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E-Book

Menschenleben retten!

Mit der Sea-Watch im Mittelmeer

AutorHarald Höppner
VerlagEichborn AG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783732528295
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Nach den tragischen Bildern ertrinkender Flüchtlinge fasst Harald Höppner seinen wohl verrücktesten Plan.

Er beschließt ein Schiff zu kaufen, freiwillige Seemänner anzuheuern, aufs Meer zu fahren und so viele Menschen wie möglich zu retten. 'Wenn sich keiner darum kümmert, dann mache ich das eben', war sein Motto. In seinem Buch beschreibt er, wie er über 2000 Menschenleben retten konnte, trotz vieler Hindernisse.

Die Geschichte erzählt von einem Mann, der anpackt, von einem, der Verantwortung übernimmt, damit unsere Gesellschaft menschlicher wird. Einer, der nicht länger zuschauen will, dass andere sterben, nur weil sie am falschen Ort geboren sind.

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Leseprobe

Kapitel 1

Dann mach ich das eben


Das Bild war schrecklich. Aber ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ein Mann klammerte sich an die hölzernen Bodenplanken eines sinkenden Schlauchboots. Sein Gesichtsausdruck war panisch, die Augen waren weit aufgerissen, der Mund zu einem stummen Schrei verzogen. Eine Hand streckte er nach vorne. Etwa einen Meter vor ihm im Wasser befand sich eine Frau, sie schien im Wasser zu stehen und war deutlich zu erkennen. Sie trug Jeans und ein helles, gestreiftes T-Shirt. Ihr Kopf war unter Wasser, die langen, schwarzen Haare schwammen auf der glatten Oberfläche. Sie schaute nach unten, so als sei sie erschöpft. Die Arme nach vorne gestreckt, schien sie nach dem Mann oder nach den Holzplanken greifen zu wollen.

Das Bild zog mich ganz in seinen Bann. Wie durch einen Schleier drangen die Worte des Nachrichtensprechers zu mir. »… Neues Unglück im Mittelmeer … zwischen Libyen und Lampedusa … mindestens 40 Tote.« Ich stand im Türrah­men zum Wohnzimmer, starrte auf den Fernseher und fragte mich, ob die Frau und der Mann sich gekannt hatten. Waren sie Geschwister? Oder waren es einfach nur zwei Menschen, die einander helfen wollten? Wo war der Mann jetzt? Wie ging es ihm? Aber dann dachte ich, dass das Foto der beiden vermutlich gar nicht das neueste Unglück zeigte. Mit Sicherheit stammte es aus einem großen Bildarchiv, das die Medien zu den Unglücken im Mittelmeer angelegt hatten. Ich war zufällig in die Nachrichtensendung geraten. Eigentlich hatte ich im Arbeitszimmer E-Mails beantwortet. Ins Wohnzimmer war ich nur gekommen, um mit meiner Frau Tanja, die sich nach dem Abendessen vor den Fernseher gesetzt hatte, unsere Urlaubspläne für die Herbstferien zu besprechen.

Ich sah selten fern. Überhaupt verfolgte ich die Nachrichten damals kaum. Eine Zeitung hatte ich seit Monaten nicht mehr gelesen. Auch die Seiten im Internet mit den aktuellen Meldungen klickte ich kaum mehr an. Es war nicht so, dass ich mich nicht dafür interessierte, was in der Welt geschah. Im Gegenteil. Am liebsten wollte ich jedes Land sehen und erleben. Nachrichten aber langweilten mich zumeist. Ich hatte oft das Gefühl, sie wiederholten sich, und dass ich zu wenig Informationen bekam, um wirklich verstehen zu können, um was es ging. Lediglich dann, wenn ich im Auto Radio hörte, ließ ich die Nachrichten an. Dann konnte es hin und wieder passieren, dass ich etwas Interessantes hörte, zu dem ich später im Internet mehr Informationen suchte. Jetzt schaute ich wie hypnotisiert auf den Bildschirm. Auf die Frau und den Mann. Ich erinnerte mich an einen Text über das Ertrinken, den ich erst kürzlich gelesen hatte. Ich war darauf gestoßen, als ich zu Bootsunglücken auf dem Mittelmeer recherchierte. Nach etwa einer Minute unter Wasser atmet man reflexhaft. Wasser dringt in die Lungen, das Zwerchfell krampft, man hustet, noch mehr Wasser gelangt in die Atemwege. Der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt unaufhaltsam. Nach ein paar Minuten wird man bewusstlos. Kurz darauf steht der Atem still und wenig später das Herz. Wie sich das Ertrinken anfühlt, kann niemand sagen. Aber es muss eine besonders schreckliche Todesart sein. Auch erfahrene Schwimmer können ertrinken, wenn sie sich zu lange im Wasser aufhalten. Sinkt die Körpertemperatur, dann verlangsamt sich der Kreislauf. Irgendwann reicht die Kraft nicht mehr aus, um sich über Wasser zu halten.

