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Maya der indische Mythos

AutorHeinrich Zimmer
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl456 Seiten
ISBN9788026884620
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Maya der indische Mythos' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: 'Indien erzählt sich den Mythos vom Könige Mutschukunda, dem vorzeitlichen Helden, der über Weltalter hin in einer Höhle schlief. Sein Vater Mandhatar kam auf wunderbare Weise zur Welt und ward vom Götterkönige Indra selbst mit seinem göttlichen Finger genährt; zu indragleicher Größe unter den Königen der Menschen bestimmt, sog er sich an dem Zeigefinger des Gottes groß, denn keine Mutter nährte ihn, da er von keiner Mutter kam. Ihn mußte sein Vater hundert Herbste lang austragen, bis er ihm aus der linken Flanke brach: der Kinderlose hatte versehentlich das Zauberwasser ausgetrunken, das Priester für seine Frau bereitet hatten, auf daß sie fruchtbar werde.'

Heinrich Zimmer (1890-1943 ) war ein deutscher Indologe. Er war Sohn des Indologen und Keltologen Heinrich Friedrich Zimmer (1851-1910).

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Leseprobe

I.


1. Vischnus Maya


Heilige Seher, die als Einsiedler in der Waldwildnis lebten, sammelten sich bei der Einsiedelei des heiligen Vyasa, der ein Quell göttlicher Offenbarung war, und lauschten seinen Lehren. Einmal befragten sie ihn um das Geheimnis der Welt, um die Kraft des Allgottes, die alle Wesen befängt: »Wir wünschen uns, die große Maya Vischnus zu erkennen, die gewaltig schwer zu überwinden ist. Aber du weißt um die ewige Ordnung, du sollst uns Vischnus Maya künden – danach tragen wir höchste Wißbegier.«

Der Heilige Vyasa antwortete ihnen: »Die Maya Vischnus gleicht dem Gaukelspiele eines Traumes, und sie reißt alle Welt in ihren Bann. Wer kann die Maya des höchsten Gottes erkennen, außer dem lockigen Gotte selbst? Aber laßt euch eine Geschichte erzählen von der Betörung, die seine Maya vorzeiten gewirkt hat.«

Da erzählte der große Weise die Geschichte von einem Königssohne, der Kamandamana hieß, das ist »Bezwinger der Wünsche« und »Bezwinger der Sinnenlust«, und ein Leben führte, das seinem Namen entsprach: »Er lebte ganz der Erfüllung frommer Pflichten und Übungen, war voller Langmut und fand seine Freude darin, seinem Vater zu gehorchen und allen Wesen Freude zu bereiten. Er war voll Aufrichtigkeit und mühte sich um das heilige Wissen.

Sein Vater wünschte, ihn zu verheiraten, aber er wollte nicht. Da sprach der Vater zu ihm: ›Was ist das, du willst keine Frau nehmen? Das wünschen sich doch die Menschen, damit ihr Glück ganz werde. Denn die Frauen sind die Wurzel des Glücks – darum tu du desgleichen!‹

Der Sohn hörte das Wort seines Vaters und schwieg ehrerbietig. Als aber der Vater immer wieder in ihn drang, gab er ihm zur Antwort: ›Lieber Vater, ich halte mich, wie es meinem Namen entspricht. Vischnus göttliche Kraft, die uns umfängt und trägt, seine Maya, ist mir offenbar geworden.‹

Der Vater erwiderte ihm: ›Mein Sohn, dein Verhalten ist nicht nach der heiligen Ordnung. Ich, dein Vater, habe Gewalt über dich; laß mein Geschlecht nicht in der Hölle ertrinken, weil ihm Nachkommen mangeln, die mit ihren Ahnenopfern die Toten im besseren Jenseits speisen.‹

Der Sohn vernahm des Vaters Geheiß; da gedachte er, der sich selbst bezwungen hatte, freudig des bunten, wunderbaren Spiels des kreisenden Stromes der Geburten von alten Zeiten her und sprach:

