PROLOG
Ketchum, Idaho
Der Winter war lang und streng, und auf den Bergen hinter ihrem Haus liegt noch der Schnee. Das Haus steht in einem Dorf namens Ketchum, neben einer Straße, die weiter in die Wälder führt und tief hinein in die Rocky Mountains. Mehr als sechs Stunden dauerte die Fahrt vom Flughafen hierher, immer Richtung Norden auf der Interstate 75, erst durch weite Kartoffelfelder, dann durch die Prärie von Idaho. Es ist ein Holzhaus, zwei Stockwerke hoch, davor parkt ein schwarzer Hummer H2; im Rasen des Vorgartens stecken die Stars and Stripes, die Farben Amerikas. Dieses Haus ist auch ein Versteck.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“ – Eine schlanke Frau mit dunklen, langen Haaren erscheint in der Eingangstür. Neben ihr bellt ein Labrador und wirft sich gegen das Fliegengitter. Willkommen in der Welt von Barbara McQueen.
Sie öffnet die Tür. Der Hund schießt aus dem Eingang und springt mich an. Sie sagt: „Der tut nichts.“ Ich bin nicht sicher, ob der Hund das auch weiß. Sie ruft ein Kommando und lacht dabei. Offensichtlich wollte sie meine Reaktion testen. Der letzte Eignungstest für unser Gespräch?
Seit fast dreißig Jahren hat Barbara McQueen es abgelehnt, mit Journalisten über ihren Mann zu reden. Sie hat sich selten öffentlich geäußert, egal, was in den Zeitungen stand. Steve sollte ihr Steve bleiben, ihr McQueen. „Ich wollte ihn für mich haben, wollte meine Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit nicht teilen“, sagt sie. Für die Öffentlichkeit mag er ein Mythos sein, eine Legende, ein amerikanischer Rebell, der King of Cool, der noch heute Mode und Popkultur beeinflusst. Für sie aber, seine letzte Frau, bedeutet er viel mehr: Er ist die Liebe ihres Lebens.
Barbara McQueen ist eine scheue Frau, sie ist vorsichtig, und sie hat das Gefühl, dass sie sich schützen muss. In einer Vitrine stehen drei Gewehre, ein Bärentöter, eine Schrotflinte. Unter ihrem Kopfkissen, das wird sie später erzählen, liegt stets ein schussbereiter Colt, Kaliber 38. In der Küche findet man Pfefferspray-Dosen, überall im Haus sind Signalsirenen verteilt. Sie wohnt nicht in Malibu oder irgendwo sonst in Kalifornien oder Florida, sondern in Ketchum, Idaho, einem Dorf in den Bergen, in dem Fußgänger angehalten sind, rote Signalfähnchen zu nehmen, bevor sie die Straße queren, und Fremde hinter zugezogenen Gardinen beobachtet werden.
Barbara McQueen war einmal eine der schönsten Frauen, die von den Titelblättern der größten Magazine lächelte. Ihre Geschichte, ihre Beziehung zu Steve McQueen war ein modernes Märchen, wie geschrieben für die Klatschspalten. Sie: das Supermodel. Er: der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Sie lernte ihn kennen, als er bereits der größte Filmstar der Welt war, berühmt aus Filmen wie Die glorreichen Sieben, Gesprengte Ketten, Bullitt, The Getaway, Thomas Crown ist nicht zu fassen oder Papillon. 28 Filme hat McQueen in 22 Jahren gedreht. In den gemeinsamen vier Jahren sollten es zwei sein: Ich, Tom Horn und Jeder Kopf hat seinen Preis.
Wer McQueen ein Drehbuch schickte, musste einen Scheck über 50.000 Dollar beilegen. Wenn es ihm nicht gefiel, durfte er den Scheck trotzdem einlösen. Für die Mühe. Lesen strengte ihn an. Wenn er den Film machen wollte, garantierte ihm der Filmproduzent mindestens drei Millionen Dollar Gage, das war der Steve-McQueen-Deal, den jeder in Hollywood kannte. Und trotzdem kam jeden Monat mindestens ein Drehbuch, das er las, ablehnte und kassierte. Niemand sonst hatte diese Macht. Er wusste: Filme mit ihm als Star waren wie eine Währung, zuverlässig und hart wie seinerzeit der US-Dollar.
Doch jener Steve McQueen, den Barbara Minty, 24 Jahre alt, Tochter eines Farmbesitzers aus Oregon, am 4. Juli 1977 kennen lernte, hatte kein großes Interesse mehr an Hollywood. Er wollte noch mal seinen eigenen Traum leben, ein ganz neues Leben beginnen, wollte unerkannt durch die Weite Amerikas fahren, mit seinen Kleinlastern und Motorrädern. Er wollte Fliegen lernen und mit Freunden Bier trinken, sagt sie. „Er wollte einfach nur ein Mann sein.“
Warum hat sie so lange geschwiegen? Über das Leben an seiner Seite und seinen rätselhaften Tod? 1980 starb McQueen an einer Krebserkrankung, in einer obskuren Klinik in Mexiko. Sein behandelnder Arzt war ein selbsternannter Wunderdoktor, der die Krankheit und ihre Metastasen mit einer homöopathischen Kaffee-Therapie besiegen wollte. McQueen glaubte an ihn. Doch was geschah wirklich in den Stunden nach der Tumoroperation, die die Wende bringen sollte? War er noch einmal wach? Ging es ihm plötzlich wieder blendend, wie viele Biografen bisher berichten? Hat er sogar Scherze mit den Schwestern gemacht? Von großen Plänen soll er gesprochen haben, von neuen Filmen.
