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Memoiren

Vollständige Ausgabe

AutorBertha von Suttner
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl535 Seiten
ISBN9783849639204
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Bertha von Suttner war eine österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin, die 1905 als erste weibliche Preisträgerin mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Dies sind ihre Memoiren.

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Leseprobe

Zweiter Teil (1862–1872)


 


5. Eintritt in die Welt

 

Und nun sollte ich »in die Welt« geführt werden. Unser Name hätte uns wohl berechtigt, in der höchsten Aristokratie zu verkehren, denn es gibt wohl keine Familie des österreichischen Hochadels, mit der wir nicht verwandt oder verschwägert gewesen wären. Aber man kennt diesen Hochadel schlecht, wenn man glaubt, daß Name und Verwandtschaft genügen, um aufgenommen zu werden. Dazu gehört – namentlich war es so in meiner Jugendzeit, jetzt ist man schon etwas weniger exklusiv – vor allem der Besitz von sechzehn Ahnen, d. h. die Hoffähigkeit. Diese besaßen wir nicht – meine Mutter war keine »Geborene«; zudem waren auch unsere Mittel sehr bescheiden, also war es uns nicht möglich, in die erste Gesellschaft – sie selber nannte sich die »Société« – von Wien zu gelangen. Das kränkte mich – ach, was war ich doch für ein oberflächliches, eitles Ding! Zu glauben, es gehöre zum Lebensglück, in der »Crême« zu verkehren, und zu glauben, daß mir durch die Vorenthaltung dieses Glückes ein unverdientes Unrecht widerfahre!

 

Nun geschah es, daß sich durch Vermittlung des Schriftstellers Joseph von Weilen, der bei uns verkehrte, einer der reichsten Männer Wiens um meine Hand bewerben ließ. Mutter und Vormund erklärten sich einverstanden. Der Bewerber war zwar nicht Aristokrat und schon zweiundfünfzig Jahre alt. Aber mit dem höchsten Glanz wollte er meine und meiner Mutter Existenz umgeben – Villen, Schlösser, Palais ... ich war geblendet und sagte »ja«. Ich versuche nicht, diese Tatsache zu beschönigen. Es ist eine häßliche Tatsache, wenn ein achtzehnjähriges Mädchen einem ungeliebten, so viel älteren Mann die Hand reichen will, nur weil er Millionär ist! es heißt – um es bei seinem wahren Namen zu nennen – sich verkaufen. Schriebe ich einen Roman, so würde ich von dessen Heldin, wenn sie sympathisch sein sollte, eine solche Episode gewiß nicht erzählen; aber was ich hier niederschreibe, sind die Erlebnisse einer wirklichen Person, für deren Handlungen ich lange nicht so verantwortlich bin, als ich es für die Handlungen einer Phantasiegestalt wäre, denn diese wäre nach meinen eigenen, gegenwärtigen Ansichten und Gefühlen geformt, während diese achtzehnjährige Bertha Kinsky – obgleich ich's selber bin – weiter nichts ist als ein vages Erinnerungsbild. Was das Original des Bildes erlebt hat, das ist in bloßen Umrissen in meinem Gedächtnis enthalten, das hat auch zur Gestaltung meines gegenwärtigen Charakters beigetragen; aber was jenes Original damals selber für einen Charakter hatte, das erscheint mir als etwas, an dem ich ebenso unbeteiligt bin, wie an den Launen der Kleopatra oder der Semiramis.

 

Ein paar Bilder aus dieser Verlobungsepisode:

 

Die Vorstellung: Herr von Weilen bringt den Bewerber zu einem Vormittagsbesuch. Steife Konversation im Salon. Man beobachtet sich gegenseitig. Gefallen? Nein, der ältliche Herr gefällt mir kaum – mißfällt mir aber nicht. Einladung zum Diner den nächsten Tag; Fürstenberg auch dabei. Noch immer steif. Am vierten oder fünften Tag briefliches Anhalten bei meiner Mutter. Ich schwanke. Am selben Abend sollten wir auf einen Ball gehen – mein Debut. Ein adeliges Picknick. Auf diesem Ball pflegte die »Crême« zu erscheinen, aber nicht ausschließlich; es sind da auch mindere Elemente anwesend. Ich sehe noch meine Toilette: ein weißes Kleid ganz mit kleinen Rosenknospen besät. Voll freudiger Erwartung betrat ich den Saal. Voll gekränkter Enttäuschung habe ich ihn verlassen. Nur wenige Tänzer hatte ich gefunden. Beim Kotillon wäre ich bald sitzen geblieben, hätte sich nicht schließlich ein häßlicher Infanterieoffizier, der sich zahlreiche Körbe geholt hatte, meiner erbarmt. Die hochadeligen Mütter saßen beisammen, meine Mutter saß einsam; die Komtessen standen in Rudeln und schnatterten miteinander – ich kannte keine; beim Souper bildeten sich lustige kleine Gesellschaften, ich war verlassen. Auf der Nachhausefahrt sagte ich zu meiner Mutter:

 

»Mama, jetzt bin ich entschlossen, ich nehme den Antrag an.«

 

Das nächste Bild: Der beglückte Freier, im Besitze meines Jawortes, bringt mir eine ganze Ladung Brautgeschenke: ein Schmuck von Saphiren und ein Perlenkollier. Auch seine bald sechzehnjährige Tochter stellt er mir vor – er war nämlich Witwer –, und diese nannte mich ihre schöne, liebe Mama, was mir ungeheuren Spaß machte.

