieren, die dortigen Marktgegebenheiten (u.a. Infrastrukturausbau, Beschaffungskosten und Verfügbarkeit von Ressourcen) analysieren und von den regionalen Differenzierungen (z.B. in Bezug auf die Besteuerung)[19] profitieren.[20]
Die anschließende Arbeit konzentriert sich nicht auf eine spezifische Branche, sondern verfolgt den Ansatz, allgemeingültige Aussagen für Unternehmen unterschiedlichster Wirtschaftszweige zu liefern. Allerdings werden in diesem Kontext die per Gesetz geschützten strategischen Schlüsselbranchen,[21] welche für die Russische Föderation von besonderer Bedeutung sind und somit als Sperrzonen für ausländische Investoren gelten, aus der nachfolgenden Betrachtung ausgeschlossen.[22]
Darüber hinaus soll erwähnt werden, dass sich vor allem in folgenden Branchen enorme Absatzwachstumsmöglichkeiten, aufgrund anhaltender Aufholungsprozesse in Richtung westlicher Standards, aufzeigen: Finanzdienstleistungen, Automobilindustrie sowie Konsum- und Luxusgüter. [23]Die derzeit etwa 4.600 deutschen Unternehmen mit Niederlassungen in 82 von 83 Verwaltungssubjekten Russlands[24] stammen vorwiegend aus den Bereichen der Automobilindustrie (z.B. Volkswagen in der Region Kaluga), dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Bau-, Dienstleistungs- und Logistikbranche.[25] Gemäß einer Marktanalyse von KPMG ist der russische Einzelhandelsmarkt für Lebensmittel nach China derjenige mit der weltweit höchsten Marktattraktivität.[26] Aber auch unscheinbarere Betätigungsfelder, z.B. in der Landwirtschaft sowie im Bioenergiesektor bergen ähnlich solide Geschäftsaussichten für deutsche Investoren wie der Bereich der erneuerbaren Energien und der energieeffizienten Technologien. Gerade diese Sektoren werden in Hinblick auf die zunehmende Notwendigkeit zur Diversifizierung der russischen Wirtschaft und der Loslösung von der Energierohstoffabhängigkeit stärker in den Fokus staatlicher Investitionen rücken.[27] Nicht zuletzt weist das marode Gesundheitssystem Russlands einen riesigen Nachholbedarf mittels Importe von Medizintechnik (derzeit stammen 30 % der Importe aus Deutschland) auf.[28]
Zudem soll an dieser Stelle auf die auseinanderlaufenden Interessenlagen von deutschen Unternehmen und deren Kooperationspartnern in Russland bezogen auf die unterschiedlichen Branchen hingewiesen werden. Zum einen ist Russland angesichts seines wirtschaftlichen Modernisierungsweges auf den Import von Industriegütern und das Know-how deutscher Unternehmen angewiesen.[29] Vor allem deutsche Maschinenbauer (derzeit stammen 25 % der Importe aus Deutschland) sowie Unternehmen aus den Bereichen Logistik und Intralogistik,[30] Chemie und Kunststoffprodukte konnten ihre Vorrangstellung aufgrund der Importabhängigkeit Russlands in den letzten Jahren stark ausbauen. Insofern wird deutlich, dass die „Außenhandelsstruktur [der] beiden Länder [durch ein] deutliches Ungleichgewicht"[31] geprägt ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer hohen Branchendiversifikation der wichtigste Außenwirtschaftspartner für die Russische Föderation bezogen auf das bilaterale Außenhandelsvolumen.[32] Andererseits profitieren Russland und speziell die einheimischen Unternehmen von ihrer monopolähnlichen Ressourcenausstattung. Im Export dominiert die Ausfuhr von klassischen Energierohstoffen, vor allem Erdöl und -gas nach Deutschland (32 bzw. 36 % des deutschen Bedarfs stammt aus Russland).[33] Dieser Umstand bewirkt eine ambivalente Verhandlungsbasis je nach Maß des Abhängigkeitsverhältnisses.
Die fortführende Betrachtung richtet sich hauptsächlich an deutsche multinationale und international agierende Unternehmen mit absatz- und produktionsorientierten Markteintrittsmotiven in Russland. Diese werden aber weder nach ihrer Rechtsform in Deutschland, noch in Russland,[34] unterschieden. Gleichzeitig spielt der Zeitraum seit der Unternehmensgründung für die nachfolgende Darstellung lediglich eine marginale Rolle.
Sieber spricht von einer multinationalen Unternehmung, „wenn das im Ausland abgewickelte Geschäft einen so hohen Anteil am Gesamtumsatz oder Gesamtgewinn ausmacht, 'dass (die Unternehmung) sich in den Grundfragen ihrer Geschäftspolitik und im Entwurf ihrer Organisation darauf einrichten muß, ... ".[35] Hierzu ergänzend fügt Borrmann an: Ein Unternehmen wird als international bezeichnet, „wenn auch die Unternehmensstruktur modifiziert wird, weil die Unternehmung sich 'in einer dauerhaften, mit privaten Direktinvestitionen verbundenen Weise in den Wirtschaftsprozeß verschiedener Volkswirtschaften integriert'".[36] Nach der gegenwärtig vorherrschenden Meinung gilt als internationale Unternehmung jede Geschäftstätigkeit „von der sporadischen Auslandsmarktbearbeitung bis hin zum integrierten Management weltweit präsenter Großunternehmen",[37] die als ausländische Direktinvestition, z.B. in Form einer Verkaufsniederlassung, in mindestens einem Land außerhalb des Stammlandes vorgenommen wird.[38] In diese Definition können somit auch die Vielzahl deutscher Mittelstandsunternehmen, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), eingeschlossen werden, welche Russland als Absatz- und Beschaffungsmarkt erschließen. Indes muss bemerkt werden, dass lediglich 20 % der westeuropäischen kleinen Unternehmen mit maximal 20 Angestellten eine Auslandsinvestition getätigt haben[39] und sie deshalb derzeit nur eine marginale Rolle bei dem Markteintritt in Russland spielen. Allerdings existiert keine empirische Studie darüber, dass KMU resultierend aus ihrer möglicherweise unzureichenden Ressourcenausstattung im Vergleich zu größeren Unternehmen weniger bereit sind in neue Märkte einzutreten.[40]An zahlreichen deutschen Mittelstandsunternehmen wird deutlich, wie flexibel und wirkungsvoll sie im Auslandsgeschäft auftreten können.[41] Deshalb folgen im Kapitel 4 partiell für diese Unternehmen modifizierte Ausführungen. An dieser Stelle muss allerdings kritisch angemerkt werden, dass die KMU vielfach nicht vollends zu den Strukturen und...