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Menschwerden aus Passion

Das Religiöse in der Malerei von Rudolf Hausner (1914-1995)

AutorMatthias Marks
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783170294707
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis43,99 EUR
Der Diskurs über Bilder, ihre Präsenz und ihre Wirkungen ist bislang weitgehend an der Praktischen Theologie vorbeigegangen. Die vorliegende Untersuchung wagt erste Schritte in dieses fremde Terrain. Sie hebt wichtige rezeptionsästhetische Fragen ans Licht, diskutiert sie im Rahmen dreier zentraler praktisch-theologischer Arbeitsfelder (Predigt, Liturgie, Seelsorge) und reflektiert sie dort, wo die Bildthematik ihren kulturellen Ausgangspunkt hat: im Resonanzraum der bildenden Kunst. Insofern kommt dieser interdisziplinären Arbeit Pionierfunktion zu. Sie beschreitet dabei einen induktiven Weg. In der Auseinandersetzung mit den Adam- und Abendmahlsbildern des Wiener Malers Rudolf Hausner wird exemplarisch rekonstruiert, wie sich die visualisierte Reflexion des Künstlers und die rezeptionsästhetische Reflexion des Betrachters über die Arbeit des Bildes gegenseitig erschließen. Zur Erhellung der religiösen Dimension und der bildtheoretischen Impulse werden Erkenntnisse aus Psychoanalyse, Pneumatologie und dem interdisziplinären Bilddiskurs einbezogen. Mit dieser detail- und kenntnisreichen Interpretation tritt der Verfasser als einer der wohl besten Kenner des Lebenswerks von Rudolf Hausner in Erscheinung.

Dr. Matthias Marks ist Pfarrer in der Bartholomäus-Kirchengemeinde Brackwede.

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Leseprobe

B
Das Religiöse in Hausners Werk


Begriffsklärung

1 Religiosität, Religion


Im Zentrum dieser Arbeit steht das Religiöse im Werk von Rudolf Hausner. Im Folgenden soll erläutert werden, was damit gemeint ist. Der Aufriss dieses Kapitels entspricht dem Werdegang des Erkenntnisprozesses. Den hermeneutischen Kriterien zufolge163 vermittelt sich das Inhaltliche der Adam-Bilder nicht unabhängig von inneren Bildern, die der Betrachter bewusst und unbewusst mitbringt, wenn er vor einem Hausner-Gemälde steht. Das betrifft auch das, was hier als religiös bezeichnet wird. Denn ob dies vom Betrachter erkannt oder nicht erkannt wird, hängt auch mit einem bestimmten Vorverständnis zusammen, das sich im Einflussbereich abendländischer Hermeneutik zunächst vorrangig biblisch, christlich bzw. kirchlich geprägt zeigt (1a).

Durch die rezeptionsästhetische Auseinandersetzung und das damit verbundene Wahrnehmungspotential ist die religiöse Dimension jedoch noch elementarer zu erfassen164, z.B. über Motive, die auf den ersten Blick als ‚unreligiös’ erscheinen, bei näherem Hinsehen aber über ihre ikonographische Wertigkeit hinausweisen, also mehrdeutig sind.165 Es ist dieser Erkenntnisprozess selbst Ausdruck dessen, worum es hier geht (1b-c) und was im Diskurs mit neueren religionshermeneutischen Ansätzen in der Theologie auf den Begriff zu bringen ist (2).

a) Die Mehrdeutigkeit der religiösen Ikonographie

Im gemalten Werk des Wiener Künstlers sind elf Bilder zu finden, in denen Religiöses direkt einzusehen, als biblisch, christlich bzw. kirchlich geprägte Ikonographie auf den ersten Blick erkennbar ist. Diese Bilder sind:


  • Die Arche des Odysseus (1948-51, 1953-56)
    Links in dem Bild erkennt man, hinter dem Matrosen bzw. über seiner rechten Schulter, außerhalb der Arche, aber durch das offene Fenster sichtbar, das aus oder hinter der trapezförmigen Parkanlage aufragende, mit der Kuppel und den Seitentürmen charakterisierte Wahrzeichen des Wiener Katholizismus, die Karlskirche (vgl. Rez.-ästh. I).