 

Nächstes Bild: Ein glänzender Ball in der Haute Finance, an dem wir als Verlobte teilnahmen. Jetzt bin ich umringt und die glänzendsten jungen Kavallerieoffiziere machen mir den Hof – einer besonders bittet um die Erlaubnis, mein Haus besuchen zu dürfen, wenn ich verheiratet sein werde. Offenbar denkt er: die junge Frau eines alten Mannes, das kann interessant werden. Der Bräutigam aber ist wütend und macht mir eine Szene, weil ich am Arm des Ulanen zum Souper gehen will. Ich lache, verlasse meinen Kavalier und nehme den Arm des Erzürnten:

 

»Ich will ja brav sein,« besänftigte ich ihn.

 

Wieder ein Bild: Rundfahrt in der Stadt zu dreien, meine Mutter und wir Verlobten zur Besichtigung von Einrichtungsgegenständen, Equipagen, Toiletten; auch eine Fahrt in die Umgebung zur Besichtigung der wahrhaft fürstlichen Villa, die mir als Morgengabe bestimmt war.

 

Noch ein Bild: Ein Nachmittag bei uns. Mein Bräutigam und ich sind zum erstenmal allein.

 

»Berta, weißt du, wie entzückend du bist?« Er umschlingt mich und drückt seine Lippen auf die meinen. Der erste Liebeskuß, den ein Mann mir gegeben. Ein alter Mann, ein ungeliebter Mann. –

 

Mit einem unterdrückten Ekelschrei reiße ich mich los, und in mir steigt ein leidenschaftlicher Protest auf – Nein, niemals – – –

 

Am folgenden Tag wurden die Geschenke zurückgeschickt – ich löste die Verlobung auf. Die Meinen hatten zwar zu remonstrieren versucht: das Aufsehen – die Wortbrüchigkeit – ich hätte nicht ja sagen sollen, ich war ja dazu nicht gezwungen worden, jetzt aber plötzlich zurücktreten – ich möge doch wenigstens noch einige Zeit überlegen – –

 

»Nein, nein – ich kann nicht, kann nicht – lieber sterben!«

 

Und so wurde der Absagebrief expediert.

 

Ein paar Stunden später stürzte die Tochter zu mir und weinte zu meinen Füßen: ich solle den Vater nicht so kränken – ich solle den grausamen Entschluß wieder aufheben ...

 

Ich war aber nicht mehr umzustimmen. Starr hielt ich fest an meinem: »Ich kann nicht, ich kann nicht!«

 

 

Bald lag die ganze Episode hinter mir wie ein böser Traum, aus dem erwacht zu sein ich als Wohltat empfand. Meine Verlobung und Entlobung hatten im Fasching gespielt – im Sommer dachte ich nicht mehr daran. Diesen Sommer brachten wir in Baden bei Wien zu, wo meine Mutter eine kleine Villa angekauft hatte. Es war ein lustiger Sommer, voll Landpartien, Kurmusik, Tanzkränzchen.

 

Eine kleine Gesellschaft bildete sich – ein paar elegante, hübsche junge Mädchen darunter und zahlreiche junge Herren, meist Offiziere, dazu die obligaten Mütter – man begegnete sich täglich – oft auch dreimal täglich: zu Mittag im Park bei der Musik, nachmittags auf der Promenade ins Helenental und abends wieder, wenn nicht Reunion war, bei der einen oder anderen Familie, oder bei der Abendmusik im Park. Besonders intim hatte ich mich befreundet mit einem gleichaltrigen Mädchen, namens Marietta, Marchesa Saibante. Sie war eine auffallende Erscheinung: eine große und rundliche Gestalt – damals war die magere Eckigkeit noch nicht modern –, rabenschwarze Haare und Augen, blendende Zähne, sehr rote Lippen und sehr rote Wangen – dabei aber eine Stumpfnase und überhaupt derbe Züge.

 

Die Mutter Mariettas, eine geborene Baronin Scheibler, war mit einem Italiener, Marchese Saibante, verheiratet gewesen und war schon lange Witwe. Sie hatte nur diese einzige Tochter und betete sie an. Mit den beiden lebte auch eine ledige Schwester der Marchesa, und diese, Tante Helene genannt, betete Marietta noch mehr an. Die beiden mittelalterlichen Damen (daß es kein deutsches Wort gibt für das ausdrucksvoll bezeichnende englische: »middleaged«) ließen ihren Liebling keinen Schritt aus ihrer Nähe weichen. Sie lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen, waren aber ziemlich hochmütig, da sie mit allen illustren Familien des Adels verwandt waren. Eine dritte verstorbene Schwester war mit einem Fürsten Auersperg vermählt gewesen. Auch besaßen sie einen reichen Onkel, Feldmarschall Graf Wratislav, der eine besondere Vorliebe für Helene hegte. Von diesem Onkel wurde fortwährend gesprochen. Sehr oft war auch einer Cousine Erwähnung getan, mit dem stolzen Namen Rohan. (Roi ne puis, prince ne daigne, Rohan je suis.) Nur so...

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