Von der Liebe zu einem Schiff.
Die Liebe zu einem Schiff, sie ist etwas Besonderes. Und wenn Schiff und Skipper oder Skipperin gemeinsam Stürme durchgestanden, Langfahrten unternommen und lange Ebbestunden im Watt trockengefallen sind, dann ist sie auch dann noch lebendig, wenn das Boot schon längst in andere Hände übergegangen ist.
LEVIATHAN: Die vier Leben eines Schiffes.
Die 10 Meter lange LEVIATHAN, eine Reinke Taranga, war meine erste größere Hochseeyacht. Eigentlich war ich nur drei Jahre auf ihr unterwegs, aber sie ist mir immer in Erinnerung geblieben. Ich habe sie nie vergessen.
Geht es Ihnen auch so? Sie hatten einst ein Moped, Motorrad, Auto oder Boot, mit dem Sie Erinnerungen verbinden. Nach dem Verkauf vergehen Jahre und Sie fragen sich irgendwann, was daraus geworden ist. Mit dem Fahrzeug verbinden Sie nicht nur seine Technik, sondern auch einen Lebensabschnitt. Da gab es die Vorfreude auf den Kauf, auf die Umbauten, auf die Reisen. Und Sie verbinden Ihre Emotionen mit Menschen an Bord, mit denen Sie unterwegs waren. Diese Gedanken kommen nicht von ungefähr: Blickt man zurück, so erscheint manches besser, und was nicht so gut war, tritt in den Hintergrund, verblasst wie Lack in der Sonne: So entsteht Sentimentalität.
Eines Tages begann ich, nach meiner feuerroten Suzuki GSX 1100 zu suchen, mit der ich unvergessliche Motorradreisen nach Schweden und auf den Balkan unternommen hatte. Ich war fest entschlossen, die Maschine zu finden und zurückzukaufen. Bald ermittelte ich ihren neuen Eigentümer. In einem Schuppen in Hannover stand ich dann vor der Maschine oder besser: vor der Technikleiche, die von ihr geblieben war. Rost, Beulen, undichte Zylinderkopfdichtung, die Verkleidung nach einem Sturz zerborsten. „Nimm mich wieder mit“, schien die Suzuki zu flehen. Aber so toll war sie nun auch wieder nicht, jedenfalls nicht bei diesem Anblick. Und während ich sie noch ansah, fiel mir die im Leerlauf scheppernde Kupplung und ihr Hang zum Hochgeschwindigkeitspendeln jenseits der 200 km/h wieder ein. Und war ihr nicht die Kawasaki GPZ 900 immer eine Nasenlänge voraus, ihr Fahrwerk agiler und einfach 10 Konstruktionsjahre jünger? Es gab einen triftigen Grund, damals auf die Kawa zu wechseln. Und daher: Nur die Erinnerungen verleiten mich zur sentimentalen Suche, etwa als ich in Dubrovnik über eine Planke auf eine winzige Fähre fuhr: Beim Anrollen mit dem Vorderrad schlug die Planke senkrecht hoch. Ich gab etwas Gas. Das „schmale Brett“ fiel zurück, dann fanden meine Beine auf beiden Seiten keinen Halt, da war nur noch das Wasser des Hafenbeckens. Also gab ich noch mehr Gas und mein roter Packesel, vollgetankt und mit Gepäck gut 300 Kilogramm schwer, hüpfte förmlich auf das Vordeck der Fähre, die eigentlich nur für Personen gebaut war. Später entdeckte ich Reiseenduros für mich und trennte mich endgültig vom schweren Eisenhaufen mit vier Zylindern, doch die feuerrote Suzi werde ich nicht vergessen, so wie die rote Reinke Taranga. Nach einer Hai 710 und einer Mirage 28 war sie meine erste Hochseeyacht. Motorräder faszinieren mich nebenbei erwähnt auch weiterhin. Im Herbst habe ich mit einer Suzuki-V-Strom eine wunderbare Alpentour unternommen und freue mich auf den Mai, um „mal eben“ zum Besuch des Abba-Museums nach Stockholm zu düsen.
