Einleitung
Diätbücher und Ratgeber zum Thema Abnehmen (inklusive Erfolgsgarantien) gibt es wie Sand am Meer. Regelmäßig zum Frühjahr überfluten diese Hochglanzprodukte inflationär den Buchmarkt, getreu dem Motto: Runter mit dem Winterspeck! Weniger Fett oder doch lieber weniger Kohlenhydrate? Auf jede Frage finden sich mindestens drei verschiedene Antworten, die sich widersprechen. Dennoch greifen Ratsuchende nach einem dieser Strohhalme, in der Hoffnung, endlich dauerhaft den angefutterten Pfunden zu Leibe zu rücken. Ein immer wiederkehrendes Ritual mit immer wiederkehrendem Ausgang … Dann gibt es jene essayistisch anmutenden Bücher, die sich lustig und aufgeräumt dem Thema Dicksein und Abnehmen (und wieder Dicksein)widmen. Diese Büchlein halten sich über viele Wochen in den Charts der meistgelesenen Bücher – man wundert sich. Komisch kann nur der solche Bücher finden, der moderat übergewichtig ist (oder gar nicht), der sich also mit den Autoren identifizieren kann und keinen wirklichen Leidensdruck empfindet. Wer hingegen fünfzig Kilo Übergewicht und mehr mit sich durchs Leben schleppt, dem vergeht angesichts des seichten Geplauders über ein ernstes Thema das Lachen.
Bei Dicken laufen simple Jetzt-musst-Du-das-tun-um-jenes-zu-bewirken-Tipps meist ins Leere. Und das hat manch überraschenden Grund. So sind viele Dicke, die ich kenne, durchaus Rebellen, die sich weigern, nach der Pfeife irgendwelcher Autoritäten zu tanzen; Dicke mögen Vorschriften und Kontrolle ebenso wenig wie Gesetze und Paragrafen. Dicke sind aber auch im selben Maße unvernünftig – sie scheren sich (vermeintlich) in den seltensten Fällen um ihre Gesundheit und die Auswirkungen ihrer Ess-Exzesse; man könnte also auch sagen, Dicke sind als Selbstmörder mit Messer und Gabel unterwegs. Und Dicke sind traurig, enttäuscht, unsicher, fühlen sich minderwertig, brauchen ein Übermaß an Liebe und Zuwendung – und füllen all ihre Defizite mit maßlosem Essen. Und, schließlich: Viele Dicke haben schlicht und einfach ein Suchtproblem.
So ist die Frage, ob all diese Bücher wirklich nutzen, im Grunde überflüssig. Man muss sie zumindest dann verneinen, wenn es um wirklich schwer Übergewichtige geht. Dabei würden nützliche Ratgeber geradezu händeringend gebraucht. Denn die Fettsucht verspricht eine der am weitest verbreiteten Krankheiten in den sogenannten Erst-Ländern zu werden. Der Trend hin zu massivem Übergewicht in Europa und den USA spricht eine deutliche Sprache. In Deutschland ist zwischenzeitlich die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig, jeder Fünfte ist fettsüchtig. Und noch nie gab es so viele dicke Kinder. Eine makabre Zahl aus den USA mag diesen globalen Trend verdeutlichen: so produzierte ein US-amerikanischer Sarg-Hersteller in den späten 80er Jahren pro Jahr einen sogenannten Supersarg (für die Gewichtsklasse bis 320 kg!), heute sind es durchschnittlich 54 im Jahr. Tendenz steigend. Auch in Deutschland und England nimmt die Zahl der Übergewichtigen und schwerst Übergewichtigen stetig zu. Und das, obgleich zahlreiche und so unterschiedliche Diätratgeber wie nie zuvor kursieren, obgleich in nahezu allen Frauenzeitschriften Ausgabe für Ausgabe Diäthinweise gegeben werden und obgleich die Weight Watcher®-Filialen (samt fettarmer Produkte) Hochkonjunktur haben. Sie, liebe Leserinnen und Leser, kennen – ebenso wie ich selbst – das Versagen der Diäten am eigenen Leib. Und Sie kennen vielfach auch die Ursachen, ohne, dass Ihnen dieses Wissen wirklich weiterhülfe.
Was also läuft hier schief?
Eine Erklärung mag sein: Diätratgeber werden in der Regel geschrieben von Ernährungsexperten, Psychologen, Ärzten und Journalisten. Das Problematische: nicht an der Expertise dieser Autoren ist zu zweifeln, sondern an ihrer Authentizität. Und zwar deshalb, weil diese Autoren nie (oder nur in Ausnahmefällen) selbst je in einer wirklich dicken Haut gesteckt haben. Sie schreiben also von etwas, was sie am eigenen Leib nie erfahren haben. Sie stützen sich auf pure Theorie, und das ist die Crux. Das wäre in etwa so, als wollte ein Buchautor die Besteigung eines Siebentausenders beschreiben – nachdem er die Route lediglich mit dem Finger auf der Landkarte entlanggefahren ist. Schlechte Voraussetzungen also, vor allem, wenn es darum geht, das Leben und Leiden der Dicken zu schildern und – was wichtiger ist – den Weg zum Abnehmen. Und auch die grandiosen Leistungen, zu denen Dicke fähig sind! Ein Punkt, der im Zuge der allgemeinen Diskriminierung von dicken Menschen viel zu kurz kommt. Abzunehmen – vor allem, wenn es sich um zwanzig, dreißig, ja fünfzig Kilo und mehr handelt – zeugt von unglaublicher Willenskraft, von Disziplin, von Durchhaltevermögen, von Energie. Eben von all dem, was Dicken in der Regel abgesprochen wird. Es wird höchste Zeit, auch darüber zu reden. Der meiner Meinung nach grundlegende Fehler der meisten Diätratgeber: Man macht den Dicken Druck und Angst – auf ganz unterschiedliche und meist subtile Weise. Mal ist es die moralische Keule, mal ist es die gesundheitliche, mal die geschlechtsspezifische, mal die gesellschaftliche. Mit welchen Folgen? Mit keinen, da Dicke darauf kaum reagieren. So funktioniert nur eines richtig gut: Demotivation. Ein banaler Vergleich: Zwingen Sie ein Kind zum Musikunterricht, wird es nur widerwillig darangehen. Hat es jedoch von sich aus Lust, ein Instrument zu lernen, wird es mit großem Eifer üben – der Erfolg wird somit in jedem Fall wahrscheinlicher.