›Lieber Vater, vernimm meine Rede, mein wahres und wohlbegründetes Wort! Ich habe Tausende von Geburten durchlebt, hunderte Male erlebte ich Alter und Tod und allerwegen Vereinigung und Trennung von Gattinnen. Gras, Busch und Schlingpflanze bin ich gewesen, Rankgewächs, kriechendes Gewürm und Tier der Wildnis war ich, Brahmane und Vieh, Frau und Mann und vieles andere war ich hunderte Mal. Ich war ein Seliger in Schivas Scharen, war ein Halbmensch und Himmelsgeist, war ein Verklärter voll Wunderwissen, und war ein großer Schlangendämon. Ich bin ein Kobold gewesen, ein schätzehütender Geist und ein Unhold, ich war Dämon und Himmelsfrau und viele Götter, tausendfach war ich ein göttlicher Herrscher von Flüssen. – All das bin ich wieder und wieder gewesen. Immer, wenn die Welt nach ihrem Untergange sich wieder neu entfaltete, wurde ich mit ihr neu entfaltet, und wenn der Gott die Welt auflösend in sich zurückraffte, wurde ich mit ihr eingerafft. Dieser Trug narrte mich, wo ich Gemeinschaft der Ehe einging. Höre, was mir in meiner drittletzten Geburt begegnete. Ich will dir erzählen, wie damals die göttliche Wunderkraft eines heiligen Badeplatzes an dem großen Wallfahrtsorte Benares entstanden ist.

Viele Geburten hatte ich durchwandert, unter Göttern und Wesen aller Art, da ward ich unter den Menschen geboren als der heilige Sutapas, als, ›einer, dessen Askese gut ist‹. Meine gläubige Hingabe an Vischnu, den Herrn der Welt, war groß und unerschütterlich. Da ward der Gott mit meiner Hingabe, meinen vielfältigen Gelübden und Fasten zufrieden; und Vischnu nahte sich mir mit seinem großen Wesen, auf Garuda, dem göttlichen Könige der Vögel, kam er dahergezogen. Er sprach mit lautem Schalle: ›Brahmane, wünsche dir eine Gabe; was du verlangst, will ich dir schenken.‹ Da sprach ich zum Herrscher des Alls: ›Wenn du mit mir zufrieden bist, wünsche ich mir das eine: Was deine allerhöchste Maya ist, um die möchte ich wissen.‹ – Er aber sprach zu mir: ›Was willst du mit meiner Maya? Ich will dir die Fülle des Lebens schenken: Erfüllung frommer Pflichten, Reichtum und Sinnenglück, herrliche Söhne und Gesundheit.‹ Aber ich gab ihm zur Antwort: ›All das soll überwunden sein und abgetan von mir! Darum verlangt es mich, um deine Maya zu wissen – zeige sie mir!‹

Da sprach Vischnu: ›Um meine Maya weiß keiner. Es wird auch keiner um sie wissen. Vorzeiten war einmal ein gottgleicher Seher, er hieß Narada und war ein Sohn Brahmas, der war mir gläubig ergeben. Wie du fand er vorzeiten mit seiner gläubigen Hingabe Gnade vor mir, und ich kam zu ihm, wie jetzt zu dir, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Da wünschte er sich dasselbe wie du. Ich warnte ihn, aber in arger Torheit bestand er, wie du, auf seinem Wunsche. Da sagte ich zu ihm: ›Tauche dich unter, Narada, ins Wasser, dann wirst du um meine Maya wissen!‹ – Da tauchte sich Narada ins Wasser hinab und – erschien wieder als ein Mädchen, er tauchte auf als Suschila, die Tochter des Königs von Benares. Ihr Vater gab sie in ihrer Jugendblüte dem Sohne des Königs von Vidarbha zur Frau. Der Prinz vereinte sich mit ihr, und der große Seher Narada genoß unvergleichliche Liebesfreuden. Als der alte König von Vidarbha zum Himmel eingegangen war, erbte sein Sohn die Macht des Vaters, und viele Söhne und Enkel wuchsen um ihn auf. Aber dann entbrannte ein großer Krieg zwischen ihm und seinem Schwiegervater, und in diesem Kriege kam der König von Vidarbha um, aber auch der König von Benares, und alle Söhne und Enkel kamen ums Leben.