  • Penelope (1952)
    Auf dem hauchdünnen Glastablett, das in den Raum einschwebt und von Penelope auf den ersten drei Fingern ihrer rechten Hand balanciert wird, stehen drei Gegenstände. Die beiden hinteren erinnern an Abendmahlsgeräte. Links steht der Krug für den Wein, rechts das Ciborium für die Oblaten/Hostien (vgl. Rez.-ästh. I).
  • Labyrinth (1963)
    Auf der linken Bildseite erscheinen wie in einem ‚Feuerofen’166
    oder wie aus einem unterirdischen Abwasserkanal heraufschnellend drei Männer in einem mit Staffeleilatten und Brettern provisorisch eingerüsteten goldenen Gefährt, das auf der vorderen Seite ein verziertes ovales Schutzengel-Amulett trägt und das als Abendmahlskelch, spätmittelalterliches Taufbecken und Predigtkanzel auf das kirchliche Sakrament verweist (vgl. Rez.-ästh. II, C).

  • Adams Alternative (1969)
    In diesem Bild öffnet sich in der oberen Hälfte rechts die Ziegelwand zu einem Fenster, in dem ein religiöses Bild aus der Kunstgeschichte, der Kopf des „Toten Christus im Grabe“ (1522) von Hans Holbein dem Jüngeren167 zu erkennen ist. In mittelalterlicher Bildtradition beheimatet ist ebenfalls der Bogenscheitel des Fensters, in dem diese Epiphanie präsentiert wird. Auch die von oben ins Bild ragende ‚Hand Gottes’ hat ihre alte ikonographische Tradition. Das Fensterbild verweist auf die christliche Vorstellung von Tod, Auferstehung und ewigem Leben (vgl. näher unter b).

  • Adams Kinderbildnis (1978)
    Dieses Bild steht am Anfang des Spätwerks des Malers. Wie vor dem Bild schwebend gemalt, fällt die ovale Licht-Erscheinung, die der Matrosenjunge ergreifen möchte, sofort ins Auge. Darin erkennt man, von einer Mandorla umgeben und in einen Rosenkranz gebettet, das von fünf Dolchen gemarterte, flammende ‚Herz Jesu’. Im Hintergrund dieser habsburgisch-katholisch-gegenreformatorischen Emblematik, die in vielen Barockkirchen anzutreffen ist, erscheint als Architektur eine „Perspective“ (1604/05) des Jan Vredeman de Vries168
    in nächtlich-gespenstischen Tönen (vgl. näher unter c).

  • Hommage à Leonardo (1977-81, 1984-85)
    Die sechs gemalten Abendmahlsbilder Rudolf Hausners sind Thema des III. Teils der Rezeptionsästhetik. Im ersten Bild der Serie eröffnen drei Arkaden den Ausblick in eine weite Landschaft. In der mittleren erscheinen, in Anlehnung an das Mailänder Abendmahlsfresko Leonardo da Vincis (1494-98), Jesus und seine Jünger in Szene gesetzt, und zwar an einem Billardtisch, vor dem der Matrosenjunge einen schwierigen Stoß versucht. Diese provokante Variation des wirkungsmächtigsten Gemäldes der Renaissance wird in der Architektur eines alten Ziegelgemäuers, ein Zitat aus der „Perspective“ (1604/05) des Jan Vredeman de Vries169, ansichtig (vgl. Rez.-ästh. III).