Ich bin kein guter Schwimmer. Im Wasser fühle ich mich nicht wohl. Ich vermeide es, zu schwimmen, wenn ich keinen Grund mehr sehen kann. Hin und wieder fordern mich meine Söhne im Schwimmbad auf, mit ihnen um die Wette zu tauchen. Natürlich bin ich ein kläglicher Verlierer, weil ich bereits nach wenigen Sekunden wieder an die Wasseroberfläche muss. Ich stellte mir vor, dass ich mich anstelle des Mannes an der Holzplanke festklammere und vor meinen Augen eine Frau ertrinkt. Der Gedanke schauderte mich. Als ich ihn wieder abgeschüttelt hatte, hörte ich den Nachrichtensprecher sagen: »In diesem Jahr sind mehr als 3000 Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben. Seit dem Jahr 2000 ertranken mindestens 22.000 Menschen.« Statt des Fotos von dem Mann und der Frau war jetzt hinter dem Sprecher ein größerer Kahn zu sehen, auf dem sich Hunderte Menschen drängten. Mit ausdrucksloser Miene fuhr der Journalist fort: »Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration ist das Mittelmeer derzeit die gefährlichste Grenze der Welt.« Er hatte den Satz noch kaum beendet, schon wechselte er zum nächsten Thema über. Mich überfiel eine irrationale Wut. Wie konnte der Nachrichtensprecher nach einer solchen Meldung, nach diesen Bildern einfach zum nächsten Tagespunkt übergehen? Kannte er keine Anteilnahme? Ich blickte zu meiner Frau, die mich noch immer nicht im Türrahmen bemerkt hatte. Sie starrte in den Fern­seher, schüttelte bei den letzten Sätzen des Sprechers ein wenig den Kopf, um sich dann der nächsten Nachricht zu widmen.

Natürlich hatte ich längst mitbekommen, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ums Leben kamen. Die Nachricht, dass am 3. Oktober 2013 nahezu 400 Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa ertrunken sind, hatte mich tief getroffen. Doch diesmal war meine Reaktion anders. Vielleicht war es das Bild der beiden, das etwas in mir in Bewegung setzte? Vielleicht waren es die Zahlen? Vielleicht dieser Satz: »Das Mittelmeer ist die gefährlichste Grenze der Welt«? Das Mittelmeer, diese Badewanne, in der meine Kinder und ich schon zigmal geplanscht haben, konnte doch nicht so plötzlich unkontrollierbar geworden sein! Jedenfalls fühlte ich mich in diesem Moment, als ich im Türrahmen stand und zufällig die Fernsehnachrichten sah, für die Toten mitverantwortlich. Wie können wir hinnehmen, dass Menschen an unserer europäischen Grenze sterben? Diese Frage ließ mich nicht mehr los.