Der Vergleich von Booten mit Motorrädern enthält allerdings einen gravierenden Unterschied: Alle Boote waren gleichzeitig ein Zuhause, mein „Zweitwohnsitz“ auf dem Wasser – nicht Teil einer One-Man-Inspiration, sondern Refugien der Familie. Gerade meine Boote würde ich alle zu gerne besuchen und erfahren, wie es mit ihnen und ihren neuen Eignern weiterging.
Deswegen war ich sofort Feuer und Flamme, als mich Vorbesitzer Uwe Kley anrief und nach seiner/meiner Reinke Taranga fragte. Bei ihm trug sie den Namen SPICA, ich hatte sie in LEVIATHAN umgetauft – und so heißt sie noch heute. Uwe hatte die 10 Meter lange Stahlyacht 1982 ausgebaut und 1999 an mich verkauft. Der Segler ist bereits 80 Jahre alt, die Gesundheit macht Probleme. Er würde sein Boot so gerne noch einmal sehen. Ich hatte das Boot 2002 weiterverkauft. Wo war es geblieben?
Warum manche Eigner nicht jeden Käufer akzeptieren
Zurück ins letzte Jahrtausend: „Das Boot ist noch zu verkaufen“, meldete sich Eigner Uwe Kley bei meinem Anruf auf seine Annonce. „Doch bevor ich weiterrede, sagen Sie mir bitte, wie groß Sie sind.“
Seltsame Frage. „1,80 Meter“, antwortete ich.
„Das akzeptiere ich. Sie können vorbeikommen. Wir treffen uns am Stichkanal in Hannover-Linden. Das Boot steht an Land im Winterlager.“
„Bin schon unterwegs“, sagte ich. „Doch warum fragen Sie mich nach meiner Größe?“
Er antwortete: „Das Boot ist wie ein Kind für mich. Den Rumpf habe ich 1982 bei der Benjamins-Werft in Emden bauen lassen. Alles andere habe ich zusammen mit einem Bootsbauer selbst entworfen. Ich hänge daran, aber muss aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten.
SPICA hat eine Stehhöhe von 188 Zentimeter. Wenn Sie größer wären, fühlen Sie sich auf die Dauer nicht wohl. Und wenn Sie sich auf SPICA nicht wohlfühlen, dann behandeln Sie das Boot schlecht. Das möchte ich nicht. Vor Ihnen hat ein Interessent angerufen, der größer war. Ihm habe ich abgesagt.“
Oha, der Skipper schien es ernst zu meinen. So etwas denkt sich keiner aus. Ich nahm mir vor, das Boot über den grünen Klee zu loben, wenn es mir gefallen sollte. Wer beim ersten Besuch am Kind von jemandem herumnörgelt, fliegt gewöhnlich raus. Der kann gleich einpacken. Gespannt fuhr ich nach Hannover. Das Boot stand auf einem Werftgelände am Kanal hinter dem großen Güterbahnhof in Seelze. Seltsam, gerade hier eine Hochseeyacht zu besichtigen. Dann der erste Eindruck des Mannes: Mitte 60. Sehr höflich. Und er wusste genau, wovon er sprach. Der erste Eindruck vom Boot: Etwas unförmig mit dem stählernen Deckshaus. Dazu ein Doppelknickspanter. An Land nicht gerade elegant; dafür ungemein seetüchtig.
Uwe Kley stellte eine Leiter ans Boot und öffnete die Plane. Wir waren gespannt, wie sie unter Deck aussah, und wurden überrascht: Alles sah aus wie neu, das dunkle Holz war fein geölt.
„Ich nehme keinen Lack, damit das Holz atmen kann“, sagte Uwe. „Einen Kratzer kannst du mit Holzöl sofort beseitigen. Es ist nicht nötig, Lackschichten neu aufzubauen.“
Aha, wieder etwas gelernt. Am Hauptschott glänzte silbern ein Taylor-Schiffsofen. Sogar mit richtigem Schornstein, ummantelt von einem gelochten Edelstahlblech, spiegelblank poliert.
