Einleitung
»Die schönen Künste blühen wieder auf, der Umgang mit beiden Sprachen soll uns mit den Griechen und Italienern verbinden; möge Deutschland sich mit Bildung schmücken, die Barbarei verbannen und verjagen; … O Jahrhundert, o Wissenschaften, es ist eine Lust zu leben … Die Studien blühen, die Geister erwachen! Du Barbarei, nimm den Strick und mache dich auf Verbannung gefasst.« Enthusiastisch begrüßt der Humanist Ulrich von Hutten in einem Brief an seinen Freund Willibald Pirkheimer aus dem Jahre 1518 den Anbruch einer neuen Zeit. Was in Italien über ein Jahrhundert zuvor begonnen hatte, brach sich auch in Deutschland Bahn: das Bewusstsein, Zeuge einer Zeitenwende zu sein.
Bei meinen Studien zur Kulturgeschichte des Christentums1 haben solche Epochen des Wandels mein besonderes Interesse geweckt. Es sind Zeiten, in denen geistesgeschichtliche und soziale Umbrüche spürbar werden, Zeiten, in denen sich Neues ankündigt und Altes gegen den Wandel sich zu behaupten versucht. Entsprechend lebhaft und kontrovers fallen die philosophischen, theologischen und politischen Diskurse aus, die diese Umbrüche literarisch begleiten. Umbruchszeiten sind z. B. das dritte und vierte Jahrhundert, als das junge Christentum sich im Römischen Reich ausbreitet und im Zuge der Konstantinischen Wende als neue Staatsreligion die alten paganen Religionen und Kulte ablöst. Eine Wende leiten auch die Aufklärung und die Französische Revolution ein. Sie lösen ein neues Nachdenken über den Wert von Religion und ihre Stellung in Staat und Gesellschaft aus, ein Reflexionsprozess mit politischen Folgen, der das ganze 19. Jahrhundert beschäftigt und auch heute noch nicht zu einem Ende gelangt ist.
Auch die Renaissance des 15. Jahrhunderts ist eine solche Umbruchszeit. In ihr wird die Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit sichtbar an Personen, Ereignissen und im Schrifttum. Christoph Columbus wollte nach Indien segeln und entdeckt 1492 Amerika.
In Mainz entwickelt Johannes Gutenberg um 1450 den Buchdruck mit beweglichen Lettern und begründet dadurch ein neues Zeitalter der Kommunikation, die es erlaubt, neue Gedanken schnell und über Länder- und Standesgrenzen hinweg zu verbreiten. Der Astronom Nikolaus Kopernikus (1473 – 1543) stellt die Theorie auf, dass die Erde ein Planet sei, der die Sonne umkreist. Durch genaue Beobachtung mit einem eigens entwickelten Fernrohr gelingt es Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die Richtigkeit dieser Theorie zu beweisen.
Humanistische Gelehrte fühlen sich angezogen von antiken Anschauungen über den Menschen. Sie sind fasziniert von der Kunst, Literatur und Philosophie der Griechen und Römer, wo der Mensch das Maß aller Dinge war. In Florenz finden sich humanistische Gelehrte zu einer Platonischen Akademie zusammen. Der Humanist Erasmus von Rotterdam gibt das Neue Testament in der griechischen Originalsprache heraus und befeuert den gesellschaftlichen Diskurs mit revolutionären Ideen. Er verwirft den Krieg, tritt für Frauenbildung ein, fordert die Freiheit der Wissenschaft und lehnt den Privatbesitz ab.
Die Suche nach den verborgenen Quellen der antiken Kultur beschränkte sich nicht nur auf die Schriften der Griechen und Römer. Man begann auch die Tempel und Bauwerke in den italienischen Städten, die Skulpturen römischer und griechischer Künstler mit anderen Augen zu sehen als bisher. Maler, Bildhauer und Architekten fanden in ihnen Vorbilder für das eigene Kunstschaffen; für Fürsten, Kardinäle und Liebhaber wurden Antiken zu begehrten Sammelobjekten und Statussymbolen. Weil auf diese Weise die Welt der Antike gleichsam wiedergeboren wurde, bürgerte sich für die Epoche des 15. und 16. Jahrhunderts die Bezeichnung Zeitalter der Renaissance ein.
Auch das politische Denken zeigte Veränderungen. Das Mittelalter hatte alle Herrschaft in eine Hierarchie mit Rechten und Pflichten eingefügt. Jetzt aber spürten viele, dass diese überlieferten politischen Ordnungen keine bindende Kraft mehr besaßen. Schon im 13. Jahrhundert hatten sich oberitalienische Städte aus der Herrschaft von weltlichen und geistlichen Feudalherren befreit. Ihre Bürger entwickelten ein stolzes Selbstbewusstsein und viele gelangten als Kaufleute und Bankiers zu Wohlstand und Reichtum. Auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches war eine Vielzahl von Staatsgebilden entstanden, die sich auf das Recht des Stärkeren beriefen und nicht mehr auf die traditionelle Rechtsordnung, die man auf Gott zurückgeführt hatte. Die theoretische Rechtfertigung dieser rücksichtslosen Machtpolitik lieferte der Florentiner Rechtsgelehrte Niccoló Machiavelli (1469 – 1527) in seinem Buch Der Fürst.
