DIE DREI SÄULEN DES ERFOLGREICHEN MEDICAL TRAININGS
(Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)
Wie bereits angesprochen, basiert das Medical Training auf drei Säulen, die das Fundament für den Erfolg bilden. In diesem Kapitel geht es also darum, woraus diese Säulen bestehen und wie sie aufgebaut werden können.
Säule 1: Vertrauen – Bindung und Ehrlichkeit
Beim Medical Training verlangen wir vom Hund Verhaltensweisen, die ihm ohne entsprechendes Training sehr schwerfallen würden. Daher ist es besonders wichtig, dass er großes Vertrauen zu seinem Menschen hat. Vertrauen ist jedoch keine Gabe. Es muss erarbeitet werden. Je früher mit dem Vertrauensaufbau begonnen wird und je weniger negative Erlebnisse der Hund in seinem Leben erfährt, desto leichter fällt es ihm, dieses Vertrauen zu entwickeln. Daher ist es von großem Vorteil, bereits mit dem Welpen gemeinsam kleine Erfolge zu feiern und dem jungen Hund zu zeigen, dass er sich grundsätzlich auf seinen und andere Menschen verlassen kann. Aber auch Hunde, die bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben, können lernen, dem Menschen zu vertrauen.
Vertrauen wird im Alltag bei jeder Interaktion mit dem Hund auf- oder abgebaut, sei es, wenn gemeinsam Alltagssituationen gemeistert werden oder wenn gemeinsam eine sportliche Leistung erbracht wird. Das bestehende Vertrauen ist mit einem Bankkonto vergleichbar, allerdings werden hier statt Geld „Vertrauensscheine“ eingezahlt oder auch abgehoben. Der Kontostand wechselt ständig. Je höher er ist, desto mehr Vertrauen ist vorhanden und desto besser können schwierige Situationen gemeistert werden. Jede Bestrafung und jeder Tadel, aber auch negative Stimmungen entsprechen einer Abhebung vom Konto. Ebenso wirkt sich das Ausbleiben einer erwarteten Belohnung (Frust) negativ auf den Kontostand aus.
Ein gut gefülltes Konto gibt zwar keinen „Freifahrtschein“ für Vertrauensbrüche, dennoch wird das Vertrauen nicht für immer irreparabel gebrochen sein, falls einmal eine große Abhebung vom Konto nötig sein sollte oder es zufällig und ohne Einfluss des Trainers dazu kommt.
Wird der Hund wiederholt hintergangen und werden seine Signale ignoriert, ist das Konto leer und es ist derzeit keine vertrauensvolle Beziehung vorhanden.
Jede positive Interaktion entspricht einer Einzahlung auf das Vertrauenskonto.
Wird Vertrauen für eine Behandlung in Anspruch genommen, vermindert sich der Kontostand. Aufgrund häufiger vorheriger Einzahlungen ist das Vertrauen dennoch nicht in Gefahr.
(Grafik: Archiv Animal Training Center / Torben Frey)
Führen Sie eine Liste mit den Einzahlungen auf und Abhebungen von Ihrem Vertrauenskonto. Reflektieren Sie dafür die gemeinsamen Erlebnisse mit Ihrem Hund und verteilen Sie Plus- und Minuspunkte. Wenn Sie am Tagesende, am Wochenende und am Monatsende im Plusbereich liegen, können Sie davon ausgehen, dass sich das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihrem Tier auf einem guten Stand befindet. Hier geht es immer um das Empfinden des Hundes. Dies ist auch eine gute Übung, um den eigenen Hund noch besser kennen- und einschätzen zu lernen.
DIALOG STATT MONOLOG
Basis einer vertrauensvollen Beziehung sind gegenseitiger Respekt und ein ehrlicher Austausch zwischen den Beteiligten. Damit der Hund uns vertrauen kann, ist es also wichtig, dass wir lernen, seine Sprache zu verstehen, und dass wir seine Signale und seine Gefühle respektieren. Ebenso müssen wir auf unsere eigene Kommunikation achten, damit wir uns dem Hund verständlich machen können und ihn nicht unbewusst durch unsere Körpersprache in eine für ihn unangenehme Situation bringen.
DIE SPRACHE DES HUNDES VERSTEHEN
Beschwichtigungssignale sind wichtige Kommunikationsmittel von Hunden und helfen zu erkennen, wann sich ein Hund unwohl fühlt. Sie sind die subtilste Möglichkeit, um eine unangenehme Situation zu deeskalieren, und müssen bei jeder Begegnung zwischen Mensch und Hund beachtet werden.
Fühlt sich der Hund unwohl, zeigt er Signale wie Blinzeln, Blick-Abwenden, Über-die-Lefzen-Lecken, Ducken oder Zur-Seite-Drehen.
Dank entsprechendem Training sieht alles schon viel entspannter aus.
Wenn möglich, sollte auf Augenhöhe gearbeitet werden. Ein rücksichtsvoller Trainer achtet genau auf seine Körpersprache.