Wenige Wochen später, am Abend vor dem 25-jährigen Mauerfalljubiläum, fiel meine Entscheidung: Wenn niemand etwas gegen das Sterben unternimmt, dann würde ich das eben tun. An jenem Abend saßen meine Frau Tanja und ich mit Freunden an unserem Küchentisch zusammen. Ich hatte indisches Curry mit Reis zubereitet, dazu tranken wir eine Flasche Rotwein. Wie so oft in den vergangenen Tagen, als es im Fernsehen und im Radio nahezu ausnahmslos um die Öffnung der innerdeutschen Grenzen ging, sprachen wir über die europäischen Außengrenzen und über die zahlreichen Flüchtlinge, die im Mittelmeer ums Leben kamen. Ein Freund sagte halb im Spaß, halb im Ernst: »Man müsste einfach mit einem Frachter nach Libyen fahren und die Menschen abholen, damit niemand auf dem Weg nach Europa ertrinkt.«

Damals kamen die meisten Flüchtlinge übers zentrale Mittelmeer nach Europa. Allein bis Oktober waren es im Jahr 2014 nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 218.000. Die meisten Boote starteten in Libyen, wo sich nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 die Schlepperbanden breitgemacht hatten. In weiten Teilen des Landes gab es keinen funktionierenden Staat mehr und damit auch keine Küstenwache, mit der die Europäische Union hätte zusammenarbeiten können, damit die Boote mit den Flüchtlingen gar nicht erst ablegen. Natürlich war uns allen klar, dass der Vorschlag mit dem Frachter nicht funktionieren würde. Die Gefahr war groß, dass man als Schlepper angeklagt würde. So konnten wir nichts erreichen. Trotzdem spann ich den Gedanken weiter. Sprach von Besitzern privater Segeljachten, die die Flüchtlinge hinter den libyschen Hoheitsgewässern aus ihren maroden Schiffen herausholen könnten. Und dann kam mir dieser Gedanke: »Wir fahren selber mit einem Schiff aufs Mittelmeer und retten die Menschen vor dem Ertrinken.« Meine Frau und die Freunde lachten. Ich ließ mich nicht beirren, setzte mich an den Computer, um Jachtcharter-Firmen zu recherchieren. Als ich mich durch die Angebote geklickt hatte, wurde mir klar: Niemand würde uns mit so schicken Booten an die libysche Grenze fahren. In Libyen herrschte Bürgerkrieg, islamistische Milizen beherrschten die Küsten. Keine Versicherung der Welt würde Jachtcharterer in dieser Gegend absichern. »Wir müssen unser eigenes Boot kaufen«, sagte ich, als ich an den Küchentisch zurückkehrte. Von da an sollte kein Tag mehr vergehen, an dem ich nicht an dieses Boot dachte, mit dem wir im Mittelmeer Flüchtlinge retten könnten. Ich ahnte noch nicht, dass daraus tatsächlich ein Projekt werden würde, das mich monatelang nicht mehr zur Ruhe kommen ließ.

Schon bevor ich das Bild von dem ertrinkenden Mann und der toten Frau in der Nachrichtensendung gesehen hatte, war etwas mit mir passiert. Auf den ersten Blick war es nur eine Kleinigkeit gewesen. Aber sie veränderte meinen Blick auf die Welt und auf die Flüchtlinge. Während der Sommerferien in Norwegen hatten wir in einem Museum in Trondheim ein Glücksrad entdeckt. In den Kästchen, in denen normalerweise Geldbeträge notiert sind, stand zum Beispiel: »Syrien. Pech gehabt. Als Teil der normalen Bevölkerung werden Sie und Ihre Familie zwischen den Truppen von Assad und den islamistischen Kämpfern aufgerieben. Zwar gelingt Ihnen die Flucht, das Schicksal Ihrer Familie ist aber ungewiss. Wahrscheinlich sind sie tot.« In einem anderen Kästchen stand: »Deutschland. Glück gehabt. Sie leben in Frieden und können problemlos durch die Welt reisen.«

In jenem Norwegenurlaub sprachen meine Frau und ich mit unseren Kindern häufig über das Glücksrad. Wir versuchten, die Sichtweise von Menschen aus anderen Ländern und die von Flüchtlingen einzunehmen. Immer wieder kamen wir zu dem Schluss, dass wir verdammtes Glück gehabt hatten, als Europäer auf die Welt gekommen zu sein. Dass die Chancen und Möglichkeiten, die man im Leben hat, davon abhängig sind, wo man geboren...

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