Als Suschila vernahm, ihr Vater und alle seine Söhne, aber auch ihr Gatte samt all seinen Söhnen und Enkeln sei erschlagen, da schritt sie zur Stadt hinaus und kam auf das Schlachtfeld. Sie sah das große Blutbad und klagte lange Zeit kummervoll im Heerlager des Gatten und im Heerlager des Vaters. Dann nahm sie die Brüder, die Söhne, die Brüdersöhne und die Enkel, nahm den Gatten und den Vater und schichtete auf dem großen Leichenfelde einen riesigen Scheiterhaufen, legte sie alle darauf und zündete ihn mit eigener Hand an. Und als die Flamme hoch auflohte, rief sie: ›O mein Sohn! Mein Sohn!‹ und stürzte sich hinein.

Sie warf sich in die Flamme – da ward das Feuer durchsichtig wie Bergkristall, es ward zu einem Teich voll kühler Flut, und Suschila fand sich wieder als der heilige Narada. Und ihm voran entstieg der höchste Gott den Wassern. Und lachend sprach der lockige Gott zum göttlichen Seher: ›Wer ist dein Sohn, sag an, um den du klagst, du Tor?‹

Da stand der Heilige beschämt; und weiter sprach ich zu ihm: ›So sieht meine Maya aus: von wehvoll-dunkler, verwünschter Gestalt; der lotosentsprossene Brahma vermag nicht um sie zu wissen, auch alle anderen Götter nicht, nicht einmal Schiva oder der große Indra – wie willst du um die Unergründliche wissen?‹

Als der großmächtige Seher dieses Wort vernahm, sprach er: ›Gib mir gläubige Hingabe an dich, o Vischnu, und gib, daß ich, wenn meine Zeit erfüllt ist, mich hieran und an alles erinnern und dich schauen möge! Und hier, wo ich leidvoll auf den Scheiterhaufen stieg, soll ein heiliger Badeplatz sein, und du, Unerschütterlicher, sollst immerdar hier walten und alle Sündenschuld an den Wallfahrern vernichten, die kommen, hier zu baden.‹

Da sagte ich zu Narada: ›Ein Badeplatz mit reinem Wasser soll dein Scheiterhaufen sein, und immerdar will ich, Vischnu, hier weilen.‹ So sprach ich zu Narada und entrückte mich an meine Stätte im Milchmeer.

›Dies habe ich dir erzählt, um dich zu belehren, denn meine Maya läßt sich nicht erkennen. Wenn du willst, tauche auch du ins Wasser unter und du wirst wissen, wieso dem so ist.‹

So belehrte Vischnu den Brahmanen Sutapas, der ich selbst, Kamadamana, vorzeiten gewesen bin, und in notwendigen Sinnes Fügung tauchte ich, der Brahmane, unter in die Flut. Da ward der Brahmane zu einem Mädchen in einer Tschandalafamilie, die nahe dem heiligen Badeplatze an der Mündung der Koka hauste.

Das Mädchen war schön, gut und tugendhaft; es wuchs heran und wurde mit einem häßlichen Tschandalasohne verheiratet. Ihr Mann gefiel ihr nicht, aber sie gefiel ihrem Manne. Seine Frau gebar ihm zwei Söhne, die waren blind, danach eine Tochter, die war taub. Ihr Mann war arm. Die junge Törin ging an den Fluß, dort saß sie immer und weinte. Einmal aber, als sie, Wasser zu holen, mit ihrem Kruge an den Fluß gegangen war, tauchte sie ins Wasser unter, um darin zu baden – da tauchte wieder jener Brahmane Sutapas aus den Wassern auf, der fromme werkfreudige Asket.

Nach einer Weile dachte ihr Mann zu Haus, sie bleibt lange aus, und ging zum heiligen Flusse, nach ihr zu sehen. Er fand ihren Krug am Ufer, aber nicht sie selbst. Da weinte und schrie er in großem Leid. Dann kamen die beiden blinden Knaben mit der tauben Tochter bekümmert herbei; als die den Vater weinen fanden, weinten sie auch in großer Trübsal. Der Vater fragte Brahmanen, die am Ufer standen: ›Habt ihr eine Frau gesehen, die um Wasser hierher kam?‹ Und sie antworteten: ›Es ging hier eine in den Fluß, aber sie kam nicht wieder heraus – wir haben uns nicht weiter um sie gekümmert.‹ Als er ihre harten Worte vernahm, weinte er, die Augen quollen ihm über von Tränen. Wie ich ihn weinen sah samt den Söhnen und der...

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