Hartnäckig halten sich deshalb Mordgerüchte, die sich auf angeblich verlässliche Augenzeugen berufen. Er sei getötet worden, weil die alternative Krebstherapie in Mexiko erfolgreich gewesen sei, und das hätten die Schulmediziner Amerikas nicht zulassen können. Gab es Menschen in der Klinik, die verhindern sollten, dass er sie gesund verließ?
Barbara McQueen kennt die Antwort. Sie war bei ihrem Mann, als er aus der Narkose aufwachte. Sie war die letzte Person, mit der er sprach. Doch bisher hat sie dazu geschwiegen: „Ich habe dazu noch nie etwas gesagt und ich werde dazu nichts sagen.“ Neben dem Hund, den Waffen, dem Pfefferspray und den Signalsirenen ist nun dieser Satz zwischen uns. Hier ist eine Linie, eine Grenze, die niemand überschreiten darf. „Verstehen Sie das? Dieser Moment gehört Steve und mir“, sagt sie, „uns ganz alleine.“
Am Ende unserer gemeinsamen Zeit in Ketchum, nach Tagen, an denen wir morgens anfingen, über Steve McQueen zu sprechen, und erst nach Mitternacht damit aufhörten, reden wir doch über seinen Tod. „Vielleicht ist es Zeit, die Dämonen der Vergangenheit herauszulassen“, sagt sie. Und zeigt mir etwas, das sie vorher noch niemandem gezeigt hat: Die Hochzeitsbibel, die Steve und sie von seinem Fluglehrer Sammy Mason geschenkt bekommen hatten. „Ich habe sie manchmal an mein Herz gedrückt und bin mit ihr durch das Haus gegangen. Da war er immer ganz nah bei mir. Dieses Buch ist vielleicht das persönlichste Stück, das uns beide verbindet.“ Dann blättert sie die Bibel auf und streicht über die Seite, auf die ihre Eheurkunde geklebt ist.
Auch nach vielen Jahren fällt es Barbara McQueen schwer, über ihren Mann zu reden. Sie erzählt zwar gerne Anekdoten, sie lacht dabei viel und manchmal auch zu laut, sie amüsiert sich über seinen Humor und seine knochige, trockene Art. Aber die ernsten Themen ihrer Ehe lässt sie am liebsten weg. Steve McQueen konnte ein ruppiger Typ sein, mit dem man schnell in Streit geriet. Die Witwe Barbara verpackt ihre Erinnerung daran lieber in eine niedliche Geschichte: „Steve wusste, ich liebe Kätzchen. Und immer, wenn wir uns sehr gezankt haben, kam er mit einer auf dem Arm zu mir. ‚Hier ist ein Kätzchen für dich‘, sagte er dann nur.“ Sie macht eine lange Pause, dann sagt sie: „Als er starb, hatte ich dreizehn Stück.“
Barbara McQueen war seine dritte Ehefrau. Mit der ersten, Neile, die er 1958 heiratete, zeugte er eine Tochter und einen Sohn, Terry und Chad. 1970 zerbrach die Ehe unter tragischen Umständen. Er betrog sie, sie betrog ihn – am Ende schlugen sie sich und Neile wollte die Scheidung. Steve drehte den Film The Getaway mit Ali MacGraw und verliebte sich dabei in seine Filmpartnerin. Sieben Jahre später hielt er es auch mit Ali nicht mehr aus. Und er betrog sie mit Barbara.
1977 war das, als Barbara auf dem Höhepunkt ihrer Modelkarriere angelangt war. Er wollte sie kennen lernen, sie kam. So ging es ständig in seinem Leben. Er wollte etwas, seine Leute organisierten – und er bekam seinen Willen. Doch Barbara, damals halb so alt wie er und eigentlich als Sex-Trophäe vorgesehen, blieb an seiner Seite, bis er starb. Völlig überfordert von der Situation, fast noch ein Kind, durchlebte und durchlitt sie Monate, in denen aus dem starken, charismatischen Mann, den sie kennen gelernt hatte, ein sterbenskranker Patient wurde.
Dieses Buch handelt von dieser gemeinsamen Zeit. Von The Last Mile, der letzten Meile seines Lebens, wie sie es nennt. Der amerikanische Biograf Marshall Terrill, der als der versierteste Experte für Steve McQueen gilt, half ihr dabei, ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Diese Passagen sind im Folgenden kursiv und farbig abgesetzt – und von Barbara McQueen autorisiert worden. Für den allgemeinen Teil der Erzählung unterhielten wir uns viele Tage lang in ihrem Haus in Ketchum, in dem sie zurückgezogen lebt. „Mein McQueen“ ist keine Biografie, sondern eine Liebesgeschichte. Sie ist subjektiv und lückenhaft. Barbara McQueen verschweigt uns manches, was sie als zu privat, zu intim empfindet – und öffnet sich doch mehr als jemals zuvor. Sie lässt sich Zeit mit ihren Erinnerungen, entdeckt noch heute immer neue Seiten an ihm. Sie schaut keinen seiner Filme an, höchstens ein paar Minuten, weil sie es nicht aushält. „Ich kann damit noch immer nicht umgehen“, sagt sie. „Es tut weh.“ Jahrzehntelang hielt sie die über 400 Fotos unter Verschluss, die sie von Steve geschossen hat. Nun findet sie, dass es an der Zeit ist, sich zu öffnen und ihre Geschichte zu erzählen. „Er ist der Mann meines Lebens“, sagt sie. „Sie werden nichts von mir hören, was ihm schadet. Ich weiß Dinge von ihm, da rollt es Ihnen die Fußnägel hoch. Aber die werde ich nie erzählen. Nicht solange ich lebe.“
Sie springt auf, läuft ins Zimmer nebenan, in dem...