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E-Book

Mein Luftschloß auf Erden

AutorKatharina von Arx
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl244 Seiten
ISBN9783105614280
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
In einer Arbeit von mehr als zwölf Jahren, von der Mitwelt belächelt, bewundert, beneidet, holte Katharina von Arx ihr Luftschloß auf die Erde, grub sie aus Schutt und Ruinen eines der schönsten mittelalterlichen Bauwerke der Schweiz: Schloß Romainmôtier. Die Geschichte dieses Abenteuers, amüsant und bezaubernd, ist für all jene geschrieben, die auch den Traum vom romantischen Nest, vom Heim als Burg, träumen, die «ihre» Wohnung suchen, «ihr» Haus bauen wollen und darüber manchmal mutlos werden. Katharina von Arx beweist ihnen, wie Wünsche Wirklichkeit werden können, wenn der Mensch nur fest daran glaubt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Katharina von Arx (1928-2013) war eine Schweizer Schriftstellerin und Journalistin.

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Leseprobe

2 Von Herrn Niederhafl, Beethoven und einer Prinzessin


Ich stellte mir mein Wiener Zimmer im winkeligen Stadtkern vor. Ich suchte etwas richtig Individuelles mit Gemüt und fand eine Mietskaserne. Aber was für eine Mietskaserne! Eine Mietskaserne aus dem achtzehnten Jahrhundert, vielleicht die erste in Europa. Ein skrupelloser Häusermakler hatte das Ungetüm dem niedlichen Dreimäderlhaus – wo Schubert gewohnt hat – direkt vor die Aussicht über die Mölkerbastei aufs grüne Glacis gestellt.

Block acht trug neben dem Eingang eine Tafel:

In diesem Hause wohnte in den Jahren 1804 bis 1815

der Komponist LUDWIG VAN BEETHOVEN

Erinnerungsraum im 4. Stock

Öffnungszeiten wochentags 14 bis 15 Uhr

Montag ausgenommen.

Der hohe gewölbte Eingang mit den Rippbogen war für Pferd und Wagen gebaut. Anstelle meines Pferdes ließ ich Erich im stillen Hof warten. In so einem Haus kann sich ein gnädiges Fräulein, wie ich in Wien eins geworden war, nicht gleich mit dem Freund vorstellen.

Erich gab mir noch einen Ratschlag mit auf den Wendeltreppenweg: «Wenn sie dich wegen des Akzents nach deiner Herkunft fragen, sag Vorarlberg, für Schweizer ist die Miete doppelt so hoch.»

«Na und?» fragte er mich, als ich zurückkam.

«Dreihundert.»

«Du bist ja verrückt, dafür krieg ich eine ganze Wohnung.»

«Schweizer eben nicht. Der Schwindel mit dem Vorarlberg hat mir nicht über die Lippen wollen. Übrigens zahlt Jimmy zweitausend an der Kärntnerstraße.»

«Der hat aber auch Dollars wie Schillinge.»

«Und ich Franken wie Schillinge.»

«Weißt du, daß die meisten Untervermieter von der Untermiete leben?»

«Ich wäre froh, die Niederhafls kämen mit meiner Miete aus, dann kann ich es nämlich auch. Wäre doch schön, nicht? Zwei Monate in Zürich arbeiten und den Lohn in zehn Monaten Wien verjubeln?»

Mit achthundert Schilling im Monat müßte ich überleben können, wo doch eine ganze Familie von Jimmys zweitausend lebt – allerdings ein wenig eingeengt, denn wenn Jimmy seine fürstlichen Feste gab, drückte sich die Familie mäuschenstill im Arbeitskabinett des Hausherrn zusammen. Auch benützte sie den Wasserhahn des ehemaligen Gesindes, damit der erlauchte Boy im eigenen (bombenentschädigten) Bad ungestört planschen konnte, wann immer und sooft es ihm beliebte.

Jimmy ist nicht der erste, der auszog, die Stadt zu erobern, in deren Gemütlichkeit jeder Sieger, ohne es zu merken, unterliegt. In Wien verwischten ungewollt die weichgewordenen Russen das grimmige Image des kalten Krieges. Die Wiener selber tun eigentlich nichts dazu und nichts dagegen, sie huldigen jedem mit verschmitzter Eleganz.

