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E-Book

Meine Olympiade

Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen

AutorIlija Trojanow
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783104028460
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ilija Trojanow, der Autor des ?Weltensammlers?, nimmt uns in ?Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen? mit in die Welten des Sports. Während der Olympischen Spiele 2012 fasst Ilija Trojanow einen ehrgeizigen Entschluss: Er will alle achtzig Olympia-Sommer-Einzeldisziplinen trainieren. Sein Ziel: halb so gut abzuschneiden wie der Goldmedaillengewinner von London. Gesagt, getan. Trojanow wirft Diskus, Speer und Hammer, spielt Badminton, misst sich im Zehnkampf, bezwingt im Kajak das Wildwasser, er lernt Ringen im Iran, boxt in einem legendären Gym in Brooklyn, absolviert das Judotraining in Japan und läuft im Hochland von Kenia. Ilija Trojanows Bericht einer Selbsterfahrung bietet einen einzigartigen, faszinierenden Einblick in die Welten und Milieus des Sports. Eine ebenso kluge wie humorvoll-selbstironische Reflexion über Grenzen, über die Beziehung von Geist und Körper und über das Älterwerden. Großartig geschrieben mit der leichten Hand eines Fechters und dem Punch eines Boxers Die olympischen Sommersportarten und ausgewählte Trainingsorte von Ilija Trojanow im Überblick: Badminton (Stuttgart) - Beach-Volleyball (Rio de Janeiro) - Bogenschießen (Wien) - Boxen (Brooklyn, NY) - Fechten (Wien) - Gewichtheben - Judo (Nagoya, Japan) - Kanurennsport (Donau) - Leichtathletik (Gehen, Kurz-, Langstrecken- und Hürdenlauf, Weit-, Hoch- und Stabhochsprung, Diskus-, Speer- und Hammerwerfen etc.: London, Wien, Kenia) - Radsport (London) - Reiten (Brandenburg) - Ringen (Iran) - Rudern (Bulgarien) - Schwimmen (Sri Lanka) - Segelsport (Sri Lanka) - Sportschießen (Wien) - Taekwondo (Hongkong) - Tennis - Tischtennis (Wien) - Trampolin (Stuttgart) - Triathlon (Südafrika) - Turmspringen (Berlin) - Turnen (Bulgarien u.a.)

Ilija Trojanow, geboren 1965 in Sofia, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 zog die Familie weiter nach Kenia. Unterbrochen von einem vierjährigen Deutschlandaufenthalt lebte Ilija Trojanow bis 1984 in Nairobi. Danach folgte ein Aufenthalt in Paris. Von 1984 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie in München. Dort gründete er den Kyrill & Method Verlag und den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt, heute lebt er, wenn er nicht reist, in Wien. Seine bekannten Romane wie z.B. ?Der Weltensammler? und ?Macht und Widerstand? sowie seine Reisereportagen wie ?An den inneren Ufern Indiens? sind gefeierte Bestseller und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen bei S. Fischer der literarisch-politische Essay ?Nach der Flucht? und die Romane ?Doppelte Spur? und ?Tausend und ein Morgen?.

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Leseprobe

Ein Triathlon vorab


Als ich vor Sonnenaufgang aufwachte, empfand ich keine Nervosität, bis ich in der Innenstadt von Kapstadt, keine Viertelstunde nach Abfahrt, bemerkte, dass ich mein Fahrrad zu Hause vergessen hatte. Ich musste zurück (ohne Fahrrad kein Triathlon) und ein weiteres Mal aufbrechen, nunmehr verspätet und spürbar nervös. Ich raste mit hundertfünfzig Stundenkilometern auf der schnurgeraden Landstraße nach Norden, Richtung Langebaan, der Tafelberg im Rückspiegel wie der Stempel auf einer Luftpostkarte. Es war inzwischen acht Uhr, es war schon heiß; der Start war für elf Uhr angesetzt.

Der erste Eindruck von den Mitstreitern war einschüchternd: eine Ansammlung junger, durchtrainierter Athleten mit negativem Körperfettanteil, starken Waden und mächtigen Oberschenkeln. Die Junioren bestritten gerade ihren Wettkampf. Der Ansager stellte einige der Zehn- bis Vierzehnjährigen vor – darunter ein Weltmeister in seiner Altersklasse –, die im professionellen Stil vom Rad sprangen, noch bevor sie die Umkleidezone erreicht hatten, und das Rad im Laufschritt zu ihrem Platz schoben. Die Bewegungsabläufe erfolgten beeindruckend flüssig. Unter den zahlreichen Angehörigen und Freunden herrschte eine ausgelassene Atmosphäre, wie auf einem Volksfest. Viele kannten sich, tauschten sich aus; eine eingeschworene Gemeinschaft, freundlich kameradschaftlich.

