Wolfgang Thöner
Gründung und Programm
Das Bauhaus entstand am 1. April 1919 aus der Zusammenlegung der Grossherzoglich Sächsischen Hochschule für bildende Kunst und der Grossherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule (der Wirkungsstätte von Henry van de Velde von 1906 bis 1914).1 Der Gründer und Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, der mit dem Fagus-Werk in Alfeld (mit Adolf Meyer, 1911 und 1914) einen der innovativen und einflussreichen Bauten der frühen Moderne des 20. Jahrhunderts geschaffen hatte, war schon 1915 als ein möglicher Nachfolger im Amt des Direktors der Kunstgewerbeschule vorgeschlagen worden. Gropius erlebte 1914 als Offizier an der Westfront die Schrecken eines industrialisierten Krieges. Er hielt den Kontakt zum Weimarer Staatsministerium und übermittelte 1916 die vom Gedankengut des Deutschen Werkbunds durchdrungenen Vorschläge zur Gründung einer Lehranstalt als künstlerische Beratungsstelle für Industrie, Gewerbe und Handwerk.2 Doch den Glauben an eine bessere Zukunft aus dem Geist der Industrie, von dem seine Projekte seit 1907 geprägt waren, hatte er 1919 verloren. Der expressionistisch-emphatische Ton in Walter Gropius’ Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar3 zeigte eine neue Orientierung. Das Ende des Krieges mit einer am Boden liegenden Industrie, dem zusammengebrochenen Kaiserreich und einer politisch offenen, von Aufbruchsstimmung bestimmten Situation war ein guter Nährboden für breitgefächerte Reformideen, in der unterschiedliche Künstler und Visionäre Bilder einer künftigen, besseren Gesellschaft projizierten. Grosse Utopien wie sie Bruno Taut für eine »aufgelöste Stadt«4 in einer klassenlosen Gesellschaft im Zusammenklang von Mensch, Natur und Kosmos entwarf, standen neben handfesteren Versuchen zum Beispiel eines Leberecht Migge, den Ausweg aus der Krise aus einer sozialreformerischen Siedlungsbewegung heraus zu entwickeln. Gropius gehörte wichtigen Vereinigungen und Kreisen dieser bewegten Zeit an: Er war im Arbeitsrat für Kunst und in der Novembergruppe, er beteiligte sich am schwärmerischen Briefwechsel der Gläsernen Kette,5 die ihre Visionen in der Zeitschrift Frühlicht veröffentlichte. So war das Bauhaus – auch durch das Umfeld der anderen Meister wie Johannes Itten oder Lyonel Feininger – auf vielfältige Weise personell und ideell mit unterschiedlichsten Reformbestrebungen vernetzt.
Die Meister des Bauhauses – neben den schon genannten gehörten bald Gerhard Marcks, Oskar Schlemmer, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lothar Schreyer und Georg Muche dazu – bezogen sich bewusst auf die Werk- und Solidargemeinschaft der mittelalterlichen Bauhütten. Darauf deutete auch die strahlende Kathedrale im Holzschnitt Lyonel Feiningers auf dem Titel des Bauhaus-Programms hin. Das Bauhaus hatte sich zum Ziel gesetzt, die institutionell verfestigte Trennung der gestalterischen Disziplinen in einem Zurück zum Handwerk aufzuheben und durch vorbildliche Gestaltungen Gegenstände und Räume für eine künftige humanere und sozial gerechtere Gesellschaft zu modellieren. Mit der angestrebten Durchbrechung der Isolation der Kunst hin zu gesellschaftlichen Aufgaben stellte das Bauhaus den traditionellen Kunstschulen ein Reformprojekt gegenüber, das Bestandteil einer vor allem von sozialdemokratischen Politikern getragenen Schulreform der thüringischen Landesregierung war, die eine auf Gemeinschaftsarbeit beruhende Einheitsschule mit enger Verbindung von praktischem und theoretischem Unterricht plante.6
Lehrplan und Ausbildung
Die praktische Arbeit in den Werkstätten war das Herzstück der Ausbildung am Bauhaus. Bevor die Studierenden eine spezifische Fachrichtung einschlugen, mussten sie für ein Semester die Vorlehre (später auch Vorkurs genannt) absolvieren, die ein halbes Jahr dauerte. Sie diente der »Entfesselung der Individualität«7 und damit der Erkundung individueller Fähigkeiten. So konnte danach die Entscheidung für eine der Werkstätten fallen, begleitet vom Unterricht in der Werk- und Formlehre, zu dem auch die Kurse bei Kandinsky und Klee und naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik und Physik gehörten. Insbesondere die Werklehre bildete »die wichtigste Voraussetzung für eine kollektive Arbeit am Bau«.8 In Weimar war zudem die ganze Studienzeit von der Harmonisierungslehre von Gertrud Grunow begleitet.9
Staatliche Hochschule für bildende Kunst, ab 1919 Staatliches Bauhaus in Weimar
Postkarte, 9,1 x 14 cm
Zentrum Paul Klee, Schenkung Familie Klee
Zunftgemäss nannte man sich am Bauhaus der Weimarer Zeit Lehrling, Geselle und Meister, die Gesellenprüfung erfolgte in der Regel nach drei Jahren Werklehre. Erst danach war ein Einstieg in die Baulehre möglich, die in gestalterisch-handwerklicher Mitarbeit am Bau oder in einem Architekturbüro bestand. Als Abschluss war der Meisterbrief vorgesehen.