„Für den Ofen habe ich einen neuen Brenner in Reserve“, sagte Uwe. „Aber der ist eigentlich nicht notwendig. Der Ofen ist fast wartungsfrei. Keine Elektronik, funktioniert auch bei Lage.“ Wir setzten uns auf die Polster. Perfekt. Nicht durchgesessen. Nicht muffig. Warmes Moosgrün. Das mag nicht jeder, wir schon. Gemütlicher Kontrast zum Holz. Uwes Erklärung: „Die Polster sind für die Ewigkeit gemacht. Normalerweise wird das Kernmaterial für Flugzeugsessel verwendet. Ich habe eine kleine Menge kaufen können und Schiffspolster daraus anfertigen lassen. Möchten Sie auch was über den Motor erfahren? Er kommt gerade frisch restauriert von einer Bremer Motorenwerkstatt zurück. Kolben, Lager, Dichtungen, Aggregate: alles neu. Wenn Sie das Boot kaufen möchten, müssen Sie allerdings noch zwei Wochen Geduld haben. Sie sehen ja selbst, dass der Teppich etwas abgenutzt ist. Darum habe ich neue Auslegware bestellt. Muss ich nur noch verlegen und einpassen. Ist aber Qualität. Kommt von BMW. Autoteppich als Meterware.“
Ich war sprachlos. Kein Gedanke daran, irgendetwas zu bemängeln. Denn da gab es nichts. „Kein Rost“, hatte er in der Anzeige geschrieben. Das stimmte ebenfalls. Es war nicht der kleinste Rostpickel in der Bilge zu finden. Dazu fast nagelneue Segel. Eine Rollreffanlage im Mast und eine Rollgenua auf dem Vorschiff. Alles mit Rechnungen belegt. Der Preis von 50.000 DM war wahrlich nicht zu viel für ein hochwertig gebautes Boot der 10-Meter-Klasse.
So wechselte SPICA zu uns. Ich war dankbar, dass Uwe das Boot überhaupt verkaufte. Mehr Geld hatte ich nicht, aber ich wollte auch keinen Pfennig herunterhandeln. Wenn der Mann von „seinem Kind“ sprach, dann gab ihm der Zustand des Schiffes recht. Eine Windsteueranlage ans Heck geschraubt und man hätte sofort zur Weltumsegelung starten können. Es würde Mühe und Anstrengung kosten, SPICA überhaupt in diesem guten Zustand erhalten zu wollen. Viel brauchte ich nicht zu ändern. Ein paar zusätzliche Leselampen und Steckdosen. Ein Autopilot vom Typ Navico TP 300. Eine Rettungsinsel. Und ein neuer Name: LEVIATHAN.
Im April 2000 kam das Boot ins Wasser. Mit Uwe verband mich weiterhin eine herzliche Freundschaft, die bis heute andauert. Er hat nach SPICA kein neues Segelboot mehr gekauft. Noch immer schätze ich seine Bootsbau-Fachkenntnis. Uwe ließ es sich nicht nehmen, uns auf dem Mittellandkanal bis zur Hindenburgschleuse in Hannover-Anderten zu begleiten. Unterwegs erklärte er die letzten technischen Einzelheiten.
In der Schleuse ging Uwe von Bord. Seine Frau holte ihn ab. Sie hatte noch die letzten Sachen dabei, sogar passend genähte Bettwäsche für das Vorschiff. Der arme Uwe. Standen Tränen in seinen Augen? 18 Jahre war er mit dem Schiff unterwegs gewesen, hatte seine Zeit und seine Liebe dafür gegeben. Als er von Bord ging, war ich zu aufgeregt, um weiter darüber nachzudenken. Auf den ersten Fahrten mit einem neuen Boot höre ich nur die Maschine, achte auf den Kühlwasseraustritt, kontrolliere die Dichtigkeit von Leitungen und Seeventilen. Unsere weitere Fahrt auf dem Mittellandkanal verlief...