(Grafik: Archiv Animal Training Center / Torben Frey)
Erkennen wir diese Signale nicht oder ignorieren wir sie, bleibt dem Hund nichts anderes übrig, als zu deutlicheren Mitteln zu greifen: Wenn möglich, zieht er sich zurück, wenn nicht, beginnt er vielleicht zu knurren. Dieses Knurren ist extrem wichtig. Es dient der Distanzvergrößerung und zeigt uns Menschen, dass wir viel zu weit gegangen sind. Niemals darf das Knurren eines Hundes bestraft werden, denn damit nimmt man ihm ein wichtiges Kommunikationssignal. Wird der Hund nämlich am Flüchten gehindert und wird ihm außerdem das Knurren verboten, bleibt ihm oft nur noch, zu schnappen oder zu beißen, um sich aus einer für ihn untragbaren Situation zu befreien. Wenn ein Hund beißt, ist dies meist ein Resultat aus vielen Missverständnissen, mangelnder Kommunikation zwischen Mensch und Hund sowie wiederholten Enttäuschungen auf der Seite des Hundes.
Während des Medical Trainings wird der Hund immer wieder Beschwichtigungssignale zeigen. Das ist verständlich, da die Behandlungen häufig ein Unwohlbefinden auslösen. Es ist aber wichtig zu erkennen, ab wann der Hund mit einer Behandlung ernsthafte Probleme hat und daher unter Stress leidet. Falls nötig, muss das Tempo des Trainings angepasst werden. Bei einem gut durchdachten Trainingsplan sind die Schritte klein und verständlich genug, um den Hund nicht zu überfordern. Zusätzlich gibt ihm das Kooperationsverhalten oder Ich-bin-bereit-Signal (nähere Erklärung siehe Säule 2) die Möglichkeit zur „Flucht“. Auch andere Anpassungen wie die Ursachenforschung sind spätestens dann angebracht, wenn der Hund Anzeichen von Stress zeigt. Was genau möchte er nicht? Wie könnte das Training verändert werden, damit die Ursache für die fehlende Bereitschaft behoben wird? Die identifizierten Schwachstellen werden dann separat trainiert, und erst wenn diese für den Hund einfach zu meistern sind, geht es wieder mit dem eigentlichen Trainingsplan weiter.
Wichtig!
Den Hund für ein Knurren zu bestrafen hat den gleichen Effekt, wie die Batterien aus dem Rauchmelder zu entnehmen. Man hört das Geräusch nicht mehr, aber die Gefahr ist noch immer präsent.
– Yamei Ross
KÖRPERSPRACHE DES TRAINERS
Eine falsche Körperposition des Trainers kann im ungünstigsten Fall zum Scheitern des Trainings führen. Wann immer es möglich ist, sollte man daher bei Eingriffen, die den Hund ängstigen könnten, auf Augenhöhe und nicht von oben herab arbeiten. Achten Sie grundsätzlich genau auf Ihre Körpersprache. Falls für eine Behandlung eine für den Hund unangenehme Position des Menschen nötig ist, muss das gezielt in den entsprechenden Trainingsplan eingebaut und bewusst trainiert werden. Beschwichtigungssignale wie Gähnen, Blinzeln oder Blick-Abwenden können auch vom Menschen angewandt werden, um den Hund zu beruhigen.
Ignorieren Sie Ihren Hund nicht, wenn er Angst hat. Seien Sie für ihn da! (Foto: Archiv Animal Training Center/salonloewe.org)
ANGST – GEFÜHL ODER VERHALTENSWEISE?
Bei starker Ausprägung von Angst funktioniert das rationale Denken nicht mehr richtig. Es ist sinnlos, jemandem mit einem Angstproblem zu erklären, dass seine Angst unbegründet ist. Viele Menschen haben Angst vor Spinnen. Sätze wie „Die Spinne tut dir nichts!“ sind für sie selten eine Beruhigung. Nur durch wiederholte positive Erfahrungen kann eine Angst eventuell überwunden werden.
Häufig entsteht Angst aus Erfahrungen, die ein Lebewesen im Lauf seines Lebens gemacht hat. Der erste Besuch beim Tierarzt endete für den Welpen vielleicht mit der Implantation des Mikrochips. Dafür wurde er in einer oft von Stress und Angst geprägten Umgebung von fremden Personen auf einem kalten, glatten und erhöhten Metalltisch festgehalten und mit einer dicken Nadel gepikst. Diese Situation kann den Hund überfordern und Angst verursachen.
Häufig wird geraten, dass dem ängstlichen Hund keinesfalls gut zugeredet werden darf und seine Angst ignoriert werden soll, da diese sonst nur noch schlimmer wird.
Praxisbeispiel
Stellen Sie sich vor, Sie müssen zum Zahnarzt, um Weisheitszähne ziehen zu lassen. Die Vorstellung von den Spritzen, dem Vorgang selbst und den Schmerzen danach...