Nur damals bei der Türkenbelagerung haben sie ein wenig streiten müssen, aber nur während eines Vormittags, wie Herr Niederhafl zu berichten weiß. Ich rede davon, weil ich über Jimmy, die Russen und die Türken endlich wieder auf die Mölkerbastei zurückkommen will, vor der sich diese ganze österreichische Geschichte abgespielt hat. Mein Hausmeister erzählte sie mir abends am Fenster, als ob es gestern und er dabeigewesen wäre. Wie fern waren jetzt die Abende im Gartenhäuschen des strengen Diakons, wie nahe, beinahe riechbar da unten vor der Bastei der orientalische Dunst türkischen Kaffees über den Kriegerzelten.

«Do untn sans gsessn und ham Kaffee trunkn. Die Weana habn se eh schon an die Morgenländer gwehnt ghabt, aber da sans auf einmal gegen die Bastei gestürmt, mit ihra krummn Sebln, bei der Freyung dribn. I sag ehna, des war a Radau. Der Bäckermeister hats zuerst gsehn, weil der frieher aufsteht. Dann ist der Starhemberg kuman und hot die Tirkn heimgschickt … Später ist der Napoleon einzogn, dribn vom Glacis her, der Ludwig von oben hat die Eroica schon bereitghabt, im obern Stock hat er se geschriebn. Aber der Napoleon hat keine Zeit zum Zuhörn habt, die Franzosn san viel zu nerves, wenn’s was wolln, drum han se si a Moskau verpatzt.»

Manchmal am Abend, beim Blick übers Pflaster, träumt Herr Niederhafl von seinem entschwundenen Glacis. «Do tät i jetzt spaziern, auf dem grünen Glacis, rund um die Stadtmauer. Wo solln die Weana nun spaziarn gehn, i sag ehna, es is a Kreiz mit die Bauhean, aber mit ’n Parlament, do habens se se um an Meter verrechnet – zu hoch hans baut wegen der Perspektive, des hot ehna der Kaiser Franz Josef gsagt, do hat si der Architekt glei umbrocht. Seither hat der Kaiser nur noch gsagt – es ist schön und ich bin sehr zufrieden. Des hett i ned gsagt, wo sie di schene Basteimauer niedergrissn han, um die Wuzzelbaim vor die Aussicht hinzugebn. Sehns, wie der Hitler übern Ring kam, do warn die Blätter schon wie jetzt heraus, und nix hammer gsehn …»

Wenn im Sommer das Laub dem Herrn Niederhafl die Aussicht auf den Ring versperrt, kann er wenigstens von der guten Stube aus aus dem Fenster lehnen und sehen, wer da alles den Ludwig besuchen kommt. Es sind Beethoven-Jünger aus der ganzen Welt; Russen, Japaner, ein Neger, der wie ein Berliner deutsch sprach, und jener unvergeßliche Amerikaner, der an der Hausfassade emporschaute, bis sein Blick auf dem Kopf des Herrn Niederhafl haften blieb: «Are you Mr. Beethoven?» (Sind Sie Herr Beethoven?) «No gar so schiach wie der Ludwig bin i ned. – Aber was der für fesche Madln zu Besuch hat – do tet i a no an Ludwig spüin …»

Im Gegensatz zu Herrn Niederhafl mochte die Hausbesorgerin die feschen Madln in Hosen gar nicht. «Na so schamlos dem Meister gegenübertreten!» Sobald sie nackte Beine ums Eck kommen sah, legte sie ihre Strickarbeit auf den Sims und schloß das Hausbesorgersfenster – die sollen ihren Weg selber finden, der Meister hätte ihr die Wegweisung verargt, sie womöglich durch Schweigen bestraft.

In manchen Nächten ließ er seine Schritte in der Wendeltreppe hören, um ihr alsdann auf dem Klavier ihre Lieblingsweise zu spielen. Sein Geist war ihr allgegenwärtig. Solch wunderbare geistige Zweisamkeit wird nur gehobeneren Seelen zuteil, weshalb die Hausbesorgerin seit einiger Zeit das niedrigere Wendeltreppenwaschen eingestellt hat, zum Verdruß der Anderen. Ja, der Meister hatte auch noch eine Andere. Zwei Frauen kämpften da gegeneinander um des großen Meisters Geistes Gunst mit ungleichen Waffen.