Nach der Anmeldung wärmte ich mich auf. Zwanzig Minuten radeln und eine Viertelstunde locker laufen. Danach zog ich meinen Neoprenanzug an und wunderte mich, dass er nicht so richtig sitzen wollte. Das Wasser hatte eine angenehme Temperatur; in der Nähe schwammen einige vergnügte Urlauber. Ihr samstägliches Planschen wirkte auf mich unseriös. Wir wurden in den Saal gerufen, zur Wettkampfbesprechung. Ein Mann tippte mir auf die Schulter: »Sag mal, wieso hast du den Neopren falsch rum an?« Eine Büchse Scham explodierte in mir, als mir klar wurde, was für eine lächerliche Gestalt ich abgab inmitten all dieser getunten Athleten. Was sollte ich antworten? Weil ich ein Trottel bin? Weil ich zu sehr damit beschäftigt war, Leute wie dich zu beobachten? Oder sollte ich sagen: Passt schon, mein Fahrrad hatte ich ja auch vergessen? Ich stammelte, dass es sich so bequemer anfühle. Der Mann warf mir einen exkommunizierenden Blick zu. Ich wartete, bis er mir den Rücken zugedreht hatte, und rannte in die Toilette. Das Zuziehen des Reißverschlusses am Rücken erwies sich als schwierig, dafür saß der Anzug jetzt viel besser. Ich hätte das Anziehen wirklich üben sollen.

Wir wurden an die Startrampe gebeten. Ich hatte mir keinerlei Gedanken gemacht, wo ich mich beim Schwimmstart positionieren sollte. Als das Horn ertönte und das Seil vor uns hinabfiel, musste ich innerhalb weniger Sekunden erfahren, wie töricht es war, aus der ersten Reihe heraus zu starten. Die Teilnehmer der Western Province Triathlon Championships schwammen nicht mit ruhigen, langen Zügen los, sie paddelten und wedelten wie Raubfische, die nach hingeworfenen Leckerbissen schnappen. Von hinten wurde ich nach unten gedrückt, zu beiden Seiten schwammen Haie über mich hinweg. Ich sank ein wenig, verschluckte mich beim Luftholen und stellte das Schwimmen ein. Als ich mich prustend wieder in Bewegung setzte, musste ich feststellen, dass der Pulk schon weit entfernt war. Obwohl wir in einer Lagune schwammen, war der Wellengang stark genug, um meinen Rhythmus durcheinanderzubringen und eine ruhige Atmung zu verhindern. Immer wieder musste ich aussetzen, um nach der nächsten Boje Ausschau zu halten. Einmal schwamm ich auf die falsche zu, bis ein Lebensretter in einem Kajak meine Richtung korrigierte. Ich stieg als Letzter aus dem Wasser, aber immerhin waren zwei andere Teilnehmer vor mir noch in Sichtweite.

Obwohl mir etwas schwindelig war, rannte ich so schnell ich konnte zur Transition Area hinauf, zu beiden Seiten des Weges Zuschauer, die vergnügte Zeugen meines Versuchs wurden, mich aus dem Neoprenanzug zu häuten (noch etwas, was ich nicht geübt hatte). Schlimmer noch: Der Ansager nahm sich meiner fürsorglich an. Mit einer fast unverständlichen Aussprache meines Namens beglückwünschte er mich zu meinem Schwimmresultat. Ich vermutete, er war entweder bestens gelaunt oder er wurde bestens dafür bezahlt, gute Laune zu verströmen. Als eine Böe mir die Startnummer entriss, die ich am Bauch befestigen sollte, die Schnur zu Boden fiel und ich dem Plastik hinterherhechelte, hörte ich ihn rufen: »Ja, lass dir nur Zeit, I-lai-dschah.« Und ich bildete mir ein, das Lachen der Zuschauer zu hören.

Schließlich gelang es mir, die Startnummer zu zähmen und mein Mountainbike aus der Zone zu schieben. Ich kämpfte mich die Anhöhe hinauf, die zur Hauptstraße führte, beflügelt von dem Wunsch, die Menschheit schnell hinter mir zu lassen. Die Streckenführung bestand aus drei Runden, die Hauptstraße entlang, an einem Kreisverkehr wieder zurück. Der Verkehr wurde umgeleitet. Kaum hatte ich meinen Rhythmus gefunden, wurde ich schon von einem Formel-1-Rad überrundet. Der Athlet lehnte sich tief gebeugt nach vorn und kurbelte seine Siebenmeilenpedale. Die Geschwindigkeit des Führenden war so hoch, dass ich kaum ein Zischen vernahm, bevor ich ihn vorbeiflitzen sah. Es ist immer erniedrigend, überrundet zu werden. Einziger Vorteil war, dass ich mir aufgrund der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen uns keine Sorgen über unerlaubtes Fahren im Windschatten machen musste. Mein Mountainbike hatte dicke Reifen und ich begrenzten Ehrgeiz. Mühsam bewältigte ich den leichten, aber kontinuierlichen Anstieg von gut sechs Kilometer bei starkem Gegenwind. Ich beugte mich nach vorn, meine Augen hefteten sich auf den flimmernden gelben Streifen vor mir.

