VON ZAUBERTRICKS, VOM LACHEN UND VON ÜBERRASCHUNGEN
»Erzieh mich doch, wenn du kannst!«
»Nichts leichter als das!«
Eine ganz bestimmte Situation ergibt sich immer wieder im Anschluss an meine Vorträge oder Seminare: Während sich viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen zum Abschied noch kurz für die eben gehörten Anregungen bedanken und sich auf den Heimweg machen, bleiben zwei, drei oder vier Mütter und, – ja, auch Väter –, stehen und lächeln mich freundlich an. Ich lächle zurück und höre den wohlbekannten Satz: »Ich habe da mal eine kleine Frage!« Wobei mit dieser Erkundigung in aller Regel eine kurze, prägnante Beschreibung eines ständig wiederkehrenden Problems mit dem eigenen Nachwuchs verbunden ist.
»Unser Sohn trödelt morgens! Er kommt einfach nicht in die Gänge! Wir müssen aber pünktlich in den Kindergarten.«
»Unsere Tochter lügt uns an, dass sich die Balken biegen. Ihr kann man nichts mehr glauben!«
»Unser Kind räumt nicht auf! Es lebt in einem Saustall!«
»Unsere beiden Jungen streiten sich wie die Raben!«
»Unser Sohn sagt zu allem und jedem nur noch ›Kacka‹. Bei dem ist alles Scheiße!«
»Unsere Tochter ist schon fünf Jahre und kommt noch jede Nacht zu uns ins Bett!«
Und so weiter und so weiter.
Knappste Schilderungen der verschiedensten Situationen in zwei, drei kurzen Sätzen und dann kommt sie, die kurze Frage: »Was soll ich/was sollen wir da nur machen?«
UNENTBEHRLICH: GEDULD, HUMOR UND BAUCHGEFÜHL
Auf eine kurze Frage möchte man normalerweise auch eine kurze, ganz schnelle Antwort, die das Problem löst – ein für alle Mal! Man möchte als Mutter oder Vater den Trick wissen und den Zauberspruch oder das passende Werkzeug an die Hand bekommen, die jedes Erziehungsproblem mit einem Klein-, Kindergarten- oder Schulkind sofort und auf der Stelle beseitigen. Aber so wie der Schlosser Zeit und Erfahrung braucht, um eine ins Schloss gefallene Tür fachgerecht zu öffnen, ohne sie zu beschädigen – vor allem dann, wenn der Schlüssel innen noch steckt oder vielleicht sogar abgebrochen ist –, so braucht es in der Erziehung gleichfalls Zeit und »Gewusst wie«, um das eine oder andere Problem zu beheben. Und so wie der Schlosser es immer und immer wieder geduldig mit seinem Werkzeug versuchen muss, um die verschlossene Tür zu öffnen, so gilt dies für den Erziehungsalltag und seine vielen verschiedenen Problemsituationen und Fragestellungen allemal.
Natürlich weiß jede Mutter und jeder Vater, wie die eine oder andere Erziehungsaufgabe erfolgreich gemeistert werden kann. Sie haben ja schließlich schon Erfahrungen und Erfolgserlebnisse mit ihren Töchtern und Söhnen gesammelt. Und manches Mal liegt die Lösung auch einfach auf der Hand. Sie ist einem dann – ohne viel eigenes Zutun – zugefallen: dank Liebe und Intuition, gepaart mit Selbstvertrauen, einem gesunden Bauchgefühl und eben Erfahrung.
In meiner kleinen Erziehungstrickkiste sind keine Gegenstände enthalten, die ein Zauberer braucht, um wundersame Dinge zu vollbringen. Für wiederkehrende oder neu auftretende Erziehungsprobleme gibt es keine allzeit gültigen und immer passenden Zaubertricks, so als reichte ein »Simsalabim!«, und das Kind schläft ruhig durch, räumt gerne auf, putzt sich fröhlich die Zähne oder isst das Essen, das man ihm liebevoll zubereitet hat. Vielmehr sind in fast jeder Problemsituation vonseiten der Eltern in erster Linie Geduld und Gelassenheit angesagt. Und wie Sie diese entwickeln und zielführend einsetzen können, dazu ist meine Trickkiste für Sie da.
Natürlich hört sich das oft leichter an, als es getan ist, wenn zum Beispiel das Kind morgens früh alle Zeit der Welt hat, während kostbare Minuten verrinnen, bis man den Sohn oder die Tochter ohne Schweißausbrüche endlich beim Schulbus oder im Kindergarten abgeliefert hat und selbst zur Arbeit gedüst ist. Dann herrscht Stress in Reinform, der Blutdruck ist am Anschlag und das frische Hemd durchgeschwitzt.
Dabei verfügen alle Eltern, die ihre Kinder lieben, über eine Vielzahl von kleinen Helfern. Nur fallen sie ihnen oft auf die Schnelle in den aufgeheizten Augenblicken nicht ein, wenn eine rasche und souveräne Lösung gefunden werden will, weil die Hausaufgaben immer noch nicht gemacht sind, man mit dem Kind aber jetzt zum Zahnarzt muss und dann noch feststellt, dass der Winterschuh ein Riesenloch hat und es draußen aber schneit … Dann denkt man vielleicht: Was habe ich doch nur in diesem oder jenem schlauen Buch zu dem Thema Trödelei gelesen? Oder: Wenn der Herr Rogge jetzt da wäre, was würde der wohl machen oder empfehlen?