In einer Umbruchsituation befanden sich auch die Kirche und das Papsttum. Das 14. Jahrhundert hatte zu einem machtpolitischen Niedergang des Papsttums geführt. Papst Bonifaz VIII. (1294 – 1303) beschwor in seiner Zwei-Schwerter-Theorie noch einmal die Universalherrschaft des Papstes, forderte damit aber den Widerstand des französischen Königs heraus. Die folgenden Päpste gerieten in Abhängigkeit von Frankreich und verlegten ihre Residenz nach Avignon (1309 ‒ 1377). Nach der Rückkehr aus Avignon führten erneute Auseinandersetzungen zwischen italienischen und französischen Kardinälen und den sie stützenden Staaten zu einer großen Kirchenspaltung, bei der ein Papst in Avignon, der andere in Rom residierte. Die Verwirrung unter den Gläubigen war groß, da beide Päpste Kardinäle ernannten, die wiederum eigene Papstnachfolger wählten. Die einzelnen Länder entschieden nach politischen Erwägungen, welchen Papst sie anerkennen und finanziell unterstützen sollten. Da beide Päpste ihren Gegner und seinen Anhang bannten, war praktisch die ganze abendländische Christenheit exkommuniziert. Als auf einem Konzil in Pisa (1409) ein neuer Papst gewählt wurde, kam es zu einer weiteren Spaltung, da die beiden abgewählten Päpste sich weigerten zurückzutreten. Diesen unwürdigen Zustand dreier Päpste beendete erst das Konzil von Konstanz (1414 – 1418), das von Kaiser Sigismund einberufen wurde und mit Martin V. (1417 – 1431) einen neuen Papst mit dem Sitz in Rom installierte.
Angesichts dieser unglücklich verlaufenen Papstgeschichte war dem Konzil eine Autorität zugewachsen, von der es selbstbewusst Gebrauch machte. Es erklärte, dass das allgemeine Konzil die Kirche vertrete, seine Gewalt unmittelbar von Christus habe und dass ihm zu gehorchen sei in allem, was den Glauben und die Reform der Kirche betrifft. Auch der Papst ist dem Konzil zum Gehorsam verpflichtet und ihm damit untergeordnet. Dieser unter dem Begriff des Konziliarismus in die Kirchengeschichte eingegangene Autoritätsanspruch des Konzils und die den folgenden Päpsten auferlegte Verpflichtung, in regelmäßigen Zeitabständen Konzilien einzuberufen und eine Kirchenreform an Haupt und Gliedern ins Werk zu setzen, empfanden die Päpste als mit dem Amt nicht zu vereinbarende Zumutung und zeigten sich nicht gewillt, ihre Macht durch das Konzil einschränken und kontrollieren zu lassen. Zwar gelang es Papst Eugen IV. (1431 – 1447), die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in der Kirche für das Papsttum zu entscheiden. Doch der Schock saß tief und die wiederholten Drohungen und Versuche politischer Gegner, ein Konzil einzuberufen, schwebten wie ein Damoklesschwert über künftigen Papstgenerationen. Auch die Forderung nach einer Kirchenreform blieb lebendig, wurde in Wahlkapitulationen vor Papstwahlen immer wieder beschworen und versprochen, blieb wegen der unkalkulierbaren Folgen für das Papsttum aber unerfüllt.
Die Mehrzahl der sogenannten Renaissancepäpste genießt in der Kirchengeschichte keinen guten Ruf. Sie waren Regenten des Kirchenstaates und Politiker und als solche verstrickt in internationale und italienische Machtkämpfe. Sie waren bedacht auf die Förderung und dynastische Erhöhung ihrer Familien, sie glichen ihren Lebensstil dem weltlicher Fürsten an und zeigten sich als verschwenderische Förderer der Literatur, der Kunst und der Architektur. Ihr Mäzenatentum steigerte ihren persönlichen Ruhm und den ihrer Familien, diente aber auch dazu, nach einer Zeit des Niedergangs das Papsttum zu stärken und den verblichenen Glanz der Ewigen Stadt Rom als Mittelpunkt der Welt zu erneuern.
Ich traue mir nicht zu, eine Geschichte der Renaissance zu schreiben, deren es im Übrigen vorzügliche in großer Zahl gibt. Ich habe in zahlreichen Vorträgen für ein gebildetes Laienpublikum Persönlichkeiten vorgestellt, in deren Leben sich typische Haltungen und Bestrebungen des Humanismus und der Renaissance verkörpern. Gemeinsam ist allen diesen Menschen eine gewisse Größe. Mit dem Attribut Größe strebe ich keine Heroisierung oder Verklärung an, sondern sehe darin eine Wertung, die das Außergewöhnliche, das Außerordentliche eines Menschen zum Ausdruck bringt, das sich auch im Abstoßenden und Schrecklichen oder in der Radikalität einer Lebensform äußern kann, wie sie der religiöse Fanatiker Girolamo Savonarola vorgelebt hat.
Auch Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., war ein solch Großer angesichts der Vielfalt seiner Begabungen und Tätigkeiten: für die Antike begeisterter Humanist, an Cicero geschulter Redner, weitgereister Diplomat, zum poeta laureatus gekrönter Dichter, Naturfreund und Forschungsreisender. Nach einem abenteuerlichen Leben wird er Papst und übt dieses Amt in einer überraschend persönlichen und eigenwilligen Weise aus. Seine Geburtsstadt Pienza hat er als die erste nach neuen architektonischen...