Meine Gedanken schrumpften mit jedem Kilometer. Bis sie von Panik erfasst wurden, weil der Griff nach meiner Wasserflasche in die Leere ging. Ich musste sie früh am Morgen, noch verschlafen, zu Hause liegengelassen haben. Vierzig Kilometer in dieser Hitze – auf der gesamten Strecke nicht einmal das Skelett eines Schattens –, ohne etwas zu trinken, das wäre herkulisch gewesen. Am Ende der ersten Runde erblickte ich eine Tankstelle. Ich bog ab, sprang vom Rad und stürzte in einen kleinen Laden hinein. Zwei dicke Buren standen an der Theke, in ihren Händen jeweils ein Sixpack einheimischen Biers. Sie starrten mich mit einem Gesichtsausdruck an, der nicht zu enträtseln war. Ich war mir nicht sicher, ob wir vom selben Planeten stammten. »Ein Getränk«, schrie ich, »ich habe kein Geld, aber ich brauche ein Getränk, ich zahle später.« Die Kassiererin blickte mich ausdruckslos an, eine endlos lange Zeit, bis sie sich schließlich zu einem bedächtigen Kopfnicken bequemte. Ich öffnete den Kühlschrank und nahm das erstbeste Getränk heraus. An der Tür stürzte ich einen Riesenschluck hinunter.

Auf der letzten Runde nahm der Gegenwind zu. Eine Frau zog an mir vorbei, die ich zuvor als Einzige überholt hatte. Ich schwang mich, um beim zweiten Umkleiden einen besseren Eindruck zu hinterlassen, schon fünfzig Meter vor dem Eingang zur Transition Area vom Rad und lief, für mein Empfinden, elegant in das Rondell hinein. Inzwischen waren meine Arme und Oberschenkel bedrohlich rot geworden. Also cremte ich mich ein, eine absurde Tätigkeit in dieser Zone blitzschneller Verwandlung, doch der Ansager war zu meiner Erleichterung damit beschäftigt, die Namen der Athleten bekanntzugeben, die das Ziel gerade erreicht hatten, samt ihrer astronomisch niedrigen Zeit. Derweil versuchte ich, in meine Laufschuhe zu schlüpfen. Meine Füße wollten partout nicht hineinpassen. Ich dachte, sie seien aufgrund der Anstrengung geschwollen, also zog ich die Fahrradschuhe wieder an.

Gelaufen wurde auf einem Rundkurs von zwei Kilometern, der fünfmal zu absolvieren war. Nach jeder Runde erhielt man von einer streng dreinblickenden Frau unter einem großen Sonnenschirm ein elastisches Band überreicht. Im Ziel würden die vier Bänder am Handgelenk beweisen, dass man die vorgeschriebenen zehn Kilometer hinter sich gebracht hat. Kaum war ich auf den Rundkurs eingebogen, wollte mir die Frau, in der Annahme, ich hätte schon eine Runde hinter mir, ein Band überstreifen. Es war einer jener Augenblicke im Leben, in denen man über sich hinauswächst. Obwohl es drückend heiß und ich ziemlich angeschlagen war (und mein Puls bei hundertsechzig), obwohl sich die Fahrradschuhe zum Laufen nur bedingt eigneten und die Vorstellung, nur acht anstelle von zehn Kilometern laufen zu müssen, mir zu diesem Zeitpunkt verlockender erschien als jede andere Sünde, widersetzte sich irgendetwas in mir der Versuchung, und ich lehnte das Geschenk ab.

»Ich bin stolz auf dich!«, rief die Frau mir hinterher.

Schwierigkeiten beim Laufen bereitete der Untergrund, mal Asphalt, mal Geröll, mal Steinplatte. Ich lief zum ersten Mal in meinem Leben auf einer so unebenen Strecke (auch das hätte ich üben sollen). Ich kam nicht in meinen Rhythmus hinein. Mein Puls beruhigte sich nicht. Die steilste der Steigungen konnte ich nur gehend bewältigen. Jeder Schritt war eine Überwindung. Ich verfluchte die schöne Umgebung um mich herum, die Hügel, das Meer, die Vögel, ich sehnte mich nach Ruhe und Einkehr. Was mich ermunterte, war die Kameradschaft der anderen Teilnehmer, die mir selbst beim Überrunden ein well done zuwarfen, sowie die großzügige Unterstützung durch die Zuschauer, die auch meine Bemühungen beklatschten, obwohl ich mit deutlichem Abstand der Letzte im Feld war.

Und dann gab es noch jenen rundlichen Mann, der am Ende des Anstiegs auf seiner Garage stand und eifrig meine zunehmend kraftlosen Anstrengungen kommentierte....

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