Da bin ich ehrlich: Vielleicht hätte ich in diesem Moment auch keine Idee. Oder eine, die einfach nicht passt.
Ich habe mir für dieses Buch die häufigsten »Krisenherde« vorgenommen, sie aufgeschrieben und einfach umsetzbare Ideen gebracht, wie man Konflikte aus meiner langjährigen Erfahrung am besten für Kinder und Eltern entschärfen kann.
ALLEIN IM ERZIEHUNGSDSCHUNGEL
So verständlich der Wunsch aller Eltern angesichts einer stressigen Erziehungssituation nach einer schnellen und vor allem funktionierenden Lösung nun sein mag, in vielen Augenblicken fällt einem als Mutter oder Vater eben nichts Schlaues ein.
Und dann gibt es diese Tage, an denen man keine Lust auf Erziehen hat, an denen man am liebsten nicht aufstehen mag, sondern sich im Bett einfach umdrehen, den lieben Gott einen guten Mann oder eine gute Frau sein lassen und entspannt und unbekümmert in den Tag hineinleben will. Aber das geht nicht: Die Kleine muss in die Kita, der Große in die Schule und man hat ja selber auch seine Verpflichtungen und Termine.
Also stürzt man sich schon frühmorgens in das Familienchaos, das man nicht anders erwartet hat. Die gewohnte Leier beginnt, der Tag nimmt seinen Lauf. Eigentlich hatte man sich doch vorgenommen, anders zu reagieren, wenn die Kleine um 7.00 Uhr immer noch nicht weiß, ob sie heute die rosa Socken oder die mit den Minions drauf anziehen will, und wenn der Große feststellt, dass er sein Englischbuch »verloren« hat. Man wollte gelassener sein, schreit aber rum, verdirbt die Stimmung und ist maximal gestresst. Und dann landet man auch noch bei den gewohnten, auf dem Fuße folgenden Selbstgeißelungen: »Ich bin eine Versagerin als Mutter!«, »Warum klappt es bei mir/bei uns nicht, nur bei allen anderen?«
Das Vergleichen, so hat es der dänische Philosoph Søren Kierkegaard formuliert, ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
Dann beginnt man sich mit anderen Eltern zu vergleichen und die eigenen Kinder mit anderen. Das Problem: Die ständigen Vergleiche mit anderen zielen meist und zuerst auf jene Situationen, die im eigenen Familienalltag nicht funktionieren.
Glücksmomente, in denen man sich als Eltern stark und kompetent fühlt, übersieht oder vergisst man. Sie fallen einem nicht ein, wenn alles drunter und drüber geht. Das schwächt Mütter und Väter zusätzlich und tut damit auch ihren Töchtern und Söhnen nicht gut, weil die in aller Regel ein Spiegelbild des elterlichen Verhaltens sind.
ELTERN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS
Vergleiche lassen aber noch einen weiteren Gesichtspunkt hervortreten: die Vergleiche mit den eigenen Eltern. Da gibt es diesen einen gemeinen, diesen fiesen Satz mancher Väter und Mütter, die, als sie sauer und wütend auf ihre Kinder waren – die heutigen Väter und Mütter –, ihnen drohend sagten: »Ich wünsche dir später einmal solch ein Kind, wie du es bist!« Oh Gott, dachte man sich damals vielleicht – solche und andere Aussagen, die wirst du später nicht denken, geschweige denn deine Kinder damit konfrontieren. Erpressungen, wie »Wenn du nicht …, dann …«, kommen später nicht in meinem Wortschatz vor. Wenn mein Kind mal etwas anderes will als ich, dann bleibe ich ruhig und rede mit ihm so lange, bis es mir in die Augen schaut und verständig nickt: »Danke für deine Geduld, Mama. Natürlich beeile ich mich!«
So weit die Theorie und Wunschvorstellung, es besser machen zu wollen als die eigenen Eltern. Nun ist man aber in einer kritischen Situation, die Zeit wird knapp, die Uhr tickt und man drängt: »Nun mach schon!« Doch je hektischer man wird, umso ruhiger agiert das Kind – ganz nach dem Motto: Wenn hier alle durchdrehen, so bleibe ich in meiner Mitte ruhend. Das Ende vom Lied: Irgendeiner schreit, entweder Mutter oder Vater: »Wenn du dich jetzt nicht beeilst, gehst du zu Fuß!« Und das Kind weiß gleichzeitig: Ja, ja, ihr fahrt mich ja doch, wenn ich den Bus verpasse. Das weiß ich genau!
Das soll jetzt kein allgemeines Eltern-Bashing sein. Die meisten Mütter und Väter leisten eine hervorragende Erziehungsarbeit und bauen tragfähige Beziehungen zu ihren Kindern auf. Ihre Kinder wissen das auch zu schätzen. Sie stellen ihren Eltern, den zumeist Selfmade-PädagogInnen, ein sehr gutes Zeugnis aus. Aber sie üben auf ihre Art und Weise auch Kritik, wenn es ihnen mal zu hektisch und zu ernst wird.
Recht haben sie damit – und sie müssen es ja wissen. Erziehung ist in den letzten Jahrzehnten zu einer Art Hochleistungssportart geworden. Vor fünfzig Jahren sollten Kinder noch aufräumen, heute müssen sie »richtig« aufräumen, vor fünfzig Jahren sollten sie nach den Hausaufgaben draußen spielen, heute dürfen sie zwar...