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E-Book

Max Frisch

AutorVolker Hage
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644533219
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Max Frisch gehört zu den Klassikern der modernen Literatur. Seine Romane, Tagebücher und Theaterstücke sind von hoher Aktualität. Sie zeigen den Menschen auf der Suche nach dem eigenen Ich - im Spannungsfeld von Pflicht und Neigung, von den Ansprüchen der Gesellschaft und der Angst vor Festlegung. Frisch war ein politisch aufmerksamer Autor jenseits der gängigen Ideologien und Moden: ein später Aufklärer und Moralist. Volker Hage porträtiert den Schweizer Autor auch als Privatperson und stellt seine wichtigsten Werke vor, einschließlich derjenigen aus dem Nachlass, wie das erst kürzlich publizierte Fragment eines dritten Tagebuchs. Eine kurze Biographie, die sachkundig in Leben und Werk von Max Frisch einführt. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Volker Hage, 1949 in Hamburg geboren, arbeitet seit 1992 als Literaturkritiker beim «Spiegel». Zuvor war,er (1975 -1986) im Literaturblatt der «Frankfurter Allgemeinen» und im «FAZ-Magazin» tätig, anschließend (1986-1992) als verantwortlicher Literaturredakteur der «Zeit». Herausgeber zahlreicher Anthologien und Auswahlbände, zuletzt: «Max Frisch. Sein Leben in Bildern und Texten» (2011). Eigene Bücher u. a.: «Alles erfunden. Porträts deutscher und amerikanischer Autoren» (1988, erweitert 1995), «Auf den Spuren der Dichtung. Reisen zu berühmten Schauplätzen der Literatur» (1997), «Propheten im eigenen Land. Auf der Suche nach der deutschen Literatur» (1999), «Zeugen der Zerstörung. Die Literaten und der Luftkrieg» (2003, erweitert 2008), «Letzte Tänze, erste Schritte. Deutsche Literatur der Gegenwart» (2007, erweitert 2010),«Philip Roth» (2008), «Walter Kempowski» (2009), «Schiller» (2009), «Kritik für Leser. Vom Schreiben über Literatur» (2009). Bei Rowohlt: «John Updike» (2007, NA 2013), «Max Frisch» (rowohlts monographie 1983, NA 2011).

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Leseprobe

Familiengründung und Fortsetzung der literarischen Arbeit


Ich bin dreißig und habe endlich einen Brotberuf, ein Diplom, ich bin dankbar, daß ich eine Stelle habe: acht bis zwölf und eins bis fünf. Ich kann heiraten. Wenn ich den Rechenschieber benutze, so habe ich das Gefühl, ein Fachmann zu sein. […] Die tägliche Fahrt zur Arbeit: ich bin nicht mehr Student und nicht mehr Schriftsteller, ich gehöre zur Mehrheit.[69] Max Frisch hatte 1941 Urlaub vom Wehrdienst erhalten, um sein Architekturstudium abschließen zu können. Er fand eine Anstellung. Eine Kollegin, die neben ihm am Reißbrett stand, gewann seine Aufmerksamkeit: Gertrud Constanze von Meyenburg.

Mit ihr, «Trudy», wanderte er im Herbst desselben Jahres über den Pfannenstiel am oberen Zürichsee. Er wollte ihr die Landschaft des von ihm so geschätzten Schriftstellers Albin Zollinger zeigen, über den er sich auch als Literaturkritiker schon begeistert geäußert hatte.[70] In einer Bauernwirtschaft kehrten die beiden ein. Und dort saß an einem Tisch das Ehepaar Zollinger. Zunächst war Frisch zu scheu, um den Verehrten anzusprechen, erst als der schon im Aufbruch begriffen war, traute er sich endlich. Es wurde ein zunächst mühsames, dann herzliches Gespräch: Wir redeten sehr lebhaft, ich erinnere mich, über die Unmöglichkeit, einen Text zu schreiben, der vor Mißverständnis geschützt ist durch sich selbst.[71] Keine Frage: Das war ein Dialog unter Kollegen; Frisch hatte sich Entzug verordnet, doch die Droge Literatur faszinierte ihn weiterhin. Zollinger vereinbarte mit dem jungen Herrn Doktor (ein Missverständnis), dass man sich bald wieder treffe. Allein in der Wirtsstube, die er verlassen hatte, fühlte ich mich glücklich wie ein Verlobter, der einem sicheren Glück entgegenlebt. Durch das Sprossenfenster sahen wir gerade noch, wie sie den kleinen Rebberg hinuntergingen. Es dämmerte bereits. Ich war froh, daß ich ihn angesprochen hatte; unser Heimweg war voll Übermut.[72] Doch zu dem verabredeten Treffen kam es nicht: Zollinger starb drei Wochen später mit Mitte vierzig an einem Herzschlag. Ein Memento mori für Frisch, den Schriftsteller?