Was lernen wir daraus für unser weiteres Leben? Wir haben die Wahl: entweder wir bleiben dick, sind aber glücklich dabei und lassen uns von der Gesellschaft nicht weiter diskriminieren. Keine schlechte Entscheidung – auch wenn sie nicht einfach ist und nicht gerade lebensverlängernd. Das ist freilich eine Wahrheit, die wir alle kennen. Oder aber wir nehmen ab, aber nur, weil wir es für uns, unsere Gesundheit und unsere Eitelkeit tun. Ein vernünftiges und gesundes Maß an Eitelkeit und Egoismus ist nichts Verwerfliches – im Gegenteil! Und weil wir so egoistisch sind, beschreiten wir den zweiten Weg. Wir nehmen ab! Weil wir lange leben wollen. Weil wir das Leben mit all seinen Facetten genießen wollen. Weil wir alles rausholen wollen aus diesem Leben, was wir bekommen können. Weil wir maßlos sind. Bestätigen wir doch endlich das Vorurteil, welches die anderen um uns herum ohnehin von uns haben. Mein Gott, ja, Dicke sind stark. Auch beim Abnehmen. Holen Sie sich, was Ihnen zusteht! Sagen Sie sich am besten jeden Morgen:
Ich will alles!
Ich will Anerkennung und Liebe!
Ich will Erfolg!
Ich will Sex!
Und schauen Sie sich jeden Morgen im Spiegel direkt in die Augen und sagen laut und mit Nachdruck den Satz: Ich mag mich, so wie ich bin. Bedingungslos. Auch, wenn Sie noch dick sind, auch wenn Sie unter Ihrer Figur leiden. Sich mögen und dick sein schließen sich nicht aus – einer der Irrtümer, in dem viele Dicke gefangen sind.
Sicher fragen Sie nun, was ausgerechnet mich prädestiniert, dieses Buch zu schreiben, denn zufällig bin ich auch Journalistin, zufällig habe ich mich viel mit Ernährung und den psychischen Ursachen und Folgen des Dickseins befasst – siehe also oben … Einen gravierenden Unterschied gibt es allerdings, nämlich den, dass ich fünfzehn Jahre meines Lebens – die besten, wie mein gesamtes Umfeld bis heute meint – dick war. Oder, um es deutlicher zu sagen: Ich war fett. So kann man es sicher ohne Übertreibung nennen, wenn man bei einer Größe von 1,70 m satte hundertdreißig Kilogramm auf die Waage bringt (oder besser: brachte). Heute wiege ich 55 Kilogramm weniger. Etwa fünfzig Kilogramm davon habe ich innerhalb von eineinhalb Jahren abgenommen. Dieses Buch ist also nicht nur Ratgeber, sondern – vor allem – Erfahrungsbericht. Sie können mich begleiten auf dem langen, oft steinigen, aber lohnenden Weg zum Ziel. Ich möchte keinen Moment mehr zurück in mein dickes Leben. Ich bin heute glücklicher und ausgeglichener denn je, ich bin gesund und munter, habe den Mann meines Lebens gefunden und bin rundum ein anderer Mensch. Ich habe endlich in meine eigentliche Hülle zurückgefunden.
Aber: Ich werde niemals vergessen, wie es war, dick zu sein, wie es sich anfühlt, einen Panzer aus Speck um sich herum als Sicherheitswall zu haben. Und ich weiß, wie die Umwelt mit einem, der dick ist, umgeht. Ich werde (und will) nicht aus meinem Gedächtnis streichen können, was für eine Tortur ein simpler Spaziergang oder ein Stadtbummel bedeuten kann. Wie man sich vor dem Spiegel in der Umkleidekabine der XXL-Größen-Abteilung fühlt. Wie man händeringend nach den richtigen Schuhen sucht, in denen Stehen und Gehen nicht zur Qual wird. Wie es ist, sich als Frau nur noch als Neutrum zu fühlen. Was man alles unternimmt, um endlich schlank zu werden. Welche Hoffnungen und Sehnsüchte man damit verbindet. Wie man sich fühlt, wenn man zum x-ten Mal scheitert. Wie es ist, alle Hoffnungen und – schlimmer noch – den Glauben an sich selbst zu verlieren.
Und damit Sie mich richtig verstehen, sei nochmals betont: Dieses Buch will keinen dicken Menschen überreden, schlank zu werden. Druck erzeugt nur Gegendruck, das Scheitern wäre also vorprogrammiert. Dicke Menschen sind ebenso gut oder schlecht wie schlanke, es gibt keinen Unterschied. Wer meint, Dicke minderwertig oder gar ekelhaft finden zu müssen, beweist nur eines: dass es mit seinen eigenen Selbstwertgefühlen nicht weit her ist. Wenn Sie also für sich entscheiden: Ich bleibe so, wie ich bin – ist dies in Ordnung. Es ist allein Ihre Entscheidung, die jeder respektieren sollte. Lesen Sie dennoch dieses Buch. Vielleicht gibt es ja einen Ansatz, der Sie interessiert und...