In der gesamten Weimarer Zeit war die Leitung der einzelnen Werkstätten dualistisch strukturiert. Einem Formmeister (ein Künstler, verantwortlich für die gestalterisch-ästhetischen Aspekte) stand ein Werkmeister (ein erfahrener Handwerker, der die handwerklich-technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten vermittelte) zur Seite. Die angestrebte Zusammenarbeit erwies sich oft als kompliziert, was vor allem daraus resultierte, dass die Werkmeister nicht wirklich gleichberechtigt waren. Im Meisterrat, dem innerinstitutionell massgeblichen Gremium, hatten sie kaum eine Entscheidungsbefugnis. Diese Situation änderte sich erst ab 1925 in Dessau, als die ersten Absolventen, die alle Aspekte der Werkstattarbeit personell vereinten, als sogenannte Jungmeister die Leitung von Werkstätten übernahmen. Die handwerkliche Arbeit wurde als ideale Einheit von künstlerischer Gestaltung und materieller Produktion begriffen. Bezogen auf Bauprojekte konnte dies in den ersten Bauhaus-Jahren nur als Gesamtkunstwerk definiert werden. Entwurf und Ausführung des Haus Sommerfeld in Berlin (Walter Gropius und Adolf Meyer) im Jahre 1921 zeugen von dieser Haltung.
Konflikte und Neuorientierungen
Die politischen Spannungen der frühen Weimarer Republik berührten auch das Bauhaus. Schon im Dezember 1919 liefen rechtskonservative Politiker Sturm gegen die Schule. Als staatliche Institution war sie zudem zeit ihres Bestehens Gegenstand heftiger Debatten im Thüringer Parlament. Doch bis Mitte 1924 überwogen die Stimmen für das Bauhaus.
Auch am Bauhaus selbst gärte es. Der bei der Fusion mit der Kunsthochschule übernommene Lehrkörper kollidierte in seinen künstlerischen Auffassungen mit denen der Meister um Gropius und betrieb die Abspaltung, die im April 1921 zur Neugründung der Staatlichen Hochschule für bildende Künste führte. Das Bauhaus entwickelte schon damals eine eigene Streitkultur. Doch es gab weiteres Konfliktpotenzial, das tiefer sass und sich vor allem um die Auffassungen von Walter Gropius und Johannes Itten polarisierte.
Vorkursler im Bauhausgebäude (v. l. n. r.: Gustav Hassenpflug, unbekannt, August Agatz, Wera Meyer[-Waldeck], unbekannt, Hermann Bunzel, Albert Buske), 1928
Stiftung Bauhaus Dessau, I 11008 F
Itten war nicht nur der Leiter des Vorkurses, er stand bis 1921 als Formmeister fast allen Werkstätten vor. Ihm ging es bei seinem Konzept um die Ausbildung eines aus seinen individuellen Besonderheiten heraus schaffenden Künstlers, eine Zusammenarbeit mit der Industrie, wie sie Gropius ab 1921 wieder anstrebte, kam für ihn nicht infrage. Oskar Schlemmer, Leiter der Bühnenwerkstatt, sah diese Situation 1922 so: »Itten will den Handwerker erziehen, dem Beschaulichkeit und Denken über die Arbeit wichtiger ist als diese. [...] Gropius will den lebens- und arbeitstüchtigen Menschen, der in der Reibung mit der Wirklichkeit in der Praxis reift.«10 Zu diesem Zeitpunkt war Theo van Doesburg, zusammen mit Piet Mondrian einer der Köpfe der 1917 gegründeten holländischen De-Stijl-Bewegung, auf das Bauhaus aufmerksam geworden. Auch De Stijl hatte sich einem radikalen Bruch mit der Tradition und einem Neuanfang in der Kunst verschrieben, die sich mit dem Leben vereinigen sollte. Im kollektiven Vorgehen sollte eine neue Lebenswelt entstehen. Van Doesburg sah bei aller Kritik am Bauhaus Ansätze und Gemeinsamkeiten, begab sich nach Weimar und hoffte, es auf seine Lehre einschwören zu können. Sein Wunsch, von Gropius als Meister berufen zu werden, erfüllte sich nicht, und so begann er mit eigenen Seminaren, die auch von einer Anzahl Bauhaus-Studierender besucht wurden. Obwohl es Einflüsse von De-Stijl-Prinzipien gab, entfaltete sich die Hauptwirkung vielmehr als Katalysator: Das in ständiger Kritik gespannte Verhältnis zu De Stijl verstärkte die Auseinandersetzungen mit inneren Widersprüchen der Institution. Im Verlauf des Jahres 1922 gelang es Walter Gropius, seine Vorstellungen gemäss einer Hinwendung zur Industrie durchzusetzen, worauf Johannes Itten im April 1923 das Bauhaus verliess. Als neuer Leiter des Vorkurses und der Metallwerkstatt wurde der junge ungarische Konstruktivist László Moholy-Nagy berufen. Ziel der Bauhaus-Lehre war für ihn die »Synthese der in Kunst, Wissenschaft und Technik erworbenen Kenntnisse«.11 Das Konzept hatte eine grosse Nähe zur »Wesensforschung«12 von...