Zunächst stand für ihn die bürgerliche Karriere im Vordergrund. Das Jahr 1942 brachte zwei einschneidende Veränderungen. Da war einmal berufliches Glück, das sich in einer offiziellen Darstellung so liest: «Der Stadtrat genehmigte am 5. Januar 1942 ein Raumprogramm und ermächtigte den Vorstand des Bauamts II, einen allgemeinen architektonischen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen durchzuführen. Aus dem Wettbewerb, woran sich 82 Architekten beteiligten, ist das Projekt von Max Frisch, dipl. Architekt, S.I.A., Zürich, mit dem ersten Preis hervorgegangen. Entsprechend den Empfehlungen des Preisgerichts wurde der erste Preisträger mit der weiteren Projektierung beauftragt.»[73] Es handelte sich bei diesem Projekt um einen Millionenauftrag: das Freibad Letzigraben. Es konnte allerdings erst nach dem Krieg realisiert werden. Der Auftrag erlaubte es dem jungen Architekten Frisch immerhin, sich selbständig zu machen. Er beschäftigte zeitweilig zwei Zeichner. Die zweite Veränderung betraf das Privatleben: Max Frisch und Trudy von Meyenburg, Tochter aus großbürgerlichem Haus[74], heirateten am 30. Juli 1942.

Dann, mitten im Krieg, der die Schweiz nun offenbar doch verschonte, gab es 1943 für den Ehemann zweifach Grund zur Freude: Das erste Kind, Tochter Ursula, kam zur Welt. Und ein neuer Roman erschien. Was für Frisch die wichtigere Geburt war, mag eine nüchterne Selbsteinschätzung aus späterer Zeit andeuten: Als jüngerer Mann habe ich mir Kinder nicht eigentlich gewünscht; die schlichte Nachricht, daß ein Kind gezeugt worden ist, hat mich gefreut: der Frau zuliebe.[75]

«Jetzt, beim Wiederlesen des Satzes: ‹… die schlichte Nachricht, daß ein Kind gezeugt worden ist, hat mich gefreut: der Frau zuliebe …› sprang mich die Frage an, ob bereits damals alles begann […], ob meinem Vater die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage eigentlich bewußt gewesen sei; oder wie er es gemeint haben könnte, ob als cooles oder ‹männliches› Desinteresse an Familiärem oder wie sonst. Ich mußte gestehen, daß ich es nicht weiß, Max aber auch nie danach gefragt habe, wie er es gemeint habe – die Wirkung hingegen, das weiß ich, war verheerend.»

Die älteste Frisch-Tochter Ursula Priess in ihrem Erinnerungsband «Sturz durch alle Spiegel» (2009), 88f.

Frisch hatte Ende 1942 ein Romanmanuskript abgeschlossen. Es sollte in einem Schweizer Verlag erscheinen und war als Fortsetzung des Debüts konzipiert. Die Figur Jürg Reinhart taucht wieder auf, nicht mehr im Vordergrund, aber doch als heimliche Hauptfigur. Da der Erstling in der Schweiz nicht mehr zu erhalten war, entschloss sich der Autor, eine gekürzte Fassung davon dem neuen Werk voranzustellen. Seinem Verleger Martin Hürlimann (vom Atlantis-Verlag) schrieb er im März 1943: Inzwischen habe ich mich bereits (wo immer sich freie Zeit dafür findet) an die neue Fassung von Reinharts Jugenderlebnis gemacht; durch eben diese Arbeit bin ich noch mehr überzeugt, daß diese Geschichte als erste dazugehört: erstens, weil sie einen lebensfrohen Auftakt darstellt, so daß sich das Absinken in die Hinkelmann-Episode besser verträgt; zweitens kommt das ganze Buch zu einer entschiedenen Hauptfigur.[76] Frisch kürzte den Debütroman für diesen Zweck um etwa zwei Drittel. Das neue Werk sollte ursprünglich «Nichts kehrt uns wieder» heißen (so wünschte es auch der Verlag), doch der Autor entschied sich schließlich für einen anderen, komplizierteren Titel: J’adore ce qui me brûle oder Die Schwierigen.

