Einführung
Eckhart – eine
Norm setzende Autorität
Gestalt und Werk Meister Eckharts üben seit Langem eine starke Faszination aus, innerhalb wie außerhalb der Kirchen – und dies weltweit, denkt man daran, mit welchem Interesse seine Schriften auch im Fernen Osten gelesen werden, etwa von Zen-Buddhisten und Hindu-Philosophen. Das ergibt sich aus der interreligiösen Verbundenheit all jener, die nach einer in Geschichte und Gegenwart wirkenden Ökumene des Geistes Ausschau halten.
Als Haupt und Höhepunkt der deutschen Mystik ist Eckhart zunächst ins Bewusstsein vieler in die abendländische Geistesgeschichte eingegangen. An Rühmungen fehlt es nicht, so unterschiedlich diese da und dort ausgefallen sein mögen. Aber es fehlt auch nicht an prinzipiellem Widerspruch, mit der Frage: War er überhaupt ein Mystiker? Dabei ist es von zweitrangiger Bedeutung, wie man Leben und Werk eines Menschen etikettiert und zuordnet, zumal schon der Begriff »Mystik« nicht ein für allemal zu definieren ist. Überblickt man die letzten beiden Jahrhunderte der Wirkungsgeschichte Eckharts, das heißt seit der Zeit seiner Wiederentdeckung in den Tagen Hegels und des – ebenfalls wieder zu entdeckenden – Münchener Philosophen Franz von Baader zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dann kommen ebenfalls recht unterschiedliche Urteile zu Gehör, die unter anderem den Stand der Forschung, aber auch den Beobachtungsort der Forschenden widerspiegeln.1 Einige Beispiele:
Seine erste Eckhart-Lektüre, die ihm Franz von Baader (1824) vermittelt hatte, beantwortete Hegel mit dem begeisterten Ausruf: »Da haben wir ja, was wir wollen!« Und Baader selbst, der dies bezeugte und der durch den später vielgerühmten Dominikaner die metaphysische Erkenntnis der zeitgenössischen idealistischen Philosophie vorweggenommen sah, fügte seinem Bericht hinzu: »Eckhart wird mit Recht der Meister genannt. Er übertrifft alle Mystiker … Ich danke Gott, dass er mich in den philosophischen Wirren mit ihm hat bekannt werden lassen. Das hoffärtige alberne Affengeschrei gegen die Mystik konnte mich nun nicht mehr irre machen …«2 In Parenthese mag man hinzufügen, dass es mittlerweile – je nach gängiger Mode – auch ein »Affengeschrei für die Mystik« (in Gestalt von Mystizismus!) gibt, wodurch ihr sehr viel mehr geschadet als genützt wird.
So erblickten die einen in Eckhart den »Vater der deutschen Spekulation« (J. Bach); andere sahen mit dem »Haupt der deutschen Mystik«, so der Hegel-Schüler Karl Rosenkranz, »einen neuen Tag in der Geschichte des Geistes« (W. Preger) anbrechen. Der deutschnationalen Überzeichnungen oder gar der krassen Missdeutungen, wie sie etwa durch den NS-Ideologen Alfred Rosenberg samt braunem Anhang erfolgt sind, muss an dieser Stelle nicht eigens gedacht werden. Wer wie er in Eckhart den »Schöpfer einer neuen Religion«3 erblicken möchte und sein religiöses Denken mit der ebenfalls zeitüblichen rassistischen Ideologie vermengt, hat weder ihn noch seine Botschaft begriffen.
Aspekte der Mystik
Dennoch: Eckharts Name leuchtet weithin, aus guten Gründen und »ohne warum« (sunder warumbe). Einer zusätzlichen Begründung bedarf es nicht. Es ist der Name des religiösen Denkers und Lehrers, des Predigers, des weitgereisten, einfühlsamen Nonnenseelsorgers und – aus heutiger Sicht – des geistlichen Schriftstellers. Es ist der Name eines mystisch Erfahrenen, auch wenn dieses Zeugnis bei einem Zweig der Forschung auf Widerspruch stößt oder mit einigem Vorbehalt reflektiert wird, falls man Mystik von einer Phänomenologie aufweisbarer, gar paranormaler Erlebnisse oder Durchbrüche abhängig machen wollte.4 Doch Letzteres hängt zu einem nicht geringen Teil mit der Kontroverse darüber zusammen, was jeweils unter »Mystik« zu verstehen sei.5 Diese hat nichts zu tun mit einem weltflüchtigen oder gar wirklichkeitsfeindlichen Mystizismus. Um es vorweg anzudeuten: Meister Eckhart schöpft seinen Glauben und sein Erkennen aus den Tiefen einer vom Geistfeuer Gottes durchglühten Erfahrung, und zwar der vom Evangelium her gedeuteten Gotteserfahrung. Oder, an ein Wort Jean Gebsers anknüpfend: Eckharts Spiritualität hat in Analogie zum Zen »nichts mit verschwommener Mystik (d.h. Mystizismus) zu tun«, wobei schon die Formulierung »verschwommene Mystik« verräterisch und damit abgrenzend genug sein dürfte.
