Kapitel 6.1, Systematisierung der marktanalytischen Kriterien
Anhand von marktanalytischen Kriterien lässt sich ein fundierter Ländervergleich nur vornehmen, wenn die relevanten Informationen nicht nur gesammelt, sondern auch miteinander verglichen werden können. Eine wahllose und länderübergreifend uneinheitliche Aneinanderreihung von Fakten lässt einen Vergleich zwischen Ländern nur mit erhöhtem Aufwand zu.
Für einen systematischen Vergleich müssen die Auswahlkriterien für jedes Land einheitlich gegliedert werden. Dazu werden sie zu einem so genannten „Country Notebook“ zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um ein Gliederungsschema, durch das alle auswahlrelevanten Informationen methodisch aufbereitet werden. Man erhält dadurch eine gegliederte Informationssammlung, die einen profunden Einsatz der Länderauswahltechniken ermöglicht. Das Gliederungsschema kann zwar individuell gestaltet werden, muss aber, um einen Vergleich zwischen mehreren Ländern einfach und schnell vornehmen zu können, für jedes betrachtete Land gleichermaßen gültig sein. Um das „Country Notebook“ überschaubar zu halten und den Kosten- und Zeitaufwand nicht explodieren zu lassen, ist es notwendig, die Menge der Informationen knapp und klar zu halten.
Bei den zusammengetragenen Informationen soll es sich deshalb um Basisinformationen handeln, aus denen Chancen und Risiken abgeleitet werden können und die erst zu einem späteren Zeitpunkt, nach erfolgter Entscheidung für die Bearbeitung eines Landes, eingehender analysiert und für die Marktsegmentierung und Unternehmensanpassung verwendet werden.
Das Management erhält durch ein „Country Notebook“ alle Informationen, um die Länderattraktivität und die vorhanden Marktbarrieren für die Länderauswahl abschätzen zu können. Die Länderattraktivität umfasst alle Chancen, die einen ausländischen Markt für eine Bearbeitung als lohnend erscheinen lassen. Als Marktbarrieren können alle Bedingungen bezeichnet werden, deren Erfüllung zur bedarfsgerechten Marktbearbeitung notwendig ist und die sich für das Unternehmen als hemmend erweisen. Dazu gehören vor allem Markteintrittsbarrieren wie z.B. Zölle, aber auch Marktaustrittsbarrieren wie z.B. Vertragsstrafen bei einer Auflösung der Absatzmittlerbindung.
Aus den Marktbarrieren lassen sich Hinweise für eine notwendige Unternehmens- bzw. Produkt- und Marketinganpassung nach erfolgter Entscheidung für das entsprechende Land ableiten. Aus Informationen über klimatische Barrieren lassen sich z.B. Verpackungsanpassungen absehen, die aufgrund eines tropischen Klimas notwendig werden. Sind die Unterschiede der Marktbedingungen, verglichen mit dem Heimatmarkt, zu groß und können mit den vorhandenen Ressourcen nicht überbrückt werden, neutralisieren die Marktbarrieren die Marktattraktivität und das entsprechende Land muss ausselektiert werden.
Marktbedingungen von Ländern sind nicht konstant und verändern sich im Zeitablauf ständig. Um nach erfolgter Entscheidung für ein Engagement in einem Land diese Tatsache zu berücksichtigen, ist das „Country Notebook“ auch nach der Länderauswahl ständig zu aktualisieren und als Informationsquelle heranzuziehen, z.B. bei Entscheidungen über Produktinnovationen oder neuen Werbekampagnen. Durch ständige Beobachtung der Märkte wird außerdem sichergestellt, dass kein zukünftiger Trend missachtet wird.
In einem „Country Notebook“ werden alle entscheidungsrelevanten Faktoren aufgelistet, die Marktgeschehen und Investitionen beeinflussen. Dazu gehören z.B. der gesellschaftspolitische Rahmen, der volkswirtschaftliche Entwicklungsstand und das Wachstumspotenzial, das soziokulturelle Umfeld, der Stand der technischen und infrastrukturellen Entwicklung, die Qualität der Beschaffungsmärkte, sowie der Produktions- und Absatzbedingungen innerhalb der Wertschöpfungskette. Zu jedem Faktor werden allgemeine und aussagefähige Informationen präsentiert, die eine Interpretation hinsichtlich Marktattraktivität und Marktbarrieren erlauben müssen. Zum Beispiel ist nicht nur die Tatsache entscheidend, das China von Deutschland geographisch weit entfernt ist, sondern die Konsequenz daraus für das Unternehmen, also ein hoher Transportaufwand.
Zur Strukturierung der Länderanalyse werden wesensähnliche Kriterien zu übergeordneten Gruppen zusammengefasst. Diese Gruppen bauen aufeinander auf und beeinflussen sich gegenseitig. Die Abgrenzung der einzelnen Gruppen untereinander erfolgt anhand der Marktbarrieren, die aus den Umweltbedingungen hervorgehen. Diese lassen sich in strukturelle und in strategische Marktbarrieren einteilen107. Strukturelle Marktbarrieren sind ursprünglicher Natur. Zu ihnen gehört etwa der Wirtschaftsraum mit den Kriterien „Geographie“ und „Klima“. Strategische Marktbarrieren werden von anderen Marktparteien bewusst aufgebaut. Zu ihnen gehören etwa die politisch-rechtlichen Bedingungen oder die Wettbewerbssituation. Die Gliederung des „Country Notebook“ erfolgt anhand dieser Zweiteilung, indem erst die strukturellen und danach die strategischen Marktbarrieren untersucht werden. Die strukturellen Marktbarrieren sollten zuerst analysiert werden, da sie vom Unternehmen nicht verändert werden können108. Sind diese nicht zielkonform oder übersteigt die Anpassung des Unternehmens die vorhandenen Ressourcen, kann die Analyse vorzeitig abgebrochen werden. Außerdem begründen die strukturellen Bedingungen die strategischen, z.B. ist das politische Umfeld ein Resultat der Landeshistorie und der Kultur.