  • Adam, der ungeliebte Sohn – eine Allégorie réelle (1979-1984)
    Das Leonardo-Zitat erscheint im zweiten Bild der Abendmahlsserie verdoppelt. Die Architektur erhält durch die Erhöhung des Gemäuers einen sakralen Charakter. Das neue Stockwerk über dem Billardtisch ist nun deutlich als ein mit weißer Tischdecke versehener Abendmahlstisch gestaltet, auf dem ein neugeborenes Kind vor den ausgebreiteten Armen Jesu liegt. Die 13 Figuren Leonardos erscheinen in ihrem individuellen Ausdruck sowie ihrer farbigen Gestaltung verstärkt, die Jesus-Figur wird weiblicher.
  • Adams Kinderbildnis (1990)
    Das zweistöckige Abendmahl findet in diesem Bild auf einem Wiesenhügel am Rande des Donaukanals statt (ohne Abb.).

  • Adam, der ungeliebte Sohn II (1986-1990)
    Das vierte Abendmahlsbild ist eine neue Ausführung des zweiten mit unwesentlichen Veränderungen in der religiösen Ikonographie (ohne Abb.).

  • Adam, der ungeliebte Sohn III (1987-1991)
    Das im fünften Abendmahlsbild noch weiter entwickelte Leonardo-Zitat erscheint nun dreistöckig. Auf der hinzu gekommenen unteren Ebene sieht man Jesus und seine Jünger als engagierte Zuschauer bei einem Boxkampf. Zwei Männer ringen miteinander (vgl. Rez.ästh. III).

  • Requiem (1995)
    Das letzte Abendmahlsbild erinnert in seiner Anlage an das erste. Das im oberen Bildteil einzig übriggebliebene Mittelfenster zeigt die ursprüngliche Leonardo-Variation. Doch auf dem Billardtisch, der nunmehr in einer weiten, raum- und zeitlos erscheinenden Landschaft steht, liegt vor den ausgebreiteten Armen Jesu ein Toter, die Figur des Malers selbst, ohne seine Hände.

Diese, auf den ersten Blick erkennbaren, ausdrücklich biblisch bzw. christlich religiösen Motive und Zitate sind in ihrer ikonographischen Wertigkeit innerhalb des gemalten Gesamtwerks zu differenzieren. Denn die Aussagen und Wirkungen, die ihnen im Kontext des Gemalten zukommen, sind nicht eindeutig. Die verschiedenen Ebenen der Bedeutung lassen sich durch die Differenzierung einer retrospektiv und prospektiv wirkenden Symbolsprache unterscheiden und aufeinander beziehen. Das ist das eine, das in diesem Kapitel aufgezeigt werden soll (vgl. b).

Gleichzeitig treten – zum Teil in denselben Bildern, parallel zu den genannten Motiven und doch scheinbar unabhängig davon – andere, auf den ersten Blick nicht religiös konnotierte Motive und Entwicklungen in Erscheinung, die ihre religiöse Semantik erst bei näherem Hinsehen enthüllen170, indem man versucht, die „Sprache“ dieser Malerei – so weit das möglich ist – als ganze zu verstehen. Zu diesen Motiven gehören:


  • Das Stilleben auf einem Glastablett (1952)171
    Die drei Gegenstände, die auf zerbrechlichem Glastablett in den Bildraum von Penelope einschweben und von den drei ersten Fingern der weiblichen Hand balanciert werden172, können auf den ersten Blick als Vasenkrug, Deckelpokal und Zwirnspule (Stilleben) beschrieben werden. Betrachtet man sie jedoch mit dem Blick analytischer Kunstpsychologie, kann der Vasenkrug auch als Phallussymbol (Vater), der Deckelpokal auch als Symbol der weiblichen Brust (Mutter) und die Spule auch als Spielzeug (Kind) gesehen werden. Diese Symbole sind so angeordnet, dass sie als Dreiergefüge über ihre ikonographische Wertigkeit hinaus auf die Beziehungstriade Vater-Mutter-Kind verweisen. In diesem Sinne wird der vom Maler daraufhin (1953-56) gemalte Würfel in der Hand des Matrosen in der Arche verständlich als Ausdruck des Ergebnisses eines Subjektwerdungsprozesses, der in der Psychoanalyse als „Triangulierung“...
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