Auf der anderen Seite richtete sich Eckharts und seiner Schüler Streben auf die Verwirklichung des spirituell Empfangenen inmitten der Welt, geradezu »in allen Dingen«. Das Zentrum seines Lebensgeheimnisses und seiner Lehrmitteilungen bildet die Vorstellung von der Gottesgeburt in der menschlichen Seele. In ihr vollzieht sich die Geburt des Sohnes aus dem Vater. Und das Unerhörte dieser Kunde liegt für Eckhart darin, dass der Mensch als Ort und Ursache dieses Ereignisses zu gelten habe. Kein Wunder, dass er durch die Kühnheit seiner Predigten und Traktate die kirchliche Inquisition auf sich aufmerksam machte. Auf einem anderen Blatt steht, dass gerade dies immer wieder ein Anlass war, dass sich ungebetene Eckhart-Verehrer auf ihn beriefen, als ließe sich seine reiche, zugleich spirituell-brisante Hinterlassenschaft beliebig ausbeuten.
Und was die Reichweite seiner Ausstrahlung anlangt, so wäre auf Eckharts hohe Wertschätzung im buddhistischen Bereich eigens hinzuweisen. So ist es beispielsweise bemerkenswert, welche Erfahrungen der in der westlichen Welt bekannte Zen-Buddhist D.T. Suzuki (1870 – 1966) in der Begegnung mit dem deutschen Dominikaner gemacht hat. Er berichtet: »Als ich zum ersten Mal … ein kleines Buch mit einigen von Meister Eckharts Predigten las, beeindruckten diese mich tief, denn ich hatte niemals erwartet, dass irgendein christlicher Denker – gleich, ob alt oder modern – solch kühne Gedanken hegen würde, wie sie in diesen Predigten ausgesprochen wurden. Wenn ich mich auch nicht erinnere, welche Predigten das kleine Buch enthielt, so weiß ich doch: Die darin geäußerten Gedanken waren buddhistischen Vorstellungen so nahe, dass man sie fast mit Bestimmtheit als Ausfluss buddhistischer Spekulation hätte bezeichnen können. Soweit ich es beurteilen kann, scheint mir Eckhart ein ungewöhnlicher ›Christ‹ zu sein.«6
Ein Christ eigener Prägung
Auf ihn, den »ungewöhnlichen Christen«, hat man sich freilich einzustellen, wenn immer man sich in Eckharts Schriften vertieft. Und worin dies Ungewöhnliche besteht, das heißt aus welcher Perspektive man ihn zu lesen hat, geht aus dem Zeugnis hervor, das wir einem seiner unmittelbaren Schüler, dem Dominikaner Johannes Tauler, verdanken, als er in einer Predigt den einst wie heute gültigen, zugleich mahnenden Hinweis aussprach:
»Euch belehrt und zu euch spricht ein liebwerter Meister, aber ihr begreift nichts davon. Er sprach (nämlich) aus der Ewigkeit, und ihr versteht es nach der Zeit.«7
Es könnte ja sein, was nur allzu oft geschehen ist, dass man sich wohlmeinend die Worte des »liebwerten Meisters« gefallen lässt, sich wieder und wieder auf ihn beruft, ohne ihn letztlich in seiner Höhe und Tiefe verstanden zu haben.8 Diese Feststellung rührt an die nicht zu leugnende, immer wieder zu machende Beobachtung, dass Eckhart von Hörern und Lesern, Männern wie Frauen ein besonderes Maß an Verständnisfähigkeit und -bereitschaft verlangt, die jedoch nicht überall vorhanden ist. Auch akademische Grade oder Titulaturen bieten dafür nicht die erforderliche Gewähr. Und für so manche der zu Eckharts Füßen Predigt oder Lesung hörenden Nonnen mochte gegolten haben, was eine von ihnen rührend-unbeholfen aufgezeichnet hat:
Der weise Meister Eckehart will uns vom Nichtse sagen.
Doch wer das nicht versteht, der mag es Gotte klagen,
in den hat nicht geleuchtet, der götteliche Schein.
Mit anderen Worten: Wenn der weise Meister Eckhart vom Mysterium des göttlichen Nichts lehrt und kündet, der jeweilige Hörer jedoch keine Ahnung hat, was eigentlich gemeint ist, dann mag der es dem lieben Gott klagen. Kein Wunder, in den hat eben das göttliche Licht nicht geleuchtet, ohne das die Tiefe der Gotteserkenntnis, selbst und gerade in ihrer Widersprüchlichkeit, nicht auszuloten ist. Er, der Prediger, spricht aus der Dimension der Ewigkeit heraus, während die Unerleuchteten noch mit zeitlichen, vergänglichen Vorstellungen behaftet sind.
Leben und Werk
Wer den Versuch unternimmt, sich mit dem Leben Eckharts bekannt zu machen, der muss sich mit einem Minimum an gesicherten Daten begnügen.9 Weder der Ort seiner Geburt noch der seines Todes lässt sich eindeutig bestimmen. Wenn eine seiner in Paris gehaltenen Predigten die Notiz »echardus de hochheim« enthält, dann heißt das zusammengefasst: Eckhart ist um 1260 in Thüringen geboren. Sein Familienname lautet auf Eckhart von Hochheim, wobei Hochheim oder Tambach unweit von Gotha als Geburtsort in Frage kommt. Und das erste gesicherte Datum seines Lebens fällt auf den 18. April, es ist Ostern des Jahres 1294. Da wird Bruder Eckhart (frater ekhardus) in seiner Funktion als Dozent (lector sententiae) an der theologischen Fakultät der Universität Paris genannt, ein Ordensmann, der gerade seine Lebensmitte erreicht hat. Paris ist im 13./14. Jahrhundert Standort einer der ersten europäischen Universitäten, der Sorbonne, benannt nach Robert de Sorbonne (gest. 1274).
Vorausgegangen ist der Eintritt in den Dominikanerorden, der zu dieser Zeit bereits durch...