So hilft mir das Training (S. 9-10)
Horst sagt immer: »Der Weg ist das Ziel!« Allein durch die Beschäftigung mit einer Aufgabe, die ich noch nie bewältigen musste, wird mein Gehirn veranlasst, neue Strategien zu entwickeln, um diese Herausforderung zu bewältigen. Selbst wenn ich die Aufgabe noch nicht schaffe, hat mein Gehirn dazugelernt. Für jeden Mitteleuropäer ist das ein völlig neuer Ansatz, denn unsere Erziehung läuft in der Regel so ab, dass wir die einzelnen Lernstufen so lange üben, bis wir sie beherrschen. Dann erst erfolgt der nächste Schritt. Für einen ungeduldigen Leistungssportler wie mich ist dieser Ansatz eine harte Bürde, denn wir Leistungssportler wollen möglichst rasch das Maximum erreichen und uns nicht lange mit Einzelschritten aufhalten. Wir wollen so schnell wie möglich unsere Leistungsgrenzen überschreiten und erweitern, also perfekter werden als die anderen.
Deshalb ist dieser andere Denkansatz absolut spannend. In der Phase der Automatisierung wird das Gehirn bereits veranlasst, sich schon mit einem nächsthöherem Lernprozess zu befassen. Ein weiterer für uns völlig neuartiger Aspekt war das Training der visuellen Wahrnehmung. Wozu braucht man denn das? Entweder man sieht gut oder man geht zum Optiker. Was soll da noch wichtig sein? Genau diese Meinung vertraten wir alle im Skiverband.
Als Horst ganz zu Beginn unserer Zusammenarbeit fragte, wie denn das Augentraining beim Skiverband bisher aussehen würde, schauten wir uns alle mit »großen Augen« an und sahen über unseren Köpfen eine große Sprechblase mit dem Wort »Augentraining « und einem riesigen Fragezeichen darin. Durch Life Kinetik konnte ich erfahren, was es heißt, eine bessere visuelle Wahrnehmung zu bekommen. Ich führe meinen Erfolg der Saison 2007/2008, in der ich nicht ein einziges Mal ausgeschieden bin, zu großen Teilen auf Life Kinetik und insbesondere auf das Augentraining zurück. Inzwischen erscheint es mir auch völlig logisch: Bei einem Weltcup-Slalom habe ich, anders als in der Abfahrt, vorher nur einmal die Möglichkeit, mir den Hang und die Kurssetzung anzusehen. Das Zeitlimit ist kurz und die Ablenkungsmöglichkeiten sind groß.
Meine Art der Besichtigung ist es, mir besonders die Schlüsselstellen einzuprägen. Im Rennen, in voller Fahrt und dem neuen Blickwinkel der Falllinie, sehe ich den Kurs dann jedoch völlig neu, fast wie zum ersten Mal. Da entscheiden Bruchteile von Augenblicken, um richtig zu reagieren. Hinzu kommt noch eine weitere Schwierigkeit: bei 10 Weltcuprennen pro Disziplin und Saison und 15 Startern in der ersten Startgruppe ist die Wahrscheinlichkeit, als Erster zu starten und damit die besichtigte, jungfräuliche Piste vorzufinden, sehr klein.
Zudem verändert sich die Piste durch den extremen und scharfen Kantendruck selbst bei bester und eisigster Präparierung innerhalb weniger Läufer so stark, dass man sich ständig von Tor zu Tor auf neue Gegebenheiten einstellen muss. Schlimmer wird es dann im zweiten Durchgang, wo der Schnellste als 30. an den Start geht. Noch stärkere und extremere Herausforderungen werden dann an das Reaktionssystem gestellt.
Jede Unebenheit und jede Rippe am Tor verlangen eine neue Strategie und eine neue Abstimmung zwischen Erkennen und Umsetzen. Der einzige Sinn, der dies wahrnehmen kann, ist das Sehen, sind die Augen. Meine Beine spüren zwar auch die Veränderungen, doch bis sie sie fühlen, ist es schon zu spät. Da der Schnee nur spricht, wenn man auf ihm fährt, nützt mir das Gehör auch nur wenig. Riechen und Schmecken bringen mir auch nichts.