Vom ersten Stock weg nämlich diente die Beschließerin, die ihr Amt von Gottes Gnaden durch Erbe innehatte. Ihr Vater hatte schon dem Haus gedient und dessen Vater, der den Meister noch gekannt und oft genug Beethovens respektlosen liederlichen Neffen zurechtgewiesen hatte, weil dieser in der Wendeltreppe pfiff. Großvater hatte auch Beethovens Bruder, den Apotheker, nicht gemocht: «Ein eingebildeter Mensch, als ‹Beethoven, Großgrundbesitzer› hat der unterschrieben, was den Meister veranlaßte, Briefe an den Bruder mit ‹Ludwig, Hirnbesitzer› zu zeichnen.»

Den großen handgeschmiedeten und den kleinen Patentschlüssel verwahrte die Beschließerin in der eingelegten Schatulle, die seit Meisters Zeiten auf dem Vertikow stand. Der Schatullenschlüssel lag auf dem Nachttisch im Alkoven; während des Russeneinmarsches nahm ihn die Beschließerin nachts unters Kopfkissen. Für den Ernstfall hatte sie die Worte längst bereit: «Nur über meine Leiche.» Und sie hätte für ihren Meister sterben dürfen, im Gegensatz zur Hausbesorgerin, welche die Auffassung vertrat: «Man muß nur liab zan Russn sein, do sans a liab.»

Nein, kein einziger Mann auf Erden war würdig, daß die Beschließerin die Schlüssel aus der Hand gab. An kranken Tagen waren die Erinnerungsräume für die ganze Welt geschlossen, der Kaiser hätte kommen können …

Ein Streicherklavier mit ziemlich angeglichenen Klängen, des Meisters Zuckerdose und Salzfaß in einer Vitrine, zusammen mit Feder und Tintenfaß, das war der Erinnerungsraum. Vielleicht stand noch ein Kanapee in einer Ecke, ich kann mich nicht mehr recht erinnern.

Dumpfer Groll gegen das Spießertum gärte im Raum, wenn die Beschließerin erzählte: «Der Meister von hartem Ohr konnte seine Klänge nur hören, wenn er sehr laut spielte. Wo immer er wohnte, fühlten sich die Hausleute durch Beethovens Lärm gestört. So mußte der arme unverstandene Meister von Haus zu Haus ziehen, insgesamt zog er vierzig Male um. Aber nirgends hat er so lange gewohnt wie an der Mölkerbastei. Mit Unterbrüchen zwar, hier in der Brandmauer wollte er ein Fenster ausbrechen lassen, was sein Freund Pasqualati, der Hausbesitzer, nicht zuließ. Beethoven zog daraufhin für ein paar Wochen aus.» Das Fenster ist noch heute nicht herausgebrochen.

An schwülen Tagen, wenn ihm der Ruhestand zur Last fiel, brummte Herr Niederhafl wegen des ganzen Federlesens: «Des Zeig, was die aufführn um den alten Ludwig. Der war a ned besser als wir, wenn ihm was ned paßt hat. Bei der Gräfin hat er an Zucker mit Hand statt mit der Zangen gnommen, worauf die Gräfin den Johann rief: ‹Bring er einen anderen Zucker.› Nachdem Beethoven seinen Tee ausgetrunken hatte, schmetterte er die kostbare Tasse an die Wand.

‹Aber Meister?›

‹Gnädige Frau, Ihnen ekelt vor dem Zucker, den ich berührt habe, wie muß Ihnen vor der Tasse ekeln, aus der ich getrunken habe!›»

Am Tag, an dem Herr Niederhafl von seiner Wohnung aus den elektrischen Strom für den Beethoven-Film liefern durfte, war er trotzdem stolz, und auch der alte Ludwig «mecht den Tag mit der feschen Komteß genießen».

Vor der Kamera, auf das Streicherklavier gestützt, stand ein braungeschminktes Mädchen in einem Empire-Spitzenkleid. Mit immer größer werdenden Augen...

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