Die da besonders lieben, was sie (hier ist das Französische doppeldeutig) entflammt oder verbrennt, sind Männer. Sie machen es sich ein wenig schwer: mit dem Leben, den Frauen und der Kunst. Nicht nur Reinhart, der zum Maler geworden ist, endet durch Selbstmord, sondern auch Hinkelmann, eine tragische Neben- und Spiegelfigur. Der junge Archäologe kann nicht verwinden, dass seine Frau Yvonne ihn verlassen hat. Er ist durchaus schon ein früher Geistesverwandter des homo faber: Zum ersten Mal in seinem Leben, das ein Leben aus Arbeit und Erfolg war, dämmerte ihm ein Abgrund, Grauen eines anderen und traumdunklen Daseins mit verschwimmenden Fratzen, mit tosender Brandung, mit Gewittern aus dem Unberechenbaren …[77] Hinkelmann gibt den Kontrast zu Reinhart ab, der es leichter mit den Frauen hat, sie aber dennoch verliert: Yvonne, die Eigenwillige, die zum zweiten Mal die Ehe sucht, und Hortense, die junge Schülerin des Malers, verheiraten sich mit bürgerlichen Männern. Halb ironisch, halb belehrend kommentiert der Autor aus allwissender Perspektive: Ein Wunderbares ist um die Ehe. Sie ist möglich, sobald man nichts Unmögliches von ihr fordert, sobald man über den Wahn hinauswächst, man könne sich verstehen, müsse sich verstehen; sobald man aufhört, die Ehe anzusehen als ein Mittel wider die Einsamkeit.[78]

Das war nicht der einzige autobiographische Bezug in diesem Roman. Max Frisch schwankte immer noch, was seine Berufung anging, und sein Schreiben gab dieser Unsicherheit Ausdruck. Deutlich stellte er den vermeintlichen Widerspruch von bürgerlicher und künstlerischer Existenz in den Vordergrund, ganz im Sinne Thomas Manns. Reinhart wirft einmal seine Werke ins Feuer, im Wald, wie es einst Frisch getan hat, doch im Gegensatz zu seinem Autor kehrt er nicht wieder zur Kunst zurück: Er versucht es ohne Kompromisse mit dem bürgerlichen Leben, scheitert auch hier. Als Gärtner, nun Anton genannt, trifft er noch einmal auf Hortense. Doch das Glück ist nicht wieder einzuholen. Was bin ich denn? Ein Mann von dreißig Jahren, der just sein eigenes Brot verdient. Hälfte des Lebens, Menschenskind, Hälfte des Lebens! Wann wird man denn endlich erwachen und aufstehen? Wann, du lieber Gott, wann kommt denn die Reife, die man als Jüngling in jedem Erwachsenen neidvoll vermutete? Wann fängt es denn an, das wirkliche, das sinnvolle, wesentliche Leben? Hälfte des Daseins, die hinter ihm liegt, ein Haufen von verbrannten Bildern, verkohlt, in Asche verblasen, vergangen, nie gewesen.[79]

«So weit wie Stiller sind die Figuren im Roman ‹Die Schwierigen› noch nicht. Sie verleugnen ihre Identität nicht. Sie stellen sie bloß in Frage. Aber deswegen leben sie nicht ungefährdeter, im Gegenteil. Frischs Roman zeigt schonungslos, wie jeder, der auf dieser Frage beharrt, nicht nur seine Identität verliert, sondern sein Leben.»

Lukas Bärfuss, Nachwort zur Neuausgabe des Romans «Die Schwierigen oder J’adore ce qui me brûle» (2010), 275f.

Frisch, der damals gewiss noch hoffte, beides, Kunst und Bürgertum, miteinander vereinbaren zu können, ließ in seiner Figur Jürg Reinhart nur das Scheitern zu. Mit dem Roman knüpfte er – auch stilistisch – noch einmal an das Frühwerk an: Die übernommene Reinhart-Episode fügt sich nahtlos in das Werk ein. Auch wenn die handwerkliche Sicherheit spürbar gewachsen ist, so gibt es immer noch aufdringliche, gewollt dichterische Passagen. Frisch widerstand später der Versuchung, eine Taschenbuchlizenz für diesen (bei der Kritik übrigens erfolgreichen) Roman zu vergeben. Nur auf Drängen seines Schweizer Verlegers kam es 1957 zu einer überarbeiteten Neuausgabe; der erste Teil (aus dem Erstlingsroman) wurde wieder gestrichen und der...

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