Die Maskarenen
DIE MASKARENEN
MAURITIUS, RODRIGUES UND LA RÉUNION
Es sind winzige Flecken im Indischen Ozean, auf der Weltkugel fast nur mit Lupe wahrnehmbar: drei Eilande – oval, grün, vulkanisch – irgendwo im Dreieck zwischen Afrika, Australien und der Antarktis. Wer den Namen Mauritius hört, gerät sofort ins Schwärmen, wie vermutlich schon der portugiesische Seefahrer Dom Pedro Mascarenhas um 1512/13, nach dem die Inselgruppe benannt ist. Zu den Maskarenen gehören neben Mauritius die 600 Kilometer nordöstlich davon liegende, kleine Schwesterinsel Rodrigues (1,5 Stunden im Propellerflieger von Mauritius), das zweitgrößte der vier zur Republik Mauritius gehörenden Eilande, und als dritte im Bunde das französische Überseedepartement La Réunion (200 km westlich von Mauritius). Die Maskarenen sind die Spitzen eines Hochplateaus, einer gewaltigen Vulkankette unter dem Meeresspiegel, die vermutlich vor 200 Millionen Jahren beim Zerfall des Superkontinents Gondwana entstanden ist.
Anflug auf Mauritius mit Sicht auf die zerklüftete Halbinsel mit dem Le Morne Brabant, der zum UNESCOWeltnaturerbe zählt
Historie, Kochkünste und Sprachen auf den drei Inseln ähneln sich, und so hat man die Qual der Wahl: Wohin im Maskarenen-Archipel soll man nun reisen? Wie wäre es mit einer Kombination: Am besten man heiratet auf Mauritius und genießt Hummer und Schampus, lernt auf Rodrigues ordentlich Kitesurfen und Sega zu tanzen und erobert danach die spektakuläre Bergwelt La Réunions.
Tauchern und Schnorchlern aus aller Welt bieten die Maskarenen faszinierende Korallengärten mit einer bunten Vielfalt an tropischen Fischen
Mauritius – Honeymoon und Hummer
Stella Clavisque Maris Indici – »Stern und Schlüssel des Indischen Ozeans« – so lautet das Motto auf dem mauritischen Wappen. Eine Anspielung auf die strategische Bedeutung der Insel für die früheren Seefahrer auf dem Weg nach Indien. Mauritius schwimmt etwa 1800 Kilometer vor der Ostküste Afrikas knapp über dem Wendekreis des Steinbocks. Bis nach Indien sind es noch rund 4000 Kilometer, nach Australien 5500 Kilometer, nach Deutschland 9200 Kilometer.
Charakteristisch ist seine kubische Körperform: der Kofferfisch
Es sind die Berge, die Mauritius ein fast verwunschenes Antlitz geben: spitz wie Zipfelmützen, kegelförmig oder turmartig, sanft ansteigend wie Meereswellen oder steil in den Himmel gereckt wie zu Stein erstarrte Angeber, gekrönt von Felsbrocken, die auf einer Nadelspitze zu balancieren scheinen. Keiner der Berge ist sehr hoch (max. 828 m), aber alle sind majestätisch und erhaben, endlose Zuckerrohrfelder umgeben ihre Flanken. Bereits Mark Twain schwärmte, Gott hätte Mauritius als Vorlage für sein Paradies benutzt.
In Port Souillac im Süden von Mauritius kommt die Brandung ungehindert ans Ufer
Das Korallenriff birgt maritime Überraschungen in allen Farben des Regenbogens und schützt die Insel wie ein kreisrunder Wall vor den Gewalten des Meeres und den Haien. Der Fischreichtum zieht Taucher und Sportfischer in Scharen an. Die Gewässer gehören zur Weltspitze der Hochseefischerei, das Städtchen Grande Rivière Noire an der Westküste ist Treffpunkt der Angler. In zig Schattierungen schimmert der Ozean, von indigo bis aquamarin, smaragdgrün bis türkis. Die Lagune hinter dem Riff endet an feinsandigen, alabasterweißen Stränden: Trou aux Biches, Mont Choisy, Grand Baie, Belle Mare, Île aux Cerfs, Flic en Flac um nur einige der Strandoasen zu nennen. Segelyachten, Katamarane und Glasbodenboote ankern in sichelförmigen Buchten, traditionelle Pirogen hissen ihre Segel und nehmen Urlauber mit auf einen Törn entlang der 177 Kilometer langen Küste.
Nur im Süden prallt der Indische Ozean mit aller Macht gegen die zerklüftete Küste, was aber auch seinen Reiz hat. An den steilwandigen Klippen wie Le Souffleur und dem Kap Le Gris Gris kann sich der Reisende im Angesicht der Meeresbrecher in die Seeleute hineinversetzen, die vor vier Jahrhunderten an der menschenleeren Küste vor Zyklonen Schutz suchten. Oder die Geschichten über Piraten nachvollziehen, die sich auf Mauritius zurückzogen und hier vermutlich ihre Schatztruhen vergruben. Oder sich den Alltag der ersten Siedler aus Holland und Frankreich vorstellen, die noch gegen Malaria, Pest und Cholera, gegen Feuersbrünste und Sümpfe ankämpfen mussten.
Familienpicknick unter Kasuarinen am Public Beach Mont Choisy am Pointe aux Canonniers: Alle Strände auf Mauritius sind öffentlich, selbst die Abschnitte vor den Fünfsternehotels
Bei diesem Überlebenskampf fern der Zivilisation hat der Mensch viel von der ursprünglichen Flora und Fauna der Insel zerstört. Fluch und Segen zugleich war eine Hinterlassenschaft der Holländer: der Zucker. Die Zuckerinsel im Indischen Ozean ist noch heute zur Hälfte von Zuckerrohrplantagen bedeckt – die Monokultur ist widerstandsfähig gegen Stürme und Klima, zudem ein wichtiges Exportgut und Devisenbringer. Wegen der seit Jahren sinkenden Weltmarktpreise werden heutzutage auch die Nebenprodukte der Zuckerindustrie immer wichtiger. Aus Bagasse, Faserresten, die bei der Fabrikation von Zucker aus Zuckerrohr übrig bleiben, wird z. B. Elektrizität produziert, die heute fast ein Fünftel des Strombedarfs der Insel deckt. Auch Bio-Ethanol oder Bio-Dünger werden aus Nebenprodukten hergestellt. Der neueste Trend: Zuckerrohrfelder zu Immobilien!
Allenthalben verströmen exotische Pflanzen ihre Wohlgerüche
Seinen größten Ruhm – dem Namen nach – verdankt der Inselstaat einem zerstreuten Graveur: Die Schlafmütze hatte 1847 zwei Worte auf einer Druckplatte verwechselt und seitdem spielt die Welt der Philatelie, der Briefmarkenkunde, verrückt. Nur noch nach Übergabe von Millionen-Dollar-Summen wechseln die blaue Mauritius und ihre orangerote Schwester ihre anonymen Besitzer.
Einzigartige Vogelwelt
Weltweit einzigartig ist auch der Mauritiusfalke – ein gefiedertes Prachtstück, die Diva in der Vogelwelt. Was für ein Erlebnis, wenn dieser einst vom Aussterben bedrohte Greifvogel im Black River Gorges National Park oder im Kestrel Valley an der Ostküste heranschwebt und dem Ranger den Köder aus der Hand schnappt! Dann beginnt auch der Fremde zu verstehen, wieso Tierschützer jahrelang in den Felsnischen auf Mauritius herumkraxelten, immer auf der Suche nach den weltweit letzten vier Exemplaren im gesprenkelten Federkleid.
Eine ausgestorbene Berühmtheit von Mauritius: der flugunfähige, plumpe Dodo
Ein anderer Vogel hatte nicht solch ein Glück und keine Verbündeten – und wurde trotzdem zu einer Berühmtheit: der Dodo. Der truthahnähnliche, einst über die Insel watschelnde (weil flugunfähige) Vogel ist heutzutage nur noch im Staatswappen zu sehen, als Holzspielzeug, ausgestopft im Museum, auf T-Shirts oder Briefmarken. Die Holländer haben bei ihrer Kolonisation erst über diesen unbekannten, hässlichen Vogel gelacht und ihm dann um 1690 den Garaus gemacht. Er wurde durch die von Holländern eingeschleppten Ratten und Haustiere ausgerottet, die Krankheiten übertrugen und seine Eier fraßen.
ZUCKERROHR
Im mauritischen Winter, zwischen Juni und November, sind zwei Drittel der Insel von blühenden Zuckerrohrfeldern bedeckt. Es soll schon vorgekommen sein, dass Ortsfremde sich im Labyrinth zwischen den bis zu vier Meter hohen Pflanzen verirrt haben. Der Zuckerrohrfarmer sieht an den silbrigen Büscheln, dass die Zeit der Ernte naht. Das Schneiden der armdicken Stängel ist immer noch reine Handarbeit – übrigens oftmals Frauensache. Die Arbeiter und Arbeiterinnen stehen vermummt mit Hut, Tuch und Handschuh in der sengenden Hitze, vier bis fünf Monate dauert die Saison-Plackerei, möglichst im Akkord, denn bezahlt wird nach geernteten Tonnen.
Madagaskarweber im Zuckerrohr
Die Pflanze wurde bereits 1639 vom holländischen Gouverneur Van der Stel aus der Kolonie Batavia (Java) nach Mauritius gebracht und hier angepflanzt. Ein Jahrhundert später versorgte man die Seefahrer mit dem Zucker, später mit dem Nebenprodukt Arrak, einem hochprozentigen Zuckerrohrschnaps. Der französische Gouverneur Labourdonnais ließ 1743 die ersten Zuckerplantagen mitsamt Fabriken errichten: Ville Bague und Ferney. Die Pflanze erwies sich als relativ anspruchslos (Sonne und der felsige Boden reichen ihr) und sie trotzte den häufigen Zyklonen von allen landwirtschaftlichen Anbauprodukten am besten – ihre Stängel richten sich nach Unwettern einfach wieder auf und wachsen weiter.
Nur mit den Sklaven gab es immer wieder Ärger. Wegen des massenhaften Bedarfes an Arbeitskräften auf den Zuckerrohrplantagen legten sich die mauritischen Zuckerbarone sogar mit Napoleon im fernen Paris an. Eine liberale Gesinnung und Menschenrechte (entsprechend der Französischen Revolution von 1789) oder gar die Bezahlung der Schinderei passten nicht ins Geschäft mit dem Zuckerrohr. Unter den Briten im 19. Jahrhundert wurde der Ausbau der Zuckerindustrie weiter vorangetrieben und die Ernte innerhalb eines Jahrzehnts verdreifacht. Nach dem Ende der Sklavenhaltung auf Mauritius (die Briten zahlten sogar noch eine Entschädigung in Höhe von zwei Millionen Pfund an die Zuckerbarone) strömten ab 1835 Hunderttausende indische Vertragsarbeiter ins Land. Doch der technische Fortschritt machte auch vor Mauritius nicht halt und so ersetzten...