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E-Book

Mein unglaubliches Leben

AutorJack White
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783864130571
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Jack Whites Leben ist die deutsche Erfolgsgeschichte schlechthin. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in den Ruinen des zerbombten Köln wurde er zunächst als außergewöhnliches Fußball-Talent entdeckt und startete eine Profi-Karriere, die ihn bis zum PSV Eindhoven führte. Doch das war ihm nicht genug, seine Leidenschaft gehörte der Musik. Zunächst versuchte er sein Glück als Sänger, bis er sich schließlich auf das Komponieren und Produzieren verlegte.

JACK WHITE wurde 1940 als Horst Nußbaum in Köln geboren. Entdeckt von der Legende Hennes Weisweiler entwickelte er sich zum vielversprechenden Fußballspieler, der sogar als Profi für den PSV Eindhoven kickte. 1967 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Jack White seine erste Platte. Die Folgejahre waren eine einzige Erfolgsgeschichte mit über 300 Goldenen Schallplatten und mehreren hundert Millionen verkauften Platten.

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Leseprobe

1. Meine Kindheit fernab des Krieges und der Albtraum zur Wirtschaftswunderzeit


Als Horst Nußbaum, zu meinem tiefen Entsetzen ohne jeden weiteren Vornamen als Alternative für den Alltagsgebrauch, wurde ich am 2. September 1940 – just ein Jahr und einen Tag nach Kriegsbeginn mit Hitlers Einmarsch in Polen – mitten in Köln in der Altenburger Straße im Wöchnerinnenheim geboren. Adolf Hitler sprach sich an meinem Geburtstag für den Einmarsch deutscher Truppen in Rumänien aus, und trotz der Bomben, die einschlugen, glaubt meine Mutter bis heute, dass sie die Uhr schlagen hörte: 11.03 Uhr war ich da, im Zeichen der Jungfrau mit dem Aszendenten Waage, wie ich heute weiß.

Ganze neun Monate wohnten Käthe Nußbaum, geborene Etzenbach, und mein Erzeuger, Richard Paul Karl Bernhard Nußbaum, mit mir in der Domstadt in einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Aachener Straße 12, ehe meine Mutter erneut bemerkte, dass sie in anderen Umständen war. Nachdem sie mit mir als Baby auf dem Arm so manchen Bombenregen in den dunklen Luftschutzkellern hatte durchzittern müssen, beschlossen meine Eltern, nach Thüringen zu ziehen, das weniger unter Beschuss stand. Mit dem zweiten Kind im Bauch fanden sie bei meinem Großvater Nußbaum in Merxleben, einem verschlafenen Ort bei Bad Langensalza, sicheren Unterschlupf. Meine Schwester Brigitte kam, zeitverzögert um sechs Tage ein Jahr nach mir in Erfurt zur Welt – was sie bis heute noch ärgert, aber wir beide sind Ossis und Wessis in einem.

Unsere Kindheit war anfänglich ganz unbeschwert. Wir spielten unbekümmert im Garten, stolz sitze ich auf einem Bild am Steuer von Großvaters Auto, und wir mussten in dieser Zeit nie hungern, denn mein Opa war Großviehhändler, ein Beruf, der allein schon eine jüdische Herkunft suggerierte. Wir waren mit allem Nötigen versorgt – trotz des Krieges. Allerdings mussten wir aufgrund unseres Familiennamens einen Ariernachweis erbringen. Jüdischer als Nußbaum konnte ein Nachname wohl kaum klingen. Meinen Großeltern väterlicherseits gelang es jedoch, dem nationalsozialistischen Deutschen Reich bis in die vorletzte Generation zu beweisen, dass die Familie Nußbaum evangelischen Ursprungs und der Name notgedrungen aus einem gleichnamigen Gewächs im Familiengarten entstanden war. Bis heute glaubt mir natürlich keiner meiner semitischen Freunde, dass ich nicht einer von ihnen bin, aber Nomen ist nicht immer Omen. Denn weder bin ich Jude noch kann ich mit irgendeinem jüdischen Verwandtschaftsverhältnis des soundsovielten Grades aufwarten – leider noch nicht einmal mit einem legendären Urgroßvater, den manche Deutsche gern aufführen, wenn sie akzentuieren wollen, sie seien schon aufgrund ihrer Herkunft über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben. Dass mir dieser jüdisch anmutende Nachname in meinem späteren Leben sogar mal Tür und Tor öffnen würde, zeichnete sich damals jedenfalls noch nicht ab.

Unsere Ahnenforschung war so glaubwürdig, dass mein Vater als Soldat eingezogen wurde. Und wann immer er zwischen 1939 und 1945 auf Urlaub war, stellte meine Mutter kurze Zeit später fest, dass sie schwanger war. Ich weiß nicht, wie viele Geschwister Brigitte und ich bekommen hätten, wenn sie die Babys nicht alle verloren hätte, bis Kriegsende wären es bestimmt vier weitere gewesen.

Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende ging, blieben wir noch drei Jahre in der sowjetischen Besatzungszone. Aber ehe die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands mit ihrer Gründung 1946 ihr sozialistisches System auch in dem letzten trotzigen Freigeist durchzusetzen versuchte, entschieden sich meine Eltern zur Flucht in den Westen. Wir schrieben das Jahr 1948, als es die sogenannte Grüne Grenze gab, die zunächst relativ einfach gesichert, dennoch nicht ohne Gefahr war. Mein Vater ging mit mir und einem einzigen Koffer in der Hand im Dunkeln vor, wir orientierten uns an den Sternen. Ich fand das Ganze aufregend, habe es aber eher als ein Abenteuer angesehen. Auf jeden Fall: Es gelang. Mein Vater brachte mich schließlich zu Oma und Opa in die Kölner Paulstraße. Er ging ein paar Tage später zurück in den Osten, um noch Mutter, Schwester und Mischlingshündin Dina rüberzuschleusen. Meine Schwester, so erzählte meine Mutter später, ist wohl in der kalten Stille der Nacht auf Dinas Bein getreten, doch die Hündin hat nicht einen Mucks von sich gegeben. Diese Flucht muss unheimlich gewesen sein. Und sie blieb die einzige tapfere Tat in meiner Erinnerung an meinen Vater.

Alle Möbel, alles, was unser Eigen war, war im Osten zurückgeblieben. Wir fingen bei null wieder an. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn wir regimetreu und der ostdeutschen Herkunft meines Vaters gebührend drüben geblieben wären. Doch wir waren entschlossen, nicht in den Fängen der Kommunisten zu verharren, die von Einheit und Gleichheit schwadronierten. Wir waren willens, dank eigener Kraft aus dem Nichts wieder etwas zu schaffen, und so zogen wir vier zurück nach Köln, in die Heimat meiner Mutter.

Wir wohnten erst mal bei den Großeltern Etzenbach. Meine Geburtsstadt war zu drei Vierteln zerstört, die alliierten Truppen aus England, Frankreich und Amerika hatten den Westen besetzt. Die einst schöne Stadt am Rhein war mehr oder weniger unter britischer Hand. Die US-Soldaten schienen mir allgegenwärtig, sie waren bereits am 6. März 1945 als Befreier in Köln eingerückt. Die Franzosen hatten sich hingegen südlich von Köln niedergelassen.

Mein Onkel Harry, der große Bruder meiner Mutter und ein ausgesprochener Lebemann, war nach Kriegsende nach Westberlin gezogen, das seit Juni 1948 auf dem Landweg von der sowjetischen Besatzungsmacht total abgeriegelt wurde. Westberlin sollte ausgehungert werden, aber die angloamerikanischen Siegermächte schufen eine Luftbrücke, die Onkel Harry und mit ihm alle Berliner im Westteil am Leben erhielt. »Rosinenbomber« ließen ein ganzes Jahr lang alles Notwendige vom Himmel runterfallen – in sogenannten CARE-Paketen fanden sich Kartoffeln, Getreide und Mehl für die Notversorgung und Kohle als Brennstoff, bis die Blockade von den Russen wieder aufgehoben wurde. Westberlin hatte sich seine Freiheit erkämpft. Mein Onkel Harry war voller Stolz und ab sofort ein »Berliner«. Etwas später allerdings kam auch Onkel Harry wieder zurück nach Köln und zog in eine Wohnung im fünften Stock ohne Fahrstuhl.

Wir hingegen hatten uns – nach insgesamt fünf Umzügen – im Stadtteil Köln-Longerich niedergelassen, wo mein Vater als Metzger eine Anstellung fand. Er nahm nicht an einem der vielen Programme für heimkehrende Soldaten teil, er hatte seinen Beruf, und den wollte er wieder ausüben. So eröffnete er voller Tatendrang seine eigene Metzgerei, die uns später allerdings ruinieren sollte. Denn zu dieser Zeit kam Dosenfleisch in Mode. Alles, was aus der Konserve kam, verdarb nicht so leicht, galt als amerikanisch und war somit der »letzte Schrei«. Die Dosenkultur der Besserverdiener auf der einen Seite und der Boom der neu entstehenden Warenhäuser brachen meinem Vater mit seinem Einzelhandel am Ende das Genick.

Vor Vaters wirtschaftlichem Ruin, noch ganz am Anfang seiner Selbstständigkeit, verbrachten wir Kinder unsere überschaubaren Tage mit dem Ergattern der Lebensmittelkarten der britischen Besatzungszone, mit Schlangestehen für klumpiges Maisbrot und natürlich unseren Spielen in den verlockenden, aber höchst gefährlichen Trümmerlandschaften. Nie vergesse ich den Moment, als mir mein Vater an einem Karren eine Apfelsine kaufte und ich zum ersten Mal in meinem Leben eine solche Südfrucht aß. Ich erinnere mich auch noch an die Schulspeisungsschokolade (die gab es nur in der Lehranstalt) und Kaugummis als US-Glückseligkeit – und an die amerikanische Musik, die man abfällig »Negermusik« nannte. Ich mochte diesen Rhythmus, der von den britischen Soldaten und den GIs in die Kölner Stadt getragen wurde. Unterschwellig half mir diese Zeit sicher auch, ein Gespür für die englische Musik zu entwickeln, für Texte in einer Sprache, die mir völlig fremd war, einem Kauderwelsch ähnlich. Einfach durch die Attraktivität des Neuen, das mich magisch anzog, gepaart mit der Freundlichkeit der US-Soldaten, spürte ich die Sehnsucht, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem man scheinbar keinen Krieg kannte, kennenzulernen. Dass ich diese Sehnsucht irgendwann stillen würde, ja Amerika musikalisch sogar erobern würde, fast so, wie es einst Kolumbus geografisch getan hatte, das hätte ich damals nicht mal zu träumen gewagt.

Als 1952 das deutsche Wirtschaftswunder begann, erlebten wir unseren persönlichen Krieg. Meine Eltern waren abgearbeitet, beide Kriege steckten ihnen in den Knochen und im Herzen. Gebeutelt und geschwächt vom Leben verließ mein Vater Bernhard Nußbaum die Familie, als ich zwölf Jahre alt war. Das Einzige, was von ihm blieb, waren sein Name und seine Schulden. Meine um ein Jahr jüngere Schwester Brigitte, meine Mutter Käthe und ich, wir waren allein unserem Schicksal überlassen. Er ist mitten in der Nacht abgehauen, hat sich von mir und meiner Schwester verabschiedet, von meiner Mutter nicht. Selbst mein Großvater Nußbaum aus Thüringen tauchte ab. Gegen diesen Schmerz des Verlassenwerdens blieb das Dröhnen der Bomber im Krieg nur eine Fußnote. Vater gab mir beim Abschied mit auf den Weg: »Werd Fußballer, mein Sohn, lass die Finger weg von Zigaretten, Alkohol und Mädchen, die Mädchen kommen später ganz von allein …« Damit hatte er recht, aber es ist traurig, dass dies die letzten